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Der Fall Zaunegger gegen Deutschland ist ein 2009 entschiedenes Verfahren uber eine Individualbeschwerde zum Europaischen Gerichtshof fur Menschenrechte das die gemeinsame elterliche Sorge gegenuber nichtehelichen Kindern betraf Es fuhrte zu einer Gesetzesanderung im deutschen und osterreichischen Familienrecht Inhaltsverzeichnis 1 Verfahren vor dem EGMR 1 1 Ausgangsentscheidungen deutscher Gerichte 1 2 Entscheidung des EGMR 2 Gesetzgeberische Folgen 2 1 Deutschland 2 2 Osterreich 3 Schweiz 4 Literatur 5 Weblinks 6 EinzelnachweiseVerfahren vor dem EGMR BearbeitenAusgangsentscheidungen deutscher Gerichte Bearbeiten Der Beschwerdefuhrer war Vater einer 1995 geborenen nichtehelichen Tochter Er lebte mit der Kindesmutter und der gemeinsamen Tochter bis zur Trennung 1998 zusammen Anschliessend lebte das Kind zunachst beim Vater 2001 zog es zur Mutter Das alleinige Sorgerecht stand der Mutter zu Seit 2001 war mit dem Vater ein Umgangsrecht vereinbart Im Juni 2003 beantragte der Vater die gerichtliche Anordnung der gemeinsamen Sorge nachdem die Mutter einer gemeinsamen Sorgeerklarung nicht zugestimmt hatte 1 2 Bereits mit Urteil vom 29 Januar 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht in einem anderen Fall entschieden die durch 1626 a Abs 1 Nr 1 BGB den Eltern eines nichtehelichen Kindes eroffnete Moglichkeit zur gemeinsamen Sorgetragung beruhe auf einem Regelungskonzept fur die elterliche Sorge das unter Kindeswohlgesichtspunkten den Konsens der Eltern uber die gemeinsame Sorgetragung zu deren Voraussetzung mache Die gemeinsame Sorge setze im Kindeswohlinteresse bei beiden Elternteilen die Bereitschaft voraus Verantwortung fur das Kind zu tragen Fehle es hieran und seien die Eltern zur Kooperation weder bereit noch in der Lage konne die gemeinsame Sorge fur das Kind dem Kindeswohl zuwiderlaufen Es lagen derzeit keine Anhaltspunkte dafur vor dass damit dem Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art 6 Abs 2 GG nicht ausreichend Rechnung getragen werde 3 Angesichts der Unterschiedlichkeit der Lebensverhaltnisse in die nichteheliche Kinder hineingeboren werden sei es verfassungsgemass das nichteheliche Kind bei seiner Geburt sorgerechtlich grundsatzlich der Mutter zuzuordnen Denn nichteheliche Kinder wurden nicht nur in intakten nichtehelichen Gemeinschaften geboren sondern nach wie vor auch im Rahmen fluchtiger und instabiler Beziehungen Eine gemeinsame Sorge gegen den Willen eines Elternteils wurde hier die Gefahr in sich bergen dass von vornherein Konflikte auf dem Rucken des Kindes ausgetragen wurden 4 Unter Berufung auf diese Rechtsprechung wurde die Klage vom Amtsgericht Koln abgewiesen die dagegen zum Oberlandesgericht Koln eingelegte Beschwerde zuruckgewiesen Es gebe keine Rechtsgrundlage fur die gerichtliche Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge bei nicht miteinander verheirateten Paaren ohne Zustimmung des allein sorgeberechtigten Elternteils Insbesondere die damals geltende Fassung des 1626a BGB 5 setze fur eine Beteiligung des Beschwerdefuhrers an der elterlichen Sorge die Zustimmung der Mutter oder die Eheschliessung beider Elternteile voraus Eine von dem Beschwerdefuhrer gegen die amts und die oberlandesgerichtliche Entscheidung eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde im Dezember 2003 nicht zur Entscheidung angenommen Entscheidung des EGMR Bearbeiten Der Beschwerdefuhrer rugte zum einen eine Ungleichbehandlung gegenuber der Mutter da er keine Moglichkeit habe ohne die Zustimmung der Mutter das gemeinsame Sorgerecht zu erlangen Zum anderen rugte er eine Ungleichbehandlung gegenuber verheirateten bzw geschiedenen Vatern die das gemeinsame Sorgerecht nach der Scheidung oder Trennung von der Mutter behalten konnten Der EGMR prufte den Ausschluss einer gerichtlichen Einzelfallprufung der Sorgerechtsregelung zulasten des Beschwerdefuhrers in seiner Eigenschaft als Vater eines nichtehelichen Kindes am Massstab des Art 14 Diskriminierungsverbot und des Art 8 der Europaischen Menschenrechtskonvention Recht auf Achtung des Privat und Familienlebens Mit Urteil vom 3 Dezember 2009 6 kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis das deutsche Recht sehe keine gerichtliche Uberprufung der Frage vor ob die Zuweisung der gemeinsamen elterlichen Sorge an beide Elternteile dem Kindeswohl dienen wurde Der entscheidende Punkt sei dass das gemeinsame Sorgerecht gegen den Willen der Mutter eines nichtehelichen Kindes prima facie als dem Kindeswohl nicht dienlich angesehen werde Dies habe eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung des Beschwerdefuhrers zur Folge Da der Beschwerdefuhrer sich seit der Trennung auch weiterhin um seine Tochter kummere stehe der grundsatzliche Ausschluss einer gerichtlichen Uberprufung der ursprunglichen Zuweisung der Alleinsorge an die