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Herbsttag ist ein symbolistisches Gedicht von Rainer Maria Rilke das er im Jahre 1902 schrieb Es findet sich in seinem Gedichtband Das Buch der Bilder und beschreibt in drei Strophen den Ubergang von Sommer zum Herbst Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Inhalt 3 Form 4 Deutung 4 1 Erste Strophe 4 2 Zweite Strophe 4 3 Dritte Strophe 4 4 Gesamtdeutung 5 Vertonungen 6 Weblinks 7 EinzelnachweiseEntstehung BearbeitenIm Herbst 1902 hatte Rilke seine Frau die Bildhauerin Clara Westhoff in Berlin zuruckgelassen und war nach Paris gezogen wo er an einer Monografie uber den Bildhauer Auguste Rodin arbeitete Diese verschiedenen fur Rilke eher negativen Umstande konnen bei der autobiografischen Deutung von Wichtigkeit sein In dieser Zwischenzeit hatte er auch das Gedicht geschrieben 1 Inhalt BearbeitenHerr es ist Zeit Der Sommer war sehr gross Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren und auf den Fluren lass die Winde los Befiehl den letzten Fruchten voll zu sein gieb ihnen noch zwei sudlichere Tage drange sie zur Vollendung hin und jage die letzte Susse in den schweren Wein Wer jetzt kein Haus hat baut sich keines mehr Wer jetzt allein ist wird es lange bleiben wird wachen lesen lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern wenn die Blatter treiben Form BearbeitenDas Gedicht ist in drei Strophen gegliedert jeweils mit wachsender Versanzahl Die erste Strophe besteht aus einem umarmenden Reim mit einem reimlosen Vers Waise im Zentrum und die zweite aus einem vollstandigen umarmenden Reim Die dritte Strophe ist nach demselben Schema wie die zweite aufgebaut jedoch mit einem zusatzlichen Vers der sich auf die inneren beiden der umarmenden Reime reimt Implizit wird die Viergliedrigkeit aber auch schon in der ersten Strophe mit einem Binnenreim Vers 2f Sonnenuhren Fluren erzielt Metrisch betrachtet folgt das Gedicht einem funfhebigen Jambus der fur gewisse Emphasen unterbrochen wird So wird der Rhythmus gleich am Anfang durch die Apostrophe Herr reakzentuiert Es steht an unbetonter Stelle eine betonte Silbe 2 Des Weiteren findet sich in Vers sechs Mitte des Gedichts eine Unregelmassigkeit sowie im letzten Vers der zusammen mit dem Wort Herr der ersten Zeile das Gedicht parenthetisch umschliesst und ihm eine Symmetrie uber die Strophen hinaus verleiht Deutung BearbeitenIm Gedicht Herbsttag von Rainer Maria Rilke erschienen 1902 geht es im Bild des Herbsttages um das Finden oder Verfehlen einer erfullten Lebensweise Das Gedicht hat in den verschiedenen Strophen verschiedene Aspekte des Herbstes zum Thema Erste Strophe Bearbeiten In der ersten Strophe wird der Ubergang vom Sommer zum Herbst thematisiert Der Sommer wird durch das Prateritum war V 1 als vergangen dargestellt Schatten V 2 und Winde V 3 sind die Kennzeichen des Herbstes die sich in der Natur zeigen Der Ubergang wird nicht festgestellt sondern wird in der Form eines Gebetes gefordert Der Grund der Forderung scheint dabei schlicht zu sein dass die Zeit des Herbstes gekommen ist es ist Zeit V 1 dass der Sommer vergangen ist Die Gebetsform wird durch die Anfangsstellung des Wortes Herr V 1 und durch die Durchbrechung des ansonsten regelmassigen Metrums besonders hervorgehoben Obwohl diese Tatsache selbstverstandlich zu sein scheint gibt sie das Thema des Gedichts an Die Zeit und ihr Vergehen Die Zeit wird auch im Bild der Sonnenuhren V 2 angesprochen die die Zeit messen und ihren Ablauf anzeigen Sonnenuhren haben einen Bezug zur Sonne dem bestimmenden Gestirn des Tages und des Sommers die in vielen Kulturen mit den hochsten Gottern in Verbindung stand Die Antithese von Schatten und Sonnen uhren V 2 weist auf die tiefgreifende Veranderung des Zeitwechsels hin kann man doch die Zeit nicht mehr bestimmen wenn Schatten auf Sonnenuhren liegt Ein weiteres Bild dieser Veranderung sind die Winde Zweite Strophe Bearbeiten Das Thema der zweiten Strophe ist die Vollendung der Fruchte Damit wird die Ernte als pragende Tatigkeit des Herbstes angesprochen Die Form des Gebetes wird in dieser Strophe weitergefuhrt der Inhalt der Bitte ist die Reife der Fruchte zum Ende zu bringen V 6 Wahrend der Beginn der Strophe allgemein von Fruchten V 4 spricht wird am Ende speziell der Wein genannt V 7 dies konnte mit der berauschenden Wirkung des Weines zusammenhangen die Ausdruck der Lebensfreude aber auch der ekstatischen Entruckung ist Der vergehende Sommer ist auch in dieser Strophe noch prasent In der Metapher der sudlichere n Tage wird die Warme und die Helle des Sommers angesprochen Die Reife der Fruchte wird ausser im Wort Vollendung V 6 in den Worten