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Die Hansestadt Lubeck gilt als eine der Hauptstatten fastnachtlicher Spieltradition des Mittelalters Die Lubecker Fastnachtspiele wurden zum grossten Teil von einer elitaren Bruderschaft der Zirkelgesellschaft produziert und hatten haufig eine lehrhafte Ausrichtung Inhaltsverzeichnis 1 Lubecker Fastnachtspieltradition 1 1 Entstehung 1 2 Lubecker Zirkelgesellschaft 1 3 Themen 1 4 Auffuhrungspraxis 2 Uberlieferung 3 Literatur 4 EinzelnachweiseLubecker Fastnachtspieltradition BearbeitenEntstehung Bearbeiten Seit der Grundung Mitte des 12 Jahrhunderts entwickelte sich Lubeck zur fuhrenden Handelsmetropole des Ostseeraums Die Stadt bluhte rasch auf pflegte weitreichende und fruchtbare Handelsbeziehungen und erhielt zahlreiche Rechte und Privilegien wie z B die Zollfreiheit 1226 wurde Lubeck schliesslich zur freien Reichsstadt ernannt und war damit unabhangig 1 Die Entstehung der Lubecker Fastnachtspieltradition steht deutlich im Kontext dieser okonomischen und politischen Entwicklung So wurden die Lubecker Fastnachtspiele stark von der Theaterkultur der Niederlande inspiriert 2 da die Stadt enge Handelskontakte dorthin pflegte Der Beginn der Fastnachtspieltradition lasst sich fur Lubeck aus Aufzeichnungen fur das Jahr 1430 belegen 3 Aus der Zeit zwischen 1430 und 1539 sind etwa 150 Auffuhrungen weltlicher Spiele nachweisbar 4 Lubecker Zirkelgesellschaft Bearbeiten Die drei beruhmtesten Lubecker Bruderschaften die Zirkelgesellschaft gegrundet 1379 als religiose Bruderschaft die als Juniorenverein mit ihr verbundene Kaufleutekompanie gegrundet um 1450 und die wahrscheinlich nach ihrem Grunder Alf Greverade 5 benannte und ebenfalls um 1450 gegrundete Greveradenkompanie geben in ihren teilweise erhaltenen Administrationsbuchern Auskunft uber die Fastnachtsspiele der Stadt 6 Geplant verfasst und aufgefuhrt wurden diese Spiele hauptsachlich von der Zirkelgesellschaft der damals einflussreichsten Bruderschaft dominierend in Wirtschaft Politik und Verwaltung der Hansestadt 7 Im Jahr 1429 schrieben die Zirkler in ihren Satzungen den Beschluss nieder sich durch Fastnachtspiele offentlich zu reprasentieren 8 Die Kaufleutekompanie veranstaltete zwar auch offentliche Fastnachtspiele orientierte sich dabei wie bei allen geselligen Anlassen aber immer stark an der Zirkelgesellschaft 9 Die in Lubeck im Gegensatz zu Nurnberg weniger popularen Einkehr oder Stubenspiele wurden dagegen haufig im Haus der Greveradenkompanie vorgetragen Themen Bearbeiten Bereits im 13 Jahrhundert lasst sich fur Lubeck eine Lateinschule nachweisen Wie Wandmalereien in Lubecker Altstadthausern der damaligen Zeit zeigen legten die Patrizierfamilien Wert darauf das Erbe der hofischen Literatur weiterzutragen und die bildende Kunst zu fordern Ausserdem verfugte Lubeck gerade im 15 Jahrhundert uber einen permanenten buchhandlerischen Markt auf dem sich Drucke sowohl aus dem mittel und suddeutschen Raum als auch aus den Niederlanden fanden 10 Das lasst darauf schliessen dass das Bildungsniveau der spatmittelalterlichen Lubecker Oberschicht relativ hoch war 11 Dieser Umstand beeinflusste auch den Charakter der offentlich vorgetragenen Fastnachtspiele Die aufgezeichneten Titel der Lubecker Fastnachtspiele lassen ein breit gefachertes Interesse an den unterschiedlichsten Themen