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Figuration oder Interdependenzgeflecht ist ein Begriff der Prozesssoziologie von Norbert Elias Sie betont wechselseitige Angewiesenheiten von Individuen Individuen bilden temporar eine Interessen GemeinschaftElias ging es auch um eine Alternative zu grundlegenden soziologischen Herangehensweisen im 20 Jahrhundert Diese betrachteten soziale Wirklichkeiten isoliert vor allem Individuen und in einem Zustand der Ruhe Im Sinne der Figuration stehen Individuen jedoch nicht im autonomen Gegensatz zur Gesellschaft Stattdessen ist Gesellschaft das von Individuen gebildete Interdependenzgeflecht das permanent in Bewegung ist Inhaltsverzeichnis 1 Konzept 2 Bezeichnung zugehoriger Forschungsansatz Prozesssoziologie statt Figurationssoziologie 3 Forschung auf Basis des Figurationsbegriffs 4 Siehe auch 5 Literatur 6 Weblinks 7 FussnotenKonzept BearbeitenNorbert Elias hat den Begriff Figuration in seinen fruhen Grundlagenwerken Die hofische Gesellschaft Uber den Prozess der Zivilisation noch nicht verwendet sondern erst spater als prozess soziologisches Werkzeug eingefuhrt Elias versteht unter einer Figuration ein dynamisches soziales Netzwerk oder Beziehungsgeflecht von untereinander abhangigen Individuen Diese Beziehungen zwischen den Menschen sind nach Elias das Wesen jeder sozialen Gemeinschaft Die Soziologie hat demnach die Aufgabe diese Beziehungsgeflechte zwischen sozialen Akteuren zu untersuchen Der Begriff dient dazu soziologische Untersuchungen uber Gruppenstrukturen oder Konstellationen mit denen von individuellen Verhaltensstrukturen zu verbinden sowie den Wandel solcher Strukturen zu untersuchen Individuen existieren wie Gruppen in sich verandernden Kontexten anderer Individuen und Gruppen die nur als Geflecht und in Abhangigkeit voneinander interdependent gedacht werden konnen Alle Beziehungsgeflechte von Menschen konnen als Figurationen gesehen und untersucht werden Die kleinst mogliche Figuration ist eine Zweierbeziehung die grosstmogliche die Menschheit Je grosser eine Figuration ist desto langer und differenzierter sind die Interdependenzketten zwischen den zugehorigen Menschen Eine der fruhesten und bekanntesten Studien von Norbert Elias auf der Basis des Figurationsbegriffs ist die 1965 publizierte Untersuchung Etablierte und Aussenseiter in der die Gruppierungen einer Arbeitersiedlung als Etablierten Aussenseiter Figuration untersucht werden 1 Elias hat den Begriff der Figuration als prozess soziologisches Werkzeug entwickelt um gangigen Missverstandnissen entgegenzuwirken Vermeidung des Missverstandnisses des Individuums als wir loses Ich und von Individualitat als soziale UnabhangigkeitElias fiel auf dass mit der Entwicklung von Individualitat das Konzept des Individuums haufig missverstanden wurde und zu irrefuhrenden Selbstbildern Menschenbildern und Gesellschaftsbildern fuhrte Denn das Individuum erscheint meist als die immer gleiche Figur des isolierten Menschen in der Form des homo clausus oder wirlosen Ichs in seiner gewollten oder ungewollten Vereinsamung 2 Es erscheint als denkende Statue 3 bzw als eine Art a soziale Maschine 4 Der Figurationsbegriff befordert es Menschen grundlegend als soziale Beziehungswesen zu verstehen Da bereits das Konzept des Individuums von den oben beschriebenen grundlegenden Missverstandnissen durchzogen ist ubertragt sich dies auch auf das abstraktere Phanomen der Individualitat die haufig als soziale Unabhangigkeit missverstanden wird Vermeidung der gedanklichen Trennung von Gesellschaft und Individuum und hieraus resultierender MissverstandnisseFur Elias fungiert der Begriff als prozess soziologisches Werkzeug mit dessen Hilfe man den gesellschaftlichen Zwang so zu sprechen und zu denken als ob Individuum und Gesellschaft zwei verschiedene und uberdies auch antagonistische Figuren seien zu lockern 5 Der Begriff soll den Gegensatz einer solchen Rede und solchen Denkens aufheben Das Geflecht der Angewiesenheiten von Menschen aufeinander ihre Interdependenzen sind das was sie aneinander bindet Sie sind das Kernstuck dessen was hier als Figuration bezeichnet wird als Figuration aufeinander ausgerichteter voneinander abhangiger Menschen Der Begriff der Figuration ist gerade darum eingefuhrt worden weil er klarer und unzweideutiger als die vorhandenen begrifflichen Werkzeuge der Soziologie zum Ausdruck bringt dass das was wir Gesellschaft nennen weder eine Abstraktion von Eigentumlichkeiten gesellschaftslos existierender Individuen noch ein System oder eine Ganzheit jenseits