www.wikidata.de-de.nina.az
Die Konstruktions Morphologie von griechisch morfh morphe Gestalt Form und logos logos Wort Lehre Vernunft ist die Lehre von der Struktur der Form und der Formerzeugung sowie der Funktionsweise der Organismen Sie ist somit der Funktionsmorphologie ubergeordnet indem verschiedene Erkenntnisse funktionsmorphologischer Untersuchungen z B einzelner Organe in die gesamt konstruktive Organismusbetrachtung der Konstruktionsmorphologie integriert werden Der Begriff Konstruktions Morphologie wurde von Hermann Weber in den 1950er Jahren gepragt 1 Die Konstruktions Morphologie wurde spater von dem Tubinger Palaontologen Adolf Seilacher und dem Frankfurter Biologen Wolfgang Friedrich Gutmann zu jeweils eigenstandigen Forschungsmethoden fur die Palaontologie und Biologie weiterentwickelt Eine populare Variante der Konstruktions Morphologie ist die Bionik welche die Form Struktur und Funktionsweise von Organismen zur Inspiration fur die Apparatetechnik nutzt letztlich aber nur wenig zur Aufklarung von originar konstruktions biologischen Fragen beitragt Der Begriff Konstruktions Morphologie wird oft als Universalbegriff fur eine ganze Reihe verschiedener Forschungsansatze verwendet die sich im weiteren Sinne mit dem Aufbau und der Struktur von Organismen befassen Nicht immer ist die Wahl des Begriffes Konstruktions Morphologie jedoch sinnvoll Zu den Konstruktions Morphologien im engeren Sinne sind die Konzepte von Hermann Weber Wolfgang Friedrich Gutmann und Adolf Seilacher zu zahlen weil sie jeweils Rekonstruktionen von Evolutionsverlaufen erlauben statt bei der Konstruktionsbeschreibung rezenter oder fossiler Organismen zu verharren 2 Verwandte Konzepte sind verschiedene Ansatze der Funktions Morphologie der funktionellen Morphologie Anatomie und der Biomechanik und neuerdings auch die Konstruktale Theorie der Organismen Inhaltsverzeichnis 1 Konstruktions Morphologie von Hermann Weber 2 Konstruktions Morphologie von Wolfgang Friedrich Gutmann 3 Konstruktions Morphologie von Adolf Seilacher 4 Anmerkungen 5 Publikationen 6 WeblinksKonstruktions Morphologie von Hermann Weber BearbeitenEine Schlusselposition fur die heutigen konstruktionsmorphologischen Konzepte nehmen die Arbeiten des Tubinger Entomologen Hermann Weber ein Er pragte als erster den Begriff Konstruktions Morphologie indem er an der klassischen Morphologie Kritik ubte und darauf hinwies dass die Morphologie nicht nur eine Methode des Vergleichens sein darf sondern uber die Beschreibung und Gegenuberstellung hinauszugehen habe So musse eine morphologische Forschung wenn sie als eigenstandige Disziplin Geltung behalten wolle die Dynamik eines Organismus d h sein ontogenetisches und evolutionsgeschichtliches Werden genauso berucksichtigen wie die funktionellen Zusammenhange einzelner Strukturen im Gesamtverband eines Lebewesens Max Hartmann schreibt in dem Vorwort zu der 1958 also postum erschienenen Arbeit von Weber folgende Bemerkung In diesen beiden Manuskriptteilen sind nicht nur die philosophischen wissenschafts theoretischen Grundlagen der Morphologie und die mit ihr zusammenhangenden anderen biologischen Teilgebiete klar und scharf analysiert die notigen Begriffe unmissverstandlich gefasst und definiert die vielen bestehenden Unklarheiten und Widerspruche geklart und aufgeraumt sondern zugleich die notwendigen Beziehungen zu anderen biologischen Disziplinen die nicht abgebrochen werden durfen richtig aufgewiesen und deutlich abgegrenzt Daruber hinaus enthalten diese Ausfuhrungen von einem uberlegenen sauberen philosophischen Standpunkt aus eine wenn auch rucksichtslose so doch vornehme und gerechte kritische Beurteilung der in der Fruhzeit des 19 wie des 20 Jahrhunderts aufgetauchten widerspruchsvollen Darstellungen der idealistischen wie der evolutionistischen Morphologie Das Forschungskonzept Webers blieb in der Biologie und Palaontologie weitgehend unbeachtet und loste nicht die von ihm gewunschte Neubestimmung aus Lediglich Adolf Seilacher und Wolfgang Friedrich Gutmann griffen die Vorschlage von Weber in ihren eigenen konstruktionsmorphologischen Konzepten auf Durch den fruhen Tod Webers konnte er seinen Forschungsansatz