www.wikidata.de-de.nina.az
Unter Vorsichtsprinzip wird im deutschen Rechnungswesen der Grundsatz verstanden wonach bei der Bilanzierung alle Risiken und Verluste angemessen zu berucksichtigen sind Diese Bewertungsregel ist anzuwenden wenn aufgrund unvollstandiger Information oder der Ungewissheit kunftiger Ereignisse automatisch Beurteilungsspielraume entstehen Damit dient das Vorsichtsprinzip der Kapitalerhaltung und dem Glaubigerschutz International wird das Vorsichtsprinzip durch den Grundsatz der Fair presentation uberlagert Inhaltsverzeichnis 1 Rechtsgrundlagen 2 Folgeprinzipien 2 1 Realisationsprinzip 2 2 Imparitatsprinzip 3 Bilanzmodernisierungsgesetz BilMoG 4 Grenzen des Vorsichtsprinzips 5 Internationale Standards 6 Abweichungen vom Vorsichtsprinzip 7 Siehe auch 8 Literatur 9 EinzelnachweiseRechtsgrundlagen BearbeitenDas Vorsichtsprinzip ubernimmt im deutschen Bilanzrecht eine ubergeordnete Stellung ein Bereits das Allgemeine Deutsche HGB vom Mai 1861 zielte auf einen umfassenden Glaubigerschutz ab wobei das Vorsichtsprinzip zu den wichtigsten Leitgedanken gehorte Das heutige Vorsichtsprinzip ergibt sich aus der apodiktischen Formulierung des 252 Abs 1 Nr 4 HGB wonach vorsichtig zu bewerten ist Namentlich sind alle vorhersehbaren Risiken und Verluste die bis zum Bilanzstichtag entstanden sind zu berucksichtigen selbst wenn diese erst zwischen dem Abschlussstichtag und dem Tag der Aufstellung des Jahresabschlusses bekannt geworden sind Die gewahlte Formulierung ist zwingend und lasst dem bilanzierenden Unternehmer keine Alternative hinsichtlich der Anwendung von Ansatz und Bewertungsfragen wobei sowohl der Ansatz als auch die Bewertung von Vermogensgegenstanden und Schulden vorsichtig erfolgen muss Unter der Pramisse dass das bilanzierende Unternehmen die gesetzlichen Vorschriften beachtet und die gestatteten Beurteilungsspielraume sorgfaltig und willkurfrei ausubt ergibt sich grundsatzlich eine Bilanz die mit dem Vorsichtsprinzip konform geht 1 Der dem Vorsichtsprinzip zugrundeliegender Gedanke besagt dass die Lage eines Unternehmens nicht besser dargestellt wird als sie in Wirklichkeit ist Dass die Vermogens Finanz und Ertragslage sich moglicherweise schlechter als die Wirklichkeit darstellt wird dabei in Kauf genommen Folgeprinzipien BearbeitenDamit das Vorsichtsprinzip operabel umgesetzt werden kann sind insbesondere zwei Folgeprinzipien gesetzlich verankert und zwar das Realisations und Imparitatsprinzip Realisationsprinzip Bearbeiten Das Realisationsprinzip ist Ausdruck des traditionellen Glaubigerschutzgedankens im deutschen Recht 2 Nach 252 Abs 1 Nr 4 Hs 2 HGB sind Gewinne im Jahresabschluss nur zu berucksichtigen wenn sie am Abschlusstag realisiert sind Neben der Realisierung und Periodisierung von Ertragen regelt das Realisationsprinzip auch die Realisierung und Periodisierung von Aufwendungen Danach mussen Ausgaben in dem Geschaftsjahr als Aufwand erfasst werden in dem auch die korrespondierenden Ertrage vereinnahmt wurden Der Handelsbilanzgewinn ist somit als realisierter Periodenumsatzgewinn konzipiert 3 Es bedarf also regelmassig eines Umsatzes um Vermogensanderungen auszulosen Imparitatsprinzip Bearbeiten Im Gegensatz zu nicht realisierten Gewinnen mussen alle bis zum Abschlussstichtag vorhersehbaren unrealisierten Risiken und Verluste berucksichtigt werden 252 Abs 1 Nr 4 Hs 1 HGB Das gilt auch dann wenn sie nach dem Bilanzstichtag und bis zum Tag der Bilanzaufstellung