erkennen Im Gegensatz zum Grossteil der Nurnberger Spiele zeigen sie nicht die Tendenz zur ausschliesslich ausgelassen derben Unterhaltung Gerne orientierte man sich an antiken Sagenstoffen Mythen und klassischer Historie wie z B der Trojasage der Artusepik oder den Abenteuern Alexanders des Grossen Aber auch Bibelepisoden Fabeln und aktuelle Zeitereignisse wie 1500 die zwei Wochen zuruckliegende Niederlage der Danen gegen die Dithmarscher wurden behandelt 12 Gemeinsam haben die meisten Stucke eine Neigung zur Allegorisierung die mit einer Exempelstruktur und lehrhafter Ausrichtung einhergeht 2 Die literarischen und moralischen Lubecker Fastnachtspiele orientierten sich darin an der Fastnachtspieltradition Flanderns 13 In einigen Spielen wurde der Ernst durch satirische Elemente aufgeheitert Belegt wird diese Tendenz durch das einzige aus Lubeck erhaltene Stuck Henselin Es wurde 1484 von den vier fur dieses Jahr bestimmten Fastnachtdichtern Johann Luneburg 1493 dessen noch 1484 verstorbenem Bruder Heinrich Luneburg Heinrich Westfal und Hans Witick unter dem Titel van der rechtverdicheyt zur Auffuhrung gebracht 14 und in abgewandelter Form zwischen 1497 und 1500 in der Lubecker Mohnkopfoffizin des Hans van Ghetelen mit dem Titel Henselynboek gedruckt vorhanden im Bestand der Staats und Universitatsbibliothek Hamburg 15 Es ist damit das einzige schriftlich uberlieferte vorreformatorische Fastnachtspiel aus Lubeck Die Handlung des Spiels und die illustrierenden Holzschnitte stellen das Stuck in die Tradition der Narrenliteratur Auch ist eine Tendenz zur Standedidaxe und Standesatire zu erkennen 16 Henselin kann bei seiner Suche nach der rechtverdicheyt die Rechtschaffenheit nicht einmal bei Papst und Kaiser finden und die armen Bauern haben noch nie etwas von ihr gehort Allerdings lasst der Text auch merken dass seine Verfasser einer patrizischen Bruderschaft angehoren So macht Henselin in seiner Erlauterung zu den unlauteren Praktiken der Reichen und Kaufleute in den Stadten S X Z 14ff deutlich dass eine derartige Ausbeutung der armen Bevolkerung nur in den Stadten der Lombardei vorkomme nicht aber hier in der eigenen Stadt Das Stuck enthalt damit auch einen Seitenhieb auf die lombardischen Konkurrenten im Fernhandel 17 Auffuhrungspraxis Bearbeiten Da die Organisation Produktion und Auffuhrung der Fastnachtspiele in Lubeck der politisch einflussreichen Zirkelgesellschaft und der Kaufleutekompanie oblag konnten hier die Spiele offentlich aufgefuhrt werden und mussten nicht im privaten Raum wie in Nurnberg stattfinden 18 Nachdem die von den Schaffern gewahlten vastelavende dichter das jeweilige Fastnachtstuck geschrieben und die Inszenierung vorbereitet hatten wurde mit Schaufahrten fur das Spiel geworben An den drei grossen Fastnachttagen Sonntag Montag und Dienstag fuhren die Bruderschaften angefuhrt von der Zirkelgesellschaft auf ihren Wagen durch die Stadt um auf offentlichen Platzen wahrscheinlich dem Lubecker Marktplatz oder auch dem Koberg oder Klingenberg ihr Fastnachtspiel vorzutragen Zum Spiel gehorte auch eine Vor und Nachrede die vom altesten Fastnachtsdichter gehalten werden musste Die Buhne oder borch Burg befand sich als so genannte Wagenbuhne auf dem Fuhrwerk Bei dieser Form der Prasentation hatten sich die Zirkler ahnlich wie bei der moralischen Thematik ihrer Spiele von