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Erfinderische Tatigkeit oder jargonhaft Erfindungshohe ist eine in vielen nationalen und ubernationalen Patentgesetzen vorgeschriebene Voraussetzung fur die Patentfahigkeit einer technischen Erfindung Schon seit dem 19 Jahrhundert werden dafur neben der Neuheit auch das Beruhen auf einer erfinderischen Tatigkeit vorausgesetzt Inhaltsverzeichnis 1 Rechtsgrundlage 1 1 Deutsches Patentgesetz PatG Europaisches Patentubereinkommen EPU franzosisches Patentgesetz Loi sur les brevets d invention 1 2 Patentzusammenarbeitsvertrag PCT 1 3 US Patentgesetz 2 Systematische Funktion und Inhalt des Kriteriums 3 Entstehung 4 Ausfullung des Kriteriums 5 Beurteilung erfinderischer Tatigkeit am Europaischen Patentamt 6 Erfinderischer Schritt im Gebrauchsmusterrecht 7 Literatur 8 EinzelnachweiseRechtsgrundlage BearbeitenDeutsches Patentgesetz PatG Europaisches Patentubereinkommen EPU franzosisches Patentgesetz Loi sur les brevets d invention Bearbeiten 1 des deutschen Patentgesetzes PatG fordert qualitativ das Vorliegen erfinderischer Tatigkeit als eine der Voraussetzungen fur die Erteilung eines Patents auf eine technische Erfindung 4 PatG definiert naher dass eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tatigkeit beruhend gilt wenn sie sich fur den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt Das europaische Patentubereinkommen EPU folgt in seinen Artikeln 52 und 56 1 wortgleich der gleichen Gesetzgebungssystematik wie das deutsche Patentgesetz in seinen 1 und 4 Gleiches gilt fur das franzosische Patentgesetz in seinen Artikeln 6 und 10 2 Patentzusammenarbeitsvertrag PCT Bearbeiten Im Patentzusammenarbeitsvertrag ist die Systematik ahnlich Art 33 Abs 1 fordert das Vorliegen erfinderischer Tatigkeit und definiert in Art 33 Abs 3 dass eine beanspruchte Erfindung als auf einer erfinderischen Tatigkeit beruhend gilt wenn sie fur einen Fachmann nach dem Stand der Technik wie er in der Ausfuhrungsordnung umschrieben ist nicht zu dem vorgeschriebenen massgeblichen Zeitpunkt als naheliegend anzusehen ist 3 US Patentgesetz Bearbeiten Das US Patentgesetz wird mit USC 35 USC United States Code angesprochen Statt inventive step verwendet USC 35 4 den Begriff not obvious und fordert in 103 korrekte Zitierung 35 U S C 103 fur Patentwurdigkeit dass the differences between the subject matter sought to be patented and the prior art are such that the subject matter as a whole would have been not obvious at the time the invention was made to a person having ordinary skill in the art Systematische Funktion und Inhalt des Kriteriums BearbeitenWirtschaftlich sinnvoll und rechtspolitisch gewollt ist es Schutzrechte auf triviale Abwandlungen oder Kombinationen bekannter Aspekte zu vermeiden Es soll kein unubersichtliches Rechtegestrupp aus Patenten auf Banalitaten entstehen das eine Verrechtlichung und damit ungerechtfertigte Erschwernis des wirtschaftlichen Agierens nach sich ziehen wurde Das Kriterium der erfinderischen Tatigkeit fordert deshalb in der heutigen Handhabung umgangssprachlich und verkurzt ausgedruckt dass eine technische Erfindung um patentfahig zu sein aus fachmannischer Perspektive mehr sein muss als eine einfache Abwandlung oder Kombination von schon vorher bekannten technischen Lehren Damit sollen simple Uberarbeitungen bekannter Lehren Abanderungen und Kombinationen frei von Patentrechten bleiben und nur die markanten Erfindungen dem Patentschutz zuganglich sein Entstehung BearbeitenIm Verlaufe der ersten industriellen Revolution mit ihren grossen Fortschritten erschienen in allen Industrielandern zahlreiche technisch triviale Objekte und nichttechnische Methoden auf die auch Ausschliessungsrechte beansprucht wurden Diese