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Universalpragmatik ist ein zentraler Terminus in der Theorie von Jurgen Habermas Er wurde von ihm seit Beginn der 1970er Jahre im Rahmen seiner Diskursethik in Auseinandersetzung mit der Transzendentalpragmatik Karl Otto Apels entwickelt In seinen spateren Werken verwendet Habermas meist den Begriff Formalpragmatik Habermas versteht die Universalpragmatik als rekonstruktive Wissenschaft die im Einklang mit den empirischen Wissenschaften unser vortheoretisches Sprach und Handlungswissen identifizieren will Sie hat die Aufgabe universale Bedingungen moglicher Verstandigung zu identifizieren und nachzukonstruieren 1 Inhaltsverzeichnis 1 Sprechakttheoretischer Hintergrund 2 Handlungsformen 3 Methodologischer Status 4 Literatur 5 QuellenSprechakttheoretischer Hintergrund BearbeitenSearle und AustinDie Grundlage der Universalpragmatik stellt die von John L Austin und John R Searle entwickelte Theorie der Sprechakte dar Im Zentrum der Theorie steht die Erkenntnis dass Sprechen immer auch Handeln also eine regelgeleitete Form des Verhaltens 2 ist Die Grundeinheit sprachlicher Kommunikation ist demnach nicht ein Symbol Wort oder Satz sondern die Hervorbringung des Symbols oder Wortes oder Satzes im Vollzug des Sprechaktes 3 Austin erlautert dass viele der traditionellen philosophischen Probleme durch die Auffassung entstanden sind Ausserungen seien entweder als Ausserungen uber Tatsachen konstative Ausserungen aufzufassen oder keiner Analyse wert Dies habe dazu gefuhrt den Umstand zu vernachlassigen dass Sprechen immer gleichzeitig auch Handeln bedeute Austin bezeichnet diese Tatsachenfixierung der Sprachanalyse auch als deskriptiven Fehlschluss 4 lokutionarer Akt illokutionarer Akt perlokutionarer AktZiel bei Austin Searle Hervorbringung einer syntaktisch semantisch korrekten Ausserung Hervorrufen eines bestimmten Verstandnisses beim Gesprachspartner Hervorbringung einer bestimmten Wirkung beim GesprachspartnerTerminologie bei Habermas ebd Inhaltsaspekt der Aussage ebd illokutionare Kraft Beziehungsaspekt der Aussage Zugeordneter Handlungsmodus bei Habermas alle kommunikatives Handeln strategisches HandelnNach Austin hat ein Sprechakt folgende Teilakte lokutionarer Akt das Hervorbringen von Ausserungen auf der artikulatorischen syntaktischen und semantischen Ebene illokutionarer Akt der Vollzug einer Ausserung in ihrer kommunikativen Geltung z B als Frage Bitte Warnung Empfehlung Drohung perlokutionarer Akt das Erzielen der vom Sprecher beabsichtigten und beim Horer auch tatsachlich eingetretenen Wirkung der Ausserung z B uberzeugen umstimmen verargern verunsichern kranken trosten HabermasHabermas ubernimmt in vereinfachter Form die Terminologie von Austin und unterscheidet zwischen einem illokutionaren und lokutionaren bzw einem Inhalts und Beziehungsaspekt von Aussagen Der Beziehungsaspekt von Aussagen wird durch den illokutionaren Bestandteil einer Sprechhandlung bestimmt und ist daher fur die generative Kraft von Sprechakten verantwortlich Diese generative Kraft des illokutiven Teils bewirkt nach Ansicht von Habermas dass ein Sprechakt uberhaupt ge bzw misslingen kann da durch seine Verwendung versucht wird eine Beziehung zwischen Sprecher und Horer aufzubauen Scheitert dieser Versuch ist die Verstandigung misslungen akzeptiert der Horer jedoch die im illokutiven Teil implizierte Form der Beziehung ist der Versuch gelungen Der von Austin als perlokutionarer Akt bezeichnete Aspekt einer Ausserung wird bei Habermas als ein bestimmter Fall des strategischen Handelns bzw allgemeiner des teleologischen Handelns behandelt Dieses bezeichnet allgemein ein Handeln das auf einen Zweck bzw das Hervorbringen eines gewunschten Zustandes ausgerichtet ist Teleologisches