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Doxa altgriechisch do3a doxa Meinung beschreibt ein Konzept des franzosischen Soziologen Pierre Bourdieu Doxa bezeichnet alle Uberzeugungen und Meinungen die von einer Gesellschaft unhinterfragt als wirklich oder wahr angenommen werden 1 Diese Uberzeugungen werden in einer Gesellschaft oder in einem Feld nicht infrage gestellt sondern gelten als selbstverstandlich oder offensichtlich 2 Im Kern bezeichnet die Doxa somit eine Reihe von Wirklichkeitsannahmen und Selbstverstandlichkeiten in einer Gesellschaft die weder kritisiert oder debattiert noch hinterfragt werden Jede Gesellschaft hat ihre eigene Doxa Gesellschaften unterscheiden sich inhaltlich dadurch welche Annahmen und Wirklichkeitskonstruktionen sie als selbstverstandlich oder wirklich annehmen Fur Bourdieu ist die Doxa vor allem ein historisches und soziales Produkt Inhaltsverzeichnis 1 Doxa Orthodoxie Heterodoxie in Gesellschaften 2 Anwendungen 2 1 Doxa und Herrschaft 2 2 Doxa und Feld 2 3 Kritik 3 Siehe auch 4 EinzelnachweiseDoxa Orthodoxie Heterodoxie in Gesellschaften BearbeitenDie Doxa wird bei Bourdieu haufig im Kontext mit den Begriffen der Orthodoxie und der Heterodoxie verwendet Als Modell unterteilen die drei Konzepte alle gesellschaftlichen Uberzeugungen und Wirklichkeitskonstruktionen in drei Kategorien das Umstrittene Heterodoxie die Mehrheitsmeinung Orthodoxie und das Selbstverstandliche Doxa Unter Heterodoxie versteht Bourdieu alle Meinungen Vorstellungen und Behauptungen die in einer Gesellschaft heftig debattiert werden und umstritten sind Heterodoxe Inhalte werden regelmassig ausdiskutiert es gibt einen regen Diskurs uber diese Inhalte Es fehlt eine allgemeine Meinung oder ein Konsens weil die Meinungen und Uberzeugungen sehr divers sind Unter Orthodoxie versteht Bourdieu hingegen kollektive Uberzeugungen und Wirklichkeitsannahmen die die uberwiegende Mehrheit der Gesellschaft teilt Orthodoxe Inhalte werden nur ab und zu infrage gestellt oder angegriffen Mehrheitsmeinungen kollektive Wirklichkeiten und Konsensdenken fallen in den Bereich der Orthodoxie Heterodoxie und Orthodoxie haben gemeinsam dass sie regelmassig sprachlich stabilisiert werden mussen Durch Kommunikation werden die Inhalte immer wieder aufs Neue hervorgebracht und dadurch stabilisiert Unter Doxa versteht Bourdieu hingegen alle als selbstverstandlich wahrgenommenen Uberzeugungen Klassifikationen 3 und Annahmen Ausserdem sind sich die Menschen in einer Gesellschaft mehr oder weniger bewusst was als kollektive Meinung oder Streitthema gilt Beide Punkte treffen jedoch nicht auf die Doxa zu Doxische Wirklichkeitsuberzeugungen sind laut Bourdieu den Menschen weder bewusst 4 noch werden sie uber Sprache regelmassig stabilisiert 5 Sie werden von den Menschen als selbstevident naturlich oder unanfechtbar wahrgenommen Doxische Uberzeugungen werden somit in Gesellschaften fast nie kritisch hinterfragt und entziehen sich offentlichen Diskursen und Debatten Paradoxerweise ist nichts dogmatischer als eine doxa dies Ensemble grundlegender Glaubensinhalte die nicht einmal in Form eines expliziten seiner selbst bewussten Dogmas affirmiert werden mussen 6 Nichtsdestotrotz Gesellschaftlicher Wandel ist ein Kernelement jeder Gesellschaft Gemass Bourdieu andert sich zwangslaufig auch uber langere Zeitraume hinweg was als orthodox oder heterodox oder doxisch wahrgenommen wird Tatsachlich konnen auch doxische Inhalte vor allem in Krisen und Umbruchszeiten 7 plotzlich debattiert und angegriffen werden 8 Die Doxa einer Gesellschaft ist somit keineswegs in Stein gemeisselt Umgekehrt konnen auch Meinungen die in einer Gesellschaft zuvor als umstritten galten zu einem spateren Zeitpunkt als selbstverstandlich angenommen werden 1 Anwendungen BearbeitenBourdieu nutzt das vage Theoriegerust der Doxa und wendet es auf seine weiteren Forschungsgegenstande an Im Folgenden werden also Beispiele genannt wie Bourdieu die Doxa auf Theorien bezogen hat denen er sich im Laufe seines Lebens widmete Wichtig zu betonen ist Es handelt sich im Folgenden nicht um eine einheitliche zusammenhangende oder gar erganzende Theorie Das Gegenteil ist der Fall Bourdieu nutzt die