Der Kriegsverbrecherprozess von Chabarowsk war eine Reihe lange Zeit weitgehend vergessener Gerichtsverhandlungen gegen zwölf Mitglieder der japanischen Kwantung-Armee in der Stadt Chabarowsk Ende Dezember 1949.
Inhalt Bearbeiten
Die Verfahren richteten sich gegen Personen, die an der Entwicklung biologischer Waffen beteiligt waren.
Unter den Angeklagten waren der letzte Befehlshaber der Kwantung-Armee Yamada Otozō und fünf weitere Generäle der Kwantung-Armee, acht von ihnen waren Angehörige der Einheiten 731 (sechs) und 100 (zwei), die übrigen höheren Befehlshaber, denen diese Einheiten unterstanden. Sie waren in der Mehrzahl (acht) Mediziner oder Biologen und wurden wegen Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit der Entwicklung, Produktion, sowie dem Einsatz chemischer und biologischer Waffen im chinesischen Schauplatz des Zweiten Weltkrieges zu Haftstrafen zwischen zwei und fünfundzwanzig Jahren verurteilt.
Obwohl die Sowjetunion versuchte, die Ergebnisse des Prozesses der Weltöffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen, gelang dies im inzwischen begonnenen Kalten Krieg nicht. Zum einen nahmen lediglich sowjetische Reporter am Prozess teil, zum anderen versuchten die Vereinigten Staaten erfolgreich, die Verhandlungen als bloße kommunistische Propaganda darzustellen; das US-amerikanische Oberkommando für Japan verbreitete die Behauptung, der Prozess sei nur ein Versuch, vom Verbleib etwa 375.000 japanischer Soldaten in sowjetischer Kriegsgefangenschaft abzulenken. Auch wäre es für die US-Amerikaner peinlich gewesen, wenn bekannt geworden wäre, dass sie die ihnen in die Hände gefallenen Biowaffenspezialisten straffrei gestellt hatten, sofern sie für die USA weiter an Massenvernichtungswaffen forschten.
Schon während des Prozesses wurden die japanischen Angeklagten als Experten in der sowjetischen Forschung eingesetzt. 1956 wurden alle noch lebenden Inhaftierten von der UdSSR freigelassen und nach Japan abgeschoben.
Zusammensetzung des Gerichts Bearbeiten
Den Vorsitz der Verhandlung führte der sowjetische Generalmajor der Justiz D. D. Tschertkow, als Beisitzer waren der Oberst der Justiz M. L. Ilnizki und der Oberleutnant der Justiz I. G. Worobjow berufen. Die Anklage wurde durch den Justiz-Staatsrat dritten Ranges L. N. Smirnow vertreten. Die angeklagten Generäle verfügten über je einen Anwalt. Die beiden Stabsoffiziere und die beiden Offiziere wurden von je einem Anwalt vertreten. Die Anwälte wurden durch die Moskauer Rechtsanwaltskammer und die Chabarowsker Regions-Rechtsanwaltskammer gestellt. Die drei angeklagten Unteroffiziere bzw. Gefreiten wurden vom Vorsitzenden der Rechtsanwaltskammer der Region Primor verteidigt.
Das Gutachten über bakteriologische und medizinischen Fragen wurde durch eine Sachverständigenkommission, bestehend aus: N. N. Shukow-Wereshnikow (Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR), W. D. Krasnow (Oberstarzt), Prof. N. N. Kossarew (Lehrstuhlleiter für Mikrobiologie am medizinischen Institut der Universität Chabarowsk), J. G. Liwkina (Dozentin am Lehrstuhl für Mikrobiologie Staatliche Medizinische Universität des Fernen Ostens), N. A. Alexandrow (Oberfeldveterinär) und O. L. Koslowskaja (Parasitologin) erstellt.
