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Anything goes deutsch Mach was du willst 1 ist ein wissenschaftstheoretisches Schlagwort das der osterreichische Philosoph Paul Feyerabend in seinen beiden Werken Wider den Methodenzwang Against Method 1975 und Erkenntnis fur freie Menschen Science in a Free Society 1978 gepragt hat Es enthalt ironisch uberspitzt den Kern eines seiner Hauptargumente in beiden Buchern das sich gegen die aus dem Wiener Kreis dem Logischen Positivismus und dem Kritischen Rationalismus stammenden Wissenschafts und Erkenntnistheorien wendet Feyerabends Schlagwort wurde als Anspielung auf das gleichnamige Musical von Cole Porter UA 1934 gedeutet 2 Inhaltsverzeichnis 1 Bedeutung 2 Entstehungskontext 3 Kritik 4 Feyerabends Replik 5 Quellen 6 Literatur 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseBedeutung BearbeitenAnything goes ist nach Feyerabend die fur einen Rationalisten einzig mogliche allgemeine Beschreibung des historischen Verlaufs wissenschaftlicher Forschung In der Geschichte wurde immer wieder gegen bis dato geltende Regeln und Massstabe der Wissenschaften verstossen Dennoch bzw gerade dadurch wurden die Wissenschaften vorangebracht als prominentes Beispiel hierfur nennt Feyerabend Galileo Galilei daher gebe es ausser anything goes schlicht keine rationale und allgemeine sowie jederzeit gultige Regel was in der Wissenschaft erlaubt oder geboten sei fur die man garantieren konnte dass sie den wissenschaftlichen Fortschritt unmoglich behindern konnte Feyerabend wollte mit anything goes ausdrucken dass eine Methodologie mit Anspruch auf universelle Gultigkeit in Bezug auf die tatsachliche Wissenschaftsgeschichte zwingend inhaltsleer und nutzlos sei 3 Entstehungskontext BearbeitenIm wissenschaftstheoretischen Kontext hatte anything goes seinen Ursprung innerhalb einer u a von Feyerabend und Imre Lakatos gefuhrten Debatte In seinem 1969 fur den 1970 erschienenen Sammelband Criticism and the Growth of Knowledge eingereichten Aufsatz Falsification and the Methodology of Scientific Research Programmes verwendet Lakatos die Phrase an zwei Stellen Anything goes sei die Attitude eines skeptischen Fallibilismus der sich durch die verzweifelte Aufgabe aller intellektuellen Standards und daher auch der Idee wissenschaftlichen Fortschritts auszeichne 4 Ausserdem stellte er anything goes als mogliche Charakterisierung seiner eigenen Methodologie durch den Leser dar die Lakatos zufolge aber nur scheinbar auf radikalen Skeptizismus und darauf hinauslaufe dass Forschungsprogramme selbst durch entscheidende Experimente nicht zu Fall gebracht werden konnten 5 Feyerabend stellte in seinem Aufsatz Consolations for the Specialist erschienen im selben Sammelband wie Lakatos Aufsatz fest dass die von Lakatos aufgeweichte wissenschaftliche Methode blosser Zierrat sei der vergessen liesse dass anything goes de facto bereits angenommen wurde 6 Kritik BearbeitenGegner und Kritiker von Feyerabends Philosophie haben anything goes oft dahingehend interpretiert Feyerabend habe anything goes als Methodologie oder Prinzip der Wahrheitsfindung empfohlen 7 So stellte z B Alan Musgrave fest Feyerabends Konklusion laute dass es gar keine Regeln geben sollte 8 Ernest Gellner warf in seiner Rezension von Against Method Feyerabend vor dieser habe in einem Zirkelschluss mit dem von ihm empfohlenen Prinzip anything goes Kasperei clowning zur einzig erlaubten Strategie und richtigen Methode erklart 9 In der Folge wurde Feyerabend immer wieder vorgeworfen das ideologische Rustzeug fur anti wissenschaftliche Theorien bereitgestellt zu haben deren Prinzip anything goes sei 10 Gegen die Argumentation Feyerabends die zum anything goes fuhrt wandte Wolfgang Stegmuller ein dass normative Methodologien aufgrund historischer Fallbeispiele allein nicht widerlegt werden konnten da diese gar nicht beanspruchten die historische Entwicklung zu beschreiben Ausserdem sei der Schluss von der Aussage dass alle bisherigen methodischen Regeln mit der