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Katharsis altgriechisch ka8arsis Reinigung bezeichnet in der Psychologie die Hypothese dass das Ausleben innerer Konflikte und verdrangter Emotionen zu einer Reduktion dieser Konflikte und Gefuhle fuhrt Vornehmlich wird von Katharsis gesprochen wenn durch das auch symbolische Ausdrucken oder Kanalisieren von Aggressionen wie das Schlagen auf einen Sandsack oder das ersatzweise Ausleben aggressiver Gefuhle in fiktiver bzw virtueller Form z B uber Theater Film Videospiel eine Reduktion negativer Emotionen Arger Wut erzielt werden soll Die auf Aristoteles basierende populare Annahme der kathartischen Wirkung von aggressiven Handlungen ist umstritten und wurde vielfach widerlegt 1 Theorie BearbeitenDer Begriff Katharsis stammt aus der griechischen Antike wurde von Platon auf Leib und Seele angewandt 2 und hat etwa die Konnotationen die auch Reinigung im Deutschen aufweist Dort wird er unter anderem in der Medizin bei der Anwendung von Brechmitteln verwendet aber auch im Kontext der rituellen Reinigung Besondere Wirkung hat Aristoteles Verwendung von Katharsis in der Poetik Dort spricht er in seiner Tragodientheorie von der Katharsis durch Jammer Ruhrung und Schrecken Schauder von griechisch eleos und phobos was durch Lessing in irrefuhrender Weise mit Mitleid und Furcht ubersetzt wurde siehe auch Poetik Tragodiendefinition wobei unklar bleibt ob diese selbst gereinigt werden oder ob von den Emotionen gereinigt wird und ob vollstandig oder nur von einem Ubermass dieser Emotionen In der Folge medizinischer Interpretationen der Poetik im 19 Jahrhundert wurde der Begriff von Josef Breuer und Sigmund Freud sowie den Ethologen Konrad Lorenz und Irenaus Eibl Eibesfeldt aufgegriffen Die Katharsis Hypothese spielte zwischen 1880 und 1895 in der Psychoanalyse eine bedeutende Rolle Freud loste sich aber allmahlich von der kathartischen Methode zugunsten der freien Assoziation einer von der Katharsis deutlich abweichenden Methode die noch heute die Grundregel der psychoanalytischen Behandlungstechnik darstellt 3 Bewertung BearbeitenZunachst erbrachten in den 1960er Jahren Experimente Belege fur obige Hypothese Zahlreiche Replikationsversuche fruherer Experimente fuhrten dagegen nicht zu einer Bestatigung sondern zu gegenteiligen Ergebnissen Das Ausleben beispielsweise von Aggressionen habe also nicht den Abbau sondern eine Steigerung aggressiver Tendenzen zur Folge Mitte der 1980er Jahre distanzierte sich auch Seymour Feshbach ein Hauptbefurworter von dieser These 4 5 In neueren Studien zur Katharsisthese zeigten unter anderem Bushman u a 6 dass Probanden die auf den Katharsisglauben geprimt wurden oder deren Katharsisglaube bewertet wurde ein erhohtes Aggressionspotential im Vergleich zur Kontrollgruppe hatten Dies legt den Schluss nahe dass bewusst hervorgerufene aggressive Handlungen sich selbst durch Feedback Effekte unbewusst auch auf geistiger Ebene verstarken Einer neueren Studie zufolge welche die Verwendung des Katharsisbegriffs untersucht hat liegt der Idee der Medienkatharsis Katharsis durch Beobachten und gedankliches Miterleben von Aggression in Medien eine Begriffsverwirrung zugrunde Demnach sei der von Feshbach verwendete Begriff eine ungewollte Vermischung von psychoanalytischen und behavioristischen Konzepten und in sich widerspruchlich 7 Gleichwohl gibt es innerhalb der angewandten Psychotherapieszene vielfaltige erlebnisaktivierende Verfahren die uber ein kontextloses Ausfuhren simpler Aggressionsubungen wie sie in statistischen Experimentalstudien vorkommen hinausgehen Innerhalb eines geleiteten therapeutischen Prozesses sollen in Bezug auf den biografischen Kontext sogenannte emotionale Tiefungen angeregt und begleitet werden die von einer nur intellektuellen Reflexion der Gefuhle uber einen minimalen emotionalen Ausdruck bis zu unwillkurlichen autonomen Korperreaktionen Schluchzen Schutteln fuhren konnen Dabei sollen primare adaptive Emotionen die mit dysfunktionalen emotionalen Schemata