voll V 4 und Susse V 7 angesprochen Das Thema der Zeit erscheint in dieser Strophe nicht als Veranderung sondern als Vollendung und Reife als erwunschter und notwendiger Abschluss eines Prozesses der Fruchte tragen soll Dritte Strophe Bearbeiten Die dritte Strophe hat einen ganzlich anderen Blickwinkel auf die Aspekte des Herbstes Nicht mehr die Natur steht im Mittelpunkt sondern der Mensch die Form des Gebetes tritt vollstandig hinter die der Reflexion zuruck Zwei Satze beschreiben mogliche Auswirkungen des Herbstes wenn auch vielleicht nur im metaphorischen Sinn auf den Menschen V 8 und V 9ff Die Anapher Wer jetzt und der syntaktische Parallelismus betonen die Wirkung auf die Menschen und lassen den enthaltenen Gedanken intensiv fast schon drangend hervortreten Die Menschen erwarten demnach Heimatlosigkeit und Einsamkeit wenn sie es bis zum Ende des Sommers nicht geschafft haben sich ein Heim zu schaffen oder Gesellschaft zu finden Wer jetzt kein Haus hat in V 8 Wer jetzt allein ist in V 9 In beiden Fallen wird betont dass der jetzige Zustand fur lange Zeit unabanderlich ist Das Bild der treibenden Blatter V 12 spiegelt den unruhig wandern den V 12 heimatlosen Menschen in der Natur wider Durch die Durchbrechung des regelmassigen Metrums wird das Wort unruhig besonders betont Die Tatigkeiten die im Zusammenhang mit der Einsamkeit genannt werden namlich wachen lesen lange Briefe schreiben V 10 und eben unruhig wandern V 12 stellen Tatigkeiten eines nach innen gewandten Lebens dar Gesamtdeutung Bearbeiten Obwohl zwischen der zweiten und dritten Strophe die Perspektive von der Natur zum Menschen wechselt und sich das Thema von Reife und Vollendung zu einem einsamen Leben widersprechen sich die Teile nicht sondern erganzen einander Wahrend die Vollendung der Natur gefordert wird werden die Folgen einer fehlenden Vollendung im menschlichen Leben dargestellt Im gedoppelten Wer Satz V 8f druckt sich namlich eine Bedingung aus d h dass Einsamkeit nicht in der Natur des Menschen liegt sondern wird durch fehlende Vollendung beim Finden einer Heimat oder in sozialer Hinsicht verursacht Die Form des Gedichts unterstutzt dies durch die wachsende Anzahl der Verse In der dritten Strophe ist der umarmende Reim der in der zweiten Strophe rein auftritt und in der ersten durch den Binnenreim Fluren V 3 realisiert wird um einen Vers erweitert dadurch wird die Strophe langer als erwartet man mochte fast sagen dass sie wie ein einsamer Spaziergang in herbstlichen Alleen zu lange dauert kein Ende findet Das Bild des Herbsttag es s Titel wird in doppelter Bedeutung benutzt Auf den ersten Blick dominiert die wortliche Bedeutung die in den Naturbildern zum Ausdruck kommt z B Schatten V 2 Winde V 3 Blatter V 12 Gerade durch den Bezug auf den Menschen und seine Vereinsamung gewinnt das Bild aber eine neue Bedeutungsebene Das Finden einer Heimat und eines Platzes in der menschlichen Gesellschaft d h das Finden einer erfullten Lebensweise muss zu einer bestimmten Zeit geschehen weil es ein Verpassen des gunstigen Zeitpunktes zum Verlust auf eine unbestimmte Dauer fuhrt Der Zeitpunkt konnte als Lebensalter gedacht sein Herbst des Lebens wird das Alter genannt oder als eine dunkle Zeit im Leben d h eine Zeit des Misserfolgs oder der Krankheit Vertonungen BearbeitenConrad Beck Drei Herbstgesange fur Alt und Klavier Orgel Nr 1 1926 Winfried Zillig Lieder des Herbstes fur tiefe Stimme und Klavier Nr 2 1940 Zoltan Gardonyi Funf Rilke Lieder fur Sopran und Klavier Nr 1 1940 41 Ernst Lothar von Knorr Funf Gesange fur Bariton und Orchester oder Klavier Nr 5 1950 Petr Eben Sechs Lieder fur mittlere Stimme und Klavier Nr 2 1961 Paavo Heininen Schatten der Erde fur Singstimme und Klavier op 30 Nr 2 1973 Bertold Hummel Herbsttag fur Singstimme und Klavier op 71c 1980 1 York Holler Herbsttag fur Mezzosopran und acht Instrumente Flote Celesta Harfe Cembalo und Streichquartett 1966 1999 Krzysztof Penderecki 8 Symphonie Lieder der Verganglichkeit fur Soli gemischten Chor und Orchester Nr 11 2005 Valentin Ruckebier Herbsttag fur vierstimmigen Mannerchor 2014 Martin Spengler und die foischn Wiener Es is Zeit Text adaptiert ins Wienerische 2013Weblinks Bearbeiten nbsp Wikisource Herbsttag Quellen und VolltexteEinzelnachweise Bearbeiten Walter Hinck Stationen der deutschen Lyrik Von Luther bis in die Gegenwart Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 2000 S 126 Rainer Kirsch Chefsache und Arbeit In Marcel Reich Ranicki Hrsg Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen Band 6 Insel Frankfurt am Main 2002 S 255 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Herbsttag amp oldid 238658649