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Das Leidener Klammersystem ist ein System zur einheitlichen Edition epigraphischer papyrologischer oder meist in Handschriften uberlieferter literarischer Quellen Es regelt also die Schreibweise von Texten die ursprunglich in Form von Inschriften Manuskripten Papyri oder auf ahnlichen Beschreibstoffen vorlagen und transkribiert in gedruckter Form wiedergegeben werden sollen Das Ziel der Editionsrichtlinie ist dass der gedruckte Text das originale Schriftstuck und seine Eigenarten moglichst umfassend eindeutig und korrekt reproduziert und trotzdem mit einem Minimum an Vorkenntnissen verstandlich ist 1 Dazu dienen bestimmte Klammern und andere Schriftzeichen Sigla mit denen Erganzungen Korrekturen und sonstige redaktionelle Massnahmen des Herausgebers eindeutig gekennzeichnet werden und auf Besonderheiten der originalen Fassung eines Textes hingewiesen wird Im Fall einer typischen Inschrift werden dadurch beispielsweise die naheren Details der Aufbringung und Erhaltung auf dem Stein sowie mogliche Abkurzungen und Schreibfehler deutlich gemacht Die Kenntnis dieser Informationen ist mitunter von entscheidender Bedeutung bei der Untersuchung und fur das Verstandnis eines Textes sowie bei der Einschatzung seines Quellenwertes und seiner wissenschaftlichen Verortung Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung und Verbreitung 2 Ubersicht der wichtigsten Sigla 3 Literatur 4 EinzelnachweiseEntstehung und Verbreitung BearbeitenVereinbart wurde die Erarbeitung des Leidener Klammersystems im September 1931 auf der Papyrologischen Sektion des Internationalen Orientalistentages in Leiden auf einen Vorschlag des niederlandischen Grazisten und Papyrologen Bernard Abraham van Groningen hin 2 Das erklarte Ziel war der geradezu unertraglichen Diskrepanz in der Verwendung der Klammern und sonstigen kritischen Zeichen 3 in den klassischen Altertumswissenschaften entgegenzuwirken In den Jahren zuvor hatte bereits die Union Academique Internationale eine Zusammenstellung der verschiedenen damals gebrauchlichen Editionsrichtlinien in der klassischen Philologie erarbeitet und um Ratschlage und Empfehlungen conseils et recommandations fur eine einheitliche Handhabung erganzt Die Druckfahnen dieses Werkes lagen 1931 der Papyrologischen Sektion des Orientalistentages bereits vor 4 obwohl ihre endgultige Veroffentlichung erst 1932 5 erfolgte 1938 erschien eine uberarbeitete Neuauflage 6 Durch diesen Entwurf aus dem Nachbarfach der Klassischen Philologie angeregt beriefen die in Leiden versammelten Papyrologen eine Kommission die in den folgenden Monaten ein fur moglichst alle altertumswissenschaftlichen Disziplinen brauchbares einheitliches Konzept entwerfen sollte 3 Sie setzte sich aus Bernard Abraham van Groningen dem Franzosen Pierre Jouguet und dem Belgier Marcel Hombert zusammen Das Ergebnis ihrer Arbeit wurde im Januar 1932 in der Fachzeitschrift Chronique d Egypte publiziert 7 und anschliessend zunachst uber verschiedene papyrologische Zeitschriften bekanntgegeben 8 in Deutschland beispielsweise durch Ulrich Wilcken im Archiv fur Papyrusforschung 9 Tatsachlich uberzeugte das damit entstandene Leidener Klammersystem den uberwiegenden Teil der Fachwelt und hielt auch in den Nachbardisziplinen der Papyrologie besonders in der Epigraphik und der klassischen Philologie Einzug Schon 1932 wurde es fur die Edition griechischer Inschriften in dem Projekt Inscriptiones Graecae das unter der Leitung Ulrich Wilckens stand eingefuhrt 10 Heute ist es das allgemein verwandte System bei der wissenschaftlichen Publikation antiker Inschriften und Papyrusfunde Wichtige Verlagseditionen die das Leidener Klammersystem fur die Edition literarischer Quellen verwenden sind unter anderem die Loeb Classical Library die Sammlung Tusculum die Collection des Universites de France und die Bibliotheca Teubneriana Fur die einheitliche Edition von Texten der agaischen Bronzezeit die