selbst nicht mehr weiterentwickelt Heute erschwert der fragmentarische Charakter seiner Texte zudem ein genaues Verstandnis der vorgeschlagenen Arbeitsmethoden Konstruktions Morphologie von Wolfgang Friedrich Gutmann BearbeitenDie auch als Hydraulik Theorie bekannte Konstruktions Morphologie Wolfgang Friedrich Gutmanns ist die Lehre von der Form und den Mechanismen der Formerzeugung bei Lebewesen Sie fuhrt zu einem Verstandnis von Lebewesen als funktionale Ganzheiten und zwar als operational geschlossene energiewandelnde hydraulische Einheiten Gutmanns Konstruktions Morphologie befasst sich letztlich mit einer Frage die mit den klassisch morphologischen Methoden der reinen Beschreibung nicht zu beantworten ist namlich Wie wird eine spezielle Korperform mit den zur Verfugung stehenden Materialien erzeugt und wie werden Formveranderungen durch bestimmte Bewegungsmuster erreicht Als Ergebnis einer konstruktionsmorphologischen Analyse erhalt man eine modelltheoretische Darstellung der anatomischen Strukturen in einem luckenlos und kraftschlussig miteinander arbeitenden Gefuge welches die Mechanismen der Formerzeugung und der Bewegungsdynamik berucksichtigt Dieses so genannte Organismusmodell ist keine Vereinfachung und kein Abbild des untersuchten Lebewesens sondern es handelt sich im wissenschaftstheoretischen Sinne um ein Modell fur die Bearbeitung ganz bestimmter Fragestellungen Erst durch ein solches Modell wird laut Gutmann der wissenschaftliche Arbeitsgegenstand und dessen Geltungsbereich bestimmt oder wissenschaftstheoretisch gesprochen konstituiert Die Konstitution von Organismen als hydraulische operational geschlossene energiewandelnde Systeme dient dazu das Zusammenspiel anatomischer Strukturen in einem hydraulischen System zu untersuchen und darzustellen Von hier aus werden Aussagen zur evolutiven Entstehung der betrachteten organismischen Konstruktionen moglich da diese nicht in beliebiger Weise entstanden sein konnen Jede vorgeschlagene Zwischenform muss lebensfahig gewesen sein was innerhalb der konstruktionsmorphologischen Argumentationsweise begrundbar ist z B wie bewegte sich die vorgeschlagene Zwischenform wie erfolgte ihre Nahrungsaufnahme usw Im Zentrum dieser konstruktionsmorphologischen Betrachtungsweise stehen also die Prinzipien der Korperhydraulik und hydraulischen Formbestimmung die Materialien aus denen der Korper und die anatomischen Strukturen aufgebaut sind die Korperform und das Zusammenspiel der anatomischen Strukturen die Mechanismen der Energiewandlung der Organismus als funktionelles Ganzes Konstruktions Morphologie von Adolf Seilacher BearbeitenDie Konstruktions Morphologie Adolf Seilachers steht ebenfalls in der Tradition von Herrmann Webers Konzept Seilacher bezog mit seiner Weiterentwicklung der konstruktionellen Betrachtung insbesondere nicht adaptive Faktoren in die morphologische Analyse ein Damit geht er uber den reinen Vergleich von Strukturen hinaus Form und Aussehen eines Lebewesens oder der von ihm produzierten Hartteile werden im Wesentlichen von drei Faktoren beeinflusst einem historisch phylogenetischen Faktor einem okologisch adaptiven Faktor und einem bautechnischen Faktor Der historisch phylogenetische Faktor historical constraint besagt dass jede Struktur eine lange Evolutionsgeschichte hinter sich hat Die moglichen Anpassungen sind daher eingeschrankt Ein Beispiel mag dies verdeutlichen Brachiopoden und Muscheln haben jeweils zwei Schalenklappen Bei den artikulaten Brachiopoden werden die beiden Schalenklappen von einer einzigen Mantelrinne an den Randern der Schale gebildet Alle evolutionaren Veranderungen mussen von dieser Konfiguration aus starten Muscheln hingegen bilden ihre Schalen von zwei Mantelrinnen entlang des Mantelrandes Sie hatten daher im Gegensatz zu den Brachiopoden die Moglichkeit ausgehend von dieser doppelten Mantelrinne Siphone zu entwickeln In neuerer Zeit wird dieser Aspekt der eingeschrankten Anpassungsfahigkeit von der so genannten Konstruktalen Theorie der Autoren Adrian Bejan und James H Marden wieder aufgegriffen und auf den Einfluss von Konstruktions Prinzipien fur die Evolution hingewiesen Der okologisch adaptive