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Dieser Artikel beschreibt die Auslegung von Artikel 3 der Europaischen Menschenrechtskonvention Verbot der Folter durch den Europaischen Gerichtshof fur Menschenrechte Inhaltsverzeichnis 1 Wortlaut 2 Auslegung von Art 3 EMRK durch den Europaischen Gerichtshof fur Menschenrechte EGMR 2 1 Verbotsbereich 2 2 Absolutheitsanspruch 2 3 Relevanzschwelle 2 4 Abgrenzung unmenschliche oder erniedrigende Behandlung Folter 2 5 Positive Handlungspflichten 3 Andere volkerrechtliche Rechtsquellen zum Folterverbot 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseWortlaut BearbeitenRechtsverbindliche Fassung in englischer Sprache Article 3 Prohibition of torture No one shall be subjected to torture or to inhuman or degrading treatment or punishment Rechtsverbindliche Fassung in franzosischer Sprache Article 3 Interdiction de la torture Nul ne peut etre soumis a la torture ni a des peines ou traitements inhumains ou degradants Ubersetzung in die deutsche Sprache Artikel 3 Verbot der Folter Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden Auslegung von Art 3 EMRK durch den Europaischen Gerichtshof fur Menschenrechte EGMR BearbeitenVerbotsbereich Bearbeiten Artikel 3 beschreibt im Gegensatz zu den Freiheitsrechten der Konvention keinen Schutzbereich sondern untersagt mit dem absoluten Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ein bestimmtes Verhalten Dieses kann auch in einem Unterlassen liegen wenn positive Handlungspflichten des Staates bestehen So sind die Mitgliedsstaaten nach der Rechtsprechung des EGMR beispielsweise verpflichtet Foltervorwurfe durch ein effektives Ermittlungsverfahren aufzuklaren 1 Zwar erwahnt Artikel 3 neben der Behandlung auch den Begriff der Strafe In der Rechtsprechung des EGMR wurde daraus aber bisher keine eigenstandige Bedeutung abgeleitet sondern die unmenschliche erniedrigende Strafe als eine Behandlung im Sinne der Vorschrift angesehen Absolutheitsanspruch Bearbeiten Das absolute Folterverbot in jeder der Tatbestandsvarianten also Folter unmenschliche oder erniedrigende Behandlung stellt einen Fundamentalwert demokratischer Gesellschaften dar Es gilt uneingeschrankt auch wenn der Staat zur Abwehr von akuten und erheblichen Gefahren z B zum Schutz vor Terrorismus oder organisierter Kriminalitat handelt 2 Das Fehlen auch immanenter Schrankenregelungen lasst sich letztlich nur mit der systematischen Bedeutung fur die Rechtsordnung als solche begrunden Das absolute Folterverbot ist ein tragendes Element auf das unsere Rechtsordnung gestutzt ist und dessen Fehlen sie insgesamt in Frage stellen wurde Es gehort zum zwingenden Volkerrecht ius cogens und beruht auf der Menschenwurde Der Schutz der Menschenwurde kann aber nur dann effektiv gewahrleistet werden wenn man die Rechtfertigung von unter das Folterverbot fallenden Handlungen von vornherein kategorisch ausschliesst In sie eingreifende Handlungen sind einer Abwagung und damit einer Rechtfertigung grundsatzlich nicht zuganglich Artikel 3 kann daher von den Mitgliedsstaaten auch bei nationalen Notfallen nicht per Vertrag ausser Kraft gesetzt werden 3 Relevanzschwelle Bearbeiten Artikel 3 verbietet aber nur Handlungen die einen gewissen Schweregrad erreichen Der EGMR beurteilt dies jeweils im Einzelfall 4 Dabei berucksichtigt er alle Umstande wie die Art und die Situation der Handlung ihre Dauer die korperlichen und seelischen Auswirkungen auf das Opfer und dessen Schutzbedurftigkeit Diese kann sich wiederum aus seinem Alter dem Geschlecht oder seinem Gesundheitszustand ergeben 5 Weiter werden der Zweck der Handlungen die dahinterstehenden Absichten und Motiven berucksichtigt 6 Behandlungen die gesellschaftlich allgemein akzeptiert sind wie etwa die Vollstreckung einer Haftstrafe 7 oder die Auferlegung korperlicher Ubungen beim Militardienst 8 erreichen diese Relevanzschwelle ohne Hinzutreten besonderer Umstande grundsatzlich nicht Nachdem der EGMR die Konvention als lebendiges Instrument also jeweils unter Berucksichtigung der aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten auslegt 9 andern sich die Anforderungen an die