Handeln wird zu strategischem Handeln wenn in das Erfolgskalkul des Handelnden die Erwartung von Entscheidungen mindestens eines weiteren zielgerichtet handelnden Aktors eingehen kann 5 Eine perlokutionare Handlung wird von Habermas nun so begriffen dass sie der Definition von strategischem Handeln das Merkmal der Tauschung hinzufugt Ein perlokutionares Ziel kann ein Sprecher nur dann verfolgen wenn er den Horer uber das tatsachliche Ziel der Sprechhandlung tauscht Der perlokutionare Effekt ist fur Habermas demnach eine bestimmte Form des zweckorientierten Handelns und kann damit vom illokutionaren Handeln welches nicht zum strategischen Handeln zu zahlen ist unterschieden werden Dieses Gegenstuck zum strategischen Handeln bezeichnet Habermas als kommunikatives Handeln Ich rechne also diejenigen sprachlich vermittelten Interaktionen in denen alle Beteiligten mit ihren Sprechhandlungen illokutionare Ziele und nur solche verfolgen zum kommunikativen Handeln 6 Handlungsformen BearbeitenHabermas unterscheidet vier universelle Formen des Handelns denen entsprechende Sprechakte und Rationalitatstypen zugeordnet sind 7 Das teleologische Handeln bezieht sich auf die objektive Welt der Sachverhalte Wir entscheiden uns fur eine bestimmte Handlungsalternative die uns als das erfolgversprechendste Mittel erscheint bestimmte Zwecke zu erreichen Der Erfolg ist dabei zwar haufig von anderen Aktoren abhangig diese sind aber an ihrem jeweils eigenen Erfolg orientiert und verhalten sich nur in dem Masse kooperativ wie es ihrem egozentrischen Nutzenkalkul entspricht 8 Im normenregulierten Handeln dagegen tritt der Aktor in Beziehung zu zwei Welten der Welt der Sachverhalte und der sozialen Welt Eine soziale Welt besteht aus einem normativen Kontext der festlegt welche Interaktionen zur Gesamtheit berechtigter interpersonaler Beziehungen gehoren Ihr gehoren alle Aktoren an fur die entsprechende Normen gelten und von denen sie als gultig akzeptiert werden 9 Das dramaturgische Handeln beruht auf einer Selbstdarstellung der Aktoren Sie sind Interaktionsteilnehmer die fureinander ein Publikum bilden vor dessen Augen sie sich darstellen 10 Diese Selbstreprasentation versteht Habermas nicht als ein spontanes Ausdrucksverhalten sondern als zuschauerbezogene Stilisierung des Ausdrucks eigener Erlebnisse Im kommunikativen Handeln schliesslich gewinnt die sprachliche Dimension das entscheidende Gewicht Es bezieht sich auf die Interaktion von mindestens zwei sprach und handlungsfahigen Subjekten die eine Verstandigung uber die Handlungssituation suchen um ihre Handlungsplane und damit ihre Handlungen einvernehmlich zu koordinieren 11 Das kommunikative Handeln stellt keineswegs den Normalfall kommunikativer Alltagspraxis dar was es schwer macht es als allgemeingultig nachzuweisen Um diesen Nachweis zu leisten versucht Habermas in der Theorie des kommunikativen Handelns eine Aufarbeitung der soziologischen Ansatze zu einer Theorie der gesellschaftlichen Rationalisierung von Weber bis Parsons 12 teleologisches Handeln normenreguliertes Handeln dramaturgisches Handeln kommunikatives HandelnZentraler Handlungsbegriff Entscheidung Normbefolgung Selbstreprasentation InterpretationSprechakt konstativer Sprechakt regulativer Sprechakt expressiver Sprechakt kommunikativer SprechaktRationalitatstypus kognitiv instrumentelle Rationalitat moralisch praktische Rationalitat asthetisch praktische Rationalitat kommunikative RationalitatGeltungsanspruch Wahrheit Richtigkeit Wahrhaftigkeit VerstandlichkeitWeltbezug 13 Objektive Welt Soziale Welt Subjektive Welt reflexiver Bezug auf alle drei Welten Rolle der Sprache Einwirken auf andere Sprecher Uberlieferung kultureller Werte Konsensbildung Selbstinszenierung Verstandigung Berucksichtigung