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Die so genannte Laichinger Hungerchronik uber die Teuerung und Hungersnot 1816 17 besteht aus 40 handschriftlichen Blattern Der aus Laichingen stammende Volksschullehrer und spatere Rektor Christian August Schnerring 1870 1951 publizierte sie in den Jahren zwischen 1913 und 1917 mehrfach in volks und landeskundlichen Zeitschriften Seinen Angaben zufolge hatte er den Text im Jahr 1898 durch Erbschaft von einem Onkel erhalten Jahrzehntelang wurden diese Aufzeichnungen in wissenschaftlichen Publikationen als erstrangige Quelle zitiert Erst am 25 Mai 1987 entlarvte der Munsinger Stadtarchivar Gunter Randecker die Laichinger Hungerchronik nach mehrmonatigem Quellenstudium als eine von Schnerring selbst verfasste antijudische Falschung Inhaltsverzeichnis 1 Der historische Hintergrund 2 Inhalt und Wirkung der Hungerchronik 3 Nachweis der Falschung 4 Weiterleben in Fernsehsendungen 2017 2018 und in Texten 5 Siehe auch 6 Literatur 7 Weblinks 8 BelegeDer historische Hintergrund Bearbeiten1816 17 kam es ausgelost durch den Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien zu einem Jahr ohne Sommer Die hierdurch verursachten Missernten fuhrten zu einer grossen Hungersnot in weiten Teilen Europas Fur die Region um Munsingen ist uberliefert dass zunachst 8 000 und spater sogar 12 000 der etwa 18 000 Einwohner hilfsbedurftig weil nahrungslos waren 1 Die angebliche Hungerchronik wurde erstmals 1913 unter dem Titel Handschrift aus Laichingen veroffentlicht 1917 erschien sie als Handschriftliche Aufzeichnungen eines Alblers uber die Teuerung und Hungersnot 1816 17 1916 genau hundert Jahre nach den historischen Ereignissen hatte ihr vermeintlicher Entdecker und Bearbeiter Christian Schnerring sie auch als Sonderdruck des Koniglich Statistischen Landesamtes veroffentlichen konnen und berichtet bei seinen volkskundlichen Studien auf der Alb ungefahr 40 stark vergilbte Blatter entdeckt zu haben Die handschriftlichen Nachrichten sind beweiskraftig weil sie von Zeitgenossen abgefasst sind und von Leuten deren sonstige handschriftliche Angaben jeder kritischen geschichtlichen Untersuchung vollauf standhalten und sie nennen in speziellen Fallen die Handler und Unterhandler geradezu mit Namen und nennen auch deren Heimatorte 2 Inhalt und Wirkung der Hungerchronik BearbeitenWesentlicher Inhalt dieser handschriftlichen Aufzeichnungen war die Behauptung dass bestimmte Getreidegrosshandler damals den Bauern deren Korn zunachst fuhrenweise abgekauft und nachher ums Doppelte und Vielfache wieder verkauft haben sollen Diese Wucherer wurden jeweils als Abraham der Jud die Juden oder die Kornjuden bezeichnet Mai 1816 Auch viele Handler gehen um von Buttenhausen und der Abraham kauft alles Getreide zusammen Juni 1816 Heute sind wieder vier Fuhren fur den Abraham fortkommen Ware gescheiter sie blieben da und der Jud fort Oktober 1816 Kein Brot das hat der Jud fort 3 Offenbar wurde die Hungerchronik bis Mitte der 1980er Jahre von keinem Historiker einer kritischen Prufung unterzogen wohl aber wiederholt als historisches Dokument fur die Hungersnot zitiert Beispiel hierfur ist eine wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahr 1966 fur das Deutsche Brotmuseum eine Quellensammlung aus dem Jahr 1979 uber deutsche Auswanderer nach Amerika und eine sozialwissenschaftliche Studie aus dem Jahr 1985 uber Hungerkrisen in der historischen Forschung Allerdings wurde damit nicht unbedingt die antisemitische Grundaussage ubernommen Hans Medick meinte 1985 mit Kornjuden seien seinerzeit allgemein Wucherer bezeichnet worden nicht nur Juden 4 Nachweis der Falschung BearbeitenErst im Rahmen seiner Nachforschungen zur 650 Jahr Feier der Stadtrechte von Munsingen wurde der mit einem befristeten Vertrag tatige Stadtarchivar Gunter Randecker aufgrund einer textkritischen Analyse auf Unstimmigkeiten aufmerksam die er im Mai 1987 auf einer Pressekonferenz und im Marz 1988 auf einer wissenschaftlichen Tagung veroffentlichte So widersprach die 1916 von Christian Schnerring publizierte angebliche Fundgeschichte seinem handschriftlichen Vermerk auf dem Umschlag der 40 Blatter dem zufolge er sie von seinem Onkel erhielt der sie wiederum von einem Laichinger Glasermeister namens Peter Burkle erhalten habe Ein solcher Glasermeister war im Ort aber nicht nachweisbar Auch die in der Handschrift vermerkten Wetterbeobachtungen