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Zusammenhange zwischen Gewalt und Pornografie sind seit Jahrzehnten Thema wissenschaftlicher Untersuchungen und politischer Debatten wobei unter Gewalt oft verbotene sexuelle Gewalt verstanden wird Das Vorhandensein von Zusammenhangen zwischen Pornografie und Sexualverbrechen wird von manchen Wissenschaftlern als wahrscheinlich angesehen in welcher Starke und in welche Richtung also ob die Straftaten ab oder zunehmen sich beides gegenseitig beeinflusst ist aber umstritten Inhaltsverzeichnis 1 Methodische Prinzipien 2 Empirische Metaanalysen 3 Experimentelle Studien 4 Behavioristische Modelle und psychoanalytische Erklarungen 5 Zusammenhang mit Straftaten 6 Soziologische Argumente 7 EinzelnachweiseMethodische Prinzipien BearbeitenBei der Untersuchung der Auswirkungen von Pornographie muss das Ausmass ggf vorhandener Gewaltdarstellung in den genutzten Medien berucksichtigt und zwischen Softcore Hardcore Gewaltpornographie und Vergewaltigungspornographie unterschieden werden 1 2 Zur Erforschung von Zusammenhangen zwischen Pornographie und Gewalt werden a experimentelle Studien haufig mit unauffalligen Studentenpopulationen b Untersuchungen bei Sexualstraftatern und c epidemiologische Studien an grossen Bevolkerungsgruppen herangezogen 3 Fast immer werden ausschliesslich Manner untersucht Empirische Metaanalysen BearbeitenIn einer Metaanalyse von 33 experimentellen Studien mit insgesamt 2040 Probanden konnte gezeigt werden dass Softcore Pornographie einfache Nacktdarstellungen die Aggressivitat senkt wahrend gewaltfreie Hardcore Pornographie und Gewaltpornographie diese steigern allerdings nur bei den Probanden die zuvor provoziert und in einen gereizten Zustand versetzt angered worden waren 4 Diese unspezifische gereizte Ausgangsstimmung wird als eine wichtige Voraussetzung fur die negative Wirkung von Pornographie betrachtet Oddone Paolucci und Mitarbeiter fanden in einer weiteren Metaanalyse von 46 experimentellen Studien mit insgesamt 12 323 Probanden Korrelationen von Pornographie mit devianter Sexualitat mit sexueller Gewalt mit einer negativen Einstellung gegenuber Intimbeziehungen und mit dem Vergewaltigungsmythos 5 Daraus kann nach Berner und Hill geschlossen werden dass Pornographie nur einer von vielen Einflussfaktoren auf die Entwicklung sexueller Gewalt ist Als moderierende Einflussfaktoren auf die Wirkung von Pornographie kommen neben der Art der Pornographie Gewaltlevel und dem aktuellen emotionalen Zustand des Konsumenten Wut Arger Traurigkeit auch das kulturelle z B Geschlechtergleichheit Permissivitat fur Gewaltanwendung und familiare Milieu z B Umgang mit Sexualitat Traumatisierungen Personlichkeitsfaktoren z B Bindungsstil Feindseligkeit Impulsivitat Intelligenz sexuelle Praferenzen und der Einfluss psychotroper Substanzen Alkohol Drogen in Frage Daher ist es wichtig bezuglich der Wirkung von Pornographie zwischen verschiedenen Risikogruppen zu unterscheiden 6 In einer Metaanalyse von 13 Studien zum Einfluss von Pornographie auf Sexualstraftater Gesamtzahl 2542 fand sich zwar kein Unterschied zwischen Sexualstraftatern und Kontrollgruppen bezuglich der Haufigkeit und dem Alter beim ersten Pornographiekonsum aber Sexualstraftater waren nach Pornographiekonsum signifikant haufiger sexuell aktiv sei es in Form von Selbstbefriedigung konsensuellen oder erzwungenen sexuellen Kontakten Sie wurden zudem durch Pornographiekonsum starker sexuell erregt besonders durch Gewaltpornographie Interessanterweise wurden die Sexualstraftater durch konsensuelle Pornographie weniger erregt als die Kontrollprobanden 7 Experimentelle Studien BearbeitenIn einer experimentellen Studie mit 1713 Collegestudenten fand sich zwar in allen Risikogruppen eingeteilt anhand der Merkmale feindselige Mannlichkeit und Promiskuitat ein Zusammenhang zwischen Haufigkeit des Pornographiekonsums und sexueller Aggression Dieser Effekt war aber