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Kontingenz spatlat contingentia Moglichkeit Zufalligkeit ist ein in der Soziologie vor allem der Systemtheorie Niklas Luhmann Talcott Parsons gebrauchlicher Begriff um die prinzipielle Offenheit und Ungewissheit menschlicher Lebenserfahrungen zu bezeichnen Inhaltsverzeichnis 1 Kontingenz nach Luhmann 2 Kontingenzbewaltigung 2 1 Religion 3 Siehe auch 4 Literatur 5 EinzelnachweiseKontingenz nach Luhmann BearbeitenNiklas Luhmann definierte den Begriff wie folgt Kontingent ist etwas was weder notwendig noch unmoglich ist was also so wie es ist war sein wird sein kann aber auch anders moglich ist Der Begriff bezeichnet mithin Gegebenes zu Erfahrendes Erwartetes Gedachtes Phantasiertes im Hinblick auf mogliches Anderssein er bezeichnet Gegenstande im Horizont moglicher Abwandlungen 1 Damit bezog sich Luhmann auf Aristoteles der Kontingenz als nicht notwendig und nicht unmoglich sah Es konnte auch anders sein Selbst die Wahrnehmung der Welt ist kontingent ein Individuum kann also beispielsweise den Wald so aber auch anders wahrnehmen Einer wird das zu verarbeitende Holz und den Gewinn daraus wahrnehmen ein anderer die Idylle und das Vogelgezwitscher Keiner kann von sich behaupten seine Wahrnehmung sei die einzig mogliche und richtige Und keiner kann sicher voraussehen wie der andere diesen Wald nun wahrnimmt aufgrund der Kontingenz des anderen Kontingenz beruht also auf Unterscheidungen und Konstruktionen die immer so und auch anders sein und gemacht werden konnten Der Begriff bedeutet insofern eine Negation von Notwendigkeit und Unmoglichkeit Die prinzipielle Offenheit menschlicher Einstellungen und Handlungen die zur Komplexitat und Unberechenbarkeit sozialer Systeme fuhrt soll in manchen Theorien durch eine feste soziale Ordnung uberwunden werden 2 Luhmann hingegen will sie durch Kommunikation uberwinden bei der durch Beobachtung und Versuch und Irrtum im Lauf der Zeit eine emergente Ordnung entsteht Diese emergente Ordnung nennt Luhmann soziales System 3 Erkenntnistheoretisch betrachtet ist Kontingenz das seinerseits kontingente Wissen daruber dass jedes Wissen relativ ist Absolutes Wissen ist prinzipiell unmoglich Es kann immer auch ganz anders sein Kontingenz hat sich zu einem zentralen Begriff der Erkenntnistheorie entwickelt Er zeigt dass in sich geschlossene und gleichzeitig universelle Theorien nicht moglich sind Erkenntnis entsteht vielmehr in selbstreferentiellen Prozessen auf der Basis vorheriger Erkenntnisse die bei den jeweiligen Wissenschaftsbereichen oder Individuen unterschiedlich sind Daher kommen verschiedene Wissenschaftsbereiche oder Individuen auf der Basis ihrer bisherigen Erkenntnisse zu verschiedenen neuen Erkenntnissen Ein Spezialproblem der Kontingenz ist die doppelte Kontingenz Sie beschreibt die zunachst scheinbare Unwahrscheinlichkeit von gelingender Kommunikation wenn zwei Individuen ihre Handlungen jeweils von den kontingenten Handlungen des Gegenubers abhangig machen Auch die doppelte Kontingenz will Luhmann durch Kommunikation uberwinden Durch Beobachtung des Anderen sowie durch Versuch und Irrtum entsteht im Lauf der Zeit eine emergente Ordnung die Luhmann soziales System nennt s o 3 Die Systemtheorie nach Niklas Luhmann sieht eine Zunahme der Komplexitat des Sozialen im Zuge der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaften Handlungsoptionen haben zugenommen somit sind