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Die Flachslanden Prozesse waren eine von 1993 bis 1995 andauernde Strafprozessserie vor dem Landgericht Ansbach 19 Personen aus Flachslanden und Umgebung wurden des massenhaften Kindesmissbrauchs angeklagt was zur Verurteilung von 13 Beschuldigten mit bis zu 14 Jahren Haft fuhrte Sechs Verfahren wurden eingestellt da den Kindern nach Ansicht des Gerichts keine weitere Verhandlung mehr zugemutet werden konnte Inhaltsverzeichnis 1 Ausloser 2 Festnahmen Prozesse Medienecho 3 Abbruch der Prozessserie 4 Folgen 5 Siehe auch 6 EinzelnachweiseAusloser BearbeitenErste Hinweise ergaben sich 1991 als ein funfjahriges Madchen gegenuber einer Nachbarin fragwurdige Ausserungen machte Die Frau des Dorfpfarrers informierte das Schulamt dies wiederum die Forderschule auf die die Geschwister des Madchens gingen Hieraus ergaben sich jedoch keine Erkenntnisse Im Jahre 1993 wurden die vier funf bis zwolfjahrigen Tochter des entsprechenden Ehepaars an verschiedene Pflegefamilien des Landkreises Ansbach verteilt der Grund war nicht ein Verdacht auf sexuellen Missbrauch sondern anderweitige unhaltbare Zustande in der Familie Lediglich der zweijahrige Sohn blieb beim Ehepaar Anfang Februar 1993 berichtete eines der Madchen in der Schule unmissverstandlich von sexuellen Ubergriffen zu Hause woraufhin das Kreisjugendamt Ansbach informiert wurde Da die Kinder vor dem Ermittlungsrichter wieder schwiegen und die Eltern alles abstritten wurde das Verfahren zunachst eingestellt Inzwischen hatten die beiden altesten Madchen in den Pflegefamilien soweit Vertrauen gefasst dass sie unabhangig voneinander aber fast zeitgleich von Missbrauch in der Familie berichteten Verwandte und Bekannte hatten sie missbraucht die Mutter habe sie festgehalten und andere Verwandte hatten geholfen der Mund sei ihnen zugeklebt oder ein Apfel hineingesteckt worden damit sie nicht schreien konnten Wenn sie sich wehrten habe der Vater sie geschlagen Die Tatorte waren die Wohnung in Flachslanden und die Wohnwagen der Familie auf dem nahegelegenen Campingplatz Fotos und Videos seien gemacht und auch andere Kinder aus der Verwandtschaft seien missbraucht worden 1 Festnahmen Prozesse Medienecho BearbeitenAm 30 Juni 1993 waren mehr als 100 Polizeibeamte im Einsatz um 15 Manner und 5 Frauen aus Flachslanden Ansbach und Nurnberg festzunehmen Im Oktober 1993 ermittelte die Polizei gegen insgesamt 27 Personen davon 7 Frauen 14 Personen kamen in Untersuchungshaft Das Medienecho war gewaltig Fernsehteams und Journalisten aus ganz Europa fanden sich in dem kleinen Dorf ein Teile der Medien nannten die Beschuldigten schon vor der teilweise nicht erfolgten Verurteilung mit vollen Namen Der Spiegel schilderte die Tatvorwurfe in allen Details Am 24 Februar 1994 begann die Serie an Hauptverhandlungen gegen teilweise gestandige Angeklagte es wurden in den beiden ersten Urteilen Haftstrafen von achteinhalb und dreieinhalb Jahren verhangt Ausgehend von diesen ersten rechtskraftigen Urteilen versuchten Richter und Staatsanwaltschaft uberwiegend mit Erfolg mit Zusagen auf Strafminderung den weiteren Angeklagten Gestandnisse zu entlocken um den Kindern Aussagen zu ersparen nach anderer Interpretation um den unangenehmen Fall abzuschliessen Wie das Ansbacher Gericht von den mehrheitlich intellektuell reduzierten Angeklagten Gestandnisse erlangte und wie es die Verteidiger mit Strafrabatten drangte wurde aber auch zunehmend kritisch gesehen 1 2 Weiterhin ergab sich eine zunehmende Stigmatisierung des ganzen Ortes Flachslanden durch verschiedene Massenmedien Wegen der ubersichtlichen Verhaltnisse im Dorf stellten manche Medien die Frage ob denn ein so umfangreicher Missbrauch unbemerkt