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Die Gipsabgusssammlung des Antikenmuseums der Universitat Leipzig zahlte vor dem Zweiten Weltkrieg zu den vollstandigsten und bedeutendsten Sammlungen ihrer Art in Deutschland und rangiert auch heute trotz erheblicher Kriegsverluste noch immer unter den grossten universitaren Abgusssammlungen Sie umfasst knapp 700 Gipsabgusse griechischer und romischer Antiken aus allen bedeutenden archaologischen Sammlungen Europas und allen historischen Epochen des Altertums Einen Grossteil des Bestandes machen Abgusse von Kleinplastiken und Portraitkopfen aus doch schliesst die Sammlung auch circa 100 bis 115 Grossplastiken Figurengruppen und Reliefs mit ein Hier liegt der Schwerpunkt auf Werken des Hellenismus beziehungsweise romischen Kopien nach hellenistischen Vorbildern Gipsabguss der Pasquino Gruppe in der Rekonstruktion von Bernhard SchweitzerInhaltsverzeichnis 1 Anfange der Leipziger Abgusssammlung 1836 1846 2 Weiterer Aufbau und Nutzung der Abgusssammlung 1847 1895 3 Die Blutezeit der Abgusssammlung unter Franz Studniczka 1896 1929 4 Die Zeit nach Studniczka 1929 1945 5 Die Reorganisation der Sammlung 1945 bis 1968 6 Neubeginn 1995 bis heute 7 Sammlungshighlights 8 Aufgaben und Nutzen von Gipsabgussen fur Lehre und Forschung 9 Veroffentlichungen Auswahl 10 Literatur 11 Weblinks 12 EinzelnachweiseAnfange der Leipziger Abgusssammlung 1836 1846 Bearbeiten1834 konstituierte sich die sog Antiquarische Gesellschaft an der Universitat Leipzig und forderte die Bereitstellung einer Lehrsammlung fur die Studierenden Bis dahin war in der universitaren Lehre zunachst hauptsachlich mit Kupferstichen nach antiken Originalplastiken gearbeitet worden 1 doch mit der zunehmenden Bedeutung des Faches und der stetig anwachsenden Popularisierung archaologischer Studien im fruhen 19 Jahrhundert wurde die Anschaffung von Abgussen und Originalen fur Lehre und Forschung unerlasslich Nachdem die Universitaten Tubingen Gottingen und Bonn langst mit solchen Sammlungen ausgestattet waren wurde in Leipzig auf Betreiben des Philologen Johann Gottfried Hermann 1772 1848 ab 1837 erstmals ein zunachst befristeter ab 1841 aber regelmassig bewilligter Etat von 200 Talern vom Unterrichtsministerium hierzu bereitgestellt 2 Die ersten Ankaufe erfolgten durch das personliche Engagement des Altertumsforschers Wilhelm Adolf Becker 1796 1846 der 1836 an den Lehrstuhl fur Klassische Archaologie in Leipzig berufen worden war und 1840 41 die ersten griechischen Vasen und 13 Gipsabgusse fur die Sammlung erwarb Sie wurden zunachst provisorisch im ehemaligen Konviktsaal des Mittelpaulinums der Universitat Leipzig untergebracht bis sie 1843 ins Erdgeschoss des sogenannten Fridericianums in der Schillerstrasse umgesetzt wurden Hier entstand im Laufe der Zeit ein erstes Antikenmuseum das nicht nur als Lehr und Studiensammlung diente sondern von Beginn an auch der Offentlichkeit zuganglich war wenn auch nur zwei Stunden wochentlich Weiterer Aufbau und Nutzung der Abgusssammlung 1847 1895 BearbeitenAuch der Philologe Archaologe und Musikwissenschaftler Otto Jahn 1813 1869 der von 1847 bis 1850 die Professur am Institut innehatte und dessen Engagement bereits die Universitat Kiel und spater auch die Universitat Bonn Teile ihrer Abgusssammlungen verdankten 3 fuhrte der Leipziger Antikensammlung weitere wichtige Stucke zu Hatte er sich jedoch primar dem Ankauf antiker Originale z B Erzeugnisse des etruskischen