bekannt werden wertaufhellende Tatsachen Damit sorgt das Imparitatsprinzip fur die ungleiche Behandlung unrealisierter Gewinne und Verluste Es ist ein das Realisationsprinzip korrigierendes Folgeprinzip Das Imparitatsprinzip wird sowohl beim Niederstwertprinzip und Hochstwertprinzip als auch beim Grundsatz fur drohende Verluste bei schwebenden Geschaften Ruckstellungen zu bilden angewandt Allerdings wurde das Imparitatsprinzip fur einen Teilbereich der unternehmerischen Geschaftstatigkeit durch das Bilanzmodernisierungsgesetz aufgehoben Bilanzmodernisierungsgesetz BilMoG BearbeitenSeit Inkrafttreten des BilMoG im Mai 2009 gilt das Imparitatsprinzip nicht mehr uneingeschrankt 4 Durch die Einfuhrung der Fair value Bewertung in 253 Abs 1 S 4 HGB wird das Imparitatsprinzip teilweise ausgehohlt Allerdings ist die Fair Value Bewertung im deutschen Recht wird dieser Marktwert beizulegender Zeitwert genannt nur auf bestimmte zur Erfullung von Altersversorgungsverpflichtungen erworbene insolvenzgesicherte Finanzinstrumente und Finanzinstrumente des Handelsbestands begrenzt Dadurch werden Gewinne in die Bilanz aufgenommen die noch gar nicht realisiert wurden Gewinne auf die obigen Transaktionen beschrankt sind dann ohne Umsatzakt und Gefahrenubergang erfolgswirksam zu erfassen Damit nahert sich die konservative deutsche Bilanzierung fur einen abgegrenzten Teilbereich der angloamerikanischen Rechnungslegung weiter an Fur ausgewiesene unrealisierte Gewinne besteht jedoch eine gesetzliche Ausschuttungs 268 Abs 8 HGB und Abfuhrungssperre 301 S 1 AktG Die Ausschuttungssperre fuhrt dazu dass bisher nicht vereinnahmte unrealisierte Gewinne nicht ausgeschuttet werden durfen Die Abfuhrungssperre gilt allerdings nur fur Unternehmen mit Gewinnabfuhrungsvertragen im Rahmen von Organschaften Fur Kreditinstitute besteht nach 340e Abs 3 S 1 HGB eine Sonderregelung Diese mussen einen Risikoabschlag vom beizulegenden Wert in der Hohe vornehmen die dem Unterschiedsbetrag zwischen dem beizulegenden Wert zum Zeitpunkt der Bilanzierung und der Einstellung in die Bilanz entsprechen muss 4 Der Regierungsentwurf zum BilMoG betont dass das Vorsichtsprinzip das Realisationsprinzip und das Stichtagsprinzip ihre bisherige Bedeutung behalten Einige der im Gesetzentwurf enthaltenen Vorschriften werden lediglich punktuell anders gewichtet 5 Das hierin nicht erwahnte Imparitatsprinzip hat demnach seine bisherige Bedeutung verloren Grenzen des Vorsichtsprinzips BearbeitenEine ungerechtfertigte Ubervorsicht oder gar Willkur sollen durch das Prinzip der vernunftigen kaufmannischen Beurteilung verhindert werden Damit findet die vernunftige kaufmannische Beurteilung ihre Grenzen in der uberzogenen Anwendung des Vorsichtsprinzips aus 252 Abs 1 Nr 4 HGB oder in der willkurlichen Ausnutzung von gesetzlich zulassigen Entscheidungsspielraumen 6 Der BFH hat diesen Beurteilungsspielraum bei Ruckstellungen dahingehend eingeengt dass fur den spateren Verpflichtungseintritt mehr Grunde dafur als dagegen sprechen mussen 7 Von kaum wahrscheinlichen Extremsituationen darf bei der Bewertungsvorsicht nicht ausgegangen werden 8 Dem Vorsichtsprinzip wurde angemessen Rechnung getragen wenn angenommen werden kann dass keine hohere Belastung des Jahresergebnisses eintritt 8 Selbst eine starke Betonung des Vorsichtsprinzips erfordert es nicht voraussichtlichen kunftigen Abschreibungsbedarf zu antizipieren Deshalb ist 253 Abs 3 S 3 HGB entfallen wonach ein