Klassifikation nach ICD-10 | |
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E80.0 | Hereditäre erythropoetische Porphyrie |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Die erythropoetische Protoporphyrie (EPP) ist eine seltene, hereditäre Stoffwechselstörung der Hämsynthese und zählt zu der Gruppe der Porphyrien. Die Krankheit äußert sich hauptsächlich durch eine schmerzhafte (Sonnen-)Lichtempfindlichkeit; gelegentlich auch durch eine Photodermatose. Die ersten Symptome zeigen sich meistens zwischen dem ersten und 10. Lebensjahr und äußern sich in Vermeidungsverhalten gegenüber Sonnenlicht und Hyperaktivität der Kinder. In 20–30 % der Fälle kann es zu einer leichten Beeinträchtigung der Leberfunktion kommen. Bei 5 % der Betroffenen treten schwere Leberschäden auf, woraufhin eine Lebertransplantation nötig wird.
Pathogenese Bearbeiten
Biochemie: Das Enzym Ferrochelatase ist verantwortlich für den letzten Schritt der Herstellung des roten Blutfarbstoffes, des Häm b. Das Häm entsteht durch den Einbau eines Eisen(II)-Ions in den Protoporphyrinring, seine Hauptaufgabe ist der Transport des Sauerstoffs im Blut. Ist beispielsweise durch eine Mutation die Aktivität der Ferrochelatase eingeschränkt, können nicht genügend Eisenionen eingebaut werden und die Vorläufersubstanz, das namensgebende Protoporphyrin, reichert sich in den roten Blutkörperchen, dem Blutplasma und der Leber an. Man geht davon aus, dass eine Reduktion der Ferrochelatase-Aktivität auf unter 30 % nötig ist, damit sich eine EPP ausbildet.
Phototoxizität: Das ringförmige Protoporphyrin ist für die Lichtunverträglichkeit verantwortlich. Die Haut der Betroffenen reagiert am sensibelsten auf Licht im Bereich der Wellenlänge von etwa 400 Nanometer, da Protoporphyrin Licht von dieser Wellenlänge besonders gut absorbiert: Die Hauptabsorptionsbande von Protoporphyrin liegt bei 400 nm (UV-A-Strahlung / Soret-Bande), weitere Absorptionsbanden existieren zwischen 500 und 625 nm. Die Protoporphyrinmoleküle gelangen durch Lichtabsorption in einen energetisch angeregten Zustand, durch Abgabe der Energie entstehen Sauerstoffradikale, die Strukturen im Gewebe angreifen und zerstören können (Oxidativer Stress). Entzündungsreaktionen und Einbeziehung des Immunsystems sind die Folge (Jucken und Anschwellen der dem Sonnenlicht ausgesetzten Haut).
Genetik: Die Vererbung bei der EPP erfolgt autosomal-rezessiv, wenn diese durch Mutationen des FECH-Gens verursacht ist. In seltenen Fällen ist eine EPP auf Mutationen im ALAS2-Gen zurückzuführen, die Krankheit wird dann X-Chromosomal vererbt.
Leberbeteiligung: Protoporphyrin ist nicht in Wasser löslich und kann daher nicht mit dem Urin aus dem Körper entfernt werden. In der Leber wird das Protoporphyrin in eine transportierbare Form umgewandelt und dann mit dem Stuhl ausgeschieden. Wird zu viel Protoporphyrin aus dem Blut in die Leber geschwemmt, kann die Kapazität des Organs überlastet werden und es kommt zu kristallinen Einlagerungen in den Leberzellen. Diese Ablagerungen schädigen die Zellen der Gallenkanälchen und beeinträchtigen dadurch die Abgabe der Gallenflüssigkeit. Häufig entstehen fluoreszierende Gallensteine.
