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Die Reise ist ein unvollendeter Romanessay von Bernward Vesper Das aus Aufzeichnungen und Notizen collagierte Buch wurde durch seinen autobiografischen Charakter ein wertvolles Zeitdokument der 68er Generation Vesper setzte sich darin u a mit seinem Vater dem Nazi Dichter Will Vesper und seiner ehemaligen Lebensgefahrtin Gudrun Ensslin auseinander Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung 2 Form 3 Rezeption 4 Literatur 5 EinzelnachweiseEntstehung BearbeitenDer Buchtitel Die Reise ist als mehrdeutiges Motto zu verstehen Einerseits sollte eine reale Reise den Hintergrund des Buches abgeben gleichzeitig sollte die personliche Entwicklung Vespers als eine Art Lebensreise verstanden werden Ausserdem ist mit Reise auch der bewusstseinsverandernde Drogentrip gemeint als einer der ursprunglichen Buchtitel war TRIP im Gesprach Der Autor Bernward Vesper trat am 23 August 1969 mit einem Schreiben an den Marz Verlag heran in dem er die Niederschrift eines Romanessays ankundigte Dieses sollte einen 24 stundigen LSD Trip schildern in dessen Verlauf sowohl Aufzeichnungen aus der momentanen Wahrnehmung auftauchen als auch Reflexionen uber die zuruckliegenden 30 Jahre im Leben des Verfassers Diese erste Niederschrift sollte dann in weiteren Trips mithilfe von Tonbandern umdiktiert werden bis eine endgultige Form erreicht ist Das ambitionierte Projekt verzogerte sich nicht zuletzt durch den Verlust von Vespers Zurechnungsfahigkeit im Februar 1971 Er sei nach eigenen Worten langsam ausgeflippt 1 In diesem Zusammenhang wurde er zur Beobachtung in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen wo er sich im Mai 1971 das Leben nahm Der Verleger des Marz Verlages Jorg Schroder edierte 1977 das unveroffentlichte Manuskript und besorgte auch die Ausgabe letzter Hand Das Manuskript von Die Reise ist im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen Form BearbeitenDas Buch weist keine durchgehende Handlung auf Es besteht aus einer Aneinanderreihung von Kindheitserinnerungen 2 Anekdoten als Einfacher Bericht bezeichneten Abschnitten und subjektiv politischen Einschatzungen der Situation in Deutschland Erlebnissen auf LSD Meskalin und Haschisch Bestimmte Abschnitte wurden laut eigener Angabe unter Einfluss von Haschisch verschiedener Qualitaten aufgeschrieben Schwarzer Afghan Gruner Turkischer Gruner Libanon Roter Libanon Schimmel Shit von P 3 Der Erzahlton wechselt zwischen poetisch und politisch zwischen ironisch und wutentbrannt Der Grossteil der Texte ist in der Erzahltechnik des Bewusstseinsstroms niedergeschrieben 4 Der Text fuhrte als einer der ersten durchgehende Kleinschreibung in die deutsche Literatur ein 5 Rezeption BearbeitenDas Buch bekam einige Monate nach seinem Erscheinen 1977 grosse Aufmerksamkeit mit der anfangs nicht zu rechnen gewesen war 6 Grund war der Gruppenselbstmord von RAF Mitgliedern in Stammheim im Deutschen Herbst Todesnacht von Stammheim Unter den Toten waren auch Vespers ehemalige Lebensgefahrtin Gudrun Ensslin und deren damaliger Lebenspartner Andreas Baader In seinem individuellen Schreiben spiegelt sich das kollektive Scheitern jener Generation wider die Mitte der sechziger Jahre aufbrach die versteinerte Gesellschaft der westlichen Industriestaaten zu verandern und die heute wie es scheint mit wenig mehr als der ohnmachtigen Hoffnung in leeren Handen dasteht Uwe Schweikert in der Frankfurter Rundschau Klappentext der Ausgabe bei Zweitausendeins Das Buch ist als Schlusseltext der Neuen Subjektivitat bezeichnet worden 7 1986 drehte Markus Imhoof eine freie Adaption des Buches unter dem gleichen Titel 8 Literatur BearbeitenGeorg Guntermann Tagebuch einer Reise in das Innere des Autors Versuch zu Bernward Vespers RomanessayDie Reise In Zeitschrift fur deutsche Philologie Bd 100 1981 Heft 2 S 232 253 Frederick Alfred Lubich Bernward VespersDie Reise Der Untergang des modernen Pikaro In Gerhart Hoffmeister Hrsg Der moderne deutsche Schelmenroman Interpretationen Amsterdam 1985 86 S 219 249 Frederick Albert Lubich Bernward VespersDie Reise Von der Hitler Jugend zur RAF Identitatssuche unter dem Fluch des Faschismus In German Studies Review Bd 10 1987 Nummer 1 S 69 94 Andrew Plowman Bernhard Vesper sDie Reise Politics and Autobiography between the Student Movement and the Act of Self Invention