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Potsdamer Platz ist der Titel eines grossformatigen Gemaldes aus dem Zyklus der Strassenszenen des expressionistischen Malers Ernst Ludwig Kirchner aus dem Jahre 1914 Es zeigt in einer mitternachtlichen Szene zwei elegant gekleidete Kokotten wie in Berlin die Prostituierten genannt wurden 1 die fur Freier auf einer Verkehrsinsel am Berliner Potsdamer Platz posieren 2 Die Kunstgeschichte betrachtet es als Hauptwerk von Kirchners Berliner Bildern mit Strassenszenen aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Seit 1987 ist es in der neuen Berliner Nationalgalerie ausgestellt Potsdamer PlatzErnst Ludwig Kirchner 1914Ol auf Leinwand200 150 cmNeue Nationalgalerie BerlinVorlage Infobox Gemalde Wartung Museum Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte Bildinhalt und Provenienz 2 Die Kriegerwitwe Soziale Not und Prostitution 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseGeschichte Bildinhalt und Provenienz BearbeitenDas Bild hat das Hochformat 200 150 cm Es befand sich jahrelang in diskretem Privatbesitz kam 1987 als Leihgabe an die Berliner Nationalgalerie und wurde 1999 schliesslich gekauft Ausgestellt wurde das Werk unter anderem 1918 im Kunsthaus Zurich 1958 im Museum Folkwang in Essen und in Raleigh USA Zu sehen war es auf der documenta II in Kassel in Paris in Dusseldorf und 1963 in der Darmstadter Ausstellung Zeugnisse der Angst in der modernen Kunst Es folgte London 1964 und 1979 Berlin und Koln Ausstellung anlasslich von Kirchners 100 Geburtstag In den 1990er Jahren wurde das Werk in Madrid und Dusseldorf gezeigt 3 Kirchners Bild gehort zu den sogenannten Berliner Strassenszenen einer Serie von Bildern die nach seinem Umzug von Dresden nach Berlin in den Jahren 1913 und 1914 entstanden sind Es zeigt eine mitternachtliche Situation am Berliner Potsdamer Platz mit zahlreichen Figuren die Passanten darstellen und sich in verschiedene Richtungen bewegen Die Manner tragen schwarze Kleidung und drei Frauen sind rosa gekleidet Im Vordergrund des Gemaldes auf einer Art Verkehrsinsel die auch als perspektivisch sehr schrag dargestellten Prasentierteller von dem man leicht abrutschen kann aufgefasst werden kann stehen dicht beieinander zwei elegant gekleidete Damen der Halbwelt Prostituierte die bereit fur Anbahnungen sind Die linke rothaarige Frau gibt sich als schwarzgekleidete Kriegerwitwe mit Gesichtsschleier was auf eine Fertigstellung der Figur erst nach dem Kriegsbeginn im August 1914 schliessen lasst und wird im Profil gezeigt Die rechte tragt ein preussischblaues Kleid und ist en face dargestellt Beide tragen hochhackige schwarze Schuhe Die blau gekleidete Frau scheint ihrer Kollegin mit dem rechten Fuss einen kleinen Schubs zu geben sie soll wohl beiseitetreten Die stolze Pose der Frauen wird durch die extravaganten Hute und den abweisenden maskenhaften Gesichtsausdruck der schmalen Gesichter noch verstarkt Die mannlichen Figuren im Hintergrund sind mogliche Freier die zur Kontaktaufnahme die Strasse uberqueren werden Im Hintergrund des Bildes ist der Potsdamer Bahnhof zu erkennen dessen Uhr Mitternacht anzeigt Am linken Bildrand liegt ein Vergnugungspalast mit dem damals bekannten Treffpunkt Cafe Piccadilly das spatere Haus Vaterland 4 Die beiden Frauen sind die Nachtclubtanzerinnen Erna Schilling und ihre Schwester Gerda Kirchners Berliner Freundinnen mit denen er in einer Dreierbeziehung lebte Sie sind in dem grossformatigen Gemalde annahernd lebensgross dargestellt Kirchner empfahl daher das Bild in Bodennahe zu hangen Umgebung