Wahlrecht bestand Abschreibungen wegen kunftiger Wertschwankungen vorzunehmen 5 9 Internationale Standards BearbeitenDem Principle of conservatism FASB CON2 91 97 und Principle of prudence IASB 37 IAS 1 13 wird international keine Prioritat eingeraumt Nach IFRS und US GAAP ist die Fair presentation der oberste Bilanzierungsgrundsatz Hiernach muss der Jahresabschluss ein den tatsachlichen Verhaltnissen entsprechendes Bild der Vermogens Finanz und Ertragslage wiedergeben Dieser Grundsatz gilt zwar auch im deutschen Bilanzrecht 264 Abs 2 HGB doch wird er durch das Vorsichtsprinzip erheblich eingeschrankt Wahrend nach US GAAP die Fair presentation ein so genanntes Overriding principle darstellt wonach zur Erhohung der Aussagefahigkeit des Jahresabschlusses von Einzelvorschriften abgewichen werden kann oder sogar muss beinhalten die IAS IFRS eine derartige Auslegung nicht Im Rahmenkonzept englisch framework der IFRS wird dieses Prinzip als ein Unterpunkt des Grundsatzes der Verlasslichkeit englisch reliability gefuhrt F 37 Demnach dient der Grundsatz der prudence dazu mit der Bilanzierung einhergehende Unsicherheiten zu berucksichtigen und Vermogenswerte nicht zu hoch Schulden nicht zu niedrig zu bewerten Anders als in der deutschen handelsrechtlichen Rechnungslegung ist jedoch die bewusste Bildung stiller Reserven ausdrucklich untersagt Insgesamt hat das Prinzip der prudence somit in der Rechnungslegung einen wesentlich geringeren Stellenwert als das Vorsichtsprinzip in Deutschland Ansonsten wird davon ausgegangen dass die nachgelagerten Grundsatze und die Einzelvorschriften insgesamt bei Anwendung zu einer Darstellung im Jahresabschluss fuhren die dem Gebot einer glaubwurdigen Darstellung entspricht Abweichungen vom Vorsichtsprinzip BearbeitenDie starke Stellung des Vorsichtsprinzips im deutschen Bilanzrecht kommt auch darin zum Ausdruck dass ausnahmsweise vorgesehene Abweichungen hiervon erlauterungspflichtig sind Wenn Kapitalgesellschaften beabsichtigen vom Vorsichtsprinzip abzuweichen so ist dies unter Angabe der Grunde im Jahresabschluss zu erlautern Der betragliche Einfluss der Abweichung auf die Vermogens Finanz und Ertragslage ist gesondert darzustellen 284 Abs 2 Nr 3 i V m 252 Abs 2 HGB Siehe auch BearbeitenGrundsatze ordnungsmassiger Buchfuhrung Bilanzwahrheit BilanzklarheitLiteratur BearbeitenMichael Raab Die vernunftige kaufmannische Beurteilung als Bewertungstechnologie bei der Erstellung handelsrechtlicher Jahresabschlusse Ein Beitrag fur einen Weg zur Auslegung von 253 Abs 4 HGB 1991 ISBN 978 3 631 43778 0 Einzelnachweise Bearbeiten Ernst Heymann Norbert Horn Klaus Peter Berger HGB Kommentar 1995 S 187 Marc Binger Der Ansatz von Ruckstellungen nach HGB und IFRS im Vergleich 2009 S 36 Roland Euler Grundsatze ordnungsmassiger Gewinnrealisierung 1989 S 87 ff a b Thomas Drapinski Auswirkungen des Bilanzmodernisierungsgesetzes 2009 S 25 f a b BT Drucksache 16 10067 vom 30 Juli 2008 Regierungsentwurf zum BilMoG S 35 f Memento des Originals vom 19 April 2009 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www bmj bund de Torsten Blasius IFRS HGB und F amp E Besteuerung und Bilanzierung 2006 S 59 Fussnote 425 BFH Urteil vom 15 Februar 2006 BStBl II 2006 S 749 752 a b Wolfram Scheffler Besteuerung von Unternehmen II Steuerbilanz Band 2 2010 S 90 f Holger Philipps Rechnungslegung nach BilMoG 2010 S 97 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Vorsichtsprinzip amp oldid 232505181