Kulturkreises und Terrakottastatuetten gewidmet so beschrankte sich sein Nachfolger Johannes Overbeck 1826 1895 ab 1853 ausschliesslich auf den Erwerb von Gipsen Sein Ziel war die Herstellung einer moglichst vollstandigen Reihenfolge kunstgeschichtlich charakteristischer namentlich aber datierbarer Monumente 4 Bereits 1854 55 hielt er erste Vorlesungen Ueber auserlesene Kunstdenkmaler im Anschluss an das akademische Museum und im Jahr darauf eine Erklarung des akademischen Gypsmuseums die er regelmassig im Sommersemester wiederholte 1864 gab er eine Lehrveranstaltung zur Geschichte der bildenden Kunste bei den Griechen unter Benutzung des akademischen Gypsmuseums 5 Overbeck verfolgte demnach eine systematische Integration der Gipse in die archaologische Lehre und pragte damit den hervorragenden Rang der Leipziger Abgusssammlung unter den deutschen Universitatssammlungen der zweiten Halfte des 19 Jahrhunderts Aufgrund ihrer nunmehr erheblichen Grosse die Sammlung umfasste mittlerweile uber 850 Abgusse musste sie 1881 vom Fridericianum in das Augusteum am Augustusplatz umziehen wo sie chronologisch bzw nach stilistischen Aspekten geordnet werden konnten Die Blutezeit der Abgusssammlung unter Franz Studniczka 1896 1929 BearbeitenOverbecks Nachfolge trat 1896 Franz Studniczka 1860 1929 an der die Sammlung wahrend seiner dreissigjahrigen Amtszeit ebenfalls erweiterte und intensiv in der Lehre einsetzte Studniczka schaffte es zahlreiche Forderer fur die Antikensammlung zu gewinnen die den Bestand durch Ankaufe und Schenkungen stetig vermehrten Ihm ist auch die Vollendung des Umzugs des Archaologischen Instituts in die grosszugigen Raume im neuen Universitatsbau zu verdanken der bereits unter Overbeck geplant worden war Hier konnte die Sammlung auf 1400 m Flache nicht nur angemessen ausgestellt werden sondern sie verfugte auch uber erste eigene Depots und Werkstatten 6 Diese wurden unter Studniczka auch dazu genutzt anhand der Gipse Erganzungsversuche zu unternehmen die am Original naturlich irreversible Veranderungen nach sich gezogen hatten So rekonstruierte er 1907 1911 beispielsweise erfolgreich die Artemis Iphigenie Gruppe aus der Ny Carlsberg Glyptotek anhand ihres Gipsabgusses 7 Die Zeit nach Studniczka 1929 1945 BearbeitenStudniczka folgten sein Schuler Herbert Koch 1880 1962 und der Archaologe Bernhard Schweitzer 1892 1966 die die Sammlung in der bisherigen Tradition weiterfuhrten und bewahrten Schweitzer nutzte auch die von Studniczka eingerichtete Werkstatt weiter und rekonstruierte hier u a die beruhmte Pasquino Gruppe anhand des Leipziger Gipses 8 In den 1930er Jahren hatte die Sammlung jedoch bereits erste Probleme zu bewaltigen So gerieten Gipsabgusse bereits zu Beginn des 20 Jahrhunderts aufgrund ihrer als mangelhaft empfundenen optischen Qualitaten ins Abseits des offentlichen Interesses Auch reduzierte sich die Zahl der Stiftungen in der Zeit des Nationalsozialismus merklich Ein Grossteil der Sammlungsraume wurde schliesslich durch die Bombenangriffe im Dezember 1943 vollig zerstort Zahlreiche Originale und Abgusse waren nicht mehr rechtzeitig ausgelagert worden und fielen zusammen mit einem Teil der Bestandsdokumentation dem Krieg zum Opfer Von den ursprunglich mehr als 2000 Abgussen konnten spater nur etwa 600 aus den Trummern des Universitatsgebaudes geborgen und zusammen mit den ausgelagerten Originalen in die Sammlung zuruckgefuhrt werden Die Reorganisation der Sammlung 1945 