Erkenntnisse aus der vagen bzw allgemeinen Doxa Theorie und wendet sie auf spezifische Untersuchungsgegenstande oder andere Theorien an Doxa und Herrschaft BearbeitenDie Analyse und Kritik von Macht und Herrschaft in unterschiedlichen Kulturen und Geschichtsperioden durchzieht Bourdieus Werke 9 Laut Bourdieu sind die unzahligen Herrschaftsformen der Vergangenheit und der Gegenwart zu einem hohen Grad willkurlich Dieser Willkurcharakter wird an vielen Stellen betont 10 Das bedeutet dass sich Formen von Herrschaft inhaltlich und strukturell sehr stark voneinander unterscheiden Trotz dieser grossen Unterschiede gelingt es den meisten Herrschenden sich in der Gesellschaft Legitimitat zu verschaffen Einen Grund dafur sieht Bourdieu eben in der Doxa Nicht hinterfragbare Selbstverstandlichkeiten also bestimmte doxische Uberzeugungen stabilisieren und legitimieren Herrschaft 11 Durch die Doxa werden die Herrschaftsstrukturen ausserdem unsichtbar gemacht und verschleiert Herrschaft wird dann von den Untertanen nicht mehr als Herrschaft wahrgenommen sondern als selbstverstandlich naturlich legitim oder notwendig gedeutet Jede herrschende Ordnung weist die Tendenz auf allerdings auf unterschiedlicher Stufe und mit je anderen Mitteln ihren spezifischen Willkurcharakter zu naturalisieren 12 Herrschende Gruppen profitieren somit von der Mitgestaltung der Doxa in einer Gesellschaft oder einem Feld Die Doxa wirkt letztendlich herrschaftsstabilisierend 13 Doxa und Feld Bearbeiten Hauptartikel Soziales Feld Bourdieu verwendet das Konzept der Doxa nicht nur fur ganze Gesellschaften sondern integriert das Konzept auch in seine Feldtheorie Felder sind eigenstandige soziale Systeme Okonomie Politik Recht Religion Kunst etc Konkurrenz um Ressourcen Macht Wahrheit Wirklichkeitsdeutungen uvm sind allgegenwartig und ein Kernelement von Feldern Obwohl sich Felder primar durch ihren Konfliktcharakter auszeichnen sieht Bourdieu in allen Feldern auch gewisse Wirklichkeitsuberzeugungen und Praktiken die nicht debattiert werden und als selbstevident gelten Jedes Feld hat seine eine eigene Doxa 1 Bestimmte Wirklichkeiten Uberzeugungen Normen Regeln Praktiken und Handlungen werden von den Teilnehmern eines Feldes einfach als selbstverstandlich oder unhinterfragt hingenommen 14 Kritik Bearbeiten Bourdieu wird dafur kritisiert den Begriff der Doxa unscharf von anderen Begriffen abgegrenzt zu haben Ausserdem widmet er sich immer nur stuckchenweise und uber verschiedene Werke verstreut dem Konzept der Doxa 1 Siehe auch Bearbeitendoxastische LogikEinzelnachweise Bearbeiten a b c d Andreas Koller Doxa In Gerhard Frohlich Boike Rehbein Hrsg Bourdieu Handbuch Leben Werk Wirkung J B Metzler Stuttgart Weimar 2009 ISBN 978 3 476 02235 6 S 79 80 hier S 79 Eva Barlosius Pierre Bourdieu 2 Auflage Campus Verlag 2006 S 28 Pierre Bourdieu Sozialer Raum und Klassen Lecon sur la lecon Zwei Vorlesungen Suhrkamp Frankfurt am Main 1985 S 51 amp 55f Pierre Bourdieu Die feinen Unterschiede Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft 22 Auflage Suhrkamp Frankfurt am Main 2014 S 106 Doxa In Nick Crossley Key Concepts in Critical Social Theory Sage London 2005 S 67f Pierre Bourdieu Meditationen Zur Kritik der scholastischen Vernunft Erste Auflage Frankfurt am Main 2010 S 24 Pierre Bourdieu Das religiose Feld Hrsg Schultheiss Franz u a Konstanz 2000 S 83f Nick Crossley Key Concepts in Critical Social Theory Sage London 2005 S 69 Gerhard Wayand Pierre Bourdieu Das Schweigen der Doxa aufbrechen In Peter Imbusch Hrsg Macht und Herrschaft Sozialwissenschaftliche Konzeptionen und Theorien Wiesbaden 1998 S 221 237 S 221 Pierre Bourdieu Jean Claude Passeron Grundlagen einer Theorie der symbolischen Gewalt In Jurgen Habermas u a Hrsg Theorie Suhrkamp Frankfurt am Main 1973 S 35 Pierre Bourdieu Entwurf einer Theorie der Praxis 1979 S 330 Pierre Bourdieu Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft S 324 Nick Crossley Key Concepts in Critical Social Theory Sage London 2005 S 69 Pierre Bourdieu Meditationen Zur Kritik der scholastischen Vernunft Erste Auflage Frankfurt am Main 2010 S 19f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Doxa Soziologie amp oldid 234353189