am ausgepragtesten in der Hochstrisikogruppe 13 der Stichprobe Personen mit dem haufigsten Pornographiekonsum zeigten 7 mal so haufig sexuelle Aggressionen wie diejenigen die nie Pornographie konsumierten 8 Ein kausaler Zusammenhang ist in beide Richtungen denkbar Personen mit einer besonderen Bereitschaft fur sexuelle Aggression konsumieren haufiger Pornographie Pornographiekonsum fordert die sexuelle Aggressivitat Behavioristische Modelle und psychoanalytische Erklarungen BearbeitenLaut dem Erregungs Transfer Modell fuhrt Pornographie zu einer unspezifischen physiologischen Erregung die nach Provokation in Wut uberfuhrt wird Das Modell des sozialen Lernens postuliert dass der Konsument sich mit dem Tater bzw dem dominanten Partner in der pornographischen Darstellung identifiziert diesen nachahmt Nach der Desensitivierungstheorie gewohnt sich der Konsument an die Verknupfung von Sexualitat und Gewalt wie sie in entsprechenden Formen der Pornographie dargestellt wird Auch kann es durch haufigen Pornographiekonsum zu einer Abstumpfung und Langeweile gegenuber gewaltfreier Pornographie kommen und ein Verlangen nach einem starkeren Reiz d h devianteren eventuell gewalttatigeren Stimuli wachsen 9 3 Nach psychodynamischen Theorien kann Pornographiekonsum als narzisstische Plombe 10 der Kompensation von Minderwertigkeits und Ohnmachtsgefuhlen der Selbsttrostung oder Angstabwehr dienen und stellt in seinen devianten Formen eine erotische Form von Feindseligkeit dar wie sie von Robert Stoller in seinem Buch Perversion Die erotische Form von Hass beschrieben wurde 11 Aus den zahlreichen pornografischen Gattungen wahlte Stoller beispielhaft den von ihm so genannten perversen Transvestitismus den er auf Falle beschrankt wissen wollte bei denen das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts fetischistischen Charakter habe und sexuelle Erregung erzeuge Zusammenhang mit Straftaten BearbeitenIm direkten Kontext von Sexualstraftaten kann Pornographie zu unterschiedlichen Zwecken dienen der Eigenstimulationen des Taters vor der Tat der Verfuhrung des Opfers besonders von Kindern und Jugendlichen die haufig eine besondere Neugierde fur solches fur sie ansonsten nicht leicht zugangliches Material haben der spateren Selbststimulation nach einer Tat kommerziellen Zwecken z B Verkauf von Kinderpornographie 12 Selbststimulation vor der Sexualstraftat kommt relativ selten 13 bei Inzesttatern vor aber immerhin zu gut einem Drittel bei heterosexuellen 36 wie homosexuellen 38 extrafamiliaren Missbrauchstatern und Vergewaltigern 35 13 In zwei Befragungen von Sexualstraftatern gaben 16 bzw 27 an dass Pornographiekonsum zu ihrem devianten Sexualverhalten beitrug 14 15 Laut einer Untersuchung von Langevin und Cornoe nutzen 13 der untersuchten Sexualstraftater Pornographie zur Selbststimulation vor der Tat die Halfte zeigte dem Opfer bei der Tat pornographisches Material meistens zur Verfuhrung manchmal auch zur Einschuchterung und ein Drittel machte Aufnahmen von ihrem Opfer 16 Soziologische Argumente BearbeitenDie die Korrelation Verneinenden fuhren Japan auf ein Land das fur seine umfangreiche Vergewaltigungs BDSM und Bondage Pornografie bekannt ist vgl Japanische Pornografie jedoch die niedrigste Kriminalitatsrate im Bereich sexueller Gewaltdelikte aller Industrienationen aufweist 17 In Bezug auf Japan sind zahlreiche Studien zu beachten die beispielsweise belegen dass 69 der befragten japanischen Oberschulerinnen in der U Bahn unsittlich beruhrt wurden und dass laut einer Studie der Justice Ministry Research Group aus dem Jahre 2000 davon ausgegangen werden muss dass nur elf Prozent aller Sexualdelikte zur Anzeige gebracht werden da Opfer von Vergewaltigungen in Japan eher beschuldigt als geschutzt worden seien 18 19 Die die Korrelation Verneinenden fuhren eine Untersuchung als Langsschnittstudie 1991 auf die trotz Zunahme von Menge und Verfugbarkeit sadomasochistischer Pornographie