aller Sprachfunktionen Vergleich zu Kant 14 theoretische Vernunft praktische Vernunft asthetische Vernunft Einheit der VernunftSoziologisches Konzept individualistisches Programm der Soziologie Handlungstheorie von Talcott Parsons Rollentheorie Handlungstheorie von Erving Goffman Mead GarfinkelMethodologischer Status BearbeitenHabermas versteht die Universalpragmatik als rekonstruktive Wissenschaft Sie richtet sich auf das implizite vortheoretische Wissen des Sprechers das sie systematisch zu explizieren versucht Ihr Gegenstandsbereich gehort zur symbolisch strukturierten Wirklichkeit der sozialen Welt und untersucht deren Tiefenstruktur Ihr Ziel ist das explizite Wissen von den Regeln und Strukturen deren Beherrschung die Grundlage fur die Kompetenz eines Subjekts ist sinnvolle Ausdrucke zu generieren 15 Die Universalpragmatik arbeitet zwar als rekonstruktive Wissenschaft auch empirisch ihr Vorgehen unterscheidet sich aber in wichtigen Punkten von den Naturwissenschaften Die relevanten Daten fur die Bildung und Uberprufung rekonstruktiver Hypothesen werden primar durch die aktuellen Vollzuge und instrospektiven Berichte kompetenter Subjekte geliefert 16 Das implizite Wissen des Subjekts ist dabei in der Regel nicht direkt abfragbar und muss diskursiv gerechtfertigt werden Es kann durch eine maeutische Befragungsmethode bewusst gemacht werden durch die Wahl geeigneter Beispiele und Gegenbeispiele durch Kontrast und Ahnlichkeitsrelationen durch Ubersetzungen Paraphrasen usw 17 Rekonstruktive Theorien unterscheiden sich folglich von empirischen Theorien in ihrem Verhaltnis zum Alltagswissen Wahrend diese das Alltagswissen das wir zunachst vorwissenschaftlich uber einen Objektbereich besitzen wieder und durch ein korrektes vorlaufig als wahr angesehenes Wissen ersetzen konnen ist dies bei rekonstruktiven Theorien nicht moglich Ein Rekonstruktionsvorschlag kann das vortheoretische Wissen mehr oder weniger explizit und angemessen darstellen aber niemals falsifizieren Als falsch kann sich allenfalls die Wiedergabe der Sprecherintuition erweisen aber nicht diese Intuition selbst 18 Literatur BearbeitenJurgen Habermas Was heisst Universalpragmatik 1976 in Vorstudien und Erganzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns 1984 S 353 440 Jurgen Habermas Theorie des kommunikativen Handelns Bd 1 Handlungsrationalitat und gesellschaftliche Rationalisierung Bd 2 Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft Frankfurt a M 1981 ISBN 3 518 28775 3 Jurgen Habermas Diskursethik Notizen zu einem Begrundungsprogramm in Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln 1983 S 53 125 Thomas McCarthy Kritik der Verstandigungsverhaltnisse Zur Theorie von Jurgen Habermas Suhrkamp Frankfurt am Main 1989 ISBN 3 518 28382 0 S 309 329Quellen Bearbeiten Habermas Was heisst Universalpragmatik S 353 Searle Sprechakte S 31 Searle Sprechakte S 30 Austin Zur Theorie der Sprechakte S 27 u 117 Habermas Theorie des kommunikativen Handelns Bd 1 S 127 Habermas Theorie des kommunikativen Handelns Bd 1 S 396 Vgl Habermas Theorie des kommunikativen Handelns Bd I S 126 ff Habermas Theorie des kommunikativen Handelns Bd I S 131 Habermas Theorie des kommunikativen Handelns Bd I S 132 Habermas Theorie des kommunikativen Handelns Bd I S 128 Habermas Theorie des kommunikativen Handelns Bd I S 128 Habermas Theorie des kommunikativen Handelns Bd I S 198 200 Vgl Reese Schafer Jurgen Habermas S 53 Vgl Habermas Die neue Unubersichtlichkeit S 175 Vgl Habermas Was heisst Universalpragmatik S 370 Thomas McCarthy Kritik der Verstandigungsverhaltnisse S 315 Habermas Was heisst Universalpragmatik S 376 Habermas Was heisst Universalpragmatik S 372f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Universalpragmatik amp oldid 195142318