Faktor functional constraint oder adaptational constraint steht im Zentrum jeder funktionsmorphologischen Analyse die auch bei Seilacher eine zentrale Rolle spielt Dieser Faktor bewirkt dass eine Struktur so ausgebildet wird dass sie ihre Funktion Aufgabe in einem bestimmten Umweltkontext optimal ausfuhren kann Der bautechnische Aspekt constructional constraint schliesslich bezieht sich auf morphologische Muster oder Strukturen die als zwangslaufige Folge des verwendeten Baumaterials oder als Folge der morphogenetischen Herstellungsprozesse entstehen Seilacher hat dies als fabricational noise bezeichnet So bildet sich das Anwachsmuster einer Muschelschale zwangslaufig wenn Kalk schubweise vom Mantelrand aus gebildet wird In einem Analogie Experiment lasst sich dies einfach veranschaulichen Lasst man flussiges Kerzenwachs langsam in eine Wasserschale tropfen so entsteht ein ganz bestimmtes Muster welches in diesem konkreten Fall sogar den Anwachsstreifen einer Muschelschale ahnelt Der bautechnische Aspekt macht deutlich dass eine Reihe von typologisch verwendeten Merkmalen eigentlich fabrikationstechnische Notwendigkeiten sind Inwiefern solche Merkmale dann verlassliche Aussagen uber Verwandtschaften oder phylogenetische Beziehungen gestatten erscheint vor dem Hintergrund dieser Betrachtungen mehr als zweifelhaft Die zentrale Schlussfolgerung von Seilacher ist die dass Organismen keine optimalen Konstruktionen sein konnen sondern weil alle zuvor genannten Faktoren zugleich wirken eine Korperkonstruktion nur jeweils so optimal sein kann wie die gleichzeitige Wirkung der verschiedenen Faktoren auf die Morphogenese zulasst Durch David M Raup wurde Seilachers Konzept der Konstruktions Morphologie das im englischsprachigen Raum meist als Constructional Morphology bezeichnet wird um zwei Faktoren erweitert namlich den Zufall chance und individuelle Anpassungen an spezielle Bedingungen phenotypic response Auch diese beiden Faktoren sollen verhindern dass eine Struktur die fur die Leistung einer Aufgabe optimale Form annimmt Seilachers Konzept ist insgesamt betrachtet weniger eine Lehre von der Korperkonstruktion dem Konstruktionsgefuge eines Organismus als vielmehr eine Lehre der morphogenetischen Einflusse auf das Aussehen der vorfindlichen Strukturen eines Organismus insbesondere seiner Hartteile Darum formulierte Seilacher auch den Begriff Morpho Dynamik welcher den Fabrikations Aspekt starker in den Vordergrund rucken sollte Hierauf ist es auch zuruckzufuhren dass unter dem Begriff organismische Konstruktion haufig von Organismen gebaute Strukturen Kalksubstrate etc verstanden werden und nicht wie es im Rahmen der Gutmannschen Konzeption vorgeschlagen wurde der spezielle mechanisch koharente Aufbau eines Lebewesens In der Seilacherschen Konstruktions Morphologie gibt es kein eigenstandiges Organismuskonzept Er betrachtet den Organismus als blackbox auf welche die oben genannten Faktoren wahrend der Morphogenese einwirken und schliesslich zu den jeweiligen Ergebnissen d h den vorgefundenen Hartteilkonstruktionen fuhren Fur palaontologische Fragestellungen in deren Kontext das Konzept entwickelt wurde ist diese Betrachtungsweise aber von grossem Wert gestattet sie es doch sich auf die vorfindbaren fossilen Strukturen zu konzentrieren und ihre morphodynamischen Bildungsbedingungen zu ermitteln Die im Rahmen Seilacherschen Schule der Morphodynamik entstandenen Arbeiten liefern bis in mikroskopische Details hinein Erklarungen und Rahmenbedingungen fur die evolutionare Entstehung und die Eignung bestimmter Konstruktionsweisen von Hartteilen Anmerkungen Bearbeiten Ausfuhrlich bei Weber 1958 Vgl Schmidt Kittler und Vogel 1991Publikationen BearbeitenH Weber Konstruktionsmorphologie In Zool Jahrb Abt Allg Zool Phys Tiere 1958 68 S 1 112 N Schmidt Kittler K Vogel Hrsg Constructional Morphology and Evolution Springer Verlag Berlin 1991 ISBN 3 540 53279 X Weblinks BearbeitenKonstruktions Morphologie am Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg Umfangreiche Liste von Publikationen zur Konstruktions Morphologie Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Konstruktionsmorphologie amp oldid 235272665