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Montaillou Ein Dorf vor dem Inquisitor 1294 1324 ist ein Buch des franzosischen Annales Historikers Emmanuel Le Roy Ladurie Das Werk wurde erstmals 1975 unter dem Titel Montaillou village occitan de 1294 a 1324 in Paris veroffentlicht Le Roy Ladurie setzt sich darin mit den zwischen 1318 und 1325 entstandenen Inquisitionsakten von Bischof Jacques Fournier dem spateren Papst Benedikt XII uber das Dorf Montaillou auseinander 1 Anhand dieser Quellen versucht Le Roy Ladurie die gedankliche und alltagliche Welt der Bewohner von Montaillou um die Wende vom 13 zum 14 Jahrhundert zu rekonstruieren und arbeitet zugleich die sozialen Strukturen innerhalb einer Gesellschaft heraus Die Monografie von Le Roy Ladurie gilt heute als ein Standardwerk der Mikrogeschichte Inhaltsverzeichnis 1 Synopsis 1 1 Hintergrund 1 2 Okologie von Montaillou Das Haus und der Hirte 1 3 Archaologie von Montaillou Von der Gebarde zum Mythos 2 Konzept 3 Rezeption 4 Ausgaben 5 EinzelnachweiseSynopsis BearbeitenHintergrund Bearbeiten Der zwanzigjahrige Kreuzzug der romisch katholischen Kirche und des franzosischen Konigs gegen die okzitanischen Andersglaubigen auch Albigenser oder Katharer genannt endete 1229 mit dem Friedensschluss in Meaux und der faktischen Annexion der Region des Languedoc durch Frankreich 1 19 Dies war aber nicht genug um in Okzitanien die heterodoxe Stromung der Katharer zu unterbinden welche sich fast ein Jahrhundert spater in den entlegenen Gebirgstalern des Sabarthes nach wie vor hielt so auch in der Ortschaft Montaillou Dieses abgelegene Dorf im Suden der Grafschaft Foix lag am Ostufer des Hers etwas nordlich von der Stadt Ax les Thermes wo der Fluss dann in der Ariege mundet Den Ort gibt es heute noch auch wenn er sich nicht ganz an derselben Stelle befindet wo er einst lag Montaillou 1 7 8Als schliesslich 1317 Jacques Fournier Bischof der Diozese von Pamiers wurde zu der auch die Grafschaft von Foix gehorte ruckte erstmal Montaillou in sein Blickfeld Fournier war nicht nur Bischof sondern auch Inquisitor der bemuht war die Rechtglaubigkeit der ihm unterstellten Gemeinden zu gewahrleisten 1 23 Hierzu legte Fournier zwischen 1318 und 1325 Protokolle in lateinischer Sprache von seinen Befragungen als Inquisitor an Das Manuskript dieser Protokolle befindet sich heute in der vatikanischen Bibliothek und wurde 1965 von Jean Duvernoy ediert und unter dem Titel Le Registre d Inquisition de Jacques Fournier Eveque de Pamiers 1318 1325 veroffentlicht Die edierte Version der Inquisitionsakten ist die Hauptquelle in der Monografie von Emmanuel Le Roy Ladurie Ihm zufolge zeigen die Protokolle auf wie die Bauern von Montaillou in eigener Sache reden 1 7 Zudem war aus der Sicht von Le Roy Ladurie Bischof Fournier ein pflichtbewusster Mann der als Inquisitor nicht nur geduldig bemuht war alles herauszufinden was seine Zeugen wussten sondern auch gewissenhaft besorgt das zur Sprache Gekommene Wort fur Wort schriftlich festgestellt zu sehen 1 7 Okologie von Montaillou Das Haus und der Hirte Bearbeiten Le Roy Laduries Werk besteht im Grunde aus zwei Teilen Der erste Teil umfasst sieben Kapitel und thematisiert die Okologie von Montaillou Darin stellt er die zwei wichtigsten Gewerbegruppen im gebirgigen Suden der Grafschaft Foix vor zum einen die Bauern und zum anderen die Schafer Die Bauern bestellten das Land betrieben Viehzucht und stellten die grosste soziale Gruppierung