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Als Quarzkrise wird eine existenzbedrohende und langfristige wirtschaftliche Krise der europaischen und amerikanischen Uhrenindustrie bezeichnet die durch die fast vollstandige Verdrangung der mechanischen Uhren durch die damals neuartigen elektronischen Uhren mit Quarztechnologie ausgelost wurde Sie dauerte von etwa 1970 bis Mitte der 1980er Jahre und umfasste gleichermassen die Armbanduhren wie die Grossuhrenindustrie also die Hersteller von Autouhren Weckern Tisch und Wanduhren Viele Unternehmen gingen in Konkurs die Zahl der Beschaftigten in der traditionellen Uhrenbranche sank massiv Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 1 1 Autoquarzuhren 1 2 Andere Quarzgrossuhren 1 3 Quarzarmbanduhren 1 4 Ende der Quarzkrise 2 Literatur 3 Weblinks 4 EinzelnachweiseGeschichte Bearbeiten nbsp Pionier der tragbaren Batteriequarzuhr Chronotome CC Patek Philippe Genf 1963 Erste in Kleinserien gefertigte Quarzuhren gab es bereits Anfang der 1930er Jahre Sie waren noch extrem teure und unformige Referenzzeitmesser fur Labor und Industrie In den 1940er und 1950er Jahren wurde mit tragbaren Quarzuhren experimentiert die an einem hohen Stromverbrauch krankten und wegen der klobigen Batterien doch weitgehend ortsfest waren Mit der Halbleitertechnologie kundigte sich in den 1960er Jahren ein Wandel an Erste batteriegetriebene Tischquarzuhren z B von Patek Philippe Seiko oder Junghans kamen auf den Markt Aber auch diese Uhren waren deutlich teurer als hochwertige mechanische Zeitmesser Der Durchbruch beim Publikum gelang der Quarzuhr mit der Entwicklung von Integrierten Schaltkreisen fur Teilerstufen die Ende der 1960er Jahre verfugbar wurden Dabei vollzog sich die Quarzrevolution fast gleichzeitig bei allen Uhrengruppen Auf dem Massenmarkt durchgesetzt haben sich dabei zuerst die Autouhren dann die restlichen Grossuhren und schliesslich die Armbanduhren Autoquarzuhren Bearbeiten nbsp Welterste Quarz Autouhr Q4 VDO Frankfurt am Main 1969 Um 1965 hatten mechanische und elektromechanische Uhren durch die starken Temperaturschwankungen im Auto noch einen Gangfehler von bis zu 90 Sekunden pro Tag 45 Minuten im Monat 1966 beschloss der Frankfurter Autozubehorhersteller VDO eine Quarzuhr zu entwickeln die den Markt revolutionierten sollte indem sie hundertmal genauer als herkommliche Fahrzeuguhren sein sollte 1 Die serienmassige Autoquarzuhr kam 1969 mit einer Auflage von 1000 Stuck auf den Markt 1970 begann die Grossserienproduktion mit einer Stuckzahl von uber einer Million Zunachst musste der Hersteller VDO allerdings einen Verlust hinnehmen da die Autohersteller nicht bereit waren fur die Quarzuhr einen hoheren Preis als fur eine herkommliche zu bezahlen VDO erloste fur jede Uhr nur 10 DM bei Gestehungskosten von 11 DM 1 Die Investition von rund 30 Millionen DM in Entwicklung und Beteiligung an einem amerikanischen Halbleiterhersteller zahlten sich aber trotzdem aus VDO war fur mehrere Jahre fuhrend im Autouhrenmarkt und konnte dank verbilligter Produktion die Anfangsverluste bald abtragen Zwischen 1970 und 1984 verkaufte VDO ungefahr 30 Millionen Quarzuhren fur Automobile 1 Andere Quarzgrossuhren Bearbeiten nbsp Erstes Grossserien Uhrwerk fur Tisch und Wanduhren CQ 2000 Staiger St Georgen 1971 nbsp Eine der ersten Quarzgrossuhren links Die Quarzrevolution im Grossuhrenbau ging von der Schwarzwalder Uhrenindustrie aus die bis in das letzte Drittel des Zwanzigsten Jahrhunderts Exportweltmeister fur Wecker Wand und Tischuhren war 2 1970 stellte die Freiburger Halbleiterfirma Intermetall ITT heute Micronas einen Mikrochip vor der einen siebenstufigen Frequenzteiler enthielt Unter Verwendung dieses ICs begann die mittelstandische Uhrenfirma Werner Staiger aus St Georgen 1971 mit der Serienproduktion von Chrometron CQ 2000 dem