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Als Luther in effigie oder Luther Effigie s wird eine lebensgrosse Figur Martin Luthers bezeichnet die bis in die 1930er Jahre in der Marienkirche in Halle an der Saale gezeigt wurde Luther in effigie Fotografie von Fritz Moller um 1915 Inhaltsverzeichnis 1 Beschreibung 2 Herkunft 3 Geschichte 4 Literatur 5 EinzelnachweiseBeschreibung BearbeitenDie Figur war ursprunglich mit Talar und Barett bekleidet und sass scheinbar schreibend an einem Tisch auf dem eine Lutherbibel mit Widmung lag Kopf und Hande waren aus Wachs Augenbrauen Wimpern und Haare waren in dieses Material eingesetzt die Augen bestanden aus bemalten Glasplattchen Die Figur war beweglich so dass ihre Haltung verandert werden konnte Herkunft BearbeitenAngeblich waren die Hande und das Gesicht nach Gipsabgussen gebildet worden die nach Luthers Tod im Jahr 1546 von dem Leichnam abgenommen worden waren Derartige Abgusse sind aber nirgends sicher bezeugt 1 bekannt ist nur dass Luther auf dem Totenbett von einem oder zwei Kunstlern portratiert wurde woraus sich spater eine ganze Serie von Gemalden und Drucken entwickelte die ihre Wurzeln wahrscheinlich im Umfeld der Cranach Werkstatt hatten Jochen Birkenmeier betont Es muss festgehalten werden dass zwischen Luthers Tod und der mutmasslichen Entstehung der Wachsmaske mindestens 80 Jahre liegen in denen kein einziger Hinweis auf eine Luther Totenmaske zu verzeichnen ist 2 Daruber hinaus hatte man um die Handhaltung die die Luther Effigie zeigte zu ermoglichen die Hande des Leichnams erst in Form biegen und fur die Aufbahrung anschliessend womoglich wieder in eine andere Position bringen mussen 3 Ein erster Beleg fur die Existenz des wachsernen Lutherportrats stammt aus dem Jahr 1663 Ein Lucas Schone vermutlich ein Maler aus Halle unterzeichnete am 19 November dieses Jahres einen Zahlungsbeleg uber zehn Taler die er vom Kirchvater Peter Untzer erhalten habe Schone verwendet die Formulierung verfertigen fur seine Arbeit 4 was aber nicht bedeuten muss dass er der Schopfer von Luther in effigie war Denn am Tag vor der Ausstellung des Belegs wurde in einem Kirchenrechnungsbuch vermerkt dass die Summe dafur ausgegeben worden war Luthers bilde zu reparirn 5 das also damals schon vorhanden gewesen sein muss Eine weitere Rechnung diesmal fur die Kleidung der Lutherfigur stammt vom 14 Dezember 1663 und betragt noch einmal ungefahr die Halfte der Summe die Schone quittiert hatte nbsp Portrat des toten Luther das Lukas Furtenagel zugeschrieben wirdUta Kornmeier halt die Gesamtsumme fur zu gering als dass sie fur eine Herstellung einer solchen Figur angemessen gewesen ware Sie geht uberdies davon aus dass die Darstellung des Gesichts und der Hande tatsachlich auf Abgussen basierte die vom Leichnam Luthers abgenommen wurden Sie vermutet dass Luthers Freund Justus Jonas der Altere diese Abgusse veranlasst haben konnte und dass der Maler Lukas Furtenagel dem wohl das Portrat des verstorbenen Luther zu verdanken ist das als Ausgangspunkt der vielen Bildnisse Luthers auf dem Totenbett gilt damit beauftragt wurde Als Argumente fur diese Theorie fuhrt sie an dass Jonas mit der antiken Gepflogenheit Verstorbene in Wachs zu portratieren vertraut gewesen sei und dass ein solcher Gesichtsabguss auch eine propagandistische Funktion gehabt haben konnte Man habe damit Luthers friedvolles Sterben nachweisen wollen 6 Sie weist darauf hin dass die Praxis dieser Abgusse von Italien her kommend seit dem fruhen 16 Jahrhundert auch in Deutschland nicht unublich war und dass beispielsweise auch von Albrecht Durers Gesicht und einer seiner Hande nach einer heimlichen Exhumierung Abgusse angefertigt wurden Furtenagel und Jonas hatten vielleicht schon 1546 eine umfangreichere plastische Darstellung Luthers im Sinn gehabt 7 womoglich ein Denkmal Luthers in sitzender Position was auch die Haltung der Hande der Luthereffigie erklare Nur sei Furtenagel 1546 in seine Augsburger Heimat zuruckgekehrt und Jonas 1547 der Stadt verwiesen worden so dass diese Plane nicht mehr zur Ausfuhrung gekommen seien Wo die Abgusse sich befunden haben sollen ehe irgendwann im 17 Jahrhundert Luther in effigie zusammengebaut wurde lasst sie im Ungewissen Kornmeiers Annahme dass schon zu Furtenagels Zeit eine plastische Darstellung Luthers etwa als Funeraleffigie geplant gewesen sei lasst sich laut Birkenmeier kunsthistorisch nicht untermauern da die ersten Darstellungen dieser Art erst vom Anfang des 17 Jahrhunderts bekannt sind 8 Geschichte BearbeitenDie Figur wurde nachdem sie montiert war zunachst in der Marienbibliothek aufgestellt und als Sehenswurdigkeit behandelt Moglicherweise wurde sie anlasslich des Neubaus des Bibliotheksgebaudes 1612 angefertigt Uta Kornmeier meint sie konne von David Psolmaier inspiriert oder gar angefertigt worden sein 9 Fruhe Abbildungen des Luther in effigie stammen aus dem 18 Jahrhundert Es gibt einen Stich von 1730 und einen weiteren von 1736 der dasselbe Motiv zeigt Letzterer angefertigt von Christian Gottlob Liebe nach einem Gemalde von Johann Anton Rudiger tragt die Inschrift Dieses Kupfer ist gezeichnet nach dem Bilde so zu Halle anno 1546 von dem toten Leichnam in Wachs gegossen und auf der Bibliothek zur l Frau daselbst stehet 10 nbsp Lowensterns Darstellung von Luther auf der WartburgAus dem 19 Jahrhundert stammt ein Bild in der Lutherlebenfolge von Wilhelm Baron von Lowenstern Die um 1827 entstandene Lithographie stellt einen Anachronismus dar Luther wird in seiner Zelle auf der Wartburg gezeigt Sein Portrat musste in diesem Umfeld dem bartigen Junker Jorg Typus entsprechen dem Luthers Aussehen in der Wartburgzeit nahekam Tatsachlich ist Luther aber als rasierter Trager von Schaube und Barett dargestellt und zwar deshalb weil sich der Kunstler laut Bildtitel an dem Original Wachsabguss in der Marien Bibliothek in Erfurth orientiert hat 11 Schon vor Lowenstern hatte sich Johann Gottfried Schadow im Jahr 1806 bei den Vorarbeiten zu seinem Lutherdenkmal in Halle mit Luther in effigie beschaftigt Er hatte die Maske gezeichnet und vermessen Schadows Lutherstandbild wurde 1821 in Wittenberg aufgestellt 12 1891 wechselte Luther in effigie seinen Standort Die Marienbibliothek wurde in einem Neubau untergebracht und die Lutherfigur wurde in einem Turmzimmer aufgestellt wo sie vermutlich nicht mehr von zahlreichen Besuchern besichtigt wurde Anlasslich des 400 Jahrestages des Thesenanschlags Luthers wurden Fotoansichtskarten von der Figur produziert denen zu entnehmen ist dass die Figur sich damals schon deutlich verandert hatte War Luther bislang als Schreibender der von seiner Arbeit aufblickt dargestellt worden sass er nun als Lesender uber das Buch gebeugt 13 Altersbedingte Zerfallserscheinungen hatten der Figur offenbar zugesetzt Spatestens zur Zeit der Fotografien anlasslich des Jubilaums 1917 wurde die Perucke durch eine grosse Mutze ersetzt und das Wachs zeigte Verformungen und Verfarbungen Bezeichnungen wie Lutherschreck und Schreckgespenst kamen fur die ramponierte Figur in Umlauf 14 ausserdem begann man an der Echtheit der Abgusse und der Authentizitat der Darstellung Luthers zu zweifeln Der Anthropologe Hans Hahne wurde 1926 mit der Untersuchung der wachsernen Teile der Figur beauftragt Er kam zu dem Schluss dass es sich tatsachlich um Abgusse von einem Toten handelte dass aber diese Abgusse dem Aussehen Luthers in jungeren Jahren angepasst worden seien und liess sich in seinem Gutachten ausserdem uber die rassekundlichen physiognomischen und phrenologischen Erkenntnisse aus die er bei der Untersuchung gewonnen haben wollte Daruber hinaus bearbeitete Hahne die ihm zur Untersuchung uberlassenen Schaustucke und gestaltete sie im Sinne der Furtenagelschen Zeichnung um allerdings mit erheblichen Freiheiten 15 Seit 1924 war Luther in effigie in der Sakristei der Marienkirche in Halle aufgestellt Die wachsernen Originalteile die Hahne zur Untersuchung bekam wurden danach nicht wieder an der Figur angebracht sondern in einem gesonderten Kasten aufbewahrt Die Figur in der Sakristei war nun nur noch mit Kopien dieser Teile ausgestattet Uberdies verlor sie wohl an Attraktivitat weil in den Jahren 1923 und 1927 die ersten Filme uber Luthers Leben gezeigt wurden die ein lebendigeres Bild des Reformators vermitteln konnten 1927 stellte der Kunsthistoriker Ernst Benkard ausserdem die provokante These in den Raum die Darstellung Luthers in der Marienkirche entspreche katholischen Heiligenfiguren Pfarrer Fritze widersprach dieser Aussage emport 16 war aber bald schon mit weiteren und zum Teil absurden Aussagen konfrontiert So wurde in einer Hetzschrift 1928 behauptet Luther sei von Juden Jesuiten und Geheimbundlern ermordet worden 17 Fritze wurde fortan wegen der als unwurdig empfundenen Darstellung Luthers in seiner Kirche heftig angegangen unter anderem von der Arztin Mathilde Ludendorff die nicht nur die Verschworungstheorie um Luthers Tod weiterentwickelte sondern vor allem kritisierte dass Luther in effigie Figur an eine Panoptikumsfigur erinnerte und die Besucher erschreckte die nichtsahnend in die Sakristei traten Fritze setzte sich zur Wehr Noch 1931 wurde die Figur einer Besichtigung durch die Kirchenleitung Johannes Ficker Hahne und andere Personen unterzogen die zu dem Schluss kamen Luther in effigie stelle keine Schandung sondern im Gegenteil eine Ehrung seines Urbildes dar musse aber restauriert und den gangigen Lutherbildern angepasst werden Im selben Jahr wurde noch ein kleiner Fuhrer herausgegeben der dem Publikum die Darstellung Luthers in der Marienkirche erlauterte Doch wenige Jahre spater wurde nachdem Mathilde Ludendorff 1933 wieder die Initiative ergriffen hatte die Figur offenbar aus der Kirche entfernt und wahrscheinlich zerstort Ein Kirchenfuhrer aus dem Jahr 1941 enthielt laut Kornmeier nur noch einen Hinweis auf die angebliche Totenmaske Luthers 18 Horst Bredekamp hingegen behauptet die Figur sei bis 1943 in der Kirche verblieben dann in eine Bank ausgelagert worden in den 1960er Jahren noch in Resten existent gewesen und 2006 wieder in einen Nebenraum der Marktkirche verbracht worden 19 Gipskopien der Hande und des Gesichts des Luther in effigie wurden ab 1933 im angeblichen Sterbehaus Luthers in Eisleben gezeigt Sie wurden in einem historistisch inszenierten Ambiente prasentiert Das Haus wurde im September 2011 geschlossen vor einer Prasentation der Exponate in einem neuen Rahmen sollte ihre Authentizitat uberpruft werden 20 Literatur BearbeitenJochen Birkenmeier Luthers Totenmaske Zum musealen Umgang mit einem zweifelhaften Exponat in Lutherjahrbuch 78 2011 S 187 203 Uta Kornmeier Luther in effigie oder Das Schreckgespenst von Halle in Lutherinszenierung und Reformationserinnerung hg von Stefan Laube und Karl Heinz Fix Leipzig 2002 S 342 370 Digitalisat Einzelnachweise Bearbeiten Vgl Jochen Birkenmeier Luthers Totenmaske Zum musealen Umgang mit einem zweifelhaften Exponat in Lutherjahrbuch 78 2011 S 187 203 hier S 189 Birkenmeier 2011 S 192 Birkenmeier 2011 S 194 Ein Zitat des Belegs findet sich bei Uta Kornmeier Luther in effigie oder Das Schreckgespenst von Halle in Lutherinszenierung und Reformationserinnerung hg von Stefan Laube und Karl Heinz Fix Leipzig 2002 S 342 370 Digitalisat hier S 346 Kornmeier 2002 S 346 Kornmeier 2002 S 347 Kornmeier 2002 S 349 352 Birkenmeier 2011 S 195 Kornmeier 2002 S 352 f Zitiert bei Kornmeier 2002 S 357 Kornmeier 2002 S 360 Kornmeier 2002 S 361 Kornmeier 2002 S 362 Kornmeier 2002 S 345 Vgl Kornmeier 2002 S 364 f Zitat bei Kornmeier 2002 S 367 Kornmeier 2002 S 367 Kornmeier 2002 S 369 Horst Bredekamp Bodies in Action and Symbolic Forms Walter de Gruyter 2012 ISBN 978 3 050 06140 5 S 159 eingeschrankte Vorschau in der Google Buchsuche Birkenmeier 2011 S 187 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Luther in effigie amp oldid 238898808