Bis zu 5–10 % der Betroffenen entwickeln darüber hinaus lebensbedrohliche Leberkomplikationen. In einem frühen Stadium der Leberbeteiligung steigt die Konzentration des Protoporphyrins in den roten Blutkörperchen und dem Blutplasma nachweisbar an, zudem findet sich vermehrt das Umwandlungsprodukt Koproporphyrin Isomer I im Urin. Im fortgeschrittenen Stadium entwickelt sich eine Gelbsucht, bedingt durch eine Leberzirrhose. Weshalb nur 5–10 % der von EPP Betroffenen eine schwere Leberfunktionsstörung entwickeln, ist noch nicht abschließend geklärt. Es gibt Hinweise darauf, dass Leberzellen Entgiftungsmechanismen besitzen, um eine erhöhte Belastung tolerieren zu können. Fehlt diese Fähigkeit, ist die Leber sensibler für die toxische Wirkung des Protoporphyrins. Mutationen in bestimmten Abschnitten des Ferrochelatase-Gens scheinen eine Leberbeteiligung zu begünstigen.
Symptome Bearbeiten
Besonderheiten:
- Da bei den meisten Betroffenen keinerlei sichtbare Symptome auf der Haut auftreten, wird den Patienten oftmals nicht geglaubt. Der dadurch entstehende Anpassungsdruck führt, trotz Schmerzen, häufig zum Verbergen der Symptome (Dissimulation)
- Es sind nur die dem Licht ausgesetzten Hautstellen betroffen.
- Fensterscheiben bieten keinen ausreichenden Schutz. Aus dem gleichen Grund sind die meisten Sonnencremes wirkungslos, da sie vor allem UV-B-Licht filtern.
- In einigen Fällen verschwinden die Symptome teilweise oder vollständig während einer Schwangerschaft, kehren aber nach der Geburt des Kindes wieder zurück. Dies weist auf einen Einfluss von Hormonen auf die Symptome der EPP hin, der Mechanismus ist aber noch nicht geklärt.
- Es gibt einige bisher unverstandene Fälle von Patienten, die von symptomlosen Aufenthalten in Ländern mit hoher Sonnenintensität wie Brasilien, Ägypten, Kuba, Florida und Indien berichten, während sie in Europa regelmäßig Probleme mit der Sonne haben.
- Manchmal kann eine Photo-Onycholysis und ein Verlust der Lunula (Nägel) eintreten.
Häufigkeit Bearbeiten
Die Symptome der EPP treten in der Regel in den ersten Lebensmonaten bis -jahren auf. Anhand der Verbreitung der genetischen Veranlagung ist in Deutschland schätzungsweise ein Mensch von 100.000 an EPP erkrankt. Bei 80 Mio. Menschen in Deutschland entspricht das 800 Fällen, von denen die allermeisten bisher nicht erkannt sind.
Seltene Fälle von Erstmanifestationen später im Leben sind beschrieben, Ursache sind hier Veränderungen der Blut-Stammzellen im Erwachsenenalter. Im Tierversuch sind einige Substanzen als EPP-auslösend beschrieben.
Diagnose Bearbeiten
Aufgrund ihrer Seltenheit und der im akuten Stadium unsichtbaren Symptome wird die erythropoetische Protoporphyrie oft erst nach vielen Jahren diagnostiziert (im Durchschnitt 16 Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptome).
Alle Betroffenen, die an einer pathogenen Reduktion der Ferrochelatase-Aktivität leiden, sind photosensibel – nicht alle entwickeln jedoch sichtbare Hautveränderungen. Bei Kindern macht sich dies durch extremes Vermeidungsverhalten bemerkbar, wie das Rennen durch besonnte Areale zum nächstmöglichen Schatten, das Nutzen geringer Temperaturunterschiede von Materialien zur Kühlung, Unruhe, Schlaflosigkeit und langes Schreien.
Pathognomonisch für die EPP ist eine Erhöhung des freien Protoporphyrinspiegels (im Gegensatz zu Zink-gebundenem Protoporphyrin) in den Erythrozyten; die Messung ist eine sichere Diagnose für EPP. Zudem kann eine Plasmafluoreszenz-Untersuchung hinzugezogen werden, die zwar nicht so bedeutsam ist, aber eine Bestätigung liefern kann und andere Porphyrie-Erkrankungen ausschließt. Bei einer Anregung von 410 nm tritt bei der EPP eine maximale Fluoreszenzemission bei 634 nm ein. (Bei Porphyria cutanea tarda 617 nm, bei Porphyria variegata 625 nm.)