und Bildhintergrund mit den anderen Figuren erscheinen disproportioniert und verzerrt Nicht der Platz ist das Thema des Werkes sondern das Verhaltnis der Figuren zueinander Die Verbindung zwischen Vorder und Hintergrund des Gemaldes bilden die links und rechts der Frauen platzierten Manner mit ihren gespreizten Beinen Einer der Manner derjenige der von rechts auf die Frauen zuschreitet hat nach Ansicht von Jens Bisky Ahnlichkeit mit Kirchners Kunstlerkollegen Otto Mueller Dessen besonders schrag auf dem Kopf sitzender Hut soll demnach auf die in der Luft liegende Katastrophe des Ersten Weltkriegs hinweisen Noch hat der Burger den Hut auf dem Kopf Aber bald wird er Hut und Kopf verlieren 5 Die Frauen wenden sich von den Mannern ab zieren sich was die vom Kunstler intendierte erotische Spannung zwischen den Figurengruppen noch erhoht In diesem Bild gelingt es dem Kunstler eine atmospharisch nervose Spannung zwischen den isolierten und entfremdeten Einzelfiguren der Architektur der Szene und ihrer Farbigkeit zu erreichen Die unwirklichen Rot und Rosatone die ausstrahlenden Gruntone des Strassenbelags durchaus durch den hohen Grunanteil der Altberliner Gasbeleuchtung zu erklaren und die spitzwinkelige Komposition mit keilartigen V formigen Zuspitzungen in den Vordergrund erzeugen ein aggressives Element in dem Bild Kirchner selbst beschreibt in seinem Ruckblick mit dem Titel Das Werk von 1925 die Komposition seiner Strassenszenen als gegenstandslose Empfindungen und dass das Gefuhl das uber einer Stadt liegt wie sich die Menschen im Gedrange komponieren und in Bahnen bewegen als eine Art von Kraftlinien aufgefasst werden kann Das Bild wurde wahrscheinlich im Fruhjahr 1914 begonnen aber erst nach Kriegsbeginn im August fertiggestellt Es gibt einen Holzschnitt von Ernst Ludwig Kirchner der seitenverkehrt eine ahnliche Szenerie zeigt 6 Der amerikanische Kunsthistoriker und Spezialist fur den deutschen Expressionismus Donald E Gordon schreibt in seinen kritischen Verzeichnis der Werke Kirchners dass in diesem Bild zum ersten Mal der architektonische Hintergrund des Potsdamer Platzes stark in Erscheinung trete genau bestimmbar sei und daher die schon fruher bei Kirchner gebrauchlichen Verzerrungen von Raum und Grossenverhaltnissen ein erregendes Hochstmass an Traumhaftigkeit und Abnormitat erreichen 7 nbsp Kohlezeichnung 1914 nbsp Holzschnitt 1914 Die Kriegerwitwe Soziale Not und Prostitution BearbeitenDie Darstellung der linken Frau als Kriegerwitwe hat nach Ansicht der Marburger Kunsthistorikerin Hyang Sook Kim in diesem Bild Kirchners eine besondere Bedeutung Prostituierte die sich nach dem Deutsch Franzosischen Krieg 1870 1871 als Witwen zu erkennen gaben waren besser vor den Repressalien der Polizei geschutzt Die Kriegerwitwe steht einerseits fur die gesellschaftliche Verpflichtung zur Trauer und Enthaltsamkeit ist aber andererseits als junge Frau die im Krieg ihren Ehemann verloren hat durch ihre wirtschaftlich schlechte Lage Renten wurden nach Dienstgrad gezahlt nicht nach der Dauer des Kriegseinsatzes auf das Verdienen des Lebensunterhalts durchaus auch durch Prostitution angewiesen Sie ist wieder sexuell verfugbar und wird dadurch zum Objekt des anderen Geschlechts degradiert In diesem Bild wirkt der Kopfschleier wie ein Kafig was darauf schliessen lasst dass Kirchner die Absicht hatte den Betrachtern dieses Bildes den Widerspruch der Gesellschaft jener Zeit zu verdeutlichen in der einerseits soziale Missstande Kriegerwitwen zur Prostitution treiben konnten andererseits aber die Frauen Trauer zu tragen hatten und