geblieben sein konne und stellten zumindest implizit den Ort unter den Generalverdacht der Mitwisserschaft So bezeichnete beispielsweise die aktuelle Flachslanden pauschal als das Dorf der Kinderschander und Skandal Dorf 3 Die regionale Frankische Landeszeitung die ihren Mantel von den Nurnberger Nachrichten bezieht aber auch Der Spiegel versuchten dem entgegenzutreten Der Burgermeister von Flachslanden wandte sich gegen die Verunglimpfung des ganzen Dorfes 1 4 Am 25 Marz 1994 wurde der Dorfarzt der einzige Allgemeinmediziner im Ort verhaftet da er von einem missbrauchten Madchen schwer belastet wurde Der Arzt hatte zum Zeitpunkt der Verhaftung seine Praxis schon verkauft um eine HNO Praxis in Nurnberg zu ubernehmen Da er im Gegensatz zu den bisherigen Angeklagten zu den Honoratioren gehorte reagierte die Bevolkerung des von Journalisten und Fernsehteams belagerten Ortes mit Unglauben auch da die bisherigen Angeklagten als soziale Randexistenzen und verwahrloste Aussenseiterfamilie abgetan worden waren Kurz darauf wurde bekannt dass der Mediziner im Jahre 1982 wegen Abrechnungsbetrugs in Nordlingen seine kassenarztliche Zulassung zuruckgegeben und seine damals zahlreichen Amter niedergelegt hatte 5 Der Mediziner der am 30 Marz 1994 auch als Zeuge gehort werden sollte stritt jede Tatbeteiligung ab und verweigerte wie der Vater der Hauptzeugin die Aussage Dagegen legte die Mutter ein Gestandnis ab Das Prozessklima verschlechterte sich deutlich als ein Anwalt die Gutachten uber die Glaubwurdigkeit des Madchens anzweifelte die entsprechende Kinderpsychologin als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft bezeichnete und den spater von anderen Anwalten wiederholten Vorwurf formulierte dass das von mehreren Mannern auf perverse Art missbrauchte Madchen Phantasie und Wirklichkeit nicht trennen konne und wahllos neue Vorwurfe gegen Personen aus ihrem fruheren Umfeld erhebe 6 Im Oktober 1994 verurteilte das Gericht den Hauptangeklagten wegen Vergewaltigung und sexuellen Missbrauchs von Minderjahrigen zu 14 Jahren Haft Das war die hochste Strafe in dem seit acht Monaten laufenden Verfahren Der Hauptangeklagte habe seine beiden altesten Tochter eine Enkelin und seinen damals nicht einmal ein Jahr alten Sohn vergewaltigt oder sexuell missbraucht Seine Frau war zuvor wegen Tatbeteiligung zu zehn Jahren Haft verurteilt worden 7 Abbruch der Prozessserie BearbeitenDie Jugendkammer des Landgerichts Ansbach setzte am 1 Marz 1995 die Beiordnung des Pflichtverteidigers des 13 Angeklagten und die entsprechende Hauptverhandlung aus was von den Medien als einmaliger Vorgang bezeichnet wurde und auch vor dem Hintergrund der gleichzeitig laufenden Wormser Prozesse die Kritik an bestimmten Aspekten des Verfahrens wachsen liess Die Strafkammer meinte dagegen der Verteidiger habe seit Beginn der Hauptverhandlung am 19 Januar 1995 gezielt und planmassig versucht durch eine bestimmte Verhandlungsstrategie die Durchfuhrung eines Strafverfahrens in der Sache schlechthin zu verhindern Der Pflichtverteidiger hatte im Februar die Aussetzung des Verfahrens beantragt um die Besetzungsfrage der Schoffen vom Verfassungsgericht klaren zu lassen Es gab am Landgericht Ansbach zu diesem Zeitpunkt nach zwolf Prozessen keine Schoffen mehr die nicht bereits an Verurteilungen mitgewirkt hatten was das Problem der Befangenheit aufwarf Zuvor hatte der Anwalt auf verschiedene andere Probleme hingewiesen unter anderem auf die zunehmende Uberforderung der Kinder in der langwierigen Prozessserie So brachte der Rechtsanwalt unter anderem eine richterliche Vernehmung der damals zwolfjahrigen Hauptbelastungszeugin vor Dem Kind das eine Schule fur Menschen mit geistiger Behinderung besuchte waren angeblich