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Blutsbruder Ein Berliner Cliquenroman ist ein Werk von Ernst Haffner das 1932 ursprunglich unter dem Titel Jugend auf der Landstrasse Berlin in einer Auflage von 5000 Stuck im Verlag von Bruno Cassirer erschien 1933 von den Nationalsozialisten verboten und 2013 neu aufgelegt wurde Inhaltsverzeichnis 1 Handlung 2 Stil 3 Rezeption 3 1 1932 3 2 2013 4 Ausgaben 5 EinzelnachweiseHandlung BearbeitenIn dem in 20 kurze Kapitel unterteilten Werk wird geschildert wie eine Gruppe jugendlicher Obdachloser im Berlin der fruhen dreissiger Jahre ihr Uberleben meistert Die acht Jungen und jungen Manner sind zum Teil Waisen oder von zu Hause oder aus Fursorgeeinrichtungen ausgerissen Sie suchen Arbeit als Tagelohner oder Laufburschen betatigen sich als Kleinkriminelle oder prostituieren sich Die Gleichaltrigenclique ist eine wichtige Anlaufstelle da die Jungen aufgrund schlechter Erfahrungen nur wenig Vertrauen zu Erwachsenen oder Institutionen haben Trotz bitterer Armut halten die Jungen solidarisch zueinander und teilen oft ihre letzten Groschen oder Lebensmittel miteinander Haffner beschreibt ihren Alltag so Auf den Strich gehen gelegentlich einen Taler dabei verdienen und sonst hungern und hungern dass die Schwarte knackt Obdachlos so lange schon obdachlos dass eine Matratze in einer Massenherberge das Paradies ist Oder aber sich einer anderen Clique anschliessen Wieder unter einem Fuhrer arbeiten Taschendiebstahle kleinere Einbruche Autoraubereien Was gerade Spezialitat der Clique ist Seite 228 Ort der Handlung sind die Strassen und Platze der ostlichen Berliner Mitte in der Nahe des Alexanderplatzes wo die Jungen sich viel auf der Strasse und in Kneipen aufhalten Sie essen in Filialen der damals popularen Billig Restaurant Kette Aschinger halten sich in Warmehallen Bibliotheken und Kinos auf und schlafen zeitweise bei der sogenannten Schlummermutter Olga die den Jungen illegalerweise Schlafplatze in ihrer Wohnung vermietet Auch der Berliner Tiergarten spielt eine Rolle in dem Roman denn dort treffen die Jungen ihre Freier die sie zum Teil auszurauben und zu erpressen versuchen Nur wenige Kapitel spielen in einer Fursorgeeinrichtung in einem anderen Teil des Landes und beschreiben die Flucht eines Jungen von dort uber Koln nach Berlin Johnny ist als altester und mutigster der Jungen der Cliquenbulle also der Anfuhrer der Blutsbruder Um in die Gruppe aufgenommen zu werden mussen die Jungen ein Initiationsritual bestehen namlich im Beisein der Anderen innerhalb einer Stunde vier Mal Sex mit einer Frau meist mit einer Prostituierten haben Die eigentlichen Protagonisten des Romans sind Willi und Ludwig Willi ist vor der Gewalt in der Jugendfursorgeeinrichtung geflohen und unter einem Zug hangend nach Berlin gereist Dort schlagt er sich mit kleineren Diebstahlen und gelegentlicher Prostitution durch Er findet durch Ludwig Anschluss an die Blutsbruder Ludwig ist bereits zwei Jahre vorher aus dem gleichen Heim ausgebrochen und lebt schon langer auf der Strasse und gehort fest zur Blutsbruder Clique Er wird im Laufe der Handlung festgenommen da er versucht einen gestohlenen Gepackschein einzulosen der ihm jedoch untergejubelt worden war Wahrend einer Gefangenenuberfuhrung per Strassenbahn gelingt ihm die Flucht und er kehrt zu der Clique zuruck Von nun an lebt er jedoch als Illegaler bis eine Zimmerwirtin ihm mit den zuruckgelassenen Papieren eines ehemaligen Mieters aushilft Dokumente sind ein zentrales Problem der Clique denn offiziell durfen die minderjahrigen Jungen nicht ohne Einverstandnis von Erziehungsberechtigten eine Wohnung mieten oder arbeiten Um sich Geld zu beschaffen bleibt den Jungen oft nichts anderes ubrig als Straftaten zu begehen Als die Clique beginnt neben gelegentlichen Autodiebstahlen immer professioneller Taschendiebstahle an Kunden in Warenhausern zu begehen bekommen Willi und Ludwig Gewissensbisse Ihnen ist bewusst dass die Clique nicht davor zuruckschreckt auch andere Arme zu