in Montaillou dar Die zentrale Einheit im Leben einer jeden Bauernfamilie war das Haus das nicht nur die Kernfamilie sondern auch Sachguter Land Tiere den Haushalt Gaste Verwandte etc miteinschloss In Fourniers Akten wurde fur den Begriff Haus die Ausdrucke domus ostal oder hospicium verwendet 1 55 56 Die einzelnen Haushalte in Montaillou standen im regen Austausch mit anderen So gab es Hauser die einander freundschaftlich feindschaftlich oder neutral gesinnt waren Dem Haus kam aber auch eine religiose Funktion und Bedeutung zu So konnte man gemass der albigensischen Lehre anstatt in der Kirche in seinen eigenen Raumlichkeiten den Glauben praktizieren Aus diesem Grund spielte das Netzwerk der einzelnen Hausgemeinschaften in Montaillou eine tragende Rolle in der Wiedererrichtung und Ausbreitung des Katharismus 1 57 Gemass Fourniers Akten soll es elf heterodoxe und funf katholische Hauser in Montaillou gegeben haben einige von diesen wechselten manchmal auch das Lager wie das Haus der Clergues 1 61 Le Roy Ladurie widmet sich in einem ganzen Kapitel der Familie Clergue die zeitweilen die reichste und einflussreichste Familie in Montaillou war Besonders fur den Hausherr Pierre Clergue welcher Dorfpfarrer und Anhanger des Katharismus zugleich war scheint sich der Historiker zu interessieren Nach den Bauern war die zweitstarkste Gruppe im Dorf die der Schafer Der Lebensrhythmus der Schafer war von der Okologie und Chronologie der Transhumanz 1 142 bedingt Dies bedeutete dass die Hirten ein Dasein als Wanderer fristeten da sie die Weideplatze fur ihre Schafsherden jahrlich mehrmals wechselten Die Schafer aus Montaillou organisierten sich in sogenannten cabanes zu Deutsch Hutten So erfolgte nach der Sommer Cabane auf den Weiden in den Pyrenaen die Winter Cabane in Katalonien 1 135 Exemplarisch anhand der Person des Pierre Maurys zeigt Le Roy Ladurie auf wie die Welt und das Leben eines solchen Schafers aus Montaillou aussah und inwiefern Hirten empfanglich waren fur die Lehren des Katharismus Er spricht unter anderem auch das Freiheitsgefuhl die Offenheit die teils egalitaren Werte und die fatalistische Perspektive der Hirten an Gemass Le Roy Ladurie ubt aber genau die fahrende Gesellschaft der Hirten eine starkere Anziehung aus als die auf ihre domus beschrankten Familien sesshafter Bauern 1 158 Archaologie von Montaillou Von der Gebarde zum Mythos Bearbeiten Im zweiten umfassenderen Teil widmet sich Le Roy Ladurie der Archaologie von Montaillou Er setzt sich hier ausgiebig mit der Mentalitat der Einwohner Montaillous auseinander So thematisiert er in diesem Teil die Vorstellungen der Leute in Bezug auf Liebe und Ehe Kindheit und Alter Religion und Magie Moral und Arbeit und dem Diesseits und dem Jenseits Le Roy Ladurie fuhrt etwa aus wie das Liebesleben der Dorfbewohner ausserst unterschiedliche Formen annahm So gab es fluchtige Liebesaffaren Manner die Verhaltnisse mit Konkubinen eingingen langandauernde Beziehungen und viele arrangierte Ehen aber auch Inzest und Vergewaltigungen Zudem kam es in Montaillou des Ofteren vor dass ein verheirateter Mann oder eine verheiratete Frau ausserhalb der Ehe noch andere Liebschaften pflegten In diesem Zusammenhang spricht Ladurie von einer Kultur der Promiskuitat 1 169 und weist darauf hin dass die Kirche ausserst tolerant mit der epikuraische n Sexualmoral 1 179 der einfachen Leute umging Uberdies veranschaulichte das Kapitel Die Libido der Clergues wie sich