der Theaterkultur aus Flandern inspirieren lassen von wo die Form der Wagenbuhne wahrscheinlich importiert wurde 19 Durch die bewegliche und erhohte Buhne konnten die Spiele vermutlich besser mit den anderen Belustigungen der Fastnachtzeit konkurrieren 1430 wurde auf diese Weise mit dem im Schafferbuch verzeichneten Stuck Wie der Sperber der Gottin gegeben wurde das erste Wagenspiel in Lubeck aufgefuhrt Neben den offentlichen Fastnachtspielen wurden aber in Lubeck ebenfalls wenn auch nicht in vergleichbar grosser Zahl wie in Nurnberg die so genannten Einkehrspiele aufgefuhrt So verzeichnet das Amtsbuch der Greveradenkompanie in den Jahren zwischen 1496 und 1532 mehrere Stubenspiele mit heiterem Inhalt Diese wurden meist von Schulern Lehrern oder Handwerkern vorgetragen 20 Als Abschluss und sicherlich auch gesellschaftlicher Hohepunkt der Fastnachtfeierlichkeiten wurde ein Fackeltanz veranstaltet wobei die Bruderschaften mit Fackeln und begleitet von Trommlern in einer Kette durch die Stadt zogen An diesem Zug waren alle Bruderschaften der Rat und die Burgermeister beteiligt prasentierten so der Lubecker Bevolkerung die Einheit der politischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dominanz der Hansestadt und setzten sich grossartig in Szene 21 Der Tanz endete mit einem Gelage im Ratskeller 22 Uberlieferung BearbeitenObwohl bis auf das als Erbauungsschrift gedruckte Spiel von Henselin oder der Suche nach der Rechtfertigkeit keine Originaltexte erhalten sind lasst sich die reichhaltige Lubecker Fastnachtspieltradition aus anderen historischen Quellentexten nachweisen Chroniken der Bruderschaften Eintragungen in Ratsbuchern und Stadtrechnungen belegen ca 150 Auffuhrungen Die Spielskripte der Zirkelgesellschaft wurden wahrscheinlich 1535 bei Plunderungen wahrend des Aufstands um den Kaufmann Jurgen Wullenwever als Besitztum der patrizischen Zirkler zerstort Auch in anderen Stadten mit einer Fastnachtspieltradition sind die Spieltexte weitestgehend zerstort bzw verschwunden Eine Ausnahme bildet hier die Stadt Nurnberg Hier sind 108 Spieltexte in zwolf in Nurnberg und Augsburg aufbewahrten Handschriften erhalten 23 Weitere indirekte Belege finden sich auch hier in Ratserlassen Literatur BearbeitenSonja Dunnebeil Die Lubecker Zirkel Gesellschaft Formen der Selbstdarstellung einer stadtischen Oberschicht Veroffentlichungen zur Geschichte der Hansestadt Lubeck Reihe B Bd 27 Schmidt Romhild Lubeck 1996 ISBN 3 7950 0465 9 Zugl Kiel Universitat Dissertation 1995 Glenn Ehrstine Auffuhrungsort als Kommunikationsraum Ein Vergleich der fastnachtlichen Spieltradition Nurnbergs Lubecks und der Schweiz In Klaus Ridder Hrsg Fastnachtspiele Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten Niemeyer Tubingen 2009 ISBN 978 3 11 023016 1 S 83 97 Dietz Rudiger Moser Fastnachtsbrauch und Fastnachtsspiel im Kontext liturgischer Vorgaben In Klaus Ridder Hrsg Fastnachtspiele Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten Niemeyer Tubingen 2009 ISBN 978 3 11 023016 1 S 151 162 Eckehard Simon Die Anfange des weltlichen deutschen Schauspiels 1370 1530 Untersuchung und Dokumentation Munchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters Bd 124 Niemeyer Tubingen 2003 ISBN 3 484 89124 6 Wolfgang Spiewok Das deutsche Fastnachtsspiel Ursprung Funktion Auffuhrungspraxis Reinekes