der Individuen ist sondern vielmehr das von Individuen gebildete Interdependenzgeflecht selbst 6 Vermeidung eines statischen Verstandnisses von BeziehungenElias versteht Figurationen als soziale Prozesse die einer grundlegenden Wandlungsdynamik unterliegen Der prozessual angelegte Figurationsbegriff soll das Verstandnis von laufendem sozialem Wandel von Beziehungsgeflechten erleichtern Gegenwartig herrscht in der Soziologie ein Typ von Abstraktionen vor der sich auf isolierte Objekte im Zustand der Ruhe zu beziehen scheint Selbst der Begriff des sozialen Wandels wird oft so gebraucht als ob es sich um einen Zustand handele Man denkt gewissermassen vom Ruhezustand her zu der Bewegung als einem Sonderzustand 7 Bezeichnung zugehoriger Forschungsansatz Prozesssoziologie statt Figurationssoziologie BearbeitenObwohl der Figurationsbegriff lediglich einer von vielen prozess soziologischen Begriffen ist die Elias entwickelt und genutzt hat stand der Begriff mit der Zeit zunehmend im Vordergrund Dies fuhrte dazu dass Elias gesamter Ansatz haufig als Figurationssoziologie bezeichnet wurde Dabei veranderte sich das Verstandnis des Figurationsbegriffes zunehmend und begann vielfach genau die Missverstandnisse selbst zu erzeugen die damit eigentlich hatten vermindert werden sollen Elias bemerkte und kritisierte dies und horte selbst auf den Begriff zu nutzen Ich glaube dass der Figurationsbegriff im Gesprach und in der Diskussion viel zu nahe an den alten Systembegriff herangebracht worden ist und ziehe wenn man schon ein Etikett fur meine Arbeiten sucht Prozesssoziologie vor 8 Forschung auf Basis des Figurationsbegriffs BearbeitenSeit der Einfuhrung durch Norbert Elias nutzt eine Vielzahl von Forschungsarbeiten in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen den Figurationsbegriff Beispiele Janne Arp Die Nekropole als Figuration Zur Methodik der sozialen Interpretation der Felsfassadengraber von Amarna Wiesbaden 2012 Anke Barzantny Mentoring Programme fur Frauen Massnahmen zu Strukturveranderungen in der Wissenschaft eine figurationssoziologische Untersuchung zur akademischen Medizin Wiesbaden 2008 Karin Gschwandtner Charismakonzept und Figurationsanalyse Zwei theoretische Annaherungen an die soziale Machtformation um Adolf Hitler im Vergleich Passau 2015 Jorg Huttermann Entzundungsfahige Konfliktkonstellationen Eskalations und Integrationspotentiale in Kleinstadten der Einwanderungsgesellschaft Weinheim 2010 Anne Juhasz Eva Mey Die zweite Generation Etablierte oder Aussenseiter Biographien von Jugendlichen auslandischer Herkunft Wiesbaden 2003 Mi ae Pak Patriarchat durch konfuzianische Anstandsnormen Eine Analyse der traditionellen koreanischen Gesellschaft anhand der Zivilisationstheorie von Norbert Elias Marburg 2000 Gerhard Reinecke Thailands Weg zur Sozialversicherung Entscheidungsprozesse zwischen Demokratisierung und Militarputsch eine Analyse der Figuration strategischer Gruppen Saarbrucken 1993 Georg von Willich Restrukturierung und Macht Fallstudie einer Konzernreorganisation Mering 2010 Siehe auch BearbeitenEtablierte und Aussenseiter Uber den Prozess der Zivilisation ProzesssoziologieLiteratur BearbeitenNorbert Elias Was ist Soziologie Weinheim Juventa 2004 pp 139 145 ISBN 3779901021 Norbert Elias Figuration In Bernhard Schafers Hg Grundbegriffe der Soziologie Stuttgart Leske Budrich Utb 2003 pp 88 91 ISBN 3825214168 Norbert Elias Uber den Prozess der Zivilisation Band 1 Amsterdam Suhrkamp Taschenbuch 1997 pp 46 73 ISBN 3518277596 Detlef Weinich Systembiologie Dynamik und Wechselbeziehungen als Forschungsgegenstand Wurzeln und Bedeutung des Netzwerkdenkens im neueren Wissenschaftsverstandnis In Wurzburger medizinhistorische Mitteilungen 21 2002 S 473 489 hier S 477 482 Weblinks BearbeitenDer Begriff der Figuration Memento vom 27 Februar 2012 im Internet Archive Fussnoten Bearbeiten Norbert Elias John L Scotson Etablierte und Aussenseiter Suhrkamp Frankfurt M 2002 S 12 Norbert Elias Wandlungen der Wir Ich Balance in Die Gesellschaft der Individuen Ges Schriften Bd 10 Frankfurt M 1987 2001 S 265f Norbert Elias Untersuchungen zur Genese des Marineberufs in Aufsatze und andere Schriften I Ges Schriften Bd 14 Frankfurt M 1950 2001 S 130 Norbert Elias Eric Dunning Sport und Spannung im Prozess der Zivilisation Ges Schriften Bd 7 Frankfurt M 1986 2003 S 208 Norbert Elias Was ist Soziologie Weinheim 1970 S 141 Norbert Elias Uber den Prozess der Zivilisation Band 1 Amsterdam 1997 Suhrkamp Taschenbuch Verlag S 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