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Der moralphilosophische Ausdruck Sollensanspruch charakterisiert diejenige Eigenschaft moralischer Normen welche sie von Beschreibungen unterscheidet und ihre moralische Verpflichtung ein Sollen an eine bzw jede betroffene Person konstituiert Fast immer wurde mit dem Ausdruck Sollensanspruch dabei im Sinne Kants die These verbunden dass dieser als kategorisch unbedingt unableitbar und universal verstanden werden musse 1 Der Ausdruck wurde besonders im Gefolge Kants und in der deontologisch orientierten theologischen Ethik ab den 1970er Jahren haufiger verwendet Die mit dem Begriff Sollensanspruch verbundenen Sachfragen betreffen einerseits die formale Eigenschaft moralischer Normen im Unterschied beispielsweise zu Beschreibungen aber auch zu Normen der Etikette und Hoflichkeit andererseits auch das Problem woher ein moralischer Anspruch uberhaupt ruhrt bzw worin moralisches Sollen grundet Inhaltsverzeichnis 1 Moralische Normen als kategorische Imperative 2 Theologische Ethik 3 Siehe auch 4 Einzelnachweise 5 LiteraturMoralische Normen als kategorische Imperative BearbeitenMoralische Normen kann man als relativ auf bestimmte Zwecke Wunsche Interessen Praferenzen o a verstehen Man analysiert dann meist moralische Normen als hypothetische Imperative wenn jemand x will dann soll er y tun Wer x nicht will untersteht daher keinem moralischen Sollen bezuglich y Meist wurde von Vertretern solcher Analysen nicht beansprucht dass es auch universelle Werte Ziele Praferenzen o a gabe die jeder der uberhaupt nur etwas wollen rational uberlegt handeln oder seine Vernunft gebrauchen kann auch als solcher schon wolle Anders bei Kant und vielen deontologischen Ethikern Kant hat eine Analyse moralischer Normen als hypothetischer Imperative zuruckgewiesen Moralische Forderungen gelten nach Kant unabhangig von jeder subjektiv gewahlten Zielsetzung einer Person Moralische Normen haben also den Status universell und unabhangig von allen bestimmten Umstanden zu verpflichten Kant nennt sie daher kategorisch Moralische Normen sind nicht durch Verstandesurteile ableitbar Im Gefolge Kants hat man seine Ethik oft dahingehend charakterisiert dass sie einen unbedingten Sollensanspruch zu begrunden versuche Martin Heidegger beispielsweise hatte in seiner Einfuhrung in die Metaphysik ebenfalls den Ausdruck Sollensanspruch auf Kant bezogen der Titel des Gliederungsabschnitts Beschrankung des Seins hinsichtlich der Begriffe des Werdens Scheins Denkens und eben Sollens nimmt dabei die Stossrichtung vorweg Im Verlauf des 19 Jahrhunderts gewinnt das Seiende im Sinne Kants das Erfahrbare fur die Wissenschaften zu denen sich die Geschichts und Wirtschaftswissenschaften gesellen den massgebenden Vorrang Durch die Vorherrschaft des Seienden wird das Sollen in seiner Massstabrolle gefahrdet Das Sollen muss sich in seinem Anspruch behaupten Es muss versuchen sich in sich selbst zu grunden Was in sich einen Sollensanspruch bekunden will muss von sich aus dazu berechtigt sein Dergleichen wie Sollen kann nur von solchem ausstrahlen was von sich her solchen Anspruch erhebt was in sich einen Wert hat selbst ein Wert ist Die Werte an sich werden jetzt zum Grund des Sollens Da aber die Werte dem Sein des Seienden im Sinne der Tatsachen gegenuberstehen konnen sie ihrerseits nicht selbst sein Man sagt daher sie gelten Die Werte sind fur alle Bereiche des Seienden d h des Vorhandenen das Massgebende Geschichte ist nichts anderes als Verwirklichung von Werten 2 In der Beschreibung des Profils der kantschen Ethik hat sich seit den 1980er Jahren und besonderes unter theologischen Ethikern die Redeweise von einem unbedingten Sollensanspruch eingeburgert 3 Auch Herbert Schnadelbach formuliert in diesem Sinne Kant behauptet dass unsere eigene Vernunft selbst praktisch ist in dem Sinne dass sie selbst an uns einen unbezweifelbaren unbedingten Sollensanspruch erhebt und dass dieser Sollensanspruch in Gestalt des Kategorischen Imperativs Handle so dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten konne ein Faktum der reinen praktischen Vernunft ist 4 Auch beispielsweise Micha H Werner formuliert dass Kants Moralprinzip einen mit unbedingtem Sollensanspruch auftretende Imperative darstelle 5 Theologische Ethik BearbeitenFranz Bockle der ahnlich wie Alfons Auer ein Modell einer autonomen Moralbegrundung innerhalb der theologischen Ethik begrundet hat formuliert in seinem Hauptwerk Im Verstandnis des Schopfungsglaubens ist der unbedingte Sollensanspruch nichts anderes als die Abhangigkeit eines personal freien Selbst das in dieser seiner Freiheit total beansprucht ist uber sich in Freiheit zu verfugen 6 Dabei kann besonders akzentuiert werden dass ein unbedingter Sollensanspruch nicht nur hinsichtlich