Wissenschaftsgeschichte kollidieren darauf dass auch alle zukunftig neu entwickelten Methodologien nicht mit der Wissenschaftsgeschichte vereinbar seien ein ungultiger Induktionsschluss 11 Weitere Kritik an Feyerabend lautet dass seine Argumentation an vielen Stellen mangelnde Prazision 12 habe und viele Schlusselbegriffe vage blieben eine Grundlage des Logischen Empirismus bzw der heutigen Analytischen Philosophie aber genau eine moglichst exakte Formulierung sei Insofern sei sein Anspruch alle moglichen Rationalitatstheorien innerhalb der Analytischen Philosophie von innen also auf der Basis ihrer eigenen Voraussetzungen ad absurdum zu fuhren und zu zeigen dass anything goes zwangslaufig folge fragwurdig 13 14 Feyerabends Replik BearbeitenMit der oben genannten Art der Interpretation seiner Argumentation in Wider den Methodenzwang setzte sich Feyerabend selbst ausfuhrlich in Erkenntnis fur freie Menschen auseinander wo er diesem Thema zwei ganze Kapitel Anything goes und Sonntagsleser Analphabeten und Propagandisten widmet Feyerabend stellte hierin fest dass es ihm mit anything goes keineswegs um die Aufstellung Empfehlung oder Verteidigung einer Methodologie sondern vielmehr um die Beschreibung des rationalistischen Ideals von Methodologie ginge Anything goes ist nicht das eine und einzige Prinzip einer neuen von mir empfohlenen Methodologie Ich empfehle keine Methodologie ganz im Gegenteil ich betone dass die Erfindung Uberprufung Anwendung methodologischer Regeln und Massstabe die Sache der konkreten wissenschaftlichen Forschung und nicht des philosophischen Traumens ist Philosophen haben in der Methodologie nichts zu suchen ausser sie nehmen an der wissenschaftlichen Forschung selbst teil Anything goes ist die Weise in der traditionelle Rationalisten die an universelle Massstabe und Regeln der Vernunft glauben meine Darstellung von Traditionen ihrer Wechselwirkung und ihrer Anderung werden beschreiben mussen Fur sie ist das Bild der Wissenschaften das aus der historischen Forschung hervorgeht und ihre Rekonstruktionen ersetzt in der Tat ohne Regel ohne Vernunft und alles was sie angesichts dieses Bildes sagen konnen ist anything goes 15 Rezensenten von Wider den Methodenzwang denen Feyerabend in Erkenntnis fur freie Menschen diese Fehlinterpretation vorwirft sind u a Hans Kung 16 Arne Naess 17 und Helmut F Spinner 17 Gellners Einwand anything goes empfehle Chaos und Willkur entgegnete Feyerabend die mit dem Slogan einhergehende Ablehnung von Regeln Standards und Argumenten beziehe sich nur auf solche die allgemein und in ihrer Anwendung situationsunabhangig seien da eine Methodologie mit solchen Regeln so lacherlich ware wie die Vorstellung eines Messinstruments das jegliche Grosse unter allen Umstanden messen konnte 18 Quellen BearbeitenPaul Feyerabend Wider den Methodenzwang Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1976 ISBN 3 518 06007 4 Paul Feyerabend Erkenntnis fur freie Menschen Veranderte Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1981 ISBN 3 518 11011 X Imre Lakatos und Alan Musgrave Hrsg Criticism and the Growth of Knowledge Volume 4 Proceedings of the International Colloquium in the Philosophy of Science Cambridge University Press London 1970 ISBN 0521096235 Literatur BearbeitenJohn Preston Gonzalo Munevar David Lamb The Worst Enemy of Science Essays in Memory of Paul Feyerabend Oxford University Press US 2000 hier vor allem S 65 70 ISBN 0 195 12874 5 Denise Russell Anything Goes in Social Studies of Science Vol 13 No 3 Aug 1983 pp 437 464 Paul Hoyningen Huene Geht wirklich alles Das missverstandene Anything goes Paul Feyerabends in Neue Zurcher Zeitung Nr 216 16 17 September 2000 S 86 PDF ca 130 kB Weblinks BearbeitenAndreas Metzner Wider den Methodenzwang Skizze einer Anarchistischen Erkenntnistheorie in Sven Pappcke und Georg W Osterdiekhoff Hrsg Schlusselwerke der Soziologie Westdeutscher Verlag Opladen 2001 152 154 doi 10 6084 m9 figshare 1327968 Paul Newall Anything goes Feyerabend and Method in Galilean Library 