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Der Grosse Gauner und Kellerhandel der Jahre 1824 bis 1827 gilt als der grosste Sensationsprozess der Restaurationszeit in der Schweiz 1 Im Zuge des Prozesses stilisierten Behorden und Medien die Hauptverdachtigen Klara Wendel 1804 1884 und ihren alteren Bruder Johann Krusihans 1795 1831 zu Hauptern einer gefahrlichen Rauberbande Klara gestand und denunzierte 20 Morde 14 Brandstiftungen und 1 588 Diebstahle 2 Schon vor Prozessabschluss fuhrten Klaras Denunziationen zur Richterswiler Konferenz die eine interkantonale Zusammenarbeit bei der Verfolgung der Gauner in der Schweiz beschloss 3 Klara Wendel Portrat von Carl Durheim 1852 1853 Ihre Verhaftung loste den Grossen Gauner und Kellerhandel aus Inhaltsverzeichnis 1 Tod von Schultheiss Franz Xaver Keller 1772 1816 2 Verhaftung von Klara Wendel 1804 1884 3 Prozess in Glarus 4 Prozess in Luzern 5 Prozess in Zurich 6 Urteile 7 Kindswegnahmen 8 Quellen 9 Literatur 10 EinzelnachweiseTod von Schultheiss Franz Xaver Keller 1772 1816 BearbeitenAm Abend des 12 September 1816 ging der liberale Luzerner Schultheiss Franz Xaver Keller mit seinen beiden Tochtern von der Stadt Luzern Richtung Landgut Geissmatt Bei Dunkelheit und starkem Regen wahlten sie einen schmalen Pfad entlang der Reuss Eine Tochter ging voraus der Vater in der Mitte Als die zweite Tochter vor dem Vater das Landgut erreichte machen sie sich mit Nachbarn auf die Suche nach dem Schultheiss Drei Tage spater wurde Franz Xaver Kellers Leiche am Ufer der Reuss gefunden Ein gerichtsmedizinisches Attest hielt einen Unfall als Todesursache fest Schon im September 1816 verbreiten sich jedoch Geruchte wonach ultramontane Kreise den liberalen Politiker ermorden liessen 4 Verhaftung von Klara Wendel 1804 1884 Bearbeiten nbsp Johann Wendel vulgo Krusihans in Ketten Kreidelithografie 1826Im Juni 1824 verhafteten Schwyzer Landjager in Einsiedeln die zwanzigjahrige heimatlose Klara Wendel wegen Hehlerei Die Behorden verdachtigten sie Diebesgut aus einem Einbruch in Nafels Kanton Glarus zu verkaufen Unter prekaren Haftbedingungen und in standiger Angst vor physischer Gewalt denunzierte Klara eine Vielzahl von Verwandten und Bekannten darunter vor allem ihren Bruder Johann Krusihans und ihren Schwager Josef Twerenbold Am 19 Juni 1824 brachten Schwyzer Behordenvertreter sie nach Glarus wo der Prozess stattfinden sollte Prozess in Glarus BearbeitenIm Rahmen weiterer Verhore in Glarus gestand Klara Wendel dem Glarner Arzt und Verhorrichter Jakob Heer nicht nur selbst in Nafels eingebrochen zu sein sondern erzahlte auch von einer Unzahl weiterer Vergehen an denen sie beteiligt war oder von denen sie gehort hatte In der Folge fahndeten die Glarner Behorden nach den Verdachtigen und bezeichneten sie als Mitglieder einer gefahrlichen Rauberbande Das fortlaufende Eingestandnis weiterer Vergehen und die Denunziation einer Vielzahl vermeintlicher Mittaterinnen und Mittater verlieh Klara bald den Status einer Kronzeugin Der ermittelnden Verhorkommission war weniger an der Aufklarung der einzelnen Falle gelegen als vielmehr dem Uberfuhren einer gefahrlichen Gaunerbande 5 Schon im fruhen Verlauf des Prozesses hatten Klaras Erzahlungen einen entscheidenden Einfluss auf dessen weiteren Verlauf wobei in erster Linie ihre Fahigkeit bemerkenswert war das Gesagte durch immer neue Geschichten zu beglaubigen die Verhorrichter zu fesseln und vor allem herauszuspuren was diese interessierte wobei die Andeutungsakrobatik vor allem bei denjenigen Geschichten funktionierte denen ein Tatsachenkern zugrunde lag und bei denen sie die Moglichkeit einer anderen Erklarung ins Spiel bringen konnte 6 Wie beispielsweise im Todesfall von Franz Xaver Keller obwohl Klara 1816 erst 12 Jahre alt war Durch standiges Auffordern der Verhorkommission das Gesagte naher auszufuhren spann Klara die Geschichten immer weiter Die in Glarus festgesetzten weiteren Verdachtigen wurden im Januar 1825 nach Luzern gebracht Am 1 Juni 1825 knapp ein halbes Jahr spater fuhrten