in Zusammenhang stehen welche wiederum auf mangelhaft erfullte Grundbedurfnisse zuruckgehen aktiviert ausagiert und durch nachtragliche Bedurfniserfullung modifiziert werden 8 Kathartische Reaktionen sind beispielsweise innerhalb der Bondingpsychotherapie des Psychodramas und der systemischen Familienaufstellung nicht selten Katharsis bezieht sich hier nicht ausschliesslich auf Aggression wie meist in der experimentellen Forschung sondern auch auf andere Primargefuhle wie Trauer Schmerz Wut Ekel weiterhin auch Liebe Freude Lust und Dankbarkeit Ahnliche emotionale Tiefungsebenen bis hin zu unwillkurlichem kathartischen Gefuhlsausdruck werden in unterschiedlichen psychotherapeutischen Verfahren beschrieben so beispielsweise in der Integrativen Therapie Hilarion Petzold Gestalttherapie und der oben erwahnten Bondingpsychotherapie In der Integrativen Therapie findet sich ein differenzierendes Konzept indem die ausagierende Katharsistheorie der Aggression 9 und der Trauer 10 als problematisch kritisiert wird weil dadurch dysfunktional emotionale Bahnungen vertieft werden konnten Vielmehr sollen sanfte Prozesse des Wiedererlebens mit kognitivem und emotionalem Durcharbeiten die Integration von belastender Lebensgeschichte fordern In korperpsychotherapeutischer Arbeit Leibtherapie konnen durch Atem und Bewegungsarbeit Abspeicherungen aus dem Korpergedachtnis d h Interozeptionen aufgerufen werden Auch hier geht es nicht um eine sogenannte kathartische Abfuhr wie es in vielen anderen Korperpsychotherapien vertreten wird sondern in der Integrativen Therapie um kognitive und emotionale Beeinflussungen zu alternativen Formen des Embodiments und zur Forderung von Resilienz 11 Einzelnachweise Bearbeiten Albert Bandura Aggression Eine sozial lerntheoretische Analyse Klett Cotta Verlag Stuttgart 1979 ISBN 3 12 920521 7 Annemarie Leibbrand Wettley Ansatz zu einer Geschichte der Psychotherapie In Alte Probleme Neue Ansatze Drei Vortrage von Fritz Krafft Kurt Goldammer Annemarie Wettley Wurzburg 1964 Beitrage zur Geschichte der Wissenschaft und Technik Band 5 Wiesbaden 1965 S 42 57 hier S 42 f Elisabeth Roudinesco Michel Plon Dictionnaire de la Psychanalyse Aus dem Franzosischen ubersetzt von Christoph Eissing Christophersen u a Worterbuch der Psychoanalyse Springer Wien 2004 ISBN 3 211 83748 5 S 528f Seymour Feshbach R D Singer Television and Aggression An Experimental Field Study Jossey Bass San Francisco 1971 Seymour Feshbach Emotion and motivation In Jo Groebel Peter Winterhoff Spurk Hrsg Empirische Medienpsychologie Munchen 1989 S 65 75 Brad J Bushman R F Baumeister C M Phillips Do people aggress to improve their Mood Catharsis beliefs affect regulation opportunity and aggressive responding In Journal of Personality and Social Psychology Band 81 2001 S 17 32 Daniel Hug Katharsis Re Vision eines umstrittenen Konzepts Turnshare 2004 Konrad Stauss Bondingpsychotherapie Grundlagen und Methoden Kosel Verlag Munchen 2006 S 63ff J Bloem P Moget Hilarion Petzold Budo Aggressionsreduktion und psychosoziale Effekte Faktum oder Fiktion Forschungsergebnisse Modelle psychologische und neurobiologische Konzepte In Integrative Therapie Nr 1 2 2004 S 101 149 fpi publikation de PDF H G Petzold Trost und Trauer Konzepte und Modelle In Thema Pro Senectute Heft 3 Wien Graz 2007 S 40 49 H G Petzold I Orth Epitome POLYLOGE IN DER INTEGRATIVEN THERAPIE Mentalisierungen und Empathie Verkorperungen und Interozeption Grundkonzepte fur komplexes Lernen in einem intermethodischen Verfahren ko kreativen Denkens und Schreibens In H G Petzold B Leeser E Klempnauer Hrsg Wenn Sprache heilt Handbuch fur Poesie und Bibliotherapie Biographiearbeit Kreatives Schreiben Festschrift fur Ilse Orth Aisthesis Verlag Bielefeld 2017 ISBN 978 3 8498 1252 2 S 885 971 Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt nicht eine Diagnose durch einen Arzt Bitte hierzu den Hinweis zu Gesundheitsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w 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