2005 Thomas Sukopp Anything goes Paul K Feyerabend als Elefant im Popperschen Porzellanladen Aufklarung und Kritik 1 2007 PDF 187 kB Marko Demantowsky Now we re done It s time for Feyerabend in Public History Weekly 6 2018 28 Einzelnachweise Bearbeiten Im Haupttext der deutschen Ausgabe von Wider den Methodenzwang wird der Slogan auf Englisch wiedergegeben im Register ubersetzt vgl Feyerabend 1976 S 401 409 David Stove Against the Idols of the Age Routledge 2017 ISBN 978 1 351 53338 6 S 14 google de abgerufen am 4 Oktober 2022 Vgl Preston Munevar Lamb 2000 S 12 Im Original One of the alternatives was sceptical fallibilism with its anything goes attitude the despairing abandonment of all intellectual standards and hence of the idea of scientific progress Lakatos und Musgrave 1970 S 112 Im Original The reader may even suspect that laying this much stress on fallibility liberalizes or rather softens up our standards to the extent that we will be landed with radical scepticism Even the celebrated crucial experiments will then have no force to overthrrow a research programme anything goes Lakatos und Musgrave 1970 S 157 Im Original I started by pointing out that scientific method as softened up by Lakatos is but an ornament which makes us forget that a position of anything goes has in fact been adopted Lakatos und Musgrave 1970 S 229 So z B Peter K Machamer in Feyerabend and Galileo The interaction of theories and the reinterpretation of experience in Studies In History and Philosophy of Science Part A Volume 4 Issue 1 May 1973 S 3 In characteristic overstatement Feyerabend says he wants to argue that the methodology of science is and ought to be Anything goes Diesen Standpunkt ubernimmt John G McEvoy der Feyerabend einen skeptischen Fallibilismus vorwirft in seinem Aufsatz A Revolutionary Philosophy of Science Feyerabend and the Degeneration of Critical Rationalism into Sceptical Fallibilism in Philosophy of Science Vol 42 No 1 Mar 1975 pp 49 66 He says that for any methodological rule yet proposed he will find a scientist who violated it and a good thing too And he concludes that the only sensible rule is there are no rules anything goes Feyerabend s premise each rule has a fruitful historic violation does not even if correct establish his conclusion there should be no rules in Alan Musgrave Logical versus Historical Theories of Confirmation in The British Journal for the Philosophy of Science Vol 25 No 1 Mar 1974 S 22 Spater warf Musgrave sogar Imre Lakatos vor die Position des anything goes vertreten zu haben s A Musgrave Method or Madness in Robert Sonne Cohen Paul K Feyerabend Marx W Wartofsky Essays in Memory of Imre Lakatos Springer 1976 S 478 Ernest Gellner Beyond Truth and Falsehood in The British Journal for the Philosophy of Science Vol 26 No 4 Dec 1975 S 337 338 340 Vgl Preston Munevar Lamb 2000 S 23 W Stegmuller Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie Band II Theorie und Erfahrung zweiter Teilband Theorienstrukturen und Theoriendynamik S 310 W Stegmuller weist beispielsweise darauf hin dass der Logische Empirismus carnapscher Pragung entgegen der Auffassung Feyerabends beispielsweise vertreten in Against Method Seite 179 gar keine universelle Methode fur die empirischen Wissenschaften forderte W Stegmuller Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie Band II Theorie und Erfahrung zweiter Teilband Theorienstrukturen und Theoriendynamik S 304 D Shapere Meaning and Scientific Change in Mind and Cosmos Hrsg R G Colodny Pittsburg 1966 Seite 55 W Stegmuller Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie Band II Theorie und Erfahrung zweiter Teilband Theorienstrukturen und Theoriendynamik S 300 Feyerabend 1981 S 97 Hervorhebung im Original Feyerabend 1981 S 100f a b Feyerabend 1981 S 102 Paul Feyerabend Logic Literacy and Professor Gellner in The British Journal for the Philosophy of Science Vol 27 No 4 Dec 1976 S 387f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Anything goes Schlagwort amp oldid 226774924