in Linear A oder Linear B abgefasst sind wurde auf einer Konferenz in Wingspread im Jahr 1961 die Wingspread Convention erarbeitet Sie entspricht im Wesentlichen dem Leidener Klammersystem beinhaltet aber kleine Erganzungen fur die spezifischen Anforderungen der damit wiederzugebenden Schriften 11 Ubersicht der wichtigsten Sigla BearbeitenSigel Beschreibung Eckige Klammern zeigen an dass der umklammerte Abschnitt auf der Originalinschrift beschadigt und nicht mehr oder zumindest nur sehr schwer lesbar ist und fur die gedruckte Publikation vom Herausgeber erganzt wurde Die restaurierten Schriftzeichen sind als wahrscheinlich bis an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit eingestufte Wiedergaben des unlesbaren Originals Punkte auf der Zeile geben die bestimmbare Anzahl von nicht rekonstruierbaren Buchstaben an in diesem Fall drei Spiegelstriche geben eine unbestimmbare Anzahl von nicht rekonstruierbaren Buchstaben an Runde Klammern weisen darauf hin dass der umklammerte Teil eines Wortes im Original weggelassen wurde dass also der Begriff abgekurzt wurde Der in solche Klammern eingefasste Inhalt komplettiert die verwendete Abkurzung Beispiel P ontifex M aximus bedeutet dass statt des ausgeschriebenen Pontifex Maximus in der Originalinschrift nur PM zu finden ist Beispiel fur die Verwendung in einer Ubersetzung Smikylion Sohn des Eukalides In antiken Inschriften folgt auf den Namen einer Person haufig der Name ihres Vaters im Genitiv und ohne genauere Erlauterung der Verwandtschaftsbeziehung diese muss daher in der Ubersetzung erganzt werden lt gt Spitze Klammern zeigen an dass der Herausgeber einen Fehler der Originalinschrift zum Beispiel versehentlich ausgelassene Buchstaben Rechtschreibfehler oder eine irrtumliche Zahlenangabe korrigiert hat Teilweise wird der fehlerhafte Teil des Textes einfach durch die Korrektur ersetzt also C lt ae gt sar obwohl im Original falschlich Ceasar steht dann muss im Kommentar zur Edition auf die originale Schreibweise hingewiesen werden Teilweise werden innerhalb der spitzen Klammern aber auch sowohl die falsche als auch die korrigierte Schreibweise angegeben etwa nach dem Format C lt ae EA gt sar 12 Geschweifte Klammern umgeben Text den der Herausgeber als uberflussig tilgt zum Beispiel versehentlich doppelt geschriebene Worter oder Wortteile ạḅc Durch einen Punkt unter dem Buchstaben wird angegeben dass dieser im Original nur teilweise erhalten ist und aus den noch sichtbaren Linien nicht eindeutig hervorgeht auch wenn er unter Umstanden aufgrund der vorangehenden und oder nachfolgenden Buchstaben mit grosser Sicherheit rekonstruiert werden kann Punkte auf der Zeile geben die Anzahl der vermuteten nicht rekonstruierbaren Buchstaben an Griechisch und Papyrologisch Pluszeichen auf der Zeile geben die Anzahl der vermuteten nicht rekonstruierbaren Buchstaben an Romisch abc Die doppelte Umklammerung eines Textabschnittes wird in der wissenschaftlichen Nomenklatur als Rasur bezeichnet das heisst der umklammerte Abschnitt wurde noch in der Antike absichtlich aus einer Inschrift entfernt Die Grunde hierfur sind meist politisch motiviert so liess zum Beispiel der romische Kaiser Caracalla den Namen seines Bruders und Mitregenten Geta nachdem er diesen ermordet hatte aus Inschriften tilgen die beide als gleichberechtigte Herrscher nannten Diese Massnahme wird als Damnatio memoriae bezeichnet Sind trotz der Rasur noch Teile eines Buchstabens zu erkennen wird unter diesen ein Punkt gesetzt ạḅc vvvvacat fur leer kennzeichnen eine unbeschriftete Stelle im Textzeugen Die Grosse des freigelassenen Feldes kann durch die Zahl der Buchstaben die dort der Schriftgrosse entsprechend hatten gestanden haben konnen angegeben werden Vermutet der Herausgeber eine unbeschriftete Stelle die aber wegen des Erhaltungszustandes des Originals nicht oder nicht sicher nachgewiesen werden kann kann dies etwa durch vacat oder ṿ also durch eckige Klammern oder einen Punkt unter