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Das ethnographische Prinzip ist ein statistisches Verfahren zur Feststellung des ungefahren Verlaufs der imaginaren geographischen Trennlinie zwischen zwei anhand ethnischer Merkmale unterscheidbaren Bevolkerungsgruppen deren Siedlungsgebiete benachbart sind Beim Auffinden der fiktiven Trennlinie dient als Entscheidungskriterium im Allgemeinen die Mehrheit der Muttersprache Unterscheiden sich die beiden Muttersprachen diesseits und jenseits der Trennlinie durchweg vollstandig dann ist sie eine Sprachgrenze Nach dem Aufkommen der Nationalstaaten im 19 Jahrhundert wurde das ethnographische Prinzip in der westlichen Welt haufig angewandt um Staatsgrenzen zu begrunden oder neu festzulegen Die Anwendung der Methode erfordert nach dem Volkerrecht in einem solchen Fall das mehrheitliche Einverstandnis innerhalb jeder der beiden beteiligten Siedlungsgruppen die ihre Grenzfragen klaren mochten oder politisch dazu gezwungen sind Das Verfahren fuhrt meistens nicht auf Anhieb zu einem exakt vorherbestimmbaren und jederzeit exakt reproduzierbaren Grenzverlauf sondern erfordert im Allgemeinen Nachbesserungen die genaue Kenntnisse der lokalen historisch soziologischen Entwicklungen in der Grenzregion voraussetzen Die Methode wurde in der Vergangenheit auch bemuht um separatistischen politischen Bestrebungen einen Anschein von Legitimitat zu verleihen so unter anderem bei der Loslosung der mehrheitlich angloamerikanisch besiedelten Nordregion Mexikos der spateren Sudweststaaten der USA vom Mutterland Mexiko im Verlauf des Amerikanisch Mexikanischen Kriegs um die Mitte des 19 Jahrhunderts oder bei der Loslosung des Kosovo von Serbien in der jungsten Vergangenheit Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das ethnographische Prinzip von den westlichen Siegermachten bei der Neufestlegung der Staatsgrenzen in Mitteleuropa in den Vordergrund gestellt Im Zusammenhang mit den Bestimmungen des Versailler Vertrags wurde es insbesondere von dem aus den Sudstaaten stammenden amerikanischen Prasidenten und vormaligen Geschichtslehrer Woodrow Wilson propagiert Das ethnographische Prinzip wird deshalb haufig mit seinem Namen in Verbindung gebracht doch ist Wilson nicht dessen Erfinder Das ethnographische Prinzip wird bei der Neudefinition von Staatsgrenzen im Allgemeinen nicht konsequent angewandt Nach dem Ersten Weltkrieg wurde beispielsweise bei der Festlegung der deutsch polnischen 1 und der italienisch osterreichischen Staatsgrenzen dagegen verstossen Bei der Klarung von Grenzfragen berufen sich Politiker im Allgemeinen nicht auf das ethnographische Prinzip allein sondern sie lassen sich auch von anderen Motiven leiten So hatte beispielsweise der nationalistische dem Panslawismus nahestehende polnische Politiker Roman Dmowski sich 1915 damit einverstanden erklart die polnische Ostgrenze zu Russland mit Hilfe des ethnographischen Prinzips neu zu definieren wahrend er gleichzeitig die Anwendung desselben Verfahrens auf die Westgrenze ablehnte 2 Langfristig gesehen haben sich Grenzen die einmal mit Hilfe des ethnographischen Prinzips festgelegt worden waren in der Geschichte als politisch stabiler herausgestellt als nach Massstaben der Machtpolitik willkurlich aufgezwungene Grenzen So stimmt zum Beispiel die heutige Ostgrenze Polens weitgehend mit der 1919 von den Westalliierten verkundeten sogenannten Curzon Linie uberein Einzelnachweise Bearbeiten Paul Roth Deutschland und Polen Isar Verlag Munchen 1958 S 53 Paul Roth Die Entstehung des polnischen Staates Berlin 1926 S 4 Fussnote 3 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ethnographisches Prinzip amp oldid 173660371