bei einer Befragung in knapp vier Stunden 822 Fragen und Fotos vorgelegt worden Zudem bemangelte er dass in den gerichtlichen Vernehmungen seiner Meinung nach auch Suggestivfragen gestellt worden seien 2 Der Rechtsanwalt hatte mit einer Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Nurnberg Erfolg Die Beschlusse der Jugendkammer auf Aufhebung der Beiordnung wurden im Mai 1995 aufgehoben 8 Anfang August 1995 beschloss die Ansbacher Strafkammer die restlichen sechs Verfahren auszusetzen da nach einem arztlichen Gutachten den Opfern keine weiteren Auftritte vor Gericht mehr zugemutet werden konnen Ohne die Belastungszeugen erschien der Kammer eine Weiterverfolgung der Verfahren fur nicht erfolgversprechend weswegen sie sich dazu entschloss die restlichen Anklagen und die entsprechenden Hauptverhandlungen nicht zuzulassen darunter jene gegen die Grosseltern der Opfer und gegen den Dorfarzt von Flachslanden Damit war sowohl die Moglichkeit eines Schuldspruchs wie auch die eines Freispruchs mit einhergehender Rehabilitation dieser Beschuldigten vergeben 9 Folgen BearbeitenNach einem entsprechenden BGH Urteil kam es zu einer einzelnen erfolgreichen Revision im Urteil sind auch Vorgaben zum Einsatz von Gerichtsgutachten enthalten Entsprechend der generellen Einstellung der Verfahrensserie schon im Jahre 1995 siehe oben wurde das Verfahren gegen diesen Beschuldigten nach der Revision ebenfalls eingestellt da nur noch ein Tatverdacht fur ein Vergehen nach 176 Abs 1 StGB als sogenannter minder schwerer Fall sexuellen Missbrauchs bestand das offentliche Interesse an der Strafverfolgung konnte durch Auflagen beseitigt werden 8 10 Der Flachslanden Komplex Gisela Friedrichsen trug dazu bei dass die Frage nach der Verlasslichkeit von Kinderaussagen und strafprozessualen Glaubhaftigkeitsgutachten generell in die Diskussion kam Probleme ergaben sich aufgrund der langen Prozessdauer und der damit zunehmenden Uberforderung der Kinder 11 Siehe auch BearbeitenMontessori Prozess Wormser ProzesseEinzelnachweise Bearbeiten a b c Gisela Friedrichsen Kann was g wesen sein In Der Spiegel Nr 32 1994 S 46 51 online 8 August 1994 a b Gisela Friedrichsen Gezielt und planmassig In Der Spiegel Nr 12 1995 S 84 91 online 20 Marz 1995 Die aktuelle Nr 14 1994 2 April 1994 S 14 Neues aus dem Skandal Dorf Auch der Hausarzt war ein Kinderschander Harald Baumer Es ist schlimm wenn plotzlich ein ganzes Dorf verunglimpft wird In Nurnberger Nachrichten vom 29 Marz 1994 S 3 Nurnberger Nachrichten vom 26 27 Marz 1994 S 21 Arzt verhaftet Nurnberger Nachrichten vom 28 Marz 1994 S 15 Der Doktor ist nirgends aufgefallen Harald Baumer Ein dunkles Vorleben In Nurnberger Nachrichten vom 30 Marz 1994 S 20 basierend auf Zweierlei Schrift In Der Spiegel Nr 31 1982 S 39 40 online 2 August 1982 Axel Guthmann Die Mutter sagt aus In Nurnberger Nachrichten v 31 Marz 1 April 1994 S 19 Rudolf Triftshauser In Der Spiegel Nr 44 1994 S 280 online 31 Oktober 1994 a b Der Spiegel berichtete In Der Spiegel Nr 20 1995 S 254 online 15 Mai 1995 Harald Baumer Fragen an die Kinder sind in Zukunft tabu In Nurnberger Nachrichten vom 3 August 1995 S 3 BGH Urteil zur Revision eines Verurteilten Vgl zu den weiteren Diskussionen z B Marion Schreiber Barbara Supp Hans Jorg Vehlewald Vernichtung auf Raten In Der Spiegel Nr 35 1996 S 30 38 online 26 August 1996 Daten im Dunkelfeld In Der Spiegel Nr 35 1996 S 40 45 online 26 August 1996 Focus 47 1994 21 November 1994 Tatort Familie online Eindeutige Spuren In Der Spiegel Nr 47 1994 S 81 online 21 November 1994 Doktorspiele gestattet In Der Spiegel Nr 7 1995 S 112 113 online 13 Februar 1995 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Flachslanden Prozesse amp oldid 237330626