Taschenbuch Reihe Bd 3 2 uberarbeitete und erweiterte Auflage Reineke Greifswald 1997 ISBN 3 89492 018 1 Wolfgang Spiewok Geschichte der deutschen Literatur des Spatmittelalters Band 1 Einleitung geistige Hauptstromungen das Weiterwirken der feudalhofischen Epik die Heldenepik die Kleinepik Novelle und Fabel der fruhe deutsche Schelmen und Narrenroman Greifswalder Beitrage zum Mittelalter Serie 2 Studien zur mittelalterlichen Literatur Bd 9 Wodan Bd 64 Reineke Greifswald 1997 ISBN 3 89492 072 6 Christoph Walther Das Fastnachtspiel Henselin oder von der Rechtfertigkeit In Jahrbuch des Vereins fur Niederdeutsche Sprachforschung Bd 3 1877 ISSN 0083 5617 S 9 36 Dieter Wuttke Hrsg Fastnachtspiele des 15 und 16 Jahrhunderts Reclams Universal Bibliothek Nr 9415 7 Auflage Reclam Stuttgart 2006 ISBN 3 15 009415 1 Einzelnachweise Bearbeiten Spiewok Das deutsche Fastnachtsspiel 1997 S 33 a b Hedda Ragotzky Fastnachtspiel In Klaus Weimar Hrsg Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft Band 1 A G 3 neubearbeitete Auflage de Gruyter Berlin u a 1997 ISBN 3 11 010896 8 S 568 572 hier S 569 Wuttke Hrsg Fastnachtspiele des 15 und 16 Jahrhunderts 2006 S 425 Simon Die Anfange des weltlichen deutschen Schauspiels 2003 S 4 Siehe auch zur Familie Adolf Greverade Simon Die Anfange des weltlichen deutschen Schauspiels 2003 S 225 Simon Die Anfange des weltlichen deutschen Schauspiels 2003 S 226 Simon Die Anfange des weltlichen deutschen Schauspiels 2003 S 230 Simon Die Anfange des weltlichen deutschen Schauspiels 2003 S 238 Dunnebeil Die Lubecker Zirkel Gesellschaft 1996 S 106 Spiewok Geschichte der deutschen Literatur des Spatmittelalters Bd 1 1997 S 255 Dunnebeil Die Lubecker Zirkel Gesellschaft 1996 S 104 Simon Die Anfange des weltlichen deutschen Schauspiels 2003 S 269 Christoph Walther Zu den Lubeker Fastnachtspielen In Jahrbuch des Vereins fur Niederdeutsche Sprachforschung Bd 27 1901 S 1 21 hier S 4 Henselyn im Gesamtkatalog der Wiegendrucke GW Nummer HENSELY Spiewok Geschichte der deutschen Literatur des Spatmittelalters Bd 1 1997 S 258 Spiewok Geschichte der deutschen Literatur des Spatmittelalters Bd 1 1997 S 259 Glenn Ehrstine Auffuhrungsort als Kommunikationsraum Ein Vergleich der fastnachtlichen Spieltradition Nurnbergs Lubecks und der Schweiz In Klaus Ridder Hrsg Fastnachtspiele Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten Niemeyer Tubingen 2009 ISBN 978 3 11 023016 1 S 83 97 hier S 94 Simon Die Anfange des weltlichen deutschen Schauspiels 2003 S 359 Glenn Ehrstine Auffuhrungsort als Kommunikationsraum Ein Vergleich der fastnachtlichen Spieltradition Nurnbergs Lubecks und der Schweiz In Klaus Ridder Hrsg Fastnachtspiele Weltliches Schauspiel in literarischen und kulturellen Kontexten Niemeyer Tubingen 2009 ISBN 978 3 11 023016 1 S 83 97 hier S 83 Dunnebeil Die Lubecker Zirkel Gesellschaft 1996 S 109 Leif Sondergaard Die Tanze der mittelalterlichen Gilden zur Fastnacht In Katja Scheel Hrsg Et respondeat Studien zum Deutschen Theater des Mittelalters Festschrift fur Prof Dr Johan Nowe anlasslich seiner Emeritierung Mediaevalia Lovaniensia Series 1 Studia Bd 32 Leuven University Press Leuven 2002 ISBN 90 5867 247 6 S 215 231 hier S 220 Spiewok Das deutsche Fastnachtsspiel 1997 S 5 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Lubecker Fastnachtspiele amp oldid 183918652