Erfindungen unwillkurlich als nicht patentwurdig abgeschatzt konnten insbesondere in den Landern mit einem Vorprufungssystem und mit den gesetzlichen Normen der Neuheit und der Nutzlichkeit allein nicht abgewehrt werden In England setzte sich die Anforderung durch dass eine patentfahige Erfindung ein neues mit Fleiss und Scharfsinn geschaffenes Prinzip sein muss so Vizekanzler Sir John Leach 5 dass sich auf einen inventive step grunden musse Patentgesetz von 1932 In den Vereinigten Staaten von Amerika behauptete sich die Regel aus den 1850er Jahren dass eine patentfahige Erfindung auf einem Erfindungsakt beruhen muss der das ubersteigt was sich auch ein Fachmann skillful mechanic ausdenken konne 6 In Deutschland wurde hingegen verlangt dass eine patentfahige Erfindung eine wesentliche Verbesserung sei dass sie ein vorteilhafteres Ergebnis zeitige 5 In den 1880er Jahren erarbeitete das Kaiserliche Patentamt dem erstklassige Ingenieure als Mitglieder angehorten das Bewertungskriterium Technischer Fortschritt das spater zum Wesentlichen technischen Fortschritt erweitert wurde Die nord mittel und osteuropaischen Staaten ubernahmen das Kriterium ebenfalls Anfang des 20 Jahrhunderts befand indessen das Reichsgericht vermutlich auf sein amerikanisches Gegenstuck blickend den Supreme Court dass einer Erfindung ein Schaffen zugrunde liegen musse das uber das gewohnliche fachmannische Konnen und Tun erheblich hinausgegangen war es wurde Erfindungshohe genannt Das Reichspatentamt zogerte jedoch sich dieser psychologischen Sicht anzuschliessen Um 1930 setzten sich schliesslich der Technische Fortschritt und die Erfindungshohe als zwei gleichgewichtete Kriterien der Patentfahigkeit durch So blieb es bis zum europaisch harmonisierten deutschen Patentgesetz von 1981 Die nord mittel und osteuropaischen deutsch orientierten Patentrechte beurteilten also ob das vom Erfinder Erfundene technisch fortschrittlich war Die angelsachsischen Rechtssysteme bewerteten hingegen eine dem Erfinder unterstellte Gedankenfolge seines Erfindens Das Kriterium der einen war also technisch fundiert und zielte auf das Ergebnis das der anderen war begabungspsychologisch gepragt und zielte auf das gedankliche Wie des Entstehens Die europaischen nationalen und ubernationalen Patentgesetze der 1970er und 1980er Jahre ubernahmen ausdrucklich nicht gegen den Willen der Schweiz das Kriterium des technischen Fortschrittes Sie normierten stattdessen das begabungspsychologische Kriterium einer erfinderischen Tatigkeit In den anderen nationalen Gesetzen stehen dafur die Worte inventive step activite inventive oder actividad inventiva Die erfinderische Tatigkeit musse der Fachmann beurteilen Der Bruch von einem technischen zu einem begabungs psychologischen Kriterium verlief nicht ohne Bedenken 7 Damals hatten sich offensichtlich die Europaer den Amerikanern und deren Konzept von skilled person und non obviousness ganzlich angepasst Der US Code 35 von 1952 Patentgesetz bestimmte namlich in Sec 103 Es gibt kein Patent wenn der Unterschied der Erfindung the subject matter zum Stande der Technik the prior art nur derart ist dass sie fur einen einschlagigen Fachmann a person having ordinary skill naheliegend gewesen ware have been obvious Ausfullung des Kriteriums BearbeitenDie vereinheitlichten europaischen Patentgesetze bestimmen einhellig dass eine Erfindung nur dann patentfahig ist wenn sie sich unter anderem fur den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt Es wird also ein Vergleich zwischen Erfindung und dem Stand der Technik aus fachmannischer Sicht vorgenommen und dabei auf nicht naheliegende Unterschiede abgefragt Der Fachmann ist dabei keine reale sondern eine fiktive Rechtsperson Ihm werden durchschnittliche