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Das Kirchenportal als Rechtsstatte ist Ausdruck der im Mittelalter zentralen kultur und architektursoziologischen Bedeutung der Kirche als Institution und Bauwerk Detail aus dem Portal der Kathedrale St Trophime in ArlesDetail aus dem Portal der Kathedrale St Trophime in Arles Inhaltsverzeichnis 1 Hintergrund 2 Siehe auch 3 Literatur 4 EinzelnachweiseHintergrund BearbeitenDas Kirchenportal als Rechtsstatte geht zuruck auf die Funktion der Stadttore als Orte an denen unter freiem Himmel bestimmte Rechtshandlungen vorgenommen wurden wie beispielsweise Gerichtsversammlungen an Stadt und Burgtoren oder auf Kirchhofen 1 Schon im Alten Testament diente das Stadttor als Rechtsstatte der Altesten wie durch zahlreiche Bibelstellen zu belegen ist beispielsweise Am 5 15 EU Hasst das Bose liebt das Gute und bringt im Tor das Recht zur Geltung Im Mittelalter wurde die Kirche vor allem die nach Osten ausgerichtete Hauptkirche einer Stadt mit dem Himmlischen Jerusalem gleichgesetzt Das Kirchenportal wurde damit symbolisch zum Stadttor Hier war die Schwelle die Gut und Bose voneinander unterschied Die Ungetauften mussten in einem gesonderten Baptisterium erst gereinigt werden bevor sie in das Kircheninnere eintreten durften Die offene Tur ist ein Symbol fur Christus selbst der sagte Ich bin die Tur wer durch mich hineingeht wird gerettet werden Joh 10 9 EU Die haufig an Kirchenportalen anzutreffenden Lowen wurden mit dem Thron Salomos in Beziehung gesetzt welcher von zwei Lowen flankiert war Da Salomo der vorbildhafteste Richter des Alten Testamentes ist wurden die beiden Lowen im Allgemeinen mit der Gerichtshoheit in Verbindung gebracht und symbolisierten richterliche Macht Es haben sich mehrere mittelalterliche Gerichtsakten erhalten die inter duos leones zwischen zwei Lowen abgeschlossen wurden Lowen zieren auch die Vorhalle der Basilika Santa Maria Maggiore in Bergamo Die nach dem Tridentinischen Konzil vorgeschriebene kirchliche Eheschliessung katholischer Brautleute war zunachst in den Privathausern erfolgt und erst spater an das Kirchenportal verlegt worden 2 3 Nach der Trauungszeremonie dort durfte das Brautpaar zur Messe in die Kirche Erst spater wurde mit der Brautmesse die Trauung in die Kirche verlegt Aus dieser Tradition erklart sich die Bezeichnung von meist an der Nordseite gelegenen Portalen gotischer Kirchen als Brautpforte oder Brauttur wie an St Sebald Nurnberg und den grossen Kirchen in Bamberg Braunschweig und Mainz 4 sowie den Domen zu Magdeburg Worms und Verden 5 nbsp Historistische Nachahmung einer Portalhalle Basilika St Antonius in Rheine Architekt Franz Klomp Ende 19 Jahrhundert Auch Handelsvertrage wurden vor Kirchenportalen geschlossen Daher fand auch haufig der Markt direkt vor der Kirche statt In ihren Aussenmauern waren haufig die Masse eingeritzt die im Handel gelten sollten Nicht zuletzt steht das Kirchenportal fur einen gesonderten Rechtsbezirk Das Portal diente im Mittelalter auch als Asylstatte So schildern zahlreiche zeitgenossische Berichte wie auf der Flucht befindliche Menschen an der Kirchentur Asyl suchten wobei das Anfassen des Turrings 6 den entscheidenden Rechtsakt darstellte Solche mittelalterlichen Turzieher haben sich hin und wieder erhalten und befinden sich noch an originaler Stelle Und da seit alters her Rot die Farbe der Richter war wie heute noch beim Bundesverfassungsgericht wurden auch die betreffenden Eingangspforten der Kirchen rot gestrichen 7 In und an Kirchengebauden und Portalen fanden ausser Gottesdiensten und Rechtshandlungen ausserdem Theater und Musikauffuhrungen sowie Passions und Mysterienspiele statt Eine um das Ende des 19 Jahrhunderts bis ins Detail dem historischen Vorbild nachempfundene Nachahmung einer Portalhalle befindet sich vor dem Westeingang der Basilika St Antonius in Rheine Siehe auch BearbeitenRechtsarchaologieLiteratur BearbeitenMarkus Rafael Ackermann Mittelalterliche Kirchen als Gerichtsorte In Zeitschrift der Savigny Stiftung fur Rechtsgeschichte Germanistische Abteilung 110 1993 S 530 545 Gernot Kocher Zeichen und Symbole des Rechts Eine historische Ikonographie Beck Munchen 1992 ISBN 3 406 36685 6 Rolf Toman Hrsg Die Kunst der Romanik Architektur Skulptur Malerei Konemann Koln 1996 ISBN 3 89508 213 9 Einzelnachweise Bearbeiten Heiner Luck Schauplatze des Verfahrens Topographie Gestalt und Funktion von Orten des Rechtslebens Martin Luther Universitat Halle Wittenberg 2008 Nikolaus Grass Der normannische Brauttor Vermahlungsritus und seine Verbreitung in Mitteleuropa In Forschungen zur Rechtsarchaologie und Rechtlichen Volkskunde 5 1983 ZDB ID 800035 9 S 69 93 Heiner Luck Von Jungfrauen Brauten und Steinen Der Brautstein als Element archaischer Eheschliessungsrituale In Sybille Hofer Diethelm Klippel Ute Walter Hrsg Perspektiven des Familienrechts Festschrift fur Dieter Schwab zum 70 Geburtstag am 15 August 2005 Gieseking Bielefeld 2005 ISBN 3 7694 0973 6 S 205 226 Ulrich Rhode Das kirchliche Eherecht PDF 1 1 MB Heiner Luck Himmelsrichtungen in Albrecht Cordes Heiner Luck Dieter Werkmuller Ruth Schmidt Wiegand Hrsg Handworterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2 vollig uberarbeitete und erweiterte Auflage Band I Erich Schmidt Berlin 2008 ISBN 978 3 503 07912 4 online Vollzugriff kostenpflichtig Ursula Mende Die Turzieher des Mittelalters Deutscher Verlag fur Kunstwissenschaften Berlin 1981 ISBN 3 87157 086 9 Barbara Deimling Ad Rufam Ianum Die rechtsgeschichtliche Bedeutung von roten Turen im Mittelalter In Zeitschrift der Savigny Stiftung fur Rechtsgeschichte Germanistische Abteilung 115 1998 S 498 513 doi 10 7767 zrgga 1998 115 1 498 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kirchenportal als Rechtsstatte amp oldid 228267496