bestehlen was den beiden Jungen sehr ungerecht erscheint Sie losen sich von der Clique leben aber fortan in der Angst davor als Verrater zu gelten und verprugelt zu werden da die Jugendcliquen einen starken Treuekodex haben Ein dritter Junge der von zu Hause ausgerissene Heinz verlasst ebenfalls die Clique Er stellt sich der Polizei da er vom Uberlebenskampf auf der Strasse erschopft ist und hofft in einer Fursorgeeinrichtung besser dran zu sein Um den Blutsbrudern auszuweichen meiden Willi und Ludwig fortan das Zentrum und gehen nach Neukolln wo eine hilfsbereite Vermieterin ihnen ein Zimmer gibt Die Jungen versuchen sich in ehrlicher Arbeit und ziehen von Haus zu Haus um gunstig gebrauchte Schuhe aufzukaufen Zu Hause flicken und polieren sie die Schuhe um sie dann an Altwarenhandler weiterzuverkaufen Das kleine Geschaft lauft trotz Wirtschaftskrise erstaunlich gut und die Jungen geniessen einige Wochen lang eine unbeschwerte Zeit mit einem Dach uber dem Kopf genugend zu essen und legaler Arbeit Sie werden jedoch denunziert da sie sich unter falschem Namen in Berlin bewegen und landen erst wegen Korperverletzung an einem Erzieher in der Jugendfursorgeanstalt Willi bzw Diebstahls Ludwig im Gefangnis und dann wieder in einem Heim fur Jugendliche Willi wird an seinem 21 Geburtstag als Volljahriger aus der Fursorge entlassen und Ludwig der noch nicht volljahrig ist turmt erneut Zuruck in Berlin wohnen sie zur Untermiete bei einem Schuster am Gorlitzer Bahnhof und nehmen ihr Geschaft mit den alten Schuhen wieder auf Der Roman endet mit den folgenden Worten Die Zeit bis zu Ludwigs einundzwanzigstem Geburtstag wird sie noch manche unruhige Minute kosten Willi und Ludwig zwei aus dem Elendsheer der Grossstadtvagabunden die schon im Untergehen begriffen nicht untergegangen sind Zwei von tausenden auf der Landstrasse Berlin Seite 260 Stil BearbeitenHaffners Stil ist ein schonungsloser Realismus mit dem jene Zeit in der Berliner Stadtgeschichte intensiv dargestellt werde und zwar lebendiger begreifbarer als es ein Sachbuch je konnte meint Patrick Schirmer 1 Der Roman ist im Prasens verfasst und hat einen auktorialen Erzahler Die Sprache ist einfach und enthalt viele Redewendungen aus dem Jargon der Unterschicht in der wortlichen Rede wird viel Berliner Dialekt gesprochen Rezeption BearbeitenDas Werk aus zwanzig Kapiteln wurde verschiedenen literarischen Genres zugeordnet und so beschrieben als Fabel Siegfried Kracauer 1932 als Romanreportage und historische Asphaltliteratur Andreas Kilb in der FAZ 2013 als Milieureportage Anonym bei perlentaucher de zur NZZ Rezension 2013 bzw was dort tatsachlich steht Mileu Roman Zeitportrat anschauliche Materialsammlung Nico Bleutge in der NZZ 2013 als Episodenroman im Stil der Neuen Sachlichkeit Ina Hartwig in Die Zeit 2013 oder als Berlin Roman Jens Bisky in der SZ 2013 1932 Bearbeiten 1932 rezensierte Siegfried Kracauer das Buch begeistert 2 beziehungsweise habe eine sehr wohlwollende lobende Rezension geschrieben 3 oder eine hymnische Kritik 4 Kracauer erwahnt darin dass Haffner sich als Journalist lang zwischen Alexanderplatz und Schlesischem Bahnhof umhergetrieben hat 3 Kracauer lobte den Roman fur seine Milieuschilderungen 5 In Form einer Fabel uber die Kracauer anerkennend bemerkt dass Haffner sich nicht mit unzusammenhangenden Wirklichkeitsausschnitten begnuge 3 wurden wir zwanglos durch das unterirdische Grossstadtlabyrinth ge fuhrt Kracauer 2 Seither hatten nur wenige der Studien zur Literatur der Weimarer Republik dieses Werk erwahnt bemerkt Jens Bisky 2013 in seiner Rezension fur die Suddeutsche Zeitung 3 2013 Bearbeiten Fur Ina Hartwig liegt in Blutsbruder Lakonie in der Luft ein Sound den man von Bertolt Brecht Alfred Doblin oder Irmgard Keun kenne Hier werde mit viel Tempo Mutterwitz und Empathie erzahlt 5 Patrick Schirmer Sastre fand Blutsbruder atemraubend Er erwahnt in seiner Rezension in der Berliner Zeitung die zeitgleichen Werke Strassen ohne Ende 1931 von Justus Erhard Schluckebier 1932 von Georg