In German Studies Review Bd 21 1998 S 507 524 Roman Luckscheiter Der revolutionare Rausch Bernhards Vespers RomanDie Reiseund das psychedelische Bewusstsein von 1968 In Helmuth Kiesel Dieter Dollinger Hrsg Rausch Heidelberger Jahrbucher Bd 43 Springer Berlin u a 1999 ISBN 3 540 66675 3 S 273 292 Gerrit Jan Berendse Schreiben als Korperverletzung Zur Anthropologie des Terrors in Bernhard VespersDie Reise In Monatshefte Bd 93 2001 S 318 334 Ulrich Breuer Sich erzahlen Sich Bernward VespersDie Reise verstehen In Christoph Parry Hrsg Text und Welt Saxa Sonderband 8 Vaasa Finnland 2002 S 116 124 Sven Glawion Aufbruch in die Vergangenheit Bernward VespersDie Reise 1977 79 In Inge Stephan Alexandra Tacke Hrsg NachBilder der RAF Bohlau Koln u a 2008 ISBN 978 3 412 20077 0 S 24 38 Vorschau Thomas Kruger macht die blaue Blume rot Bernward Vesper s Die Reise and the Roots of the New Subjectivity In Seminar A Journal of Germanic Studies Bd 47 2011 Nummer 3 doi 10 3138 seminar 47 3 349 Einzelnachweise Bearbeiten Jorg Schroder Hrsg Editions Chronologie I Korrespondenz mit dem Marz Verlag In Die Reise Romanessay Ausgabe letzter Hand Marz bei Zweitausendeins Berlin 1977 S 600 624 Wir richten den Blick nicht auf die Geschenktische sondern verharren schweigend in die Betrachtung des Baumes versunken Die erzgebirgischer Klingelei lautet Wir singen jetzt Stille Nacht ein Lied das wir uns fur diese Stunde aufgespart haben Dann greift mein Vater der mit dem Rucken zum Baum im unteren Teil der Halle steht zur Bibel einer Fassung fur die Jugend die er selbst bearbeitet hat Wahrend er liest lauft in meinem Kopf der Originaltext mit Maria seinem vertrauten Weibe Und als sie und die war schwanger denke ich Und die Hirten auf dem Felde ihre wehenden Mantel die Eiskruste in den Barten und die Schafe stehen bis zu den Zitzen im torfigen Schnee Kuhle Luft kriecht in die weiten Hosenbeine meines schwarzen Tanzstunden und Konfirmationsanzusg die Heizungen sind abgestellt der Baum darf nicht fruhzeitig nadeln S 459 Und wahrend ich sang dachte ich an das Gedicht das mein Vater dem Fuhrer gewidmet hatte Fuhl unsere Herzen schlagen wie in Dein Herz gebannt und wage was du musst wagen wozu dich Gott gesandt und ich merkte wie wir alle die wir hier standen in eins verschmolzen das konnen Sie uns nicht nehmen S 460 Das Christentum zu bekampfen war ein Fehler der Partei sagte mein Vater Man kann nicht das alte deutsche Weihnachtsfest in ein heidnisches Lichtfest zuruck verwandeln Diesen Fehler haben Rosenberg und Bormann zu verantworten Der Fuhrer selbst war religios schon aus Ehrfurcht vor seiner Mutter die eine fromme Frau war Bormann war uberhaupt in allen Dingen der bose Geist des Fuhrers der ihn zum Schluss sogar verrat Der Fuhrer hat von alledem nichts gewusst Was war das fur ein Fuhrer der diese Verrater um sich herum nicht durchschaute Luther und Bach waren Christen waren sie keine guten Deutschen rief er ich habe schon 1935 mein Bekenntnis zum Christentum veroffentlicht Dafur bin ich angefeindet worden Ich habe ein Parteiverfahren gegen mich beantragt denn im Programm steht die Partei steht auf dem Boden eines positiven Christentums man hat das Verfahren abgewurgt Und was haben die Herren Widerstandler getan die mich heute wieder verfolgen Tranen traten ihm in die Augen wenn er Musik horte oder seine eigenen Gedichte vorlas Ubrigens sagte er Luther und Bach stammen aus denselben Dorfern wie die Vorfahren meiner Mutter es ist gut moglich dass wir mit ihnen verwandt sind Die Reise Ausgabe im Marz Verlag 2005 in der Lizenzausgabe fur den Area Verlag S 462 Ein Beispiel fur Schilderungen seiner Drogenerfahrungen Plotzlich ist der Trip wieder da Nach acht Wochen die Farben erbleichen die Landschaft beginnt zu schwimmen wie die Luft uber der Autobahn bei grosser Hitze Farbrander an den Birken Regenbogenfarben der Scheinwerfer Ich las Learys Interview mit Paul Krassner Und nach den bedruckenden Wochen hier atmete ich auf Es tut so wohl daran erinnert zu werden was man damals erfuhr dass zwei Milliarden Jahre menschlicher und biologischer Entwicklung aufstehen gegen die paar Jahrhunderte die uns zu dem gemacht haben was wir sind Das Wertsystem verschiebt sich Es ist das gleiche wie wenn man zum ersten Mal klaut zum ersten Mal abtreibt zum ersten Mal begreift dass das Sein das Bewusstsein bestimmt Man ist gefeit gegen