ersten preisgunstigen Quarzwerk fur den Uhrenmarkt Anfangs kostete es im Grosshandel noch etwa 100 DM Fast im Jahrestakt wurde eine neue Generation von Werken vorgestellt Die Zahl der Einzelteile sank dramatisch und damit auch der Preis 1982 lieferte Staiger ein Quarzuhrwerk fur nur noch 5 DM Um 1985 war es Staiger zusammen mit dem ortlichen Konkurrenten Kieninger und Obergfell KUNDO gelungen Quarzuhrwerke erstmals vollautomatisch herzustellen 1989 verliessen 60 000 Werke taglich die Produktion Die fusionierte Firma KundoStaiger hatte sich bis 1990 zur grossten Uhrenfirma in Europa entwickelt Der Preis fur ein Quarzwerk war bei etwa 1 40 DM angelangt Einen wesentlichen Anteil an diesem Preisverfall der Grossuhr hatte der Ersatz vieler Metallteile durch Kunststoffteile bis hin zu Zahnradern Durch Einsparung von Arbeitsgangen in der Teileproduktion Spritzgussteile und Integration von Einzelteilen zu grosseren Baugruppen wurde die Produktion einfacher und preisgunstiger Auch hier nahmen die beiden St Georgener Unternehmen Kundo und Staiger durch ihre jahrzehntelange Erfahrung mit thermoplastischen Werkstoffen eine fuhrende Rolle ein 2 Die meisten der traditionell metallverarbeitenden Betriebe der Uhrenindustrie waren nicht in der Lage die doppelte Herausforderung durch Kunststoff und Elektronik zu meistern Deshalb verschwand die Fertigung mechanischer und elektromechanischer Grossuhren in den 1970er und 1980er Jahren international bis auf wenige Reste Die fernostlichen Unternehmen erwiesen sich als die erfolgreichsten Auch die Pioniere der Quarzrevolution konnten dieser Konkurrenz die schnell die neuen Produktionsverfahren kopiert hatte auf Dauer nicht standhalten So musste KundoStaiger im Jahr 2000 Insolvenz anmelden In Baden Wurttemberg dem ehemaligen Weltzentrum der Grossuhrenproduktion sank die Zahl der Beschaftigten von 32 000 1970 uber 8200 1990 auf 1369 2009 2 Quarzarmbanduhren Bearbeiten nbsp Prototyp der ersten Quarz Armbanduhr Beta 1 des Centre Electronique Horloger CEH Schweiz 1967 nbsp Die erste kommerzielle Quarzarmbanduhr Seiko Astron mit Cal 35A kam Weihnachten 1969 in Tokyo in den Verkauf nbsp Kaliber 35A der AstronBis zum Anfang der 1970er Jahre konzentrierten sich etablierte Uhrenhersteller auf die Weiterentwicklung der mechanischen Uhr Ziel der Uhrenentwicklung ist bis heute die Verbesserung der Ganggenauigkeit und eine Erhohung der Gangreserve Weiteres Entwicklungsziel ist neben der wirtschaftlichen Fertigung auch die Langlebigkeit und Unempfindlichkeit von Werk und Gehause Durch die Verwendung eines Schwingquarzes Uhrenquarz als Taktgeber konnte die Ganggenauigkeit sogar um drei Zehnerpotenzen verbessert werden Ein Batteriewechsel war etwa einmal pro Jahr notwendig Zudem konnte ein Quarzuhrrohwerk zu einem Bruchteil des Preises gefertigt werden es bestand aus weniger Bauteilen als das mechanische Pendant und war zugleich im normalen Temperaturbereich mechanisch unempfindlicher Durch Quarz Armbanduhren wurde eine bislang ungekannte Ganggenauigkeit der breiten Offentlichkeit verfugbar gemacht die zuvor nur in Wissenschaft und Technik Verwendung fand Die damals eingefuhrten Quarzuhren CEH Beta Prototyp Beta 1 vorgestellt 1967 als weltweit erste Quarz Armbanduhr und die ab dem 25 Dezember 1969 erste kommerziell erhaltliche Quarz Armbanduhr Seiko Astron SQ ubertrafen mechanische Uhren in all diesen Kriterien 3 Bereits die fruhesten Quarzuhren furs Handgelenk waren mechanischen Armbanduhren an Genauigkeit weit uberlegen doch waren sie noch sehr teuer Weihnachten 1969 kostete die erste kaufliche Quarzarmbanduhr Seiko Astron 460 000 Yen den Gegenwert eines Kleinwagens 4 Die erste Digitaluhr Pulsar mit temporarem LED Display von Hamilton war im Erscheinungsjahr 1972 fur 2100 US Dollar erhaltlich was dem Preis eines Kleinwagens entsprach 3 Im Jahr 1974 wurde