der Ethik sondern uberhaupt der Verwirklichung menschlicher Existenz fur endliche Subjekte nicht einlosbar ist was theologisch qualifiziert werden kann So beispielsweise Herbert Vorgrimler geistiges Person Sein in Erkenntnis und Freiheit ist durch den unendlichen Horizont ihrer Aktivitat auf eine Vollendung Endgultigkeit hin angelegt die es doch nie aus eigener Kraft zu erreichen vermag weil es im Tod diese Existenz u Tatigkeitsform aufgeben muss auch in seinem ethischen Sollen gelangt es nicht zur angezielten Vollendung Gluck weil es dem Sollensanspruch nie ganz gerecht wird 7 Hier haben einige Theologen Parallelen zu Emmanuel Levinas gesehen 8 Ob der Sollenanspruch im Inhalt einer Norm liegt oder ihm als formales Moment hinzukommt wird unterschiedlich gesehen ersteres vertritt beispielsweise Th Steinbuchel letzteres A Stockl 9 In der modernen Moralphilosophie wurden die unterschiedlichsten Modelle vorgeschlagen um einen an das jeweilige Subjekt oder andere Subjekte adressierten Sollensanspruch zu begrunden darunter beispielsweise von Alan Gewirth dessen Argumentation einige Parallelen zu derjenigen Immanuel Kants aufweist und in der Moraltheologie beispielsweise von Dietmar Mieth und Klaus Steigleder aufgegriffen wurde Der Tubinger Moraltheologe Dietmar Mieth ein Schuler Auers halt die kantsche Unbedingtheit konkreter materialbestimmter ethischer Normen an einigen Punkten fur zu stark beispielsweise wenn sie gegen das Prinzip Sollen setzt Konnen voraus verstosse Er erinnert auch daran dass kategorische Normen oftmals unanwendbar auf Einzelfalle sind Die tatsachlichen moralischen Fragen stellen vielmehr oft Wertvorzugsurteile im Falle eines konkreten Wertkonflikts dar wo allenfalls Modelle aber keine inhaltlich bestimmten kategorischen Forderungen weiterhelfen Neben einer sogenannten Modellethik vertritt er eine narrative Ethik im Gefolge u a von Paul Ricœur welche die Schwierigkeit betont eine Identitat des Subjekts uberhaupt zu konstituieren oder allgemeinen Massstaben prufender Rationalitat zu unterwerfen gegen eine einseitige Sicht auf moralische Unbedingtheit betont er zudem strebensethische Dimensionen Der Begriff der moralischen Identitat enthalt daher das dialektische Wechselspiel von strebensethischer Orientierung und moralischem Sollensanspruch das auf der Ebene der ethischen Theorie als Dialektik von Moralitat und Sittlichkeit reflektiert wird 10 Siehe auch BearbeitenHypothetischer Imperativ Kategorischer ImperativEinzelnachweise Bearbeiten So etwa bei F Bockle K Steigleder u a Beispielsweise spricht auch W Korff Verantwortungsethik In LThK Band 3 Nr 10 S 601 unvermittelt von einem generellen Sollensanspruch GA Band 40 S 151 Ein Beispiel unter vielen R Langthaler Zur Interpretation und Kritik der Kantischen Religionsphilosophie bei Jurgen Habermas In R Langthaler H Nagl Docekal Hrsg Glauben und Wissen Ein Symposium mit Jurgen Habermas Oldenbourg Wien 2007 ISBN 978 3 7029 0549 1 S 32 Herbert Schnadelbach Vernunft In Ekkehard Martens Herbert Schnadelbach Hrsg Philosophie Ein Grundkurs Band 1 Rowohlt Hamburg 1985 S 77 115 hier 98 Deontologische Theorien In Paul Van Tongeren Jean Pierre Wils Hrsg Lexikon fur philosophische und theologische Ethik Franz Bockle Fundamentalmoral Kosel Munchen 1977 ISBN 3 466 20124 1 S 90 Mensch In Herbert Vorgrimler Theologisches Worterbuch Herder Freiburg 2000 ISBN 3 451 27430 3 S 409 Beispielsweise Georg Schwind Das Andere und das Unbedingte Anstosse von Maurice Blondel und Emmanuel Levinas fur die gegenwartige theologische Diskussion Pustet Regensburg 2000 ISBN 3 7917 1695 6 S 205 A Saberschinsky Norm In Philosophisches Lexikon theologischer Grundbegriffe S 298 Moral und Erfahrung Band 1 S 163 Literatur BearbeitenKantJ E Atwell Ends and principles in Kant s Moral Thought Dordrecht 1986 DNB 1010831879 J Ebbinghaus Die Formeln des kategorischen Imperativs und die Ableitung inhaltlich bestimmter Pflichten In J Ebbinghaus Gesammelte Aufsatze Vortrage und Reden Darmstadt 1968 DNB 456501908 S 140 160 G Nakhnikian Kant s theory of Hypothetical Imperatives In Kant Studien Band 83 1992 H J Paton The Categorical Imperative A study in Kant s moral philosophy Philadelphia 1948 G Patzig Der Kategorische Imperativ in der Ethik Diskussion der Gegenwart In Gunther Patzig Tatsachen Normen Satze Reclam Stuttgart 1980 ISBN 3 15 009986 2 S 155 177 Dieter Schonecker Allen W Wood Immanuel Kant Grundlegung zur Metaphysik der Sitten Ein einfuhrender Kommentar 2 Auflage Schoningh Paderborn 2004 ISBN 3 8252 2276 4 H Stratton Lake Formulating Categorical Imperatives In Kant Studien Band 83 1993 S 317 340 H Wagner Kants Konzept von Hypothetischen Imperativen In Kant Studien Band 85 1994 S 78 84 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sollensanspruch amp oldid 218494790