stimmen mit dem aus verlasslichen Chroniken rekonstruierbaren Geschehen nicht uberein So wurde das Erntefest 1817 beispielsweise auf den 18 August datiert statt korrekt auf den 12 August Und auch der diesem Tag zugeordnete Psalm war unkorrekt im Text benannt war der 126 und nicht der 50 Stadtarchivar Gunter Randecker ging auch den behaupteten Getreide Grosskaufen nach und fand in den erhaltenen Steuerunterlagen der Gemeinde Buttenhausen diverse Eintrage zu Personen mit dem Vornamen Abraham Ihre Steuerzahlungen betrugen fur 1816 1817 jeweils weniger als einen Gulden Zum Vergleich Der christliche Maler Philipp Griesinger zahlte 15 Gulden 50 Kreuzer andere Handwerker um die 30 Gulden Randecker schreibt 1816 17 waren die Juden von Buttenhausen also arm rechtschaffen arm sie trieben da sie laut Judenschutzbrief von 1787 kein Land besitzen durften den Wanderhandel nicht mit Getreide sondern mit Kurzwaren Haushaltsgegenstanden 5 Erst nach 1848 seien die judischen Einwohner von Buttenhausen zu grosserem Wohlstand gekommen und hatten dann 70 Prozent der Steuerkraft erbracht Weiterleben in Fernsehsendungen 2017 2018 und in Texten BearbeitenEnde 2017 zeigten der Sender Arte und im Februar 2018 das SWR Fernsehen den Film Der Vulkan der die Welt veranderte Darin ging es um einen Vulkanausbruch in Indonesien im Jahr 1815 dessen Auswurf die Sonne verdunkelte und um die daraus folgenden Hungerkatastrophen in verschiedenen Regionen weltweit In dem Film werden mehrere Sequenzen aus der gefalschten Hungerchronik zitiert einschliesslich der antisemitischen Erzahlung von den reichen judischen Kornwucherern Der Film tat so als sei der Text nicht bereits vor 30 Jahren als Falschung entlarvt worden Der SWR Film Das Jahr ohne Sommer wie das Cannstatter Volksfest entstand der Anfang Oktober 2018 ausgestrahlt wurde gibt die volksverhetzende Falschung ebenfalls als eine gultige historische Quelle aus Weiterhin wird auch in Buchern die angebliche Erstveroffentlichung der Hungerchronik in den Wurttembergischen Jahrbuchern fur Statistik und Landeskunde als Originaldokument herangezogen 30 Jahre nach meiner Aufdeckung dieser Jahrhundertfalschung mit der schuldlose Buttenhauser Juden diffamiert werden angebliches Zitat zum Flecken hinauspeitschen sollte man die ist das unkritische Zitieren der Schnerring Texte nicht nachvollziehbar und es ist unverantwortlich schrieb Randecker am 3 Oktober 2018 in einem Artikel in der Wochenzeitung Kontext Beilage der taz uber das Judenschmah Revival 6 Siehe auch BearbeitenBetrug und Falschung in der WissenschaftLiteratur BearbeitenGunter Randecker Die Laichinger Hungerchronik ein Lugengewebe In Karl Corino Hrsg Gefalscht Betrug in Literatur Kunst Musik Wissenschaft und Politik Greno Verlag Nordlingen 1988 ISBN 3 89190 525 4 S 74 90 Hans Medick Die sogenannte Laichinger Hungerchronik Ein Beispiel fur die Fiktion des Faktischen und die Uberprufbarkeit in der Darstellung von Geschichte In Schweizerische Zeitschrift fur Geschichte 44 1994 S 105 119 online bei E Periodica Hans Medick Weben und Uberleben in Laichingen 1650 1900 Lokalgeschichte als Allgemeine Geschichte Zweite durchgesehene Auflage Vandenhoeck und Ruprecht Gottingen 1997 ISBN 3 525 35443 6 Hans Dieter Haller Christian A Schnerring 1870 bis 1951 In Pegasus auf dem Land Schriftsteller in Hohenlohe Baier Verlag 2006 S 214 219 Gunter Randecker Die Kirchheimer Jahrtausendfalschung in Arbeitskreis Stadtgeschichte AKS Metzingen Hg Spuren 19 2016 943 7388005 in der DDC S 75 86 Weblinks BearbeitenDie Laichinger Hungerchronik kein Dokument sondern eine Falschung Memento vom 28 Juni 2012 im Internet Archive Im Original publiziert in Die Zeit Nr 32 1988 vom 5 August 1988 Belege Bearbeiten Bericht der Oberamtsleitung des Wohltatigkeitsvereins Munsingen vom 4 Februar 1817 25 verwahrt im Dekanatsarchiv Munsingen Wurttembergische Jahrbucher fur Statistik und Landeskunde Jahrgang 1916 Stuttgart 1917 S 72 Zitiert nach Gunter Randecker Die Laichinger Hungerchronik ein Lugengewebe In Corino Gefalscht S 77 Zitiert nach Gunter Randecker Die Laichinger Hungerchronik ein Lugengewebe In Corino Gefalscht S 81 83 zitiert nach Gunter Randecker Die Laichinger Hungerchronik ein Lugengewebe In Corino Gefalscht S 78 Kontext siehe auch Von wegen Faktencheck jungle world 25 Oktober 2018 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Laichinger Hungerchronik amp oldid 223054682