mit der Marine Chronometer von Omega SA die erste Armbanduhr als Marinechronometer zertifiziert mit einer Schwingquarz Frequenz von 2 359 296 Hz einer Gangabweichung von weniger als 12 Sekunden pro Jahr und einem Verkaufspreis von 1850 US Dollar Doch bald schon begann der rapide Preisverfall der elektronischen Armbanduhren Die Vorarbeit dafur hatte Seiko geliefert das drei Schlusseltechnologien entwickelte die bis heute das Design der Quarzarmbanduhr bestimmen der stimmgabelformige fotolithografisch hergestellte Quarzresonator die integrierte Schaltung des CMOS Typs und der Schrittschaltmotor Ab 1972 verwendete man bei Seiko Schwingquarze mit der bis heute ublichen Frequenz von 32 768 Hz Ab 1973 bezog man stimmgabelformige Resonatoren dieser Frequenz beim US amerikanischen Hochtechnologie Unternehmen Statek an dem Seiko mit 15 beteiligt war Ebenso fruh setzte man bei Seiko auf die Entwicklung kompakter Schrittmotoren zur Bewegung des Zeigerwerks und stromsparender CMOS ICs welche anfanglich von der US Firma Intersil bezogen wurden 4 Durch diese drei Faktoren konnten Quarzarmbanduhren bald in grossen Stuckzahlen weitgehend automatisiert hergestellt werden Noch 2011 produzierte Seiko 150 Millionen Quarzuhrwerke jahrlich 4 Durch die konsequente Ausrichtung der Firmenpolitik auf die Massenfertigung von prazisen wartungsarmen und preiswerten Quarzarmbanduhren bei Seiko hatte die japanische Uhrenindustrie einen Vorsprung von mehreren Jahren gegenuber der auslandischen Konkurrenz auch gegenuber dem einstigen Branchenprimus Schweiz Um 1970 hatte der Anteil der Schweiz an der Weltproduktion der weitgehend mechanischen Armbanduhren stuckzahlmassig noch etwa 50 betragen 5 Durch die Krise sanken die Beschaftigtenzahlen in der Schweizer Uhrenindustrie bis 1988 um zwei Drittel von etwa 90 000 auf etwa 28 000 6 Die Anzahl der Betriebe in der Schweizer Uhrenindustrie sank von 1600 im Jahr 1970 auf heute 600 7 In anderen Landern mit Kleinuhrproduktion wie Frankreich Deutschland oder den Vereinigten Staaten verschwand in den 1970er und 1980er Jahren die Herstellung von Armbanduhrwerken bis auf wenige Nischen Funkuhr fast vollstandig Unter den amerikanischen Uhrenherstellern uberlebte nur Timex 3 Auch Schweizer und deutsche Uhrenunternehmen verkannten den Trendwechsel auf dem Markt und japanische Uhrenhersteller uberschwemmten den Markt mit den preiswerten und genauen Quarzuhren 8 Teils kam die Entwicklung eigener Quarzkaliber zu spat teils uberforderte der schnelle Wechsel von einer Werkegeneration zur nachsten wie in Deutschland die mittelstandischen Unternehmer finanziell Auf ihre Eigenstandigkeit bedacht konnten sie sich nicht oder nur halbherzig entschliessen firmenubergreifende Kooperationen bei der Entwicklung einzugehen 9 Neben der technologischen Umstellung spielten Veranderungen der Wahrungswechselkurse und der Konjunkturverlauf eine bedeutende Rolle Wahrend der 1970er Jahre verlor der US Dollar gegenuber den Wahrungen in Landern europaischer Uhrenhersteller wie Deutschland und der Schweiz massiv an Wert Schon bevor das Bretton Woods System geregelter Wechselkurse 1973 formal aufgegeben wurde verlor der US Dollar an Wert Anschliessend stieg beispielsweise der Schweizer Franken gegenuber dem US Dollar von anfangs 1973 bis Ende 1976 nochmals um etwa ein Drittel 10 Zudem erlebte die Weltwirtschaft 1973 1974 die schwerste Rezession der Nachkriegszeit 10 Dies fuhrte zu einer Absatzkrise derjenigen europaischen Uhrenfirmen welche einen wesentlichen Anteil ihrer Exporte nach den USA und in weitere Lander mit entsprechend schwachen Wahrungen machten Japanische Hersteller profitierten davon dass der Japanische Yen nicht in demselben Mass aufgewertet wurde Ende der Quarzkrise Bearbeiten Allein der Schweiz gelang es die Entwicklung zugunsten der einheimischen Uhrenindustrie zu