die Landjager auch Klara Wendel dorthin wo der Glarner Prozess seine Fortsetzung fand Prozess in Luzern Bearbeiten nbsp Josef Franz Karl Amrhyn Nach Beendigung des Luzerner Prozesses wurde Amrhyn eidgenossischer Staatsschreiber und spater Bundeskanzler 1830 1847 Mit Klara Wendel wurden 17 Manner 21 Frauen und 27 Kinder verhaftet und in verschiedenen Luzerner Gefangnissen untergebracht 7 Neben dem Glarner Jakob Heer fungierte in Luzern vor allem Josef Franz Karl Amrhyn 1800 1849 als Verhorrichter der Sohn des amtierenden Luzerner Schultheissen und Kellers Nachfolger Josef Karl Amrhyn Im Herbst 1825 gab Johann Wendel nach monatelanger Haft unter prekaren Bedingungen nach Schlagen Ketten und Lugenstrafen und mehreren Gegenuberstellungen mit seiner Schwester Klara zu Protokoll er habe den Mord an Franz Xaver Keller mit vier weiteren Mittatern begangen Als Auftraggeber gaben Klara wie Krusihans die beiden aristokratisch konservativen und kirchenfreundlichen Luzerner Regierungsrate Leodegar Corragioni d Orelli 1758 1830 und Joseph Pfyffer von Heidegg 1759 1834 aus dem Geschlecht Pfyffer von Altishofen an Mit Johann Wendels Gestandnis und der Inhaftierung der beiden Regierungsrate Corragioni und Pfyffer wurde aus dem bisherigen Gaunerprozess der sogenannte Kellerhandel nun drehten sich die Untersuchungen nicht mehr bloss um eine morderische Rauberbande sondern um politischen Mord und damit um ein Staatsverbrechen 8 Als Konsequenz wurde der Prozess in einen Gauner und in einen Kellerprozess aufgeteilt Da der Verhorrichter Amrhyn jedoch ein neues Betatigungsfeld als eidgenossischer Staatsschreiber in Bern fand und die Luzerner Gefangnisse uberfullt waren zeigte sich Luzern nicht bereit den Prozess weiterzufuhren 9 Prozess in Zurich Bearbeiten nbsp Von Dezember 1825 bis April 1826 fanden die Zurcher Verhore zum Kellerprozess im Wellenbergturm statt Am 3 Dezember 1825 ubernahm der spatere Zurcher Regierungsrat Heinrich Escher 1789 1870 den Kellerprozess und der Kriminalaktuar und Sekretar der Zentralpolizeidirektion in Bern Jakob Emanuel Roschi 1778 1848 wurde zum Verhorrichter im Gaunerprozess ernannt Escher deckte schnell eklatante Mangel in der bisherigen Prozessfuhrung auf So wurden etwa die Tochter von Franz Xaver Keller nie befragt die Aussagen der Verdachtigen stimmten nicht vollstandig uberein und kamen infolge psychischer und physischer Gewalt zustande Zudem wurden sie mehrere Monate unter katastrophalen Bedingungen in Haft gehalten Johann Wendel und Josef Twerenbold widerriefen ihre bisherigen Gestandnisse denn auch schon beim ersten Verhor der neuen Kommission 10 Klara Wendel erklarte erst im elften Verhor am 17 Marz 1826 dass sie an keiner Ermordung teilgenommen und nie eine solche beobachtet habe Das stete Konstruieren neuer Geschichten rechtfertigte Klara damit dass die Verhorrichter der Glarner und Luzerner Prozesse standig weitere und neue Aussagen forderten weshalb sie moglichst plausible Ereignisse zu erfinden begann um diesen Erwartungen gerecht zu werden 11 Jakob Emanuel Roschi deckte ebenfalls Mangel in der vorgangigen Prozessfuhrung auf So seien bloss die Vergehen und Verbrechen der Beschuldigten aufgelistet die Aussagen der Inhaftierten jedoch nicht verifiziert worden Zudem seien dieselben Verbrechen teilweise mehrfach protokolliert und gezahlt worden Vielfach hatten die Gefangenen bloss in der Hoffnung gestanden damit der Prozess und damit die Untersuchungshaft in den Gefangnisturmen endlich ein Ende finde Am Ende des Prozesses zahlte die Verhorkommission noch 1 255 Diebstahle wobei es sich bei der Beute meistens um Kleider oder Nahrungsmittel Metall und Kramerwaren handelte die in insgesamt 14 Kantonen und dem Furstentum Liechtenstein entwendet worden waren Roschi wies allerdings auch darauf hin dass die Delinquenten oft aus purer Not die Diebstahle begangen hatten Die zunehmende Verfolgung der Nichtsesshaften hatte zur Folge dass diese nicht mehr ihrem Gewerbe nachgehen konnten 12 Urteile BearbeitenTrotzdem hatte der Prozess fur viele der Angeklagten