Kontingenzerfahrungen wahrscheinlicher geworden In der strukturalen Medienbildungstheorie nach Winfried Marotzki spielt der Begriff der Kontingenz eine entscheidende Rolle als auslosendes Moment fur Bildungsprozesse Kontingenzbewaltigung BearbeitenKontingenzbewaltigung ist die Einschrankung des Risikos enttauscht zu werden Das Risiko der Enttauschung entsteht durch Ungewissheiten fur die man keine Erklarung hat In der Kulturgeschichte des Menschen wurden dazu viele Strategien entwickelt um die Welt berechenbarer zu gestalten Zentrale Bedeutung hat hier die Religion bzw deren Kontingenzunterdruckungs Mechanismen Es gab und gibt jedoch auch andere Systeme die Kontingenzbewaltigung bezwecken wie politische Ideologien Verschworungserzahlungen oder das Recht Religion Bearbeiten Der Philosoph Hermann Lubbe beschreibt die Funktion von Religion folgendermassen Religion ist Kontingenzbewaltigungspraxis handlungssinntranszendenter Kontingenzen Damit ist gemeint dass Religion fur die schlimmsten Absturze des Lebens den Tod die Trennung nicht etwa Trost sondern eine Form des Handelns und der Verarbeitung bietet die das Umgehen mit solchen Katastrophen uberhaupt ermoglicht Die Strategien der Kontingenzbewaltigung schliessen gewissermassen an die theologische Frage der sogenannten Theodizee an d i die Frage wie Gott gleichzeitig allgutig und allmachtig gedacht werden kann in einer Welt des Ubels Eine mogliche Antwort ist seit Leibniz eine ethische Unterstutzung und Hilfe sind bei solchen Kontingenz Erfahrungen angesagt Alles andere z B der Versuch der Erklarung gilt theologisch als Blasphemie Biblisches Ijob Buch Religiose Deutungssysteme versuchen Antworten auf die Existenz des Leidens zu geben Im Christentum und auch bei Schopenhauer wurde die menschliche Existenz als etwas Sundhaftes gedacht die durch das Dasein abgebusst werden musse Wahrend Paul Gerhardt diese Deutung noch akzeptiert ist sie bei Leibniz nicht mehr vorhanden Siehe auch BearbeitenKontingenz Philosophie Literatur BearbeitenAllgemein Rudiger Bubner Konrad Cramer Reiner Wiehl Hrsg Kontingenz Neue Hefte fur Philosophie Nr 24 25 Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1985 Elena Esposito Die Verbindlichkeit des Vorubergehenden Paradoxien der Mode Aus dem Italienischen von Alessandra Corti Suhrkamp Frankfurt am Main 2004 Markus Holzinger Der Raum des Politischen Politische Theorie im Zeichen der Kontingenz Wilhelm Fink Verlag Munchen 2006 Markus Holzinger Kontingenz in der Gegenwartsgesellschaft Dimensionen eines Leitbegriffs moderner Sozialtheorie Bielefeld 2007 Gerhart v Graevenitz und Odo Marquard Hrsg Kontingenz Fink Munchen 1998 ISBN 3 7705 3263 5 Wolfgang Knobl Die Kontingenz der Moderne Wege in Europa Asien und Amerika Campus Frankfurt New York 2007 Niklas Luhmann Soziale Systeme Grundriss einer allgemeinen Theorie Frankfurt M 1993 4 Auflage In Balgo Rolf Bewegung und Wahrnehmung als System Dortmund 1997 Michael Makropoulos Modernitat und Kontingenz Wilhelm Fink Verlag Munchen 1997 Kontingenzbewaltigung Hermann Lubbe Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewaltigung 1998 in Gerhart von Graevenitz Odo Marquard Hrsg Kontingenz Munchen S 35 47 Einzelnachweise Bearbeiten Niklas Luhmann Soziale Systeme 1984 S 152 Luhmann 1993 4 Vgl Parsons Shils 1951 a b Vgl Luhmann 1993 4 S 156 f In Balgo 1998 S 206 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Kontingenz Soziologie amp oldid 213704178