beeinflussen Als einer der entscheidenden Schritte zur Trendwende kann das Engagement des damaligen Insolvenzverwalters und Unternehmensberaters Nicolas Hayek angesehen werden Hayek sollte die beiden damals stark angeschlagenen Unternehmen ASUAG Allgemeine Schweizerische Uhrenindustrie AG und SSIH Societe Suisse de l Industrie Horlogere aus der Krise fuhren Er organisierte ab 1983 die Fusion der beiden Unternehmen erhohte die Produktivitat der Fertigung durch Automatisierung brachte mit der Swatch eine preiswerte Quarzuhr mit abwechslungsreichem Design auf den Markt und sorgte auch fur die Auslastung der Zulieferfirmen Nivarox FAR und Comadur durch den Bau einer Swatch Automatik Uhr mit dem Kaliber 2842 des Herstellers ETA Im Zuge der Automatisierung reduzierte er die Anzahl der notwendigen Bauteile einer Swatch auf 51 im Vergleich zu mindestens 125 Teilen bei einer mechanischen Uhr 3 Hayek erkannte auch dass der Begriff Swiss Made immer noch einen erheblichen Image Faktor beim Kauf darstellen konnte und setzte dies bei der Vermarktung gezielt ein Der Verkauf von mechanischen Uhren nahm ab den 1990er Jahren im mittleren und oberen Preissegment wieder zu aufgrund der Vorliebe vieler Kaufer fur den asthetischen und in seiner Funktionsweise leichter nachvollziehbaren Mechanismus 2012 war der Umsatz mit mechanischen Schweizer Uhren hoher als derjenige mit uber einer Milliarde elektronischer Zeitmesser aus Asien 11 Literatur BearbeitenJohannes Graf Hrsg Die Quarzrevolution 75 Jahre Quarzuhr in Deutschland 1932 2007 Vortrage anlasslich der Tagung im Deutschen Uhrenmuseum Furtwangen am 20 und 21 August 2007 Furtwangen 2008 ISBN 978 3 922673 27 9 Lucien F Trueb Kinder der Quarzrevolution La Chaux de Fonds bzw Oberhausen 2008 ISBN 978 3 89896 351 0 Lucien F Trueb Zeitzeugen der Quarzrevolution La Chaux de Fonds bzw Oberhausen 2006 ISBN 978 3 89896 255 1 Weblinks BearbeitenSpiegel online zur Geschichte der QuarzarmbanduhrEinzelnachweise Bearbeiten a b c Gunther Hahlganss Die Quarzuhr bei VDO in Die Quarzrevolution 75 Jahre Quarzuhr in Deutschland 1932 2007 Hrsg v Johannes Graf Furtwangen 2008 S 138 147 a b c Johannes Graf Von Hundert auf Null in 40 Jahren Die deutsche Grossuhrenindustrie in der Nachkriegszeit in Deutsche Gesellschaft fur Chronometrie Jahresschrift Bd 50 2011 S 241 262 zur Quarzkrise besonders S 248 260 a b c d Carlene Stephens Maggie Dennis Engineering time inventing the electronic wristwatch British Journal for the History of Science 2000 33 477 497 Memento vom 13 Oktober 2015 im Internet Archive PDF 2 5 MB abgerufen am 25 Januar 2012 a b c Lucien F Trueb Gunther Ramm Peter Wenzig Die Elektrifizierung der Armbanduhr Munchen 2011 zur Vorreiterrolle von Seiko bei der Massenfertigung von Quarzarmbanduhren besonders S 109 111 David Landes Revolution in Time Clocks and the Making of the Modern World Cambridge Massachusetts 2000 ISBN 978 0674002821 Joe Thompson 1969 Seiko s breakout year In Watchtime 2009 Smithsonian Institute Watch Wars Switzerland Memento vom 2 Juli 2007 im Internet Archive Abgerufen am 8 April 2013 Cooke P and Hastings J New Industries Imperative for Agriculture s Survival Regional Australia Summit Oct 27 29 1999 at page 8 Johannes Graf Herausforderung Quarzuhr Die deutsche Uhrenindustrie in den 1970er Jahren in Die Quarzrevolution S 62 76 zur Krise der Armbanduhr in Deutschland bes 70 74 a b Franz E Aschinger Das neue Wahrungssystem Von Bretton Woods bis zur Dollarkrise 1977 F Knapp Frankfurt a M 1978 ISBN 3 7819 0191 2 S 27 32 Lucien F Trueb Die Quarzrevolution Von der Mechanik zur Elektronik und zuruck In Franz Betschon et al Hrsg Ingenieure bauen die Schweiz Technikgeschichte aus erster Hand S 354 374 Verlag Neue Zurcher Zeitung Zurich 2013 ISBN 978 3 03823 791 4 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Quarzkrise amp oldid 236273002