Fahigkeiten der im jeweiligen Metier tatigen Personen unterstellt Eine Erfindung wird als nicht naheliegend angesehen wenn man von einem Fachmann nicht erwarten kann dass er ausgehend vom Stand der Technik auf die Erfindung alsbald und mit einem zumutbaren Aufwand gekommen ware Der Begriff Stand der Technik verkorpert nicht wie es das Wort Stand vermuten lassen konnte den momentanen Ist Stand eines technischen Fachgebietes sondern dessen Umfang mit allen seinen seit eh und je entstandenen Dingen und Methoden auch mit allem was technisch langst uberholt ist oder was schon von vornherein unwirksam war Zu diesem Stand zahlt jedenfalls alles was irgendwann vor dem Anmeldetag der Erfindung zum Patent irgendwo und irgendwie auf der Welt offentlich geworden ist Die zu beurteilende Erfindung ist Gegenstand der Patentanspruche die jeder Patentanmeldung beiliegen mussen Das Kriterium der erfinderischen Tatigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundespatentgerichts des Bundesgerichtshofs und der technischen Beschwerdekammern des Europaischen Patentamts rein objektiv zu verstehen Es spielt keine Rolle wie die zu beurteilende Erfindung tatsachlich gemacht worden ist und ob sie subjektiv fur den Erfinder eine besondere Leistung bedeutet hat Bei Zweifeln am Vorliegen einer erfinderischen Tatigkeit Mangel an Erfindungshohe kommt es zu Beanstandungen im Prufungsverfahren und wenn sie nicht ausgeraumt werden konnen etwa durch Formulierung spezifischer gefasster Patentanspruche zur Zuruckweisung der Patentanmeldung Sie ist auch in der weit uberwiegenden Zahl der Widerrufe oder der Nichtigerklarungen von Patenten der massgebende Grund In der Praxis der Patenterteilungsverfahren ist die Diskussion zwischen Anmelder und Patentamt um die erfinderische Tatigkeit der aufwandigste Aspekt Von Kritikern werden die Kriterien fur die erfinderische Tatigkeit als unscharf und nicht valide angesehen die erfinderische Tatigkeit sei nicht oder nur schwer operabel 8 Der Begriff der erfinderischen Tatigkeit ist gesetzgebungstechnisch ein unbestimmter Rechtsbegriff Beurteilung erfinderischer Tatigkeit am Europaischen Patentamt BearbeitenIm Folgenden wird die Praxis des Europaischen Patentamts zur Beurteilung der erfinderischen Tatigkeit im Rahmen des patentamtlichen Prufungsverfahrens dargestellt 9 Diese Praxis stimmt weitestgehend mit der deutschen Praxis uberein Zur Beurteilung der erfinderischen Tatigkeit hat sich der sogenannte Aufgabe Losungs Ansatz durchgesetzt der eine objektive und nachvollziehbare Beurteilung der erfinderischen Tatigkeit ermoglicht Der Aufgabe Losungs Ansatz gliedert sich in drei Phasen Ermittlung des nachstliegenden Stands der Technik sowie des einschlagigen Fachmanns Bestimmung der zu losenden objektiven technischen Aufgabe und Prufung des Naheliegens der beanspruchten Erfindung fur den einschlagigen Fachmann Der Aufgabe Losungs Ansatz ist im Normalfall vom Europaischen Patentamt bei der Prufung anzuwenden Seine unbegrundete Nichtanwendung kann im Rahmen der Beschwerde zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zuruckverweisung fuhren Zu 1 Ermittlung des nachstliegenden Stands der Technik sowie des einschlagigen Fachmanns Der nachstliegende Stand der Technik ist eine einzige Offenbarung die den erfolgversprechendsten Ausgangspunkt fur eine naheliegende Entwicklung darstellt die zur beanspruchten Erfindung fuhrt Diese und weitere Offenbarungen werden im Rahmen einer Recherche welche dem Prufungsverfahren vorgeschaltet ist normalerweise ermittelt Der nachstliegende Stand der Technik sollte demselben oder einem verwandten technischen Gebiet zugeordnet und auf einen ahnlichen Zweck oder ahnliche Wirkung ausgerichtet sein wie die beanspruchte Erfindung Zu 2 Bestimmung