bis 1968 BearbeitenNachdem die stark dezimierte Sammlung erst 1955 von Herbert Koch im Oberlichtsaal des Augusteums wiedereroffnet worden war ist sie bereits 1968 anlasslich der Sprengung des historischen Universitatskomplexes aus ihren Raumen entfernt und in ein eher provisorisches Magazin einen ehemaligen Kohlebunker eingelagert worden Somit wurden ihr die museale Nutzung und auch die Aufgabe als Lehr und Studienort entzogen Fur die nachsten beiden Jahrzehnte war die Abgusssammlung fast ohne jede konservatorische oder restauratorische Betreuung in den Depots verborgen was erneut zu erheblichen Schaden an den empfindlichen Gipsen fuhrte Zudem waren der Lehrstuhl im Zuge der Hochschulreform des Jahres 1968 liquidiert und die Lehre im Fach Archaologie ganzlich eingestellt worden sodass an eine Wiederaufnahme ihrer wichtigen Funktion auch dahingehend nicht zu denken war Neubeginn 1995 bis heute BearbeitenMit dem Ende der DDR veranderte sich die politische Situation zugunsten der universitaren Lehre sodass zumindest die Originalsammlung 1994 ein neues Domizil in der Alten Nikolaischule erhielt und der Offentlichkeit sowie den Studierenden wieder zuganglich gemacht wurde In den Raumen des Antikenmuseums werden zu Sonderausstellungen regelmassig auch einige bereits restaurierte Stucke der Abgusssammlung prasentiert Auch das Institutsgebaude in der Ritterstrasse dient mit seiner Schaufenstergalerie im Studiensaal der lehrinternen Nutzung der Sammlung hier werden in regelmassigem Wechsel Gipse kleineren Formats wie z B die Kaiserportraits aufgestellt Die grossen Abgusse wie die der Laokoon Gruppe des Torso vom Belvedere des Augustus von Primaporta der Venus Medici oder der Parthenonmetopen konnen der Offentlichkeit weiterhin noch nicht dauerhaft prasentiert werden Sie sind jedoch seit 1999 unter sehr guten konservatorischen Bedingungen in einem Leipziger Depot untergebracht Sammlungshighlights Bearbeiten nbsp Galliergruppe Ludovisi im Lichthof der Bibliotheca AlbertinaNeben den bereits genannten beruhmten Stucken findet sich in der Abgusssammlung noch immer der Abguss der sogenannten Artemis Iphigenie Gruppe aus der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen anhand dessen Franz Studniczka 1907 1911 die Gruppe rekonstruiert hatte 9 Weitere beruhmte Stucke aus allen bedeutenden Museen der Welt wie die Kapitolinische Wolfin die Gemma Augustea und der sog Cameo Gonzaga Architekturteile z B korinthischer Kapitelle und Saulenbasen die Reliefs der Ara Pacis Augustae Portrats griechischer Philosophen und Feldherren romischer Kaiser und ihrer Familien sind in Form von Abgussen in der Sammlung vertreten Unter den Leipziger Studierenden ist wohl die Galliergruppe Ludovisi am bekanntesten sie hat im Anschluss an die Wanderausstellung fromm fremd barbarisch Die Religion der Kelten 2002 ihre Aufstellung im Lichthof der Bibliotheca Albertina behalten Aufgaben und Nutzen von Gipsabgussen fur Lehre und Forschung BearbeitenEin Abguss bietet gegenuber einer Zeichnung oder Fotografie entscheidende Vorteile in der Lehre So konnen haptische Qualitaten einer Skulptur ihre Oberflachenbeschaffenheit Plastizitat und Gesamtwirkung anhand der Abformung im Massstab 1 1 sehr viel genauer und unmittelbarer studiert werden als es zweidimensionale Abbildungen ermoglichen Auch wird der Gesamteindruck nicht durch farbliche Veranderungen gestort die z B am Original aus der Lagerung im Boden resultieren konnen Zusatzlich bietet