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Michel Crozier 6 November 1922 in Sainte Menehould 24 Mai 2013 in Paris war ein franzosischer Soziologe mit dem Schwerpunkt Burokratische Organisation Inhaltsverzeichnis 1 Werdegang 2 Routine als Strategie zur Aufrechterhaltung eines Machtgleichgewichts 3 Der Akteur und das System 4 Rezeption und Kritik 5 Werke 6 Ehrungen 7 Weblinks 8 EinzelnachweiseWerdegang BearbeitenCrozier grundete 1962 das Centre de sociologie des Organisations und veroffentlichte 1963 auf Grundlage von empirischen Untersuchungen im Bereich der Organisationssoziologie sein Werk Le phenomene bureaucratique Zunachst 1959 bis 1960 und dann wieder von 1973 bis 1974 war er Forschungsmitarbeiter des Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences der Stanford Universitat Von 1967 bis 1968 war Crozier Professor der Soziologie an der Universitat Paris Nanterre 1970 bis 1972 war er Prasident der Societe francaise de sociologie 1973 Grundungsmitglied der European Group for Organizational Studies 1 Er grundete 1975 das DEA de sociologie des Institut d etudes politiques IEP in Paris und stand ihm bis 1982 vor Routine als Strategie zur Aufrechterhaltung eines Machtgleichgewichts BearbeitenDiese Burokratieanalyse basiert auf zwei empirischen Untersuchungen Die erstere betrifft eine grosse offentliche Verwaltung 4 500 Beschaftigte in Paris die einem nationalen Ministerium untersteht und zuarbeitet Durch ihren ausserst einfachen organisatorischen Aufbau werden uberschaubare Laborbedingungen annahernd erreicht Die zweite betrifft eine staatliche Industrieorganisation in Frankreich welche per Gesetz uber das Monopol fur ein einfaches Gut des alltaglichen Konsums verfugt und dieses uber eine andere staatliche Einrichtung absetzt Damit ist diese Organisation in einem hohen Masse vom Druck der Aussenwelt befreit und die internen Krafte des sozialen Systems konnen sich relativ frei entfalten Fur die Pariser Verwaltung erster Fall ergab die Erhebung keine Verbindung des Personals mit dem Organisationsziel stattdessen apathische Anpassung Isolierung des Individuums innerhalb jeder Stufe der formalen Hierarchie Verlagerung der Konfliktbeziehungen weg von den personlichen face to face Beziehungen auf die nachsthohere hierarchische Stufe In der Interaktion Vorgesetzter Untergeordneter schiebt der Vorgesetzte die Verantwortung auf die ihm jeweils ubergeordnete Stelle ab und ergreift seinen Untergebenen gegenuber deren Standpunkt um ihre Loyalitat zu wahren 2 Das Industriemonopol zweiter Fall ist gekennzeichnet durch 1 das egalitare Prinzip gewahrleistet durch Anciennitat und Austauschbarkeit des Personals in den einzelnen Funktionen 2 das hierarchische Prinzip mit Kommunikationsschranken zwischen den einzelnen Ebenen der Hierarchie verbunden mit Rekrutierung durch Wettbewerbe von aussen 3 die Unpersonlichkeit der Regeln und der Verfahrensweisen 3 Das kombinierte Auftreten des egalitaren mit dem hierarchischen Prinzip fuhrt zu Isolierung und Rigiditat der einzelnen Rollen Quelle des Konflikts ist der Kampf der Individuen und Gruppen um die Macht woraus sich wiederum die Notwendigkeit der Kontrolle der entsprechenden Konflikte ergibt Das burokratische System zeichnet sich dadurch aus dass viele Krafte die sonst das permanente Schwelen von Konflikten ausschliessen in den untersuchten Organisationen nicht existieren Es baut sich daher zwischen den gegnerischen Gruppen ein komplexes Gleichgewicht von Macht Prestige und Engagement auf das sie den Konflikt dem Kompromiss vorziehen lasst Im Falle des Industriemonopols wird solches durch drei strukturelle Merkmale begunstigt 1 die vollkommene Sicherheit der beschaftigten hinsichtlich ihres Arbeitsplatzes und ihrer Aufstiegschancen 2 keine ausserplanmassigen Belohnungen 3 wegen der Isoliertheit der Rollen ist keine Kooperation vonnoten Die rigide Organisationsstruktur ermoglicht die Fuhrung von Konflikten wahrend die dadurch erzeugte Frustration des Individuums fur ausreichend Motivation sorgt 4 Da die Ausschaltung jeglicher Abhangigkeitsbeziehung unmoglich ist fuhrt die Rationalisierung der Rollenbeziehungen ihre Uberschaubarkeit und Berechenbarkeit doch wieder zu informellen Machtstrukturen da immer Unsicherheitsquellen verbleiben woruber Machtkampfe entstehen 5 So sind im Industriemonopol die Arbeiter in der Produktion abhangig von den Wartungsarbeitern da sie bei langerem Maschinenausfall umgesetzt werden Die dadurch erzeugte Frustration richtet sich indes nicht gegen die Reparaturarbeiter sondern entladt sich gegen die auferlegten Normen und gegen die Arbeitsuberlastung Denn das gesamte betriebliche und gewerkschaftliche System basiert auf der Allianz aller Arbeiter gegen das von der Direktion auferlegte System von Arbeitsbedingungen Das zur Aufrechterhaltung der Kooperation erforderliche System von Routinen gewahrt den Beschaftigten durch konformes Verhalten auch Schutz sofern sie die Direktion auf die erlassenen Regeln festlegen konnen Indem somit sowohl Direktion wie auch Beschaftigte aus dem Festhalten einmal eingefahrener Regeln ein je eigenes Interesse haben wird Rigiditat bzw fehlende Anpassungsfahigkeit festgeschrieben so dass in Notfallen wenig Raum fur selbstandige Initiativen verbleibt 6 Die Buchstabentreue des burokratischen Ritualisten ist nicht etwa die Folge einer deformierten Personlichkeit sondern aus diesem Spiel gegen den Vorgesetzten heraus zu verstehen Der Ritualist zieht namlich den Schutz den das buchstabengetreue Erfullen der Regeln gegenuber dem Vorgesetzten bietet der vielleicht sachlich richtigeren fur ihn personlich aber riskanteren Auslegung der Regel vor Ritualismus ist also der Ausfluss einer Organisationsstruktur welche Konformitat auf eine gewisse rationalistische Weise herzustellen bestrebt ist Ritualismus ist indes nicht die einzige verfugbare Strategie innerhalb einer burokratischen Organisation Die Werkstattenleiter uben den Ruckzug die Direktoren verlegen sich auf Innovation Ausserdem gibt es Identifikation und Unterwerfung Rebellion und Streik Was die Burokratie an Verhaltenssicherheit gewinnt verliert sie an Realismus Dysfunktionen sind wesentliches Element seines inneren Gleichgewichts da das System unfahig ist aus Fehlern zu lernen Damit die erforderlichen Anpassungen vorgenommen werden ist eine offenkundige Krise erforderlich Der Akteur und das System BearbeitenDieser Essay in Sozialtheorie verallgemeinert die Einsichten die aus dem empirischen Zugriff auf organisiertes Handeln gewonnen wurden Das strukturell funktionalistischen Organisationsmodell von Talcott Parsons und Robert K Merton mit seiner rollentheoretischen Fundierung wird abgelehnt weil es die Handelnden zu Anhangseln der Sozialstruktur und der Normen der Gesellschaft stemple Stattdessen ist von Machtbeziehungen auszugehen wie sie die Individuen innerhalb Situationen die als organisatorische und soziale Zwange wahrgenommen werden wechselseitig konstruieren und zu Strategien innerhalb von Handlungszusammenhangen nutzen die als Spiele zu begreifen sind Im Gegensatz zu den formalen Modellen der Spieltheorie sind jedoch auch diese Spiele intersubjektive Konstrukte denen die Wahrnehmungen und Entscheidungen der beteiligten Akteure zugrunde liegen 7 Rezeption und Kritik BearbeitenWie Wolfgang Schluchter bemerkt hat ubertrug Crozier den von Robert K Merton charakterisierten Typ der burokratischen Personlichkeit 8 auf die burokratische Organisationsstruktur selbst Die Burokratie sei entgegen dem von Max Weber aufgestellten Idealtypus 9 nicht ein Ausbund organisatorischer Rationalitat und Zweckmassigkeit vielmehr einer dynamischen durchrationalisierten Umwelt am allerschlechtesten angepasst 10 Andreas Anter bemangelte eine schmalspurige und verfalschte Weber Interpretation die Max Weber nicht direkt rezipiert habe sondern uber die US Soziologie laufe 11 Werke BearbeitenLe Monde des employes de bureau 1964 Petits Fonctionnaires au travail Paris ED du CNRS 1955 Le Phenomene bureaucratique Paris Le Seuil 1963 daraus ubersetzt von Hanne Herkommer Der burokratische Circulus vitiosus und das Problem des Wandels In Renate Mayntz Hrg Burokratische Organisation Kiepenheuer amp Witsch Koln Berlin 1968 S 277 288 La Societe bloquee Paris Le Seuil 1971 Macht und Organisation Die Zwange kollektiven Handelns mit Erhard Friedberg Athenaum Verlag Konigstein im Taunus 1979 ISBN 3 7610 8211 8 Neuausg 1993 ISBN 3 445 07019 9 franzosisch L Acteur et le systeme en collaboration avec Erhard Friedberg Paris Le Seuil 1977 The Crisis of Democracy Report on the Governability of Democracies to the Trilateral Commission mit Samuel Huntington und Joji Watanuki New York University Press 1975 On ne change pas la societe par decret Paris Fayard 1972 Le Mal americain Paris Fayard 1980 Etat modeste Etat moderne Strategies pour un autre changement Paris Fayard 1986 L Entreprise a l ecoute Paris Intereditions 1989 La Crise de l intelligence Paris Intereditions 1995 A quoi sert la sociologie des organisations Paris Arslan 2000 Ma belle epoque memoires 1 1947 1969 Paris Fayard 2002 A contre courant memoires 2 1969 2000 Paris Fayard 2004 Ehrungen BearbeitenOffizier der Ehrenlegion Kommandeur des Ordre national du Merite franzosischen Nationalverdienstordens Mitglied der Academie des sciences morales et politiques Mitglied der American Academy of Arts and Sciences seit 1969 12 Mitglied der American Philosophical Society seit 1975 13 Mitglied der Academie des sciences morales et politiques seit 1999 Mitglied der Academia Europaea seit 1999 14 Ehrendoktor an der Universitat von Lausanne Alexis de Tocqueville Preis fur politische LiteraturWeblinks BearbeitenLiteratur von und uber Michel Crozier im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek Michel Crozier CSO Webpage Einzelnachweise Bearbeiten Cornelis J Lammers 1998 An Inside Story The Birth and Infancy of EGOS Memories in Tribute to Franco Ferraresi Organization Studies 1998 19 883 doi 10 1177 017084069801900508 Michel Crozier Le phenomene bureaucratique Paris 1963 S 70f Michel Crozier Le phenomene bureaucratique Paris 1963 S 187 Michel Crozier Le phenomene bureaucratique Paris 1963 S 186 Michel Crozier Le phenomene bureaucratique Paris 1963 S 188 Michel Crozier Le phenomene bureaucratique Paris 1963 S 245 Michel Crozier Erhard Friedberg L acteur et le systeme Les contraintes de l action collective Editions du Seuil 1977 ISBN 2 02005839 1 S 115f Robert K Merton Burokratische Struktur und Personlichkeit In Renate Mayntz Hrg Burokratische Organisation Koln Berlin 1968 Renate Mayntz Max Webers Idealtyp der Burokratie und die Organisationssoziologie In Renate Mayntz Hg Burokratische Organisation Koln 1968 Wolfgang Schluchter Aspekte burokratischer Herrschaft Paul List Munchen 1972 ISBN 3 471 61601 2 S 124 In Trivium Zs fur Geistes und Sozialwissenschaften zweisprachig 7 Seinen Einleitungsessay gibt es auch in einer frz Fassung nur online hier deutsch American Academy of Arts and Sciences Book of Members PDF Abgerufen am 15 April 2016 Member History Michel Crozier American Philosophical Society abgerufen am 2 Juli 2018 Eintrag auf der Internetseite der Academia EuropaeaNormdaten Person GND 124772005 lobid OGND AKS LCCN n80034033 NDL 00436959 VIAF 108357159 Wikipedia Personensuche PersonendatenNAME Crozier MichelKURZBESCHREIBUNG franzosischer SoziologeGEBURTSDATUM 6 November 1922GEBURTSORT Sainte MenehouldSTERBEDATUM 24 Mai 2013STERBEORT Paris Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Michel Crozier amp oldid 237958221