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Das Luria Delbruck Experiment auch Fluktuationstest ist ein von Salvador Edward Luria und Max Delbruck erdachtes und durchgefuhrtes Experiment das 1943 publiziert wurde und das ein Teil der Arbeiten war fur die Luria und Delbruck 1969 zusammen mit Alfred Hershey mit dem Nobelpreis fur Physiologie oder Medizin ausgezeichnet wurden Das Experiment in dem die Resistenzbildung von Bakterien gegenuber Bakteriophagen untersucht wurde zeigte dass zufallige Mutationen in Bakterien spontan und damit auch in Abwesenheit von Selektionsmechanismen geschehen und widerlegte die alternative Hypothese dass diese als Reaktion auf geanderte Bedingungen in der Umwelt passieren Mit Hilfe eines von Delbruck entwickelten mathematischen Modells liessen sich die Hypothesen auf quantitative Weise testen Ausserdem konnten Luria und Delbruck mit Hilfe einiger Modellannahmen die Mutationsrate der Bakterien bestimmen Zu diesem Zweck werden Fluktuationstests heute noch durchgefuhrt Inhaltsverzeichnis 1 Ausgangssituation 2 Versuchsbeschreibung 3 Nachwirkung 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Einzelnachweise 7 WeblinksAusgangssituation BearbeitenEs war zur Zeit des Experiments schon langer bekannt dass eine Bakterienkultur die einem todlichen Bakteriophagen ausgesetzt wird durch diesen zunachst stark dezimiert wird Nach einiger Zeit wachst die scheinbar eliminierte Kultur wieder heran weil sich eine resistente Variante des Bakteriums gebildet hat die sich ungehindert vermehren kann Unbekannt war Anfang der 1940er jedoch der Mechanismus von Mutationen insbesondere ob diese vor dem Hinzufugen des Virus oder als Reaktion hierauf erfolgen Auch uber die molekularen Grundlagen der Vererbung wusste man wenig DNA als Trager der Erbinformation war noch nicht entdeckt Zu dieser Zeit fuhrte Luria Experimente an Bakteriophagen durch Eines seiner Probleme war hierbei dass die Zahl gegen Phagen resistent gewordener Bakterien sehr grossen Schwankungen unterworfen war Die Idee zum Experiment kam Luria beim Betrachten eines Kollegen an einem Spielautomaten Der Automat behielt fur gewohnlich den Einsatz des Spielers ein und schuttete dafur in seltenen Fallen den gesamten Jackpot aus Luria erkannte dass die Fluktuationen nicht als zu uberwindendes Hindernis zu sehen waren sondern selbst zum Gegenstand der Analyse gemacht werden sollten Der gelernte Physiker Max Delbruck dem Luria von seiner Idee berichtete arbeitete hierauf die theoretischen Grundlagen des Experiments aus 1 Versuchsbeschreibung Bearbeiten nbsp Zwei mogliche Versuchsergebnisse A Wenn die Mutationen durch das Hinzufugen der Phagen induziert werden tritt in jeder Kultur eine ahnliche Zahl von resistenten Bakterien auf B Wenn Mutationen spontan und damit unabhangig von der Anwesenheit von Phagen geschehen sind starke Fluktuationen zu erwarten Im Experiment wurde gezeigt dass in der Natur Verteilungen vom Typ B auftreten Im Versuch wurde eine grossere Anzahl von separaten Kulturen des Bakteriums Escherichia coli gebildet Anfanglich vermehrten sich jeweils 50 bis 100 nichtresistente Bakterien in einer Nahrlosung bis Kolonien von etwa 109 Bakterien entstanden Dann wurde jede der Kulturen auf Nahrplatten einer hohen Konzentration von Bakteriophagen des fur nichtresistente Bakterien todlichen Typs T1 ausgesetzt Nach einer Wartezeit von 24 und 48 Stunden wurden schliesslich jeweils die Zahl der Kolonien resistenter Bakterien bestimmt und aus den Daten vieler Proben die resultierende Verteilung ermittelt Das Hauptziel des Versuches bestand darin zwischen zwei alternativen die Mutation betreffenden Hypothesen zu unterscheiden Gemass der ersten Hypothese erfolgt die Resistenzbildung in Bakterien als Reaktion auf den Angriff der Phagen Mit einer geringen Wahrscheinlichkeit konnen einzelne Bakterien unabhangig voneinander eine Resistenz gegen die Phagen ausbilden welche sie an ihre Nachkommen weitervererben In diesem Fall entspricht die zu erwartende Verteilung der Kulturen einer Poisson Verteilung Deren Fluktuationen sind relativ gering da die Varianz einer Poisson Verteilung gleich ihrem Mittelwert ist Wurde diese Hypothese der erworbenen Immunitat zutreffen sahen die Ergebnisse wie in der linken Spalte des Diagramms aus