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Die Belagerung von Kanpur ist ein Ereignis im Rahmen des Indischen Aufstands von 1857 In der Garnison von Kanpur verschanzte britische Militars Beamte und Zivilpersonen wurden dabei uber mehrere Wochen von aufstandischen indischen Truppen unter Leitung von Nana Sahib belagert Nach langem schweren Beschuss bei der eine grosse Zahl der Verschanzten ums Leben kam nahmen die in der Garnison befindlichen Militars die von Nana Sahib angebotenen Kapitulationsbedingungen an Diese versprachen einen freien Abzug Bei der Besteigung der Boote am Gangeshafen Sati Chowra eroffneten die indischen Truppen jedoch das Feuer Die uberlebenden britischen Manner wurden nahezu alle an Ort und Stelle erschossen Nur einer Handvoll gelang die Flucht Etwa 125 britische Frauen und Kinder uberlebten und wurden zuruck nach Kanpur gebracht In Kanpur wurden sie gemeinsam mit anderen britischen Fluchtlingen uberwiegend ebenfalls Frauen und Kinder in einem Haus mit der Bezeichnung Bibighar eingesperrt Kurz bevor britische Truppen Kanpur eroberten wurden diese Gefangenen insgesamt 73 Frauen und 124 Kinder 1 mit Axten und Beilen erschlagen Gerechtigkeit zeitgenossische Karikatur im Magazin PunchFur die britische Offentlichkeit waren die in Kanpur erfolgten Massaker ein Ereignis traumatischen Ausmasses das sie starker beschaftigte als der an Opfern deutlich verlustreichere Krimkrieg 2 Zeitgenossen wie der angesehene Historiker George Trevelyan bezeichneten die Belagerung als die schrecklichste Tragodie unseres Zeitalters oder das grosste Desaster fur unsere Rasse 3 Gemeinsam mit der Belagerung von Lakhnau zahlen die Ereignisse in Kanpur noch heute aus britischer Sicht zu den grossen Opferdramen des Aufstands 4 Das im Anschluss an die Belagerung erfolgte Massaker an wehrlosen Frauen und Kindern liess die Briten ihre bislang schon sehr aggressive Kriegsfuhrung nochmals deutlich verscharfen und zu harten Repressionsmassnahmen greifen Diese fanden zunachst in der britischen Offentlichkeit breite Zustimmung So forderten einzelne als Vergeltungsmassnahme fur das in Kanpur erfolgte Massaker die vollige Zerstorung von Delhi und die Hinrichtung aller die in irgendeiner Weise mit dem Aufstand assoziiert waren 1 Es mehrten sich allerdings bereits kurz nach 1857 auch in der britischen Offentlichkeit Stimmen die die Repressalien als unangemessen beurteilten Inhaltsverzeichnis 1 Verlauf 1 1 Nana Sahib 1 2 Kanpur und General Wheeler 1 3 Verlauf der Belagerung 1 4 Das Massaker im Bibighar 2 Die Belagerung von Kanpur in zeitgenossischen Schriften 3 Literatur 4 EinzelbelegeVerlauf BearbeitenNana Sahib Bearbeiten nbsp Nana Sahib zieht mit seiner Eskorte den aufstandischen indischen Truppen entgegenDen Aufstand in Kanpur fuhrte der etwa 35 jahrige Brahmane Nana Sahib an ein Adoptivsohn von Baji Rao II dem letzten Peshwa von Pune Pune zahlte zu den bedeutenderen Marathen Furstentumern sein Herrscher Baji Rao war jedoch von den Briten entthront und in Bithur exiliert worden Er erhielt bis zu seinem Tode im Jahre 1851 von den Briten eine grosszugige jahrliche Pension Seinem Adoptivsohn und Erben Nana Sahib verweigerten die Briten dagegen die Fortsetzung dieser Pensionszahlung 5 In seinem Ehrgefuhl fuhlte sich Nana Sahib zudem gekrankt weil die Briten ihn nicht wenigstens nominell als Maharaja von Bithur anerkannten Nach dem Ausbruch des Aufstands hatten sich Aufstandische mit der Bitte an Nana Sahib gewandt eine fuhrende Rolle im Aufstand zu ubernehmen Nach anfanglichem Zogern erklarte er sich zunachst bereit Sepoy Truppen auf ihrem Weg nach Delhi anzufuhren Mitglieder seines Hofes brachten ihn jedoch davon ab sich als hochrangiger Hindu dem muslimischen Grossmogul in Delhi zu unterstellen Nach der Beendigung des Aufstands gefundene Papiere legen nahe dass Nana Sahib in Erwagung zog nicht nur den Thron seines Adoptivvaters zuruckzuerobern sondern auch angrenzende Furstentumer zu seinen Vasallen zu machen 6 Die Eroberung der an der Verbindungsstrasse zwischen Delhi und Benares liegenden Stadt Kanpur sollte dazu der erste Schritt sein Kanpur und General Wheeler Bearbeiten Das am Westufer des Ganges liegende Kanpur war im Laufe des 18 Jahrhunderts durch die britische Ostindien Kompanie als Garnison gegrundet worden Die hier stationierten indischen Truppen umfassten 1857 drei Infanterieregimenter ein Kavallerieregiment und eine Kompanie Artillerie Insgesamt betrug die Starke der indischen Truppen rund 3 000 Mann Etwa 300 britische Soldaten taten in Kanpur Dienst Der befehlshabende Offizier war der mit einer Inderin verheiratete General Hugh Wheeler 7 Anfang Juni war General Wheeler noch so uberzeugt davon dass die indischen Truppen loyal bleiben wurden dass er funfzig seiner Soldaten und zwei Offiziere nach Lakhnau entsendete wo man einen Aufstand befurchtete