im Zeitraum zwischen 1964 und 1984 in Deutschland Schweden Danemark und den USA ebenfalls keinen Zusammenhang mit der jeweiligen Vergewaltigungsrate findet Die Vergewaltigungsrate in den europaischen Landern blieb konstant 20 Die gleiche Studie stellt fest dass trotz der Legalisierung von Pornografie in Deutschland 1973 die Zahlen fur Vergewaltigungen durch Fremde und Gruppenvergewaltigungen im Zeitraum zwischen 1971 und 1987 konstant abnahmen Diesem entsprechen auch die Ergebnisse der Studie fur Danemark und Schweden sie stellt hierzu fest Insgesamt gab es keine Steigerung der tatsachlichen Anzahl der in Westdeutschland verubten Vergewaltigungen in den Jahren in denen Pornografie legalisiert und weit verfugbar wurde 21 Wahrend zwischen 1964 und 1984 in Danemark Schweden und Deutschland die nichtsexuellen Gewaltverbrechen um rund 300 zunahmen ging trotz der leichteren Verfugbarkeit sexueller Materialien die Zahl der Sexualverbrechen eindeutig zuruck Die aufgefuhrten Statistiken und Studien lassen einige Wissenschaftler daruber spekulieren ob nicht eine umgekehrte Korrelation der Wahrheit wesentlich naher kommen konnte dass also die weite Verbreitung von pornografischem Material potenziellen Straftatern eine allgemein sozial akzeptierte Moglichkeit anbieten konnte ihre eigene Sexualitat zu steuern Befurworter der Korrelation zwischen Pornografie und Gewalt halten vor allem eine in ihrer wissenschaftlichen Methodik haufig stark kritisierte Veroffentlichung von W L Marshall zum Gebrauch sexuell expliziter Darstellungen bei Vergewaltigern entgegen die Zusammenhange zwischen Pornografie und Gewalt aufzeigt 22 Demgegenuber weist der Sozialethiker G Schreiber darauf hin dass die Vorstellung eines einfachen Kausalzusammenhangs zwischen Pornografiekonsum und der Begehung von Sexualdelikten zu kurz greife Bei der Entstehung von Sexualstraftaten spielen unterschiedliche Faktoren und verschiedene Bedingungen eine Rolle die hinsichtlich Wirkung und Nutzung von Pornographie zu berucksichtigen sind Das Verhaltnis von Pornographie und Sexualstraftaten ist zu komplex als dass ihm mit linearen oder monokausalen Begrundungsmustern beizukommen ware 23 Einzelnachweise Bearbeiten W Berner A Hill Gewalt Missbrauch Pornografie In R Hornung C Buddeberg T Bucher Hrsg Sexualitat im Wandel vdf Hochsch Verlag Zurich 2004 S 141 157 S B Boeringer Pornography and sexual aggression associations of violent and nonviolent depictions with rape and rape proclivity In Deviant Behavior an Interdisciplinary Journal Band 15 1994 S 289 304 a b Helena Barwick A guide to the research into the effects of sexually explicit films and videos Office of Film amp Literature Classification Wellington Australien 2003 M Allen D D Alessio K Brezgel A meta analysis summarizing the effects of pornography II In Human Communication Research Band 22 S 258 283 E Oddone Paolucci M Genius C Violato A meta analysis of the published research on the effects of pornography In C Violato E Oddone Paolucci M Genius Hrsg The changing family and child development Ashgate Aldershot UK 2000 S 48 59 W Berner A Hill Gewalt Missbrauch Pornografie In R Hornung C Buddeberg T Bucher Hrsg Sexualitat im Wandel vdf Hochsch Verlag Zurich 2004 S 141 157 M Allen D D Alessio T M Emmers Sommer Reactions of criminal sexual offenders to pornography a meta analytic summary In M Roloff Hrsg Communication yearbook 22 Sage Thousand Oaks CA 2000 S 139 169 N M Malamuth T Addison M Koss Pornography and sexual aggression are there reliable effects and can we understand them In Annual Review of Sex Research Band 6 2000 S 26 91 M C Seto A Maric H E Barbaree The role of pornography in the etiology of sexual aggression In Aggression and Violent Behavior Band 6 2001 S 35 53 Fritz Morgenthaler Die Stellung der Perversionen in Metapsychologie und Technik In Psyche Band 28 Nr 12 1974 ISSN 0033 2623 S 1077 1098 Robert J Stoller Perversion Die erotische Form von Hass Bibliothek