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Die Menschenkette zwischen Stuttgart und Neu Ulm am 22 Oktober 1983 war eine Grossdemonstration der suddeutschen Friedensbewegung im Rahmen einer bundesweiten Friedenswoche mit abschliessenden Volksversammlungen Sie war 108 km lang und wurde nach Schatzungen der Veranstalter von 300 000 bis 400 000 Menschen gebildet 1 nach anderen Angaben von 250 000 2 oder uber 200 000 Menschen 3 Ziel der Aktionen dieses Tages an denen bundesweit uber eine Million Menschen teilnahmen war es die Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II und neuartiger atomarer Marschflugkorper Cruise Missiles in Deutschland und Mitteleuropa im Zuge des sog NATO Doppelbeschlusses zu verhindern Nachdem im Deutschen Bundestag am 22 November 1983 daruber debattiert wurde und sich eine Mehrheit der Abgeordneten dafur entschieden hatte 4 wurden die Raketen ab Dezember 1983 in Deutschland stationiert Die Friedensbewegung hatte damit ihr Ziel nicht erreicht Inhaltsverzeichnis 1 Vorgeschichte 2 Aufruf 3 Konflikte 4 Ablauf 5 Wirkungen 6 Kritik 7 Literatur 8 Weblinks 9 EinzelnachweiseVorgeschichte BearbeitenDie Menschenkette war als Kompromiss aus einem Streit zwischen verschiedenen suddeutschen Friedensgruppen hervorgegangen Im April 1983 hatte eine bundesweite Aktionskonferenz von Friedensgruppen in Koln mit rund 800 Teilnehmern nach kontroverser Debatte beschlossen im Herbst nicht wie in den beiden Vorjahren zu einer einzigen Grosskundgebung in Bonn aufzurufen sondern zu drei getrennten Volksversammlungen fur den Frieden die in Hamburg Bonn und Suddeutschland stattfinden sollten 5 Spater kam noch eine vierte in Berlin West dazu Die Friedensgruppen aus Baden Wurttemberg Bayern Sudhessen der Sudpfalz und dem Saarland waren zunachst zerstritten in der Frage wo ihre Volksversammlung stattfinden sollte Der DGB und die Gruppen des sog KoFAZ Spektrums traten fur eine einheitliche Grosskundgebung in Stuttgart ein wo sich das Hauptquartier der US Truppen in Europa EUCOM befand Die sog autonomen Gruppen forderten eine gewaltfreie Umzingelung und Blockade der Wiley Kaserne in Neu Ulm die als Stationierungsort fur Pershing II Raketen galt Die DFG VK Baden Wurttemberg und namentlich Ulli Thiel brachte als Kompromissvorschlag eine uber 100 km lange Menschenkette ins Gesprach die die beiden Zielorte Stuttgart und Neu Ulm entlang der Bundesstrasse 10 miteinander verbinden sollte Vorbild fur diese Aktionsform war eine Friedensaktion der Frauen von Greenham Common in Grossbritannien die Eva Quistorp in Westdeutschland vorgestellt und propagiert hatte Nach langen und schwierigen Debatten einigte sich eine Aktionskonferenz der suddeutschen Gruppen am 5 Juni 1983 in Ulm auf das Projekt einer Menschenkette uber die Schwabische Alb hinweg mit zwei Abschlusskundgebungen in Stuttgart und Neu Ulm Startpunkt in Stuttgart war das United States European Command in Vaihingen Endpunkt in Neu Ulm die Wiley Barracks 3 Im August September 1983 kamen erhebliche Zweifel auf ob eine so lange geschlossene Menschenkette zustande kommen wurde Skeptiker befurchteten eine Blamage Die mit der Organisation betraute DFG VK Baden Wurttemberg gab die trotzige Parole aus Was gilt die Wette Wir schaffen die Kette Dennoch wurden vorsorglich Bander mitgebracht um etwaige Lucken uberbrucken zu konnen 3 Aufruf BearbeitenDer Aufruf zur Menschenkette begann mit den Worten Wir stehen auf Jetzt Denn die Zeit wird knapp In nur wenigen Wochen soll an das Pulverfass Bundesrepublik die Lunte gelegt werden durch Pershing II und Cruise Missiles In Genf wird geredet Die NATO und unsere Regierung handeln Gegen unseren Willen Gegen die Interessen unseres Landes Wenn wir es nicht verhindern Deshalb Jetzt aufstehn Uberall mitmachen Den Widerstand steigern Und im Oktober bereit sein Hunderttausende in die Kette an die Stationierungsorte auf die Volksversammlungen Wir brauchen jeden Wir leisten gewaltfreien