der zu losenden objektiven technischen Aufgabe Zur Bestimmung der zu losenden objektiven technischen Aufgabe werden die zwischen dem Stand der Technik und der Erfindung bestehenden Unterscheidungsmerkmale untersucht Die zu losende objektive technische Aufgabe besteht darin uber die Abanderung oder Anpassung des nachstliegenden Stands der Technik die technischen Wirkungen zu erzielen welche die Erfindung uber den Stand der Technik mit sich bringt Die zu losende objektive technische Aufgabe muss nicht mit der in den Anmeldeunterlagen der Erfindung formulierten Aufgabe ubereinstimmen Die zu losende objektive technische Aufgabe kann manchmal auch als eine Aneinanderreihung verschiedener Teilaufgaben gesehen werden wenn bestimmte Unterscheidungsmerkmale in Kombination miteinander keine technische Wirkung erzielen Zu 3 Prufung des Naheliegens der beanspruchten Erfindung fur den einschlagigen Fachmann Ob die beanspruchte Erfindung fur den Fachmann naheliegend gewesen ware wird angesichts des entgegengehaltenen Stands der Technik und der objektiven technischen Aufgabe gepruft Hierzu wird der nachstliegende Stand der Technik mit jeweils einer weiteren Offenbarung verknupft um die Aufgabe bzw eine der Teilaufgaben zu losen Dabei muss es wahrscheinlich sein dass der Fachmann die weitere Offenbarung mit dem nachstliegenden Stand der Technik in Verbindung bringen wurde Der nachstliegende Stand der Technik und die weitere Offenbarung sollten zumindest aus benachbarten Gebieten stammen oder die weitere Offenbarung sollte zu einem allgemein ublichen Wissensstand gehoren Generell vermogen eine blosse Verschlechterung und eine willkurliche nicht funktionelle Veranderung des Stands der Technik keine erfinderische Tatigkeit zu begrunden Erfinderischer Schritt im Gebrauchsmusterrecht BearbeitenNach 1 Abs 1 Satz 1 GebrMG erfordert der Gebrauchsmusterschutz einen erfinderischen Schritt anstelle der erfinderischen Tatigkeit bei Patenten Die Vermutung dass damit geringere Anforderungen fur Gebrauchsmuster gegenuber Patenten gelten konnten hat der BGH in der Entscheidung Demonstrationsschrank zuruckgewiesen 10 Literatur BearbeitenF K Beier Zur historischen Entwicklung des Erfordernisses der Erfindungshohe In Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Inland 1985 S 606 616 Alfred W Kumm Vom Spezialisten zum Generalisten der Technik Ein Wegweiser zum technologischen Denken Analysieren und Bewerten Haag amp Herchen 2003 ISBN 3 89846 264 1Einzelnachweise Bearbeiten Artikel 52 und 56 EPU Artikeln 6 und 10 des franzosischen Patentgesetzes Art 33 Abs 3 PCT USC 35 PDF a b R Klostermann Die Patentgesetzgebung aller Lander Verlag Guttentag Berlin 1876 S 27 28 54 58 59 und A W Kumm Die Erfindungen und ihre Kriterien Untersuchung einiger patentrechtlicher Grundbegriffe im Hinblick auf die europaischen Vereinheitlichungsbestrebungen In Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Auslands und internationaler Teil GRUR Inter 1963 S 289 297 F K Beier Zur historischen Entwicklung des Erfordernisses der Erfindungshohe In GRUR Inland 1985 S 606 616 Die gesetzliche Verankerung der erfinderischen Tatigkeit wurde schon fruh als bedenklich bewertet So auch noch 1985 von Beier Zur historischen Entwicklung des Erfordernisses der Erfindungshohe S 616 Schlusswort Zu den Problemen etwa A W Kumm Die Bewertung der erfinderischen Tatigkeit ein rational unlosbares Jahrhundert Problem In epi European Patent Institute Information 1998 S 23 26 Richtlinien fur die Prufung im Europaischen Patentamt 2010 epo org PDF abgerufen am 9 August 2010 Entscheidung des Bundesgerichtshofs Demonstrationsschrank X ZB 27 05 vom 20 Juni 2006 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Erfinderische Tatigkeit amp oldid 218445441