der Psychoanalyse 3 durchgesehene Auflage Psychosozial Verlag Giessen 2014 ISBN 978 3 8379 2391 9 englisch Perversion The erotic Form of Hatred New York 1975 Ubersetzt von Maria Poelchau J S Levenson Sex offender polygraph examination an evidence based case management tool for social workers In Journal of evidence based social work Band 6 2009 S 361 375 W L Marshall The use of sexually explicit stimuli by rapicts Child molesters and non offenders In The Journal of Sex Research Band 25 S 267 288 C M Kearns D E Nutter A preliminary examination of the pornography experience of sex offenders paraphiliacs sexual dysfunction patients and controls based on meese commission recommendations In J Sex Marit Ther Band 14 1988 S 285 298 D E Nutter M E Kearns Patterns of exposure to sexually explicit material among sex offenders child molesters and controls In Journal of sex amp marital therapy Band 19 1993 S 77 85 R Langevin S Curnoe The use of pornography during the commission of sexual offenses In International Journal of Offender Therapy and Comparative Criminology Band 48 2004 S 572 586 Vgl hierzu Milton Diamond und Ayako Uchiyama in Pornography Rape and Sex Crimes in Japan In International Journal of Law and Psychiatry Band 22 1999 S 1 22 Online unter Pornography Rape and Sex Crimes in Japan Abgerufen am 8 April 2023 Our findings regarding sex crimes murder and assault are in keeping with what is also known about general crime rates in Japan regarding burglary theft and such Japan has the lowest number of reported rape cases and the highest percentage of arrests and convictions in reported cases of any developed nation Indeed Japan is known as one of the safest developed countries for women in the world Clifford 1980 Despite the absence of evidence the myth persists that an abundance of sexually explicit material invariably leads to an abundance of sexual activity and eventually rape e g Liebert Neale amp Davison 1973 Indeed the data we report and review suggest the opposite Christensen 1990 argues that to prove that available pornography leads to sex crimes one must at least find a positive temporal correlation between the two The absence of any positive correlation in our findings and from results elsewhere between an increase in available pornography and the incidence of rape or other sex crime is prima facie evidence that no link exists But objectivity requires that an additional question be asked Does pornography use and availability prevent or reduce sex crime Both questions lead to hypotheses that have over prolonged periods been tested in Denmark Sweden West Germany and now in Japan Indeed it appears from our data from Japan as it was evident to Kutchinsky 1994 from research in Europe that a large increase in available sexually explicit materials over many years has not been correlated with an increase in rape or other sexual crimes Instead in Japan a marked decrease in sexual crimes has occurred Karryn Cartelle Victims finally learning to speak out against Japan s outdated rape laws In japantoday com 21 April 2008 abgerufen am 8 April 2023 englisch Rape Debate In Japan CBS News In CBS News 7 Februar 2007 archiviert vom Original am 7 Februar 2007 abgerufen am 8 April 2023 englisch Berl Kutchinsky Pornography and Rape Theory and Practice In International Journal of Law and Psychiatry Band 14 1991 S 47 66 Vgl Kutchinsky 1991 Overall there was no increase in the actual number of rapes committed in West Germany during the years when pornography was legalized and became widely available W L Marshall Ph D The Use of Sexually Explicit Stimuli by Rapists Child Molesters and Non offenders In Journal of Sex Research Band 25 Nr 2 Mai 1988 G Schreiber Im Dunkel der Sexualitat Sexualitat und Gewalt aus sexualethischer Perspektive De Gruyter Boston Berlin 2022 ISBN 978 3 11 071764 8 S 497 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Gewalt und Pornografie amp oldid 239276977