Sprache Kanaans ist eine selbstkritisch-ironisierende Bezeichnung für eine christliche Gruppensprache (Jargon), die – meist unbewusst – häufig in den Zusammenkünften freikirchlicher und pietistischer Kreise verwendet wird.
Die Bezeichnung geht zurück auf Jesaja 19,18 („Zu der Zeit werden fünf Städte in Ägyptenland die Sprache Kanaans sprechen …“) und bezeichnet eine Sprachform, die deutlich von der Alltagssprache abweicht und durch den Satzbau sowie das Vokabular traditioneller Bibelübersetzungen geprägt ist, etwa durch die Sprache der Luther-Bibel (1912). Für andere Kreise, zum Beispiel die Brüdergemeinden, war der Sprachstil der Elberfelder Bibel formend.
Beispiele Bearbeiten
„Rotkäppchen“ in der Sprache Kanaans Bearbeiten
Aus einer Übertragung des Märchens vom Rotkäppchen in die Sprache Kanaans:
„Kanaanäische Dialekte“ Bearbeiten
Innerhalb der Sprache Kanaans haben sich je nach Freikirche bzw. pietistischer Gemeinschaft bestimmte „Dialekte“ entwickelt, sodass geschulte Hörer die jeweiligen Sprecher ihrer gemeindlichen Herkunft nach zuordnen können. Nach Erich Geldbach kann zum Beispiel „ein geübtes Ohr auch heute noch einen deutschen exklusiven Darbysten unschwer an seiner Sprache erkennen“.
Soziologische Aspekte Bearbeiten
Als mögliche Ursachen für dieses Phänomen lassen sich anführen, dass die Sprecher entweder die alte, aus Bibeltexten und Gemeindetradition gewohnte Sprache in Form eines Rituals zur Gewinnung eines eigenen Sicherheitsgefühls benötigen, dass sie zu einem Auseinanderklaffen der verschiedenen Lebensbereiche Alltag und Gemeinde neigen oder dass sie wenig Umgang mit Menschen außerhalb ihres Frömmigkeitsstils pflegen und auch kaum „weltliche“ Medien (Bücher, Zeitschriften, Rundfunk, Internet) nutzen (Absonderung von „der Welt“).
Siehe auch Bearbeiten
Literatur Bearbeiten
- Joachim Burkhardt / Hans Rittermann: Rotkäppchen und der Wolf. Kleine Phänomenologie der Sprache Kanaans. In: Joachim Burkhardt (Hrsg.): Kirchensprache – Sprache der Kirche. Zwingli-Verlag, Zürich/Stuttgart 1964. S. 9–32.
- Jörg Zink: Sprache Kanaans und christlicher Jargon. In: ders.: Das biblische Gespräch. Eine Anleitung zum Auslegen biblischer Texte. Burckhardthaus-Verlag, Gelnhausen/Berlin, und Christophorus-Verlag, Freiburg 1978. S. 165ff.
- Andreas Malessa: Das frommdeutsche Wörterbuch. Jetzt verstehe ich die Christen! Oncken-Verlag, Wuppertal/Kassel 2002, ISBN 3789380741 (humoristische Darstellung der Sprache Kanaans).
Quellen Bearbeiten
- Zur Sprache der Brüderbewegung siehe Michael Schneider: Kennzeichen und Probleme der „Versammlungssprache“, in: Zeit & Schrift 6/2001, S. 4–11; überarbeitet und erweitert als: Die Sprache der „geschlossenen Brüder“ – Kennzeichen und Probleme (PDF; 104 kB).
- L. Röhrich: Gebärde, Metapher, Parodie, Düsseldorf 1967, S. 143f. (das komplette Märchen gibt es )
- Erich Geldbach: Christliche Versammlung und Heilsgeschichte bei John Nelson Darby, 3. Auflage, Wuppertal 1975, S. 51.
- „Die Eigentümlichkeit der deutschen ‚Darbystensprache‘ ist zudem noch auf die Übersetzung erbaulicher Schriften Darbys zurückzuführen […] Weil normalerweise ein exklusiver Darbyst neben erbaulichen Schriften und der Bibel kein anderes Buch liest, lebt er in ganz besonderer Weise im Sprachschatz der Bibel, so daß ein geübtes Ohr auch heute noch einen deutschen exklusiven Darbysten unschwer an seiner Sprache erkennen kann.“ Erich Geldbach: Christliche Versammlung und Heilsgeschichte bei John Nelson Darby, 3. Aufl., Wuppertal 1975, S. 51 (online).
Weblinks Bearbeiten
- Ilse Schönhoff-Riem: Die Sprache von Neu-Kanaan (Quatember 1953)
- Johannes Pflaum: Die Sprache Kanaans – Ist sie ein Hindernis für moderne Zuhörer? (2001)
- Dieter Alten: Verbogene Frömmigkeit (2007)
- Heinrich Tischner: Die Sprache Kanaans (2009)
- Sebastian Heck: Die Sprache Kanaans (2010)