Relevanzschwelle mit der Zeit Dies hat in der Vergangenheit zu einem Anstieg des Menschenrechtsschutzniveaus gefuhrt indem der EGMR die Anforderungen an das Erreichen der Relevanzschwelle im Laufe der Zeit gesenkt hat So entschied der EGMR noch 1978 im Staatenverfahren Irland g Vereinigtes Konigreich 10 dass verschiedene in Nordirland bei Gefangenen angewandte Verhormethoden Uberziehen von Sacken uber den Kopf Zwang zu lang andauernden Stehen an der Wand mit ausgestreckten Armen Schlafentzug Aussetzung unter starken Larm Diathaltung mit Wasser und Brot zwar eine unmenschliche Behandlung jedoch keine Folter darstellen Im 2014 vom EGMR entschiedenen Fall Husayn g Polen 11 ging es ebenfalls um Verhortechniken die in geheimen Verhorzentren der CIA in Polen angewandt wurden Rasieren Ausziehen Tragen von Windeln bei gleichzeitigem Verbot die Toilette zu benutzen Isolierung Uberziehen von Sacken uber den Kopf Aussetzung unter starken Larm oder Licht Kalte Diathaltung In dem Urteil 2014 stufte der EGMR diese Verhortechniken als Folter ein Es spricht daher einiges dafur dass er die 1978 als unmenschlich beurteilten Verhormethoden heute als Folter klassifizieren wurde Ein Erreichen der Schwelle hat automatisch eine Verletzung von Artikel 3 EMRK zur Folge Trotzdem ist es fur die Bestimmung der gerechten Entschadigung Art 41 EMRK und unter Umstanden fur die Auswirkungen auf die Verwertbarkeit von Beweismitteln im Strafprozess unter Art 6 EMRK relevant festzustellen ob eine Misshandlung einen derartigen Schweregrad erreicht dass von Folter auszugehen ist Abgrenzung unmenschliche oder erniedrigende Behandlung Folter Bearbeiten Der EGMR versteht unter unmenschlicher Behandlung ein Verhalten das eine Korperverletzung herbeifuhrt oder zu intensiven korperlichen oder geistigen Leiden fuhrt Bei der Beurteilung des Schweregrades werden zusatzlich die konkreten Umstande herangezogen so dass ein absichtliches und systematisches Handeln die Zeitdauer der Behandlung aber auch die Schutzbedurftigkeit des Opfers berucksichtigt werden 12 Im Fall Jalloh stufte der EGMR die zwangsweise arztliche Verabreichung von Brechmitteln durch die Nase und durch eine Injektion als unmenschlich ein um ein zuvor vom Betroffenen verschlucktes Plastikpackchen sicherzustellen Die Polizei verdachtigte den Beschwerdefuhrer des Handelns mit Betaubungsmitteln Da dieser die Brechmittel nicht freiwillig einnahm musste er von vier Polizeibeamten am Boden zwangsweise fixiert werden um die Durchfuhrung der Massnahmen zu ermoglichen Der Beschwerdefuhrer der kein Deutsch sprach erbrach anschliessend eine Tute mit 0 2182 Gramm Kokain Unter erniedrigender Behandlung versteht der EGMR ein Verhalten das zu Angst Pein oder Minderwertigkeitsgefuhlen fuhrt die geeignet sind das Opfer zu erniedrigen oder zu demutigen Dabei muss die Behandlung nicht unbedingt vorsatzlich also mit dem Ziel der Erniedrigung erfolgen 13 Ein vorsatzliches Handeln ist aber ein erschwerender Umstand bei dessen Vorliegen die Relevanzschwelle von Artikel 3 eher erreicht wird Auch ein rassistischer Hintergrund wirkt erschwerend 14 Im Unterschied zur unmenschlichen und erniedrigende Behandlung geht mit dem Foltervorwurf eine zusatzliche Stigmatisierung einher Die Differenzierung erfolgt dabei zum einen nach dem Schweregrad der Misshandlung So hat der EGMR in mehreren Fallen Folter als eine vorsatzliche unmenschliche Behandlung beschrieben die sehr ernstes oder grausames Leiden herbeifuhrt Er stellte erstmals 1996 im Fall Aksoy g Turkei 18 12 1996 Az 21987 93 63 einen Verstoss gegen Artikel 3 wegen Folter fest Der Beschwerdefuhrer war in der Haft an seinen hinter den Rucken gefesselten Handen langere Zeit aufgehangt worden Zum anderen dient als Abgrenzungsmerkmal zur unmenschlichen Behandlung der verfolgte Zweck wie beispielsweise der Erhalt eines Gestandnisses oder von Informationen 15 Der EGMR hat dabei auch auf die Definition der Folter in Artikel 1 der UN Konvention gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung zuruckgegriffen 16 Positive Handlungspflichten Bearbeiten Aus Artikel 3 ergeben sich wie auch aus anderen Artikeln der EMRK fur die Mitgliedsstaaten