Gemass der zweiten Hypothese geschehen resistenzbildende Mutationen andauernd mit einer kleinen Wahrscheinlichkeit also auch bevor die Bakterienkultur von den Phagen angegriffen wurde In den meisten Kulturen treten diese Mutationen spat auf wenn die anfanglich 50 bis 100 Bakterien sich bereits stark vermehrt haben Die resistenten Bakterien haben dann wenig Zeit sich zu vermehren und zum Zeitpunkt des Bakteriophagen Angriffs sind nur wenige resistente Bakterien prasent was zu geringen gemessenen Konzentrationen fuhrt In einigen wenigen Kulturen geschehen dagegen schon fruh resistenzbildende Mutationen so dass nach langerem exponentiellem Wachstum eine grosse Zahl Bakterien den Angriff der Phagen uberlebt siehe rechte Spalte des Diagramms Hierdurch hat die gemessene Verteilung eine Varianz die um ein Vielfaches grosser ist als ihr Mittelwert Es gibt seltene Ereignisse Jackpot bei denen eine extrem grosse Anzahl von Bakterien gemessen wird Ein von Delbruck entwickeltes mathematisches Modell erlaubte es eine Formel fur die Varianz der erwarteten Verteilung anzugeben und die Mutationsrate naherungsweise zu bestimmen Das Experiment bestatigte deutlich die Richtigkeit der zweiten Hypothese Die gemessene Varianz der Verteilung war um ein Vielfaches grosser als der Mittelwert und stimmte gut mit den Modellvorhersagen uberein Damit wurde die Existenz permanenter zufalliger Mutationen in Bakterien gezeigt Nachwirkung BearbeitenOft wurde der Fluktuationstest dahingehend interpretiert dass er die Gultigkeit der darwinschen Evolutionstheorie in Bakterien zeige und lamarckistische Theorien widerlege Luria selbst hatte die Bakteriologie als letztes Bollwerk des Lamarckismus bezeichnet 2 Luria und Delbruck selbst waren allerdings zunachst vorsichtig was die Verallgemeinerbarkeit ihrer Ergebnisse angeht 3 Ihre Ergebnisse wurden in den folgenden Jahren durch weitere Experimente bestatigt in denen beispielsweise anstelle der Resistenz gegen Bakteriophagen die Resistenz gegen Penicillin oder Rontgenstrahlung getestet wurde Wahrend Luria und Delbruck aus ihrem Modell nur Mittelwert und Varianz der nach der Theorie spontaner Mutationen zu erwartenden Verteilung berechneten gelang es Lea und Coulson 1949 einen mathematischen Ausdruck fur die Verteilung selbst herzuleiten 4 Sie wird Luria Delbruck Verteilung genannt und wird auch heute noch zur Bestimmung von Mutationsraten verwendet 5 Ende der 1980er Jahre wurde die Allgemeingultigkeit der Zufalligkeit von Mutationen durch eine Arbeit von John Cairns und Mitarbeitern 6 in Frage gestellt Cairns untersuchte im Gegensatz zu Luria und Delbruck Falle nichtletaler Selektion d h die Bakterien konnen unter Selektionsdruck uberleben sich aber nicht stark vermehren und fand dass fur die Bakterien gunstige Mutationen deutlich haufiger auftraten als es durch zufallige Mutationen zu erklaren war Nach einer langeren kontroversen wissenschaftlichen Debatte um dieses als Adaptive Mutation bezeichnete Phanomen ist heute bekannt dass verschiedene Mechanismen existieren durch die Organismen als Antwort auf ausseren Selektionsdruck die Haufigkeit von Mutationen erhohen konnen beispielsweise durch das Bilden von fehleranfalligen Polymerasen 7 Die Existenz zielgerichteter Mutationen als Reaktion auf ausseren Selektionsdruck konnte jedoch nicht gezeigt werden Siehe auch BearbeitenNewcombe ExperimentLiteratur BearbeitenLuria S E Delbruck M Mutations of bacteria from virus sensitivity to virus resistance In Genetics Band 28 Nummer 6 November 1943 S 491 511 PMID 17247100 PMC 1209226 freier Volltext Einzelnachweise Bearbeiten E P Fischer Max Delbruck Genetics 177 673 676 2007 Last stronghold of lamarckism G Stent The 1969 Nobel Prize for Physiology or Medicine Science 24 166 1969 Luria Delbruck S 509 D E Lea C A Coulson The distribution of the number of mutants in bacterial populations J Genet 49 264 285 1949 W A Rosche P L Foster Determining Mutation Rates in Bacterial Populations Methods 20 1 2000 J Cairns J Overbaugh S Miller The Origin of mutants Nature 335 142 145 1988 S M Rosenberg Evolving responsively adaptive mutation Nature Reviews Genetics 2 504 515 2001 Weblinks BearbeitenFluktuationstest Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Luria Delbruck Experiment amp oldid 205741348