das Liebesleben der Mitglieder eines Haushaltes ausgestalten konnte vor allem der lusterne Dorfpfarrer Pierre Clergue mit seinen unzahligen Liebschaften steht hier erneut im Fokus Ladurie beschreibt unter anderem auch in welchem Verhaltnis die Menschen von Montaillou zur Religion standen Die Leute glaubten etwa dass man nicht direkt mit Gott in Kontakt treten konnte und auf die Hilfe von Mittlern im Fall der Katholiken auf den Pfarrer und im Fall der Katharer auf den bonhomme bzw parfait angewiesen war 1 252 Jedoch waren die Grenzen zwischen Heterodoxie und Orthodoxie nicht in Stein gemeisselt So kam es durchaus vor dass Bewohner die den katharischen Ideen und den bonhommes wohlgesonnt waren dennoch am sonntaglichen Gottesdienst teilnahmen 1 329Konzept BearbeitenIm ersten Teil befasst sich Le Roy Ladurie mit Strukturen die uber eine langere Zeitspanne unverandert bleiben 2 So thematisiert er in der Okologie von Montaillou das Haus welches im Leben der Bauer als wichtigste soziale Einheit fungiert und spricht den Lebensrhythmus der Schafer an Hiermit knupft er am Ansatz der Longue duree an welche massgeblich von seinem Lehrer Fernand Braudel gepragt wurde Im Teil zur Archaologie von Montaillou dreht sich alles um die Kulturformen Mentalitat der Bewohner die eine gewisse Dauerhaftigkeit besitzen 2 78 Le Roy Ladurie bildet hierbei die Gefuhle Gedanken Ideale und Vorstellungen der Bewohner von Montaillou zwischen dem 13 und 14 Jahrhundert ab und versucht zu erklaren wie diese sich wiederum auf das Handeln der Menschen auswirkte und ihre Haltung in spezifischen Situationen bestimmte Mentalitatsgeschichte 3 Ihm zufolge spricht dabei nicht nur der Bauer sondern auch die Kultur fur sich selbst 1 384Le Roy Ladurie bringt folglich den Ansatz der Longue duree und der mentalitatsgeschichtlichen Forschung zusammen indem er die Lupe auf eine Region richtet und diese im Kleinen bzw mikrogeschichtlich untersucht Heute wird Montaillou Ein Dorf vor dem Inquisitor 1294 1324 nebst Carlo Ginzburgs Der Kase und die Wurmer als ein Klassiker der Mikrogeschichte betrachtet Rezeption BearbeitenMontaillou Ein Dorf vor dem Inquisitor 1294 1324 war ein kommerzieller Erfolg und erzielte nach seiner Veroffentlichung hohe Verkaufszahlen Auch unter den Kritikern wurde das Werk gewurdigt Es wurde haufig als ein Meisterwerk der Sozialgeschichte 4 518 angepriesen Laut Natalie Zemon Davis vereinte Le Roy Ladurie in seinem Buch kunstvoll die zwei Disziplinen der Geschichtswissenschaft und der Anthropologie Ihr zufolge konnen daher all diejenigen die Lokalgeschichte betreiben nur die Bemuhungen von Le Roy Ladurie bewundern da dieser das Feld der grossen Theorien uber familiare Beziehungen soziale Organisation die Mentalitat der Bauern usw auf die Probe stellt 5 Auch Laurence Wylie lobte Le Roy Ladurie in hochsten Tonen Wenn es nach Wylie geht schuf Le Roy Ladurie basierend auf den Akten von Jacques Fournier das umfangreichste und spannendste Tableau uber das mittelalterliche Leben in einer franzosischen Gemeinschaft 6 das je geschrieben wurde Wylie bezeichnete das Werk von Le Roy Ladurie als ein Meilenstein in der Wissenschaft 6 61 Philipp Lewis ging gar soweit und sagte dass keine Rezension Laduries Monografie welche Lewis zufolge einer Histoire Totale ausserst nahekommt gerecht werden konne 7 Andere Stimmen kritisieren jedoch den Umgang von Ladurie mit den Quellen David Herlihy verglich Laduries Textversion mit der von Jean Duvernoy