Mutter nicht in einem angemessenen Verhaltnis zu dem damit verfolgten Ziel namlich dem Schutz des Wohls eines nichtehelichen Kindes Folglich sei in der vorliegenden Rechtssache Art 14 in Verbindung mit Art 8 EMRK verletzt worden 7 Gesetzgeberische Folgen BearbeitenDeutschland Bearbeiten Jorg Uwe Hahn Justizminister des Landes Hessen begrusste die Entscheidung des EGMR als einen guten Tag fur Vater Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser Schnarrenberger wies am selben Tage darauf hin dass das Gericht nicht die abstrakte Gesetzeslage sondern nur einen Einzelfall beurteilt habe gesetzgeberische Anderungen aber debattiert wurden 8 Mit Beschluss vom 21 Juli 2010 9 schloss sich das Bundesverfassungsgericht der Rechtsauffassung des EGMR an 1626a Abs 1 Nr 1 und 1672 Abs 1 BGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts 10 verletzten das Elternrecht des Vaters eines nichtehelichen Kindes aus Art 6 Abs 2 GG wenn er ohne Zustimmung der Mutter generell von der Sorgetragung fur sein Kind ausgeschlossen sei und nicht gerichtlich uberprufen lassen konne ob es aus Grunden des Kindeswohls angezeigt sei ihm zusammen mit der Mutter die Sorge fur sein Kind einzuraumen oder ihm anstelle der Mutter die Alleinsorge fur das Kind zu ubertragen Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung sei 1626a BGB mit der Massgabe anzuwenden dass das Familiengericht den Eltern auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge gemeinsam ubertragt soweit zu erwarten ist dass dies dem Kindeswohl entspricht 1672 BGB sei mit der Massgabe anzuwenden dass das Familiengericht dem Vater auf Antrag eines Elternteils die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge ubertragt soweit eine gemeinsame elterliche Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist dass dies dem Kindeswohl am besten entspricht Mit dem Gesetz zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern NEheSorgeRG trat das reformierte Sorgerecht fur nicht verheiratete Eltern und insbesondere eine Neuregelung von 1626a BGB mit Wirkung zum 19 Mai 2013 in Kraft Ziel war es dem Vater auch dann die Moglichkeit einzuraumen die Mitsorge fur ein nichteheliches Kind zu erlangen wenn die Mutter keine Erklarung abgibt die elterliche Sorge gemeinsam mit ihm ubernehmen zu wollen 11 Osterreich Bearbeiten Mit Entscheidung vom 28 Juni 2012 12 hob der Osterreichische Verfassungsgerichtshof unter Berufung auf den Zaunegger Fall die alleinige Obsorge fur das uneheliche Kind durch die Mutter auf 13 Mit 1 Februar 2013 ist das Kindschafts und Namensrechts Anderungsgesetz 2013 KindNamRAG 14 in Kraft Seither kann die Obsorge beider Eltern auch von unverheirateten Paaren einvernehmlich am Standesamt einmalig bestimmt werden 15 Schweiz BearbeitenDie gemeinsame elterliche Sorge ist seit 2014 auch bei unverheirateten Paaren unter bestimmten Voraussetzungen die Regel Literatur BearbeitenThomas Kreuz Corinna Jurschik Die Regelung der elterlichen Sorge nach 1626a BGB unter Berucksichtigung hochstgerichtlicher Rechtsprechung In Zeitschrift fur das Juristische Studium ZJS Nr 1 2014 pdf zur Lage in Deutschland Weblinks BearbeitenLore Maria Peschel Gutzeit Gemeinsame elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern Website der Deutschen Liga fur das Kind 2006 zur deutschen Rechtsgeschichte EGMR verurteilt Diskriminierung von Vatern nichtehelicher Kinder Zaunegger gegen Deutschland In Humanrights ch 18 August 2011 abgerufen am 19 Dezember 2015 Einzelnachweise Bearbeiten Hanna Roth Der lange Weg des Horst Zaunegger durch die Gerichtssale Memento vom 23 Dezember 2015 imInternet Archive In Sudwest Presse 4 Dezember 2009 Artikel online Michael Frohlingsdorf Dietmar Hipp Markus Verbeet Familie Der besorgte Vater In Der Spiegel 7 Dezember 2015 BVerfG Urteil vom 29 Januar 2003 1 BvL 20 99 u a BVerfG Urteil vom 29 Januar 2003 1 BvL 20 99 u a Rdnr 4 1626a BGB a F alte Fassung in der vor dem 18 August 2010 geltenden Fassung buzer de abgerufen am 31 Januar 2018 Rechtssache Z gegen DEUTSCHLAND Individualbeschwerde Nr 22028 04 Kammerurteil Zaunegger gegen Deutschland Beschwerde Nr 22028 04 Pressemitteilung des Kanzlers 3 Dezember 2009 Sorgerechtsurteil Justizminister verspricht schnelle Gesetzesanderung fur Vater In Die Zeit 3 Dezember 2009 BVerfG Beschluss vom 21 Juli 2010 1 BvR 420 09 Kindschaftsrechtsreformgesetz vom 16 Dezember 1997 BGBl I S 2942 Gesetzentwurf dr Bundesregierung eines Gesetzes zur Reform der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern BT Drs 17 11048 vom 17 Oktober 2012 Verfassungsgerichtshof Entscheidung vom 28 Juni 2012 G114 11 vgl 166 ABGB idF BGBl I Nr 135 2000 BGBl I Nr 15 2013 Obsorge beider Eltern und Kindschafts und Namensrechts Anderungsgesetz 2013 beschlossene Anderungen help gv at abgerufen am 31 Januar 2018 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Fall Zaunegger amp oldid 199777418