schwerwiegende Konsequenzen 1826 wurden in Luzern Leodegar Arnold Basil Germann und Johann Kiwiler als unverbesserliche Diebe mit dem Schwert offentlich hingerichtet Gegen andere verhangten die Richter zum Teil langjahrige Ketten und Haftstrafen Klara Wendel ihre Schwester Barbara und die Mutter Katharina Dreyer sollten ebenfalls zum Tode verurteilt werden Die Gerichte milderten die Strafen jedoch in zwolfjahrige Haft fur Klara und ihre Mutter und in eine zehnjahrige fur Barbara Danach sollten sie aus der Eidgenossenschaft verbannt oder falls in der Zwischenzeit ein Burgerrecht fur sie ausgemittelt wurde diese Gemeinde nicht mehr verlassen durfen Klaras Bruder Johann wurde zu zwolfjahriger Kettenhaft verurteilt danach sollte er seine Heimatgemeinde nicht mehr verlassen durfen 13 Des Mordes an Franz Xaver Keller befand das Gericht weder die Gauner noch die Luzerner Regierungsrate Joseph Pfyffer von Heidegg und Leodegar Corragioni d Orelli fur schuldig Escher vermutete eine politische Verschworung gegen die konservativen Luzerner dessen Urheber er in den Radikalen Vitalis Troxler 1780 1866 und Ludwig Snell 1785 1854 vermutete Diese Anschuldigung wird von der Forschung als abstrus und konstruiert bezeichnet 14 Klara Wendels Denunziation der vermeintlichen Auftraggeber kam aber den Verhorrichtern im Kontext ihres parteipolitischen Standpunkts gelegen 15 Kindswegnahmen BearbeitenAuf Initiative der Luzerner Sektion der Schweizerischen Gemeinnutzigen Gesellschaft SGG wurden alle 23 Kinder die mit ihren Eltern inhaftiert worden waren nach dem Prozess versorgt Ziel der Massnahme war die Kinder der fruheren Lebensweise zu entreissen und in die burgerliche sesshafte Gesellschaft zu integrieren Eine Mittel dazu war auch die Vergabe neuer Familiennamen zum Beispiel Freund beziehungsweise Frund statt Wendel Wacker und Ehrlich statt Wachter Demuth statt Feuchter Redlich statt Germann oder Schwyzer statt Twerenbold und Arnold 16 Quellen BearbeitenHeinrich Escher Geschichtliche Darstellung und Prufung der uber die denunzirte Ermordung Herrn Schultheiss Keller sel von Luzern verfuhrten Kriminal Prozedur H R Sauerlander Aarau 1826 Digitalisat von Google Books Julius Eduard Hitzig und Wilhelm Haring Hrsg Der neue Pitaval Eine Sammlung der interessantesten Kriminalgeschichten aller Lander aus alterer und neuerer Zeit Band 4 Brockhaus Leipzig 1843 S 395 448 Digitalisat von Google Books Literatur BearbeitenBrigitte Baur Erzahlen vor Gericht Klara Wendel und der grosse Gauner und Kellerhandel 1824 1827 Chronos Zurich 2014 ISBN 978 3 0340 1223 2 Thomas Huonker Fahrendes Volk verfolgt und verfemt Jenische Lebenslaufe Limmat Verlag Zurich 1990 ISBN 3 85791 135 2 Thomas D Meier und Rolf Wolfensberger Eine Heimat und doch keine Heimatlose und Nichtsesshafte in der Schweiz 16 19 Jahrhundert Chronos Zurich 1998 ISBN 978 3 905 31253 9 Einzelnachweise Bearbeiten Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 402 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 405 Gregor Egloff Wendel Klara In Historisches Lexikon der Schweiz Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 273 277 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 121 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 201 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 240 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 294 305 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 362 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 363 365 und 371 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 381 und 383 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 402 406 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 410 412 und 419 420 und Meier Wolfensberger siehe Literatur S 397 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 398 Huonker Fahrendes Volk Siehe Literatur S 41 Baur Erzahlen vor Gericht Siehe Literatur S 425 426 und Huonker Fahrendes Volk Siehe Literatur Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Grosser Gauner und Kellerhandel amp oldid 232328475