Differentialdiagnose:
- Eine erhöhte Messung von Zink-gebundenem Protoporphyrin kann auch bei Bleivergiftung, Eisenmangel, oder anderen Porphyrieerkrankungen auftreten.
- Andere Erkrankungen, die ausgeschlossen werden müssen: Phototoxische Medikamentenreaktion, Hydroa vacciniforme, Urtikaria solaris, Kontaktdermatitis, Angioödem, andere Arten der Porphyrie.
Behandlung Bearbeiten
Wichtigste Maßnahme bleibt nach wie vor die konsequente Vermeidung von Sonnenlicht und zum Teil künstlichen Lichtquellen und entsprechende Kleidung (Handschuhe, Hut, lange Ärmel, Schirm etc.). Da der Hauptauslöser der Symptome das sichtbare Lichtspektrum zwischen violett und blau ist, kommt gelb (Komplementärfarbe) eingefärbten Folien eine besondere Schutzwirkung zu. Sonnencreme mit hohem Lichtschutzfaktor im UV-A Bereich und Mikropigmenten wird empfohlen, deckt jedoch die auslösenden Wellenlängen nicht ausreichend ab. Etwas hilfreich ist dick aufgetragene, handelsübliche abdeckende Kosmetik. Von Alkohol in größeren Mengen und anderen Leber-belastenden Substanzen wird abgeraten; einer fortgeschrittenen Schädigung der Leber kann nur durch Transplantation begegnet werden.
Psychosoziale Aspekte Bearbeiten
Verwandte Themen Bearbeiten
Die Photodynamische Therapie zur Behandlung verschiedener Krebsarten (v. a. Hautkrebs) beruht auf demselben zellschädigenden Effekt, den Protoporphyrin auch bei EPP hat: Dabei werden Krebszellen dazu angeregt, Protoporphyrin zu bilden und zu speichern. Danach werden die Areale sichtbarem Licht ausgesetzt, wodurch die Krebszellen selektiv zerstört werden. Die Reaktion gleicht in allen Symptomen einer EPP, die Behandelten klagen über ähnliche Schmerzwahrnehmungen und -intensitäten.
Literatur Bearbeiten
Übersichtsartikel EPP:
- E. Hölzle: Photodermatosen und Lichtreaktionen der Haut. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2003, ISBN 3-8047-1890-6.
- O. Braun-Falco, G. Plewig, H. H. Wolff, W. Burgdorf, M. Landthaler: Dermatologie und Venerologie. 5. Auflage. Springer Verlag, Berlin/ Heidelberg 2005, ISBN 3-540-40525-9.
- D. J. Todd: Erythropoietic protoporphyria. In: Br J Dermatol. 131, 1994, S. 751–766.
- X. Schneider-Yin, L. Gouya, A. Meier-Weinand, J.-C. Deybach, E. I. Minder: New insights into the pathogenesis of erythropoietic protoporphyria and their impact on patient care. In: European Journal of Pediatrics. 159, 2000, S. 719–725.
Behandlung:
- E. I. Minder, X. Schneider-Yin, J. Steurer, L. M. Bachmann: A systematic review of treatment options for dermal photosensitivity in erythropoietic protoporphyria. In: Cellular and molecular biology (Noisy-le-Grand, France). 55(1), 2008, S. 84–97.
- J. G. Langendonk, M. Balwani, K. E. Anderson, H. L. Bonkovsky, A. V. Anstey, D. M. Bissell, J. D. Phillips u. a.: Afamelanotide for erythropoietic protoporphyria. In: New England Journal of Medicine. 373(1), 2015, S. 48–59.