Sollte es doch zu einem Aufstand kommen war er ausserdem der Auffassung dass die Truppen nach Delhi dem Zentrum des Aufstands abziehen wurden 8 General Wheeler hatte daher wenig Nahrungsvorrate eingelagert und nur wenige Anstrengungen unternommen seine Garnison fur eine mogliche Belagerung herzurichten Als sich die Anzeichen fur einen Aufstand jedoch mehrten zogen sich die in der Stadt lebenden Europaer und Eurasier hinter die Schanzeinrichtungen der Garnison zuruck In der Nacht des funften Juni kam es dann zum Aufstand der sehr schnell alle indischen Truppen in Kanpur erfasste 9 In der Garnison waren zu diesem Zeitpunkt knapp 1000 Menschen versammelt Neben den 300 europaischen Soldaten zahlten dazu etwa weitere einhundert europaische Manner achtzig loyal gebliebene Sepoys vierhundert Frauen und Kinder und eine Reihe indischer Bediensteter Ein Angriff auf die in der Garnison Verschanzten blieb zunachst aus weil die Aufstandischen zuerst die verlassenen Hauser in der Stadt plunderten Die Verteidiger waren ausreichend mit Musketen und Munition ausgestattet Ihnen standen jedoch nur wenige Geschutze fur ihre Verteidigung zur Verfugung 8 Verlauf der Belagerung Bearbeiten nbsp Der Brunnen in Kanpur in den die Korperteile der erschlagenen britischen Frauen und Kinder geworfen wurden Nana Sahib verfugte dagegen nicht nur uber eine sehr grosse Armee die in den nachsten Tagen durch indische Freiwillige verstarkt wurde sondern auch uber ausreichend Artillerie Der Beschuss der Garnison fuhrte sehr schnell zu hohen Verlusten unter den dort Verbarrikadierten Keines der Garnisonsgebaude war ausreichend stabil gebaut um gegen Artilleriebeschuss zu bestehen so dass die Belagerten nirgendwo Schutz vor dem Bombardement fanden Es fehlte an Wasser und Nahrungsmitteln Nachdem ein Teil der Garnison zerschossen worden war waren die Belagerten der unertraglichen Sonneneinstrahlung zu einem grossen Teil schutzlos ausgesetzt Bis zum schwersten Angriff auf die Belagerten war bereits ein Drittel der in der Garnison Verschanzten verstorben 10 Nur ein kleiner Teil der Toten konnte innerhalb der Garnison beerdigt werden Etwa 350 Leichen wurden nachts in einen Brunnen geworfen der fur die Trinkwasserversorgung der Belagerten nicht verwendet werden konnte Die Uberlebenden waren in einem beklagenswerten Zustand Die uberwiegende Anzahl war krank oder verwundet Kaum jemand verfugte noch uber vollstandige Kleidung Seit dem Beginn der Belagerung hatte sich aus Wassermangel keiner der dort Verschanzten waschen konnen Unertraglicher als der Geruch der verschwitzten Leiber war jedoch der Leichengeruch der aus den Graben vor der Garnison hervorstieg Er zog grosse Scharen von Fliegen an der die Uberlebenden standig belastigte 10 Eine Reihe der Belagerten insbesondere unter den Frauen wurde wahnsinnig 11 In der Hoffnung auf Verstarkung aus Lakhnau hielten die Belagerten bis zum 25 Juni durch Die Kapitulationsbedingungen die ihnen Nana Sahib bot waren bei General Wheeler allerdings auf Skepsis gestossen Sie lauteten Alle die in keiner Weise mit den Taten von Lord Dalhousie zu tun haben und die bereit sind ihre Waffen niederzulegen werden sicher nach Allahabad abziehen konnen 12 Offiziere legten General Wheeler die Kapitulation nahe da sie davon uberzeugt waren dass mit dem Einsetzen der unmittelbar bevorstehenden Regenzeit die Garnison nicht mehr zu verteidigen sei Sie konnten allerdings verbesserte Abzugsbedingungen aushandeln Boote sollten fur ihren Abzug nach Allahabad bereitgestellt werden Fur den Weg bis zur Abzugsstelle sollten fur die Verletzten sowie die Frauen und Kinder Karren und Elefanten zur Verfugung gestellt werden Die Abziehenden sollten auch nicht entwaffnet werden Wahrend die Briten die Boote bestiegen eroffneten indische Truppen das Feuer zahlreiche Briten kamen dabei ums Leben Es lasst sich heute nicht mehr klaren ob es sich bei dem Vorfall am Gangesufer um einen gezielten Hinterhalt handelte oder ob die indischen Truppen auf Grund eines Missverstandnisses das Feuer eroffneten Die uberlebenden britischen Manner wurden an Ort und Stelle hingerichtet Etwa 125 uberlebende Frauen und Kinder wurden als Gefangene nach Kanpur zuruckgebracht wo sie gemeinsam mit anderen britischen Fluchtlingen ebenfalls uberwiegend Frauen und Kinder die der Belagerung von Fatehgarh entflohen waren im Bibighar inhaftiert wurden Zwei junge Frauen Eliza Wheeler und Amelia Horne wurden dagegen von aufstandischen Soldaten entfuhrt Das vorgebliche Schicksal von Eliza Wheeler der jungsten Tochter von General Hugh Wheeler und seiner indischen Frau beschaftigte die Phantasie ihrer viktorianischen Zeitgenossen sehr stark und war Gegenstand zahlreicher spaterer Buhnenstucke und Essays Kolportiert wurde dass Eliza Wheeler ihren Entfuhrer und mehrere seiner Familienangehorigen umbrachte und anschliessend Selbