Der Leidener Willeram oder Egmonder Willeram (auch Williram) ist eine altniederländische Bearbeitung von Willirams von Ebersberg Hohenlied-Kommentar. Der Text umfasst ungefähr 9500 Wörter und ist damit der umfangreichste noch erhaltene Text auf Altniederländisch.
Zur Bezeichnung Bearbeiten
Die Handschrift, die den Text enthält, befindet sich seit Ende des 16. Jahrhunderts in der Universitätsbibliothek Leiden, daher der Name Leidener Willeram. Der andere Name, Egmonder Willeram, kommt vom vermuteten Entstehungsort der Handschrift, von der Abtei Egmond bei Egmond in der heutigen niederländischen Provinz Nordholland. Die Handschrift entstand gegen Ende des 11. Jahrhunderts.
Ausgaben des Textes Bearbeiten
Im Jahre 1598 gab der niederländische Gelehrte Paulus Merula den Text zum ersten Mal heraus. Später gab es weitere Ausgaben, zum Beispiel 1827 von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und 1971 von Willy Sanders.
Zur Bearbeitung Bearbeiten
Willirams von Ebersberg Hohelied-Kommentar war wahrscheinlich zwischen 1059 und 1065 entstanden, und zwar in einem ostfränkisch gefärbten Spät-Althochdeutsch. Der niederländische Bearbeiter des Textes ist ziemlich frei mit seiner Vorlage umgegangen. Er versuchte sich an einer Anpassung des Textes an die eigene Mundart, was zu einer eigenwilligen Mischsprache führte. Einige althochdeutsche (ostfränkische) Sprachbestandteile hat er übernommen, wie zum Beispiel den Konsonantismus der Hochdeutschen Lautverschiebung, weshalb der Text auf den ersten Blick hochdeutsch wirkt. An anderen Stellen hat er die Sprache angepasst, zum Beispiel bei Wortwahl und Flexion. So schreibt der Bearbeiter ande statt unde („und“). Dort, wo die Sprache nicht altostfränkisch, sondern altniederländisch ist, zeigt sich eine westliche Form der Sprache, die Berührungspunkte mit dem Westflämischen und dem Friesischen hat.
Textbeispiel Bearbeiten
Willeram Bearbeiten
Der Text ist zitiert nach Inleiding Oudnederlands von A. Quak und J. van der Horst. Lateinische Passagen sind kursiv wiedergegeben. Vor dem doppelten Schrägstrich steht der Vers aus dem Hohelied, dahinter der Kommentar.
Abschnitt 22 (Vox Christi ad ecclesiam):
Abschnitt 23 (Vox ecclesiae):
Diese Stelle des Hoheliedes interpretiert Williram von Ebersberg als Dialog zwischen Christus und der Kirche. Siehe dazu auch Ekklesia.
Moderne Übersetzung Bearbeiten
Begriffe aus dem Leidener Willeram (altniederländische, ostfränkische oder lateinische) sind kursiv wiedergegeben.
Abschnitt 22 (Christus spricht zur Kirche):
Abschnitt 23 (die Kirche spricht):
Kommentierte Bibelstelle Bearbeiten
Die Bibelstellen, die der Willeram-Text kommentiert, stammen aus Hohelied 1, 15–16: Der deutsche Bibeltext stammt aus einer modernen katholischen Übersetzung.
Literatur Bearbeiten
- Willy Sanders, Artikel „Leidener Williram“, in: Verfasserlexikon 5 (1985), Sp. 680–682.
Quellen Bearbeiten
- ↑ A. Quak und J.M. van der Horst, Inleiding Oudnederlands, Leuven 2002, ISBN 90-5867-207-7
- Herman Vekeman und Andreas Ecke, Geschichte der niederländischen Sprache (= Langs Germanistische Lehrbuchsammlung, Band 83), Peter Lang, Bern 1993, ISBN 3-906-750-37-X
- Die Bibel, Herder-Verlag, 25. Auflage, Freiburg 1965, ISBN 3-451-01495-5