der Abguss Moglichkeiten wie z B die experimentelle Rekonstruktion ursprunglicher Farbfassungen oder Erganzungsversuche anhand von Bruchstucken was in Leipzig vor allem zu Beginn des 20 Jahrhunderts erfolgreich praktiziert wurde Artemis Iphigenie Gruppe Pasquino Gruppe 10 Veroffentlichungen Auswahl BearbeitenHans Ulrich Cain Hans Peter Muller Hrsg Laokoon Schmerz und Leid Graphische Arbeiten von Donald von Frankenberg Begleitheft zur Sonderausstellung vom 14 06 05 10 2008 Leipzig 2008 Hans Ulrich Cain Sabine Rieckhoff Hrsg fromm fremd barbarisch Die Religion der Kelten Katalog der Sonderausstellung vom 14 4 bis 15 6 2002 Mainz 2002 ISBN 3 8053 2898 2 Hans Ulrich Cain Hrsg Aurea Aetas Die Blutezeit des Leipziger Antikenmuseums zu Beginn des 20 Jahrhunderts Leipzig 2009 ISBN 978 3 938543 74 0 Literatur BearbeitenDas archaologische Museum In Friedrich Bulau Sr Majestat des Konigs Johann von Sachsen Besuch der Universitat Leipzig am 4 5 und 6 August 1857 Nebst einer Darstellung der Anstalten und Sammlungen der Universitat C L Hirschfeld Leipzig 1858 S 24 25 Johannes Overbeck Die archaologische Sammlung der Universitat Leipzig Leipzig 1859 Georg Ebers Johannes Overbeck Fuhrer durch das Archaeologische Museum der Universitat Leipzig Leipzig 1881 Franz Studniczka Das archaologische Institut Leipzig 1909 Hans Peter Muller Das Akademische Gypsmuseum Zur Geschichte einer vergessenen Skulpturensammlung In Leipziger Blatter 27 1995 S 56 59 Eberhard Paul Kunst ans Licht Die Antikensammlung der Universitat In Leipziger Blatter 24 1997 S 10 12 Eberhard Paul Hrsg Die Sponsoren des Antikenmuseums gestern und heute Leipzig 1997 ISBN 3 932019 06 7 Hans Peter Muller Klassische Archaologie In Geschichte der Universitat Leipzig 1409 2009 Bd 4 1 Leipzig 2009 S 197 217 Weblinks BearbeitenGipsabgusssammlung der Universitat Leipzig Gipsabgusssammlung der Universitat Leipzig auf der Arachne Website Gipsabgusssammlung der Universitat Leipzig in der Datenbank Universitatsmuseen und sammlungen in Deutschland Geschichte des Antikenmuseums der Universitat LeipzigEinzelnachweise Bearbeiten Hans Peter Muller Das Akademische Gypsmuseum Zur Geschichte einer vergessenen Skulpturensammlung In Leipziger Blatter 27 1995 S 57 Hans Peter Muller Die Stifter des Antikenmuseums der Universitat Leipzig 1840 1992 In Eberhard Paul Hrsg Die Sponsoren des Antikenmuseums Gestern und Heute Leipzig 1997 S 114 Reinhard Lullies Hrsg Archaologenbildnisse Portrats und Kurzbiographien von klassischen Archaologen deutscher Sprache 1988 S 35 Johannes Overbeck Die archaologische Sammlung der Universitat Leipzig Leipzig 1859 S V Uberblick uber die Lehrveranstaltungen Johannes Overbecks an der Universitat Leipzig Eberhard Paul Kunst ans Licht Die Antikensammlung der Universitat In Leipziger Blatter 24 1997 S 11 Hans Peter Muller Das Akademische Gypsmuseum Zur Geschichte einer vergessenen Skulpturensammlung In Leipziger Blatter 27 1995 S 59 Bernhard Schweitzer Das Original der sogenannten Pasquino Gruppe Leipzig 1936 Hans Peter Muller Das Akademische Gypsmuseum Zur Geschichte einer vergessenen Skulpturensammlung In Leipziger Blatter 27 1995 S 59 Hans Ulrich Cain Arbeiten in Gips Zu einer schopferischen Methode der Archaologie In Ders Hrsg Aurea Aetas Die Blutezeit des Leipziger Antikenmuseums zu Beginn des 20 Jahrhunderts Leipzig 2009 S 16 21 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gipsabgusssammlung der Universitat Leipzig amp oldid 224515340