keine aufreizende Kleidung Posen oder Gesten zeigen durften Der Witwenschleier dient in der patriarchalischen Gesellschaft also der Kontrolle der weiblichen Sexualitat Ernst Ludwig Kirchners von Emotionen gesteuerte Sichtweise auf die Frauen reduziert sie nicht nur in diesem Bild zu seinen Empfindungstragern Hier manifestiert sich vor allem sein uberspanntes seelisches Innenleben besonders deutlich 1914 war fur Kirchner ein besonderes Jahr es schien dass er nach der Auflosung der Kunstlervereinigung Brucke auch allein in der Kunstwelt Erfolg haben wurde doch der Erste Weltkrieg machte seinen Hoffnungen ein Ende Kirchner entwickelte zunehmend eine angstbedingte Nervositat die spater sogar als krankhaft bezeichnet werden konnte 1915 meldete er sich zwar freiwillig unfreiwillig zum Militar aber seine personliche Krise konnte er damit nicht uberwinden sie fuhrte bei ihm vielmehr zu einer Anderung des Frauenbildes von der Fiktion eines idealen Zusammenlebens zu negativen Gefuhlen die zur Damonisierung von Frauen und vor allem der Huren fuhrte 8 9 10 Literatur BearbeitenDonald E Gordon Ernst Ludwig Kirchner Mit einem kritischen Katalog samtlicher Gemalde aus dem Englischen von Lucius Grisebach Prestel Munchen 1968 OCLC 18034159 S 100 ff Will Grohmann Das Werk Ernst Ludwig Kirchners K Wolff Munchen 1926 OCLC 3981265 S 34 Roland Marz Ernst Ludwig Kirchner Potsdamer Platz 1914 Patrimonia 195 Kulturstiftung der Lander Berlin 2000 OCLC 646539075 Hyang Sook Kim Die Frauendarstellungen im Werk von Ernst Ludwig Kirchner verborgene Selbstbekenntnisse des Malers Tectum Verlag Marburg 2002 ISBN 3 8288 8407 5 Weblinks BearbeitenInternetseite Kulturstiftung der Lander mit einer Beschreibung des Bildes in Patrimonia Nr 85 2000 Freunde der Nationalgalerie YouTube Video mit einer Bildbetrachtung von Joachim JagerEinzelnachweise Bearbeiten Magdalena M Moeller Hohepunkt des Expressionismus Kirchners Berliner Stil des Jahre 1911 1914 In Magdalena M Moeller Hrsg Ernst Ludwig Kirchner Gemalde Aquarelle Zeichnungen und Druckgraphik eine Ausstellung zum 60 Todestag Hirmer Munchen 1998 S 30 Magdalena M Moeller Hohepunkt des Expressionismus Kirchners Berliner Stil des Jahre 1911 1914 In Magdalena M Moeller Hrsg Ernst Ludwig Kirchner Gemalde Aquarelle Zeichnungen und Druckgraphik eine Ausstellung zum 60 Todestag Hirmer Munchen 1998 S 33 f bildindex der Kunst und Architektur Abgerufen am 23 Mai 2016 Bitte Potsdamer Platz Kirchner in Suchmaske eingeben Kolja Kohlhoff Die Alte und Die Neue Nationalgalerie Berlin Nicolaische Verlagsbuchhandlung Berlin 2004 ISBN 3 89479 134 9 S 14 f Jens Bisky Barrikaden und Cafes In art Das Kunstmagazin Heft 05 2009 online Memento des Originals vom 13 April 2015 im Internet Archive nbsp Info Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht gepruft Bitte prufe Original und Archivlink gemass Anleitung und entferne dann diesen Hinweis 1 2 Vorlage Webachiv IABot www art magazin de Ausstellungskatalog der Berliner Nationalgalerie Ernst Ludwig Kirchner Berlin 1979 S 194 ff Donald E Gordon Ernst Ludwig Kirchner Mit einem kritischen Katalog samtlicher Gemalde Munchen 1968 S 100 ff S 327 Hyang Sook Kim Die Frauendarstellungen im Werk von Ernst Ludwig Kirchner Verborgene Selbstbekenntnisse des Malers Dissertation Marburg 2002 S 140 ff Lucius Grisebach Ernst Ludwig Kirchner Grossstadtbilder 2 Auflage Munchen 1989 S 55 Eberhard Kornfeld Ernst Ludwig Kirchner Nachzeichnung seines Lebens Katalog Kirchner Haus Davos Bern 1979 S 337 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Potsdamer Platz Gemalde amp oldid 235729558