Die Angeklagten und ihre Verurteilungen Bearbeiten
- General Yamada Otozō (山田 乙三; Befehlshaber der Kwantung-Armee) – 25 Jahre Arbeitslager
- Generalstabsarzt Kajitsuka Ryūji (梶塚 隆二; Leiter der medizinischen Abteilungen) – 25 Jahre Arbeitslager
- Generalstabsveterinär Takahashi Takaatsu (高橋 隆篤; Leiter der Veterinär-Abteilungen) – 25 Jahre Arbeitslager
- Generalarzt Kawashima Kiyoshi (川島 清; Leiter der Einheit 731) – 25 Jahre Arbeitslager
- Generalarzt Satō Shunji (佐藤 俊二; Leiter des medizinischen Service der 5. Armee) – 20 Jahre Arbeitslager
- Oberstabsarzt Karasawa Tomio (柄沢 十三夫; Sektionsleiter bei der Einheit 731) – 20 Jahre Arbeitslager
- Oberstabsarzt Onoue Masao (尾上 正男; Abteilungsleiter bei der Einheit 731) – zwölf Jahre Arbeitslager
- Oberfeldarzt Nishi Toshihide (西 俊英; Leiter einer Abteilung der Einheit 731) – 18 Jahre Arbeitslager
- Oberfeldveterinär Hirazakura Zensaku (平桜 全作; wissenschaftlicher Mitarbeiter der Einheit 731) – zehn Jahre Arbeitslager
- Feldwebel Mitomo Kazuo (三友 一男; Mitglied von Einheit 100) – 15 Jahre Arbeitslager
- Gefreiter Kikuchi Norimitsu (菊地 則光; medizinisches Personal der Abteilung 643) – zwei Jahre Arbeitslager
- Gefreiter Kurushima Yūji (久留島 祐司; Labormitarbeiter der Abteilung 162) – drei Jahre Arbeitslager
Alle Rangangaben nach: Sowjetunion (Hrsg.), S. 4; Alle Angaben zu den Urteilen nach: Ebd., S 610f; Romanisierung geändert nach Hepburn-System
Urteil Bearbeiten
Das Urteil wurde am 31. Dezember 1949 gesprochen, die Angeklagten wurden zu Arbeitslager zwischen 2 und 25 Jahren verurteilt. In der Urteilsbegründung heißt es wie folgt:
„Hinsichtlich der persönlichen Schuld der Angeklagten in der vorliegenden Strafsache hält das Militärtribunal für erwiesen:“
„Auf Grund des Dargelegten hat das Militärtribunal des Wehrkreises die Schuld aller aufgezählten Angeklagten an Verbrechen, die unter Artikel 1 des Erlasses des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 fallen, für erwiesen erachtet und gemäß Artikel 319 und 320 der Strafprozeßordnung der RSFSR die Angeklagten unter Berücksichtigung des Grades ihrer persönlichen Schuld verurteilt:“
Auswirkungen Bearbeiten
Bereits mit der Ankunft der Amerikaner in Japan war den USA bekannt, dass Japan erste Versuche im Bereich der biologischen Kriegsführung, sowohl gegen seine asiatischen Nachbarn als auch gegen die USA unternommen hatte. Als Sonderermittler wurde Murray Sanders bestimmt. Bereits nach seiner Ankunft bot sich ihm einer der Köpfe von Einheit 731, der Arzt Naitō Ryōichi (内藤 良一), als Übersetzer an. Als Mitschuldiger konnte er nun unmittelbar Einfluss auf die Verhöre nehmen. Mit den Ergebnissen erreichte Sanders, dass sich Douglas MacArthur, der damalige Oberkommandierende für die Alliierten Mächte in Japan, für Naito und die anderen Kriegsverbrecher der Einheit 731 einsetzen würde.
Der Chef des Bereichs für biologische Kriegsführung innerhalb der Kwantung-Armee Shiro Ishii, welcher sich auf das japanische Festland flüchten konnte, erhielt nach Verhandlungen mit Douglas MacArthur, Immunität. Als Gegenleistung gab er den Amerikanern alles, was er wusste und an Material retten konnte. Neben Ishii erhielten auch alle anderen Ärzte der Einheit 731 Immunität. Ishii wurde für das Verhör mit den sowjetischen Ermittlern von den USA vorbereitet, auch seine Tochter wurde präpariert, so dass sie keine Informationen über das freundschaftliche Verhältnis der Amerikaner mit den gesuchten Kriegsverbrechern ausplauderte.
Siehe auch Bearbeiten
- Zur filmischen Thematisierung: Men Behind the Sun
Literatur Bearbeiten
- Sowjetunion (Hrsg.): Prozessmaterialien in der Strafsache gegen ehemalige Angehörige der japanischen Armee wegen Vorbereitung und Anwendung der Bakterienwaffe. Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1950.
- Sheldon H. Harris: Factories of Death. Japanese Biological Warfare, 1932–1945, and the American Cover-up. Revised edition. Routledge, New York NY u. a. 2002, ISBN 0-415-93214-9.
- Daniel Barenblatt: A Plague upon Humanity. The Secret Genocide of Axis. Japan’s Germ Warfare Operation. Harper Collins, New York NY 2004, ISBN 0-06-018625-9.
Einzelnachweise Bearbeiten
- ↑ Sören Urbansky: „Verbrecherische Versuche am Menschen: Das chinesische Pingfang – Mahnmal und Ikone japanischen Terrors“, Neue Zürcher Zeitung vom 14. Januar 2006.
- ↑ „Bakterien: Atombombe veraltet“, Spiegel 2/1950 vom 12. Januar 1950, S. 15 ff. Hier abrufbar.
- ↑ Takashi Tsuchiya: „The Imperial Japanese Medical Atrocities and Its Enduring Legacy in Japanese Research Ethics“, Beitrag zu 8. World Congress of Bioethics, Peking, 8. August 2006 ([1], pdf).
- Jing-Bao Nie: “The Western Dismissal of the Khabravsk Trail as 'Communist Propaganda': Ideology, Evidence an International Bioethics”, Journal of Bioethical Inquiry, Springer Netherlands, Vol. 1, No. 1 (April 2004), S. 32 ff., S. 34.
- Sowjetunion (Hrsg.), Prozessmaterialien in der Strafsache gegen ehemalige Angehörige der japanischen Armee wegen Vorbereitung und Anwendung der Bakterienwaffe, Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1950, S. 606–610.
- ↑