neben reinen Unterlassungspflichten positive Handlungspflichten Dabei wird einerseits zwischen der prozessualen Pflicht jeden schlussigen Vorwurf einer Artikel 3 verletzenden Behandlung aufzuklaren 17 Der Umfang der Ermittlungspflichten gleicht denen unter Artikel 2 der EMRK Im Fall Ribitsch g Osterreich 4 12 1995 Az 18896 91 fand der EGMR eine Verletzung von Artikel 3 da Osterreich die vom Beschwerdefuhrer in der Haft erlittenen Verletzungen nicht aufklaren konnte Wahrend sich die Untersuchungspflicht zunachst nur auf Falle von Misshandlungen durch Beamte oder sonstige staatliche Angestellte erstreckte ist mittlerweile klargestellt dass die Aufklarungspflicht auch fur Handlungen von Privaten gilt 18 Andererseits ergibt sich aus Artikel 3 die materielle Handlungspflicht Folter oder unmenschliche und erniedrigende Behandlungen durch effektive praventive Massnahmen zu verhindern Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet dafur Sorge zu tragen dass niemand innerhalb ihres hoheitsrechtlichen Einflussgebiets derartigen Misshandlungen unterzogen wird Dies umfasst u a die Abschreckung durch Schaffung geeigneter Strafvorschriften die eine effektive Strafverfolgung ermoglichen und die Bestrafung der Tater Aber auch durch einen aktiven Opferschutz um Wiederholungsfalle zu vermeiden So bejahte der EGMR beispielsweise eine Verletzung von Artikel 3 in Fallen hauslicher Gewalt in denen der Staat das Opfer vor deswegen bereits verurteilten Ehepartnern nicht hinreichend geschutzt hatte 19 Andere volkerrechtliche Rechtsquellen zum Folterverbot BearbeitenArtikel 1 der UN Antifolterkonvention Ubereinkommen gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10 12 1984 definiert Folter als jede Handlung durch die einer Person vorsatzlich grosse korperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefugt werden zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Gestandnis zu erlangen Unter den Folterbegriff fallen hier anders als in Art 3 EMRK jedoch nicht automatisch jede grausame unmenschliche oder erniedrigende Behandlung da diese in Artikel 16 getrennt erwahnt werden Der Internationale Pakt fur zivile und politische Rechte von 1966 sieht in Artikel 7 das Verbot der Folter und grausamer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung vor Literatur BearbeitenDavid Harris Michael O Boyle Colin Warbrick Law of the European Convention on Human Rights 3 Auflage Oxford Univ Press 2014 ISBN 978 0 19 960639 9 Anne Peters Tilmann Altwicker Europaische Menschenrechtskonvention 2 Auflage Beck 2012 ISBN 978 3 406 63216 7 Francis Geoffrey Jacobs Robin C A White Clare Ovey The European Convention on Human Rights 6 Auflage 2014 ISBN 978 0 19 965508 3 Frederic Sudre Les grands arrets de la Cour europeenne des droits de l homme 7 Auflage 2015 ISBN 978 2 13 061877 5 Weblinks BearbeitenEntscheidungsdatenbank des EGMR abgerufen am 9 August 2015Einzelnachweise Bearbeiten Gafgen g Deutschland GK 01 06 2010 Az 22978 05 117 Chahal g Vereinigtes Konigreich 15 11 1996 Az 22414 93 Gafgen g Deutschland GK 01 06 2010 Az 22978 05 Art 15 Abs 2 EMRK Irland g Vereinigtes Konigreich Pl 18 01 1978 Az 5310 71 Jalloh g Deutschland GK 11 07 2006 Az 54810 00 Aksoy g Turkei 18 12 1996 Az 21987 93 64 Tyrer g Vereinigtes Konigreich 25 04 1978 no 5856 72 30 Ocalan g Turkei Nr 2 18 03 2014 Az 24069 03 197 04 101 Irland g Vereinigtes Konigreich Pl 18 01 1978 Az 5310 71 181 Tyrer g Vereinigtes Konigreich 25 04 1978 Az 5856 72 Selmouni g Frankreich GK 28 07 1999 Az 25803 94 101 Pl 18 01 1978 Az 5310 71 24 07 2014 Az 7511 13 511 Jalloh g Deutschland GK 11 07 2006 Az 54810 00 68 Peers g Griechenland 19 04 2001 Az 28524 95 Moldovan und andere g Rumanien 12 07 2005 Az 41138 98 El Masri g Fruhere Jugoslawische Republik Mazedonien GC 13 12 2012 Az 39630 09 197 Ilhan g Turkei GC 27 06 2000 Az 22277 93 85 Assenov and others g Bulgarien 28 10 1998 Az 24760 94 102 MC v Bulgaria 04 12 2003 Az 39272 98 151 A z B Opuz g Turkei 9 06 2009 Az 33401 02 B g Moldawien 16 07 2013 Az 61382 09Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Auslegung von Artikel 3 der europaischen Menschenrechtskonvention amp oldid 223901988