alle neuen Suggestionen des Idealismus Man wirft die Systeme in die Luft und sie fliegen davon Spreu der Ideologie Und die Materie bewegt sich ewig atmet lebt verschiebt sich sturzt ein und ballt sich flieht vor sich selbst Und wir sind ein Teil davon jetzt wo der Morgen beginnt der Tag mein Tag Im Fernsehen Cocteau wurde sofort die Koinzidenz bemuhen lauft ein Film uber eine neue gefahrliche Droge auf die das RD von Los Angeles angesetzt wird Und man sieht den Kopf tief im Sand einen jungen Amerikaner der ins Innere der Erde blickt und das ewige Feuer sieht und die faschistischen Bullen die ihn packen sein schones bemaltes Gesicht den tiefen strahlenden Blick den Glanz die Glatte des vom Geist belebten Ausdrucks ihn schutteln aus dem Trip zu reissen versuchen ihn qualen sadistisch mit jenem Spott der die Ohnmacht der Bullen beweist Nichts sonst Er sagt wunderbare Sache gt Ich bin der Stuhl lt Er umarmt den Baum er schluckt die Rinde er stosst sich an den Schreibtischen der Wache Naturlich sie sperren ihn ein aber der Geist atzt sich den Weg schoner Vogel Quetzal wir werden uns der Freiheit beraubt nicht toten wir schmelzen fliessen durch die Mauern das ist alles Das System hat kein Argument auf seiner Seite keins Kinder Maler Dichter sie haben doch schon lange gewusst dass sie Pferde blau sind und die Lowenflugel haben dass das Weltall lebt Dann Jean Cau un legume francais gt Meine Reaktionen waren intakt aber als ich begriff sie konnten nachgeben entgleisen da war das Schreckliche da Man hatte ihn da er als legume typique an einer LSD Seance als gt Beobachter lt teilnehmen wollte 300 mg in den Wein getan woraufhin er sofort zum Arzt rannte sich Spritzen in den Arsch jagen liess um da rauszukommen Er weigerte sich von seinen Wertsystem seinen Symbolen seinen Metaphern runterzugehen er ist krank gestort Ich schwach er kennt nur seine Vorurteile in die er so vernarrt ist dass er sich an sie klammert wie an etwas was ihn retten konnte Er ist davon uberzeugt dass er Monsieur Jean Cau nur in seiner Borniertheit bestehen kann Oh das Gefuhl sich an das sinkende Schiff zu klammern von den Wellen losgerissen zu werden ubers Wasser zu treiben und zu merken dass es tragt dass es unendlich ist dass man auch wenn man tausend Meter tief sinkt atmen kann sehen kann dass in dem Moment wo man fallt die unendliche Liebe einen umfangt und behutet und tragt Ja Herr Cau sehen Sie und Sie behaupten wir gt erleben eine Art von Katastrophe in der die menschlichen Werte einfach ausgehohlt werden lt Die Reise Ausgabe im Marz Verlag 2005 in der Lizenzausgabe fur den Area Verlag S 97 99 Diese Aufzeichnungen folgen nicht im geringsten einer Assoziationstechnik Sie haben nichts mit Kunst oder Litera tur zu tun Ich bin darauf angewiesen die Spitzen der Eisberge wahrzunehmen Das ist alles Es interessiert mich nicht ob sich jemand durchfindet oder besser ich habe es aufgegeben zugleich genau und verstandlich zu sein Ich interessiere mich ausschliesslich fur mich und meine Geschichte und meine Moglichkeit sie wahrzunehmen Ich pfeife auf Besuche weil ich doch nicht verstehe was die Leute sagen Ich distanziere mich nicht Ich bin uberhaupt nicht arrogant Aber ich kann fremde Probleme oder Sachverhalte nicht aufnehmen Es ist mir unmoglich Beispiele zu nennen weil ich das was andre zu mir sagen nicht einmal hore oder doch sofort vergesse Ich habe herumgestobert um einen Farbkasten zu finden weil ich seit mehreren Tagen den Wunsch habe zu malen Aber in diesem Haus gibt es keine Mittel sich aus zudrucken Die Leute brauchen so etwas nicht Die Reise Ausgabe im Marz Verlag 2005 in der Lizenzausgabe fur den Area Verlag S 36 37 Charity Scribner After the Red Army Faction Gender Culture and Militancy Columbia University Press New York 2015 ISBN 978 0 231 16864 9 S 44 Claudius Seidl Hitlers Hippies In Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 13 Marz 2005 Thomas Kruger macht die blaue Blume rot Bernward Vesper s Die Reise and the Roots of the New Subjectivity In Seminar A Journal of Germanic Studies Bd 47 2011 Nummer 3 doi 10 3138 seminar 47 3 349 Dazu Julian Reidy Baader Vesper und Ensslin im Kino In Germanica Bd 53 2013 Nummer 2 S 163 179 Abstract Normdaten Werk GND 4585019 7 lobid OGND AKS VIAF 4713147270512735700007 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Die Reise Romanessay amp oldid 214771387