K Glaser und Betrogene Jugend 1932 von Albert Lamm und bemerkt dazu dass auch diese sich in literarischer Form mit Torturen in Fursorgeanstalten und mit der Verwahrlosung arbeitsloser mannlicher Jugendlicher befassen Im Gegensatz zu Glaser erzahle Haffner von unpolitischen Jugendlichen 1 Nico Bleutge hat den Roman als Kontrast zu Walter Benjamins grossburgerliche Berliner Kindheit um neunzehnhundert gelesen in etwa derselben Zeit entstanden Das eigentliche Manko sei dass der Roman eine wir die Perspektive von unten nach oben einnehme Haffner schildere die Lage am Beispiel einzelner Jugendlicher was zwar von den Stoffen her interessant sein moge unter asthetischen Gesichtspunkten aber enttauschend sei Haffner versucht sich an einem Stil den das Fernsehen spater als Sozialreportage kultivieren wird Er konterkariere allerdings deren Sachlichkeit in einer Mischung aus Nahe und Distanz indem er stattdessen wertende einfuhlende Satze in einem fast dauernden Prasens verwende Bleutge liest Genreszenen mit Stereotypen und er meint jene seien Haffner unterlaufen also versehentlich eingesetzt Man solle das Buch nicht mit einem guten Roman verwechseln denn es sei eher eine anschauliche Materialsammlung 6 Auch Andreas Kilb in der FAZ hat ein Problem mit der von Haffner eingenommenen Perspektive dem Blick eines Rechthabers Denn Haffners Buch hat ein klares Feindbild Nicht die Polizei nicht den Staat auch nicht die Weimarer Parteien von denen nie die Rede ist sondern den burgerlichen Amusiermob mit seinem Kurfurstendammgeschmack worin Haffners Schwarzweissbild der Berliner Klassengesellschaft zum Ausdruck komme der Blick des mitfuhlenden mitleidenden Zeugen Problematisch sei dass in Tonlage und Perspektive etwas durcheinander gehe Reportage und Moritat Kilb verallgemeinert sein Lektureempfinden und meint man lese das Buch mit jenem wohligen Schauder mit dem man etwa einen wiederentdeckten Stummfilm betrachtet Es schreit aber in Schwarzweiss und resumiert ebenfalls verallgemeinernd Es tut nicht weh 4 Jens Bisky merkt ahnlich wie Bleutge an dass Haffner in seiner Beschreibung von Stricherkneipen des Berliner Westens seinen Tribut ans Klischee zahle der Leser vermutet Christopher Isherwood in einer Ecke und es bleibe vage wohingegen Haffner sonst das Bild der Stadt genau skizziere Indem er eine Geburtstagsorgie fast keusch beschreibe bereite Haffner keineswegs die Not der Jungen und das Elend fur den Amusiermob auf Bisky meint die Satze seien nicht der Beobachtung sondern der Lekture zuzuschreiben 3 Ausgaben BearbeitenJugend auf der Landstrasse Berlin Verlag Bruno Cassirer Berlin 1932 Blutsbruder Mit einem Vorwort von Peter Graf Walde Graf bei Metrolit Berlin 4 Aufl 2013 ISBN 978 3 8493 0068 5 Einzelnachweise Bearbeiten a b Patrick Schirmer Sastre Blutsbruder von Ernst Haffner Verdammt kein selbstgewahltes Schicksal Berliner Zeitung 15 August 2013 a b Ulrich Gutmair Die Punks der Weimarer Republik Ernst Haffners wiederveroffentlichter Roman Blutsbruder ist fur die radau kommunistische Berliner Jugendkultur von 1932 was Christiane F fur die Subkultur von Westberlin war ein drastischer Blick auf das Leben der Ausgegrenzten taz 19 August 2013 a b c d e Jens Bisky Willi und die verlorenen Jungs Eine Wiederentdeckung Ernst Haffners Berlin Roman Blutsbruder aus dem Jahr 1932 Zuerst in Suddeutsche Zeitung 21 August 2013 a b Andreas Kilb Gegen den Geschmack des Kurfurstendamms Ernst Haffners Romanreportage Blutsbruder von 1932 erzahlt von der verlorenen Jugend von Berlin und fuhrt den Leser zwanglos durch das unterirdische Grossstadtlabyrinth FAZ 30 August 2013 a b Ina Hartwig Bloss nich zuruck Blutsbruder der coole Sound der Weimarer Republik In Die Zeit 2 Oktober 2013 Buchmessenbeilage S 33 Nico Bleutge In der ewigen Nacht Berlins Eine Neuausgabe von Ernst Haffners verbotenem und verbranntem Milieu Roman Blutsbruder von 1932 In NZZ 24 Dezember 2013 S 43 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Blutsbruder Ein Berliner Cliquenroman amp oldid 228882358