dem Buchstaben gekennzeichnet werden Senkrechte Striche markieren einen Zeilenanfang wenn der Text nicht mit den originalen Zeilenumbruchen abgedruckt wird Senkrechte Doppelstriche markieren der Ubersichtlichkeit halber den Zeilenanfang jeder funften Zeile Bei der Benutzung alterer Inschrifteneditionen ist zu beachten dass dort einige Klammerzeichen eine andere Bedeutung haben konnen so kann lt gt auch eine Tilgung durch den Herausgeber bedeuten eine Korrektur durch den Herausgeber Literatur BearbeitenBernard Abraham van Groningen Projet d unification des systemes de signes critiques In Chronique d Egypte Band 7 1932 Nummer 13 14 S 262 269 Essai d unification des methodes employees dans les editions de papyrus In Chronique d Egypte Band 7 1932 Nummer 13 14 S 285 287 Bernard Abraham van Groningen De signis criticis in edendo adhibendis In Mnemosyne Band 59 1931 S 362 365 Sterling Dow Conventions in editing A suggested reformulation of the Leiden system Greek roman and byzantine studies Scholarly aids Band 2 Duke University Durham NC 1969 ausfuhrliche Vorstellung und Diskussion zahlreicher auch diverser oben nicht aufgefuhrten Siglen Brian F Cook Greek Inscriptions Reading the Past Band 5 University of California Press Berkeley 1987 ISBN 0 520 06113 6 Bradley H McLean An Introduction to Greek Epigraphy of the Hellenistic and Roman Periods from Alexander the Great down to the Reign of Constantine 323 B C A D 337 The University of Michigan Press Ann Arbor 2002 ISBN 0 472 11238 4 S 27 39 Alison E Cooley The Cambridge Manual of Latin Epigraphy Cambridge University Press Cambridge 2012 ISBN 978 0 521 54954 7 S 350 355 Einzelnachweise Bearbeiten Sterling Dow Conventions in editing A suggested reformulation of the Leiden system Duke University Durham NC 1969 S 2 Bernard Abraham van Groningen Projet d unification des systemes de signes critiques In Chronique d Egypte Band 7 1932 Nummer 13 14 S 262 269 a b Ulrich Wilcken Das Leydener Klammersystem In Archiv fur Papyrusforschung Band 10 1932 Nummer 3 4 S 211 f hier S 211 Marcel Hombert Emploi des signes critiques In L Antiquite classique Band 1 1932 Faszikel 1 2 S 497 498 hier S 498 online Joseph Bidez Anders Bjorn Drachmann Red Emploi des signes critiques Disposition de l apparat dans les editions savantes de textes grecs et latins Conseils et recommandations Champion Paris 1932 Joseph Bidez Anders Bjorn Drachmann Red Emploi des signes critiques Disposition de l apparat dans les editions savantes de textes grecs et latins Conseils et recommandations Neuauflage von Armand Delatte und Albert Severyns Union Academique Internationale Les Belles Lettres Brussel Paris 1938 zur Entstehungsgeschichte siehe dort S 1 4 Essai d unification des methodes employees dans les editions de papyrus In Chronique d Egypte Band 7 1932 Nummer 13 14 S 285 287 Barbel Kramer Dieter Hagedorn Griechische Papyri der Staats und Universitatsbibliothek Hamburg P Hamb IV Archiv fur Papyrusforschung Beiheft 4 B G Teubner Stuttgart Leipzig 1998 ISBN 3 519 07537 7 S XXII Anm 1 Ulrich Wilcken Das Leydener Klammersystem In Archiv fur Papyrusforschung Band 10 1932 Nummer 3 4 S 211 f Ulrich Wilcken Das Leydener Klammersystem In Archiv fur Papyrusforschung Band 10 1932 Nummer 3 4 S 211 f hier S 212 Notae Diacriticae in Edendis Textibus Mycenaeis Minoicisque a Tertio Colloquio Internationali Studiorum Mycenaeorum in Wingspread convocato editoribus commentatoribus commendata In Emmett L Bennett Hrsg Mycenaean Studies Proceedings of the Third International Colloquium for Mycenaean Studies held at Wingspread 4 8 September 1961 The University of Wisconsin Press Madison 1964 S 260 262 Dazu siehe auch Sterling Dow Conventions in editing A suggested reformulation of the Leiden system Duke University Durham NC 1969 S 17 19 So ublich in der Epigraphik Datenbank Clauss Slaby vgl die dortigen Sucherlauterungen Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Leidener Klammersystem amp oldid 232810945