- G. Biolcati, E. Marchesini, F. Sorge, L. Barbieri, X. Schneider-Yin, E. I. Minder: Long‐term observational study of afamelanotide in 115 patients with erythropoietic protoporphyria. In: British Journal of Dermatology. 172(6), 2015, S. 1601–1612.
Psychosoziale Aspekte
- E. A. Rufener: Schattenspringen. Krankheitsanpassung bei Menschen mit einer erythropoetischen Protoporphyrie. Dissertation. Universität Zürich, 1990, DNB 94464693X.
Studie zu EPP und Lebensqualität aus GB:
- S. A. Holme, A. V. Anstey, A. Y. Finlay, G. H. Elder, M. N. Badmington: Erythropoietic protoporphyria in the U.K.: clinical features and effect on quality of life. In: British Journal of Dermatology. 155, 2006, S. 574–581.
„Unsichtbare“ Hautsymptome bei EPP:
- Anne L. Y. Lecluse, Veronica C. M. Kuck-Koot, Huib van Weelden, Vigfus Sigurdsson, Ingrid M. Russel, Jorge Frank, Suzanne G. M. A. Pasmans: Erythropoietic protoporphyria without skin symptoms-you do not always see what they feel. In: Eur J Pediatr. 2007. (doi:10.1007/s00431-007-0557-1)
Leberbeteiligung:
- S. Navarro, P. del Hoyo, Y. Campos, M. Abitbol, M.-J. Moran-Jimenez, M. Garcia-Bravo, P. Ochoa, M. Grau, X. Montagutelli, J. Frank, R. Garesse, J. Arenas, R. E. de Salamanca, A. Fontanellas: Increased mitochondrial respiratory chain enzyme activities correlate with minor extent of liver damage in mice suffering from erythropoietic protoporphyria. In: Experimental Dermatology. 14, 2005, S. 26–33.
- E. Alexandrakis, R. Porstmann, J. Rüschoff: Erythropoetische Protoporphyrie – eine enzymatische Störung der Häm-Biosynthese und ihre Auswirkungen auf Leber und Haut. In: Gastroenterologie up2date. 2, 2006, S. 7–11.
Ferrochelatase:
- H. A. Dailey, T. A. Dailey, C.-K. Wu, A. E. Medlock, K.-F. Wang, J. P. Rose, B.-C. Wang: Ferrochelatase at the millennium: structures, mechanisms and [2Fe-2S] clusters. In: CMLS, Cell. Mol. Life Sci. 57, 2000, S. 1909–1926.
Weblinks Bearbeiten
- Erythropoetische Protoporphyrie. In: Online Mendelian Inheritance in Man. (englisch).
- European Porphyria Initiative: Europäisches Expertennetzwerk porphyria-europe.com
- Beispielbilder EPP
Einzelnachweise Bearbeiten
- María José Casanova-González: Liver disease and erythropoietic protoporphyria: A concise review. In: World Journal of Gastroenterology. Band 16, Nr. 36, 2010, ISSN 1007-9327, S. 4526, doi:10.3748/wjg.v16.i36.4526 (wjgnet.com [abgerufen am 26. Oktober 2018]).
- I. A. Magnus: Photobiological Aspects of Porphyria. In: Proceedings of the Royal Society of Medicine. 61. Jahrgang, Februar 1968, S. 196–198, doi:10.1177/003591576806100233.
- PROTOPORPHYRIA, ERYTHROPOIETIC, 1; EPP1. In: Online Mendelian Inheritance in Man. (englisch)
- PROTOPORPHYRIA, ERYTHROPOIETIC, X-LINKED; XLEPP. In: Online Mendelian Inheritance in Man. (englisch)
- S. A. Holme, A. V. Anstey, A. Y. Finlay, G. H. Elder, M. N. Badminton: Erythropoietic protoporphyria in the U.K.: clinical features and effect on quality of life. In: The British Journal of Dermatology. Band 155, Nr. 3, September 2006, ISSN 0007-0963, S. 574–581, doi:10.1111/j.1365-2133.2006.07472.x, PMID 16911284.