und kam zum Schluss dass die Recherche welche den Argumenten unterliegt besorgniserregende Anzeichen von Hast und Unachtsamkeit 4 518 aufweisen Herlihy zufolge arbeitet Ladurie mit Paraphrasen die haufig verkurzt ausfallen ohne dabei die ausgelassenen Stellen im Fliesstext kenntlich zu machen und weist darauf hin dass manche Paraphrasen gar die eigentliche Bedeutung des Inhalts verzerren Fur Herlihy liegt der Hauptgrund hinter dem kommerziellen Erfolg des Buches im offenen und teils ausfuhrlichen Umgang mit dem Thema Sex 4 Gemass Renato Rosaldo mochte Le Roy Ladurie den Leser glauben machen dass der Inquisitor Jacques Fournier ein ausfuhrliches und vertrauenswurdiges Dokument geschaffen hat welches der Historiker sechs Jahrhunderte spater im Fall von Le Roy Ladurie ausserst unkritisch verwenden kann 2 80 Der Annales Historiker lasse namlich den Entstehungskontext der Quellen ausser Acht und berucksichtige damit nicht die Machtverhaltnisse durch welche sie produziert wurden so Rosaldo 2 80 81 Er sieht folglich den Gebrauch von Inquisitionsakten als transparentes Medium fur die Stimmen der Bauern 8 als ausserst problematisch an Auch Jessie Sherwood knupft an der Kritik von Rosaldo an und erganzt dass Le Roy Ladurie bedenkenlos die Quellen durchwuhlte nach Informationen uber die Vorstellungen und das alltagliche Leben der Menschen in Montaillou und dabei Dispositionen von der dritten Person in die erste 8 77 ubertrug Ausgaben BearbeitenFranzosische Originalausgabe Montaillou village occitan de 1294 a 1324 Gallimard Paris 1975 Uberarbeitete Franzosische Ausgabe Montaillou village occitan de 1294 a 1324 Gallimard Paris 1982 ISBN 2070209512 Englische Ubersetzung Montaillou the promised land of error Vintage Books New York 1979 ISBN 0 394 72964 1 Deutsche Ubersetzung Montaillou ein Dorf vor dem Inquisitor 1294 bis 1324 Ullstein Frankfurt am Main und Berlin 1986 ISBN 3 548 34114 4 Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e f g h i j k l m n o p q Emmanuel Le Roy Ladurie Montaillou Ein Dorf vor dem Inquisitor 1294 1324 Frankfurt am Main und Berlin Ullstein Verlag 1986 a b c d Renato Rosaldo From the Door of His Tent The Fieldworker and the Inquisitor In James Clifford George Marcus Hrsg The Poetics and Politics of Ethnography University of California Press Berkeley und Los Angeles 1986 S 77 97 Rudolf Schlogl Mentalitatsgeschichte Website der Universitat Konstanz Abgerufen am 4 August 2019 a b c Rezension von David Herlihy zu Montaillou Cathars and Catholics in a French Village 1294 1324 von Emmanuel Le Roy Ladurie In Social History Vol 4 Nr 3 George Mason University 1979 S 517 520 Abgerufen am 5 August Natalie Zemon Davis Les Conteurs de Montaillou in Annales Histoire Sciences Sociales 1979 Vol 34 Nr 1 Cambridge University Press 2018 S 61 Abgerufen am 11 August a b Laurence Wylie The Historian as Detective in The Washington Post Nash Holdings LL C 1987 Abgerufen am 11 August Rezension von P S Lewis zu Montaillou village occitan de 1294 a 1324 von Emmanuel Le Roy Ladurie in The English Historical Review Vol 92 Nr 363 Oxford University Press 1977 S 372 Abgerufen am 5 August a b Jessie Sherwood The Inquisitor as Archivist or Surprise Fear and Ruthless Efficiency in the Archives in The American Archivist Vol 75 Nr 1 Society of American Archivists 2012 S 56 80 Abgerufen am 5 August Normdaten Werk GND 1147301239 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Montaillou Buch amp oldid 208891541