Widerstand Wir sind ungehorsam Wir schutzen unser Land 6 Konflikte BearbeitenIm August 1983 gab es im 15 kopfigen Aktionsburo das die Menschenkette organisierte einen schweren Konflikt um die Frage ob Vertreter der unabhangigen Friedensbewegung der DDR eingeladen werden sollten Der suddeutsche Koordinierungsausschuss hatte nach kontroverser Debatte beschlossen Stefan Heym als Redner einzuladen Der Vertreter der Deutschen Friedens Union DFU im Aktionsburo ubernahm den Auftrag das zu tun informierte aber parallel und eigenmachtig den Friedensrat der DDR und die Standige Vertretung der DDR daruber dass diese Einladung nicht als Kritik an den ernsthaften Friedensbemuhungen der DDR zu verstehen sei Die anderen Vertreter im Aktionsburo empfanden diese Briefe als devoten Kniefall vor der DDR und als Vertrauensbruch und forderten deshalb den Ausschluss der DFU aus dem Aktionsburo Der Koordinierungsausschuss verzichtete nach einer Debatte von der die Pressevertreter ausgeschlossen wurden auf einen Ausschluss und gab sich mit einer Entschuldigungserklarung der DFU zufrieden 7 Heym sagte schliesslich ab An seiner Stelle sprach der gerade von der DDR ausgeburgerte Burgerrechtler Roland Jahn Einen weiteren Streit gab es als Aktionsburomitglieder ohne Absprache in einen Teil der Demonstrationsplakate unter Pershing II Cruise Missiles auch SS 20 eindrucken liessen Anlass war eine angemeldete Gegendemonstration des Fellbacher Forums das der Friedensbewegung vorwarf die Stationierung von SS 20 Raketen zu ignorieren Die sowjetischen Mittelstreckenraketen vom Typ SS 20 galten NATO offiziell als Begrundung fur die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles Grosse Teile der Friedensbewegung lehnten aber eine Gleichsetzung dieser Waffensysteme ab 8 Die Organisatoren brachten den Prasidenten des VfB Stuttgart und CDU Politiker Gerhard Mayer Vorfelder dazu ein fur den Tag der Kundgebung geplantes Bundesligaspiel gegen den FC Bayern Munchen erst gegen 17 Uhr d h nach Ende der Kundgebung stattfinden zu lassen 3 Ablauf BearbeitenDie Demonstranten reisten mit 48 Sonderzugen und fast 2000 Bussen zu den 24 Stadten und Dorfern an in denen um 9 30 Uhr Auftaktkundgebungen stattfanden allein in Stuttgart gab es 18 Kundgebungen Die anderen Sammelorte waren Esslingen Zell Altbach Plochingen Reichenbach Ebersbach Uhingen Faurndau Goppingen Eislingen Salach Sussen Gingen Kuchen Geislingen Amstetten Urspring Lonsee Westerstetten Beimerstetten Dornstadt Jungingen und Ulm Neu Ulm Die Strecke war in 23 Abschnitte eingeteilt und die Teilnehmer bekamen vom Aktionsburo nach ihrer Heimatpostleitzahl bzw Herkunftsregion einen Anlaufort und Streckenabschnitt zugewiesen um zu gewahrleisten dass sie sich gleichmassig uber die ganze Strecke verteilten Die Auftaktkundgebungen wurden von lokalen Friedensgruppen organisiert Von den Auftaktkundgebungen ging es ab 11 30 Uhr zu Fuss oder mit Bussen weiter auf die Strecke um die Kette zu bilden Es zeigte sich dass an dem sonnigen Herbsttag so viele Menschen gekommen waren dass die Kette vielerorts sogar in Schlangenlinien oder Doppelreihen gebildet werden konnte Von 12 40 Uhr bis 13 Uhr wurde die Kette geschlossen das heisst auch alle Querstrassen wurden in dieser Zeit blockiert Danach machten sich die Menschen auf den Weg zu ihren Bussen oder Bahnhofen und Sonderzugen um Stuttgart oder Neu Ulm zu erreichen Auf der Abschlusskundgebung in Stuttgart sprachen u a Erhard Eppler SPD Marieluise Beck Oberdorf Die Grunen und Siegfried Pommerenke DGB 9 Auf der Abschlusskundgebung in Neu Ulm sprach u a Roland Jahn 10 Wirkungen BearbeitenDie Menschenkette ging als besonders eindrucksvolle Massenaktion in die Geschichte ein Das spiegelt sich auch in den Schlagzeilen der Presse wider alle vom 24 Oktober 1983 wo nicht anders erwahnt Peace Vibrations auf der rauhen Alb Do lacht dr Russ aber schee isch g wea taz Wie Plochingen die Menschenkette erlebte Aber anstandig waret se doch Badische Zeitung Viele Hunderttausend friedlich fur den Frieden Sonntag Aktuell 23 Oktober 1983 Hurra Rufe ertonen als sich auf der Alb die Kette schliesst Schwabische Zeitung Die grosste und friedlichste Veranstaltung aller Zeiten in Stuttgart Stuttgarter Zeitung F R G The Human Chain Disarmament Campaign Dezember 1983 Ein schwingendes Band aus Demonstranten als lebendiges Symbol Stuttgarter Zeitung So umstritten die Menschenkette in der Friedensbewegung im Sommer 1983 noch gewesen war so einmutig setzten ihre unterschiedlichen Fraktionen ein Jahr spater auf diese Aktionsform Fur den Herbst 1984 rief das sog KoFAZ Spektrum der Friedensgruppen zu einer 250 km langen Menschenkette auf die von Duisburg uber Koln und Bonn bis nach Hasselbach im Hunsruck zur dortigen Raketenbasis reichen sollte einem Stationierungsort fur Cruise Missiles Das autonome Spektrum rief zur Bildung eines Menschennetzes im Fulda Gap auf Die Herbstmanover der Bundeswehr im Raum Fulda Vogelsberg sollten durch zahlreiche Ketten und Blockaden gestort werden 11 Kritik BearbeitenDas Fellbacher Forum ein Zusammenschluss von Bundeswehrreservisten und Junger Union demonstrierte mit einem Autokorso gegen die Menschenkette Die rund 100 Gegendemonstranten warfen der Friedensbewegung vor die Existenz der sowjetischen SS 20 Raketen zu ignorieren und die deutsch amerikanische Freundschaft zu gefahrden 12 Klaus Bohle stellte in einer Karikatur die Menschenkette deren Menschen als ausgeschnittene Papierfiguren gestaltet waren sowjetischen Straflingen gegenuber die an Ketten in ein Straflager marschieren Die Schere die die Friedensdemonstranten erzeugt hat geht uber beide Bilder und lauft in ein Hammer und Sichel Symbol aus 13 Literatur BearbeitenDeutschen Friedensgesellschaft Vereinigte Kriegsdienstgegner Baden Wurttemberg Hrsg Die Menschenkette Ein Ruckblick Karlsruhe 1984 Die lange Kette Die Friedensbewegung in Neu Ulm im Herbst 1983 Beate Storz Stadtarchiv Neu Ulm Larissa Ramscheid Peter Liptau Hrsg Neu Ulm 2023Weblinks BearbeitenBilddokumentation von Udo Leuschner Die Menschenkette von Stuttgart nach Ulm vor 20 Jahren Stuttgarter Zeitung 22 Oktober 2003 Menschenkette von Stuttgart nach Ulm Memento vom 19 Februar 2010 im Internet Archive Stuttgarter Zeitung 21 Oktober 2008 108 Kilometer Menschenkette Spiegel 22 Oktober 2008 DFG VK Baden Wurttemberg 25 Jahre Menschenkette Einzelnachweise Bearbeiten DFG VK Baden Wurttemberg 25 Jahre Menschenkette Memento vom 30 April 2010 im Internet Archive Die Menschenkette von Stuttgart nach Ulm vor 20 Jahren Stuttgarter Zeitung 22 Oktober 2003 laut enslinweb de a b c d Ich wurde es wieder machen Nicht mehr online verfugbar In Schwabische 22 Oktober 2008 archiviert vom Original am 2 September 2018 abgerufen am 2 September 2018 nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www schwaebische de Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages Nr 10 36 Die Menschenkette Eine Idee und ihre Verwirklichung Gesprach mit Ulli Thiel In DFG VK Baden Wurttemberg Hrsg Die Menschenkette Ein Ruckblick Karlsruhe 1984 S 15 Faksimile in DFG VK Baden Wurttemberg Hrsg Die Menschenkette Ein Ruckblick Karlsruhe 1984 S 94f DFG VK Baden Wurttemberg Hrsg Die Menschenkette Ein Ruckblick Karlsruhe 1984 S 60 68 DFG VK Baden Wurttemberg Hrsg Die Menschenkette Ein Ruckblick Karlsruhe 1984 S 117f Die Welt 24 Oktober 1983 Faksimile in DFG VK Baden Wurttemberg Hrsg Die Menschenkette Ein Ruckblick Karlsruhe 1984 S 134 Auskunft Ulli Thiel 2013 Michael Schwellien Hase und Igel Die Zeit 14 September 1984 Online Die Welt 24 Oktober 1983 Sonntag Aktuell 23 Oktober 1983 Faksimiles in DFG VK Baden Wurttemberg Hrsg Die Menschenkette Ein Ruckblick Karlsruhe 1984 S 134 137 Die Welt 24 Oktober 1983 Faksimile in DFG VK Baden Wurttemberg Hrsg Die Menschenkette Ein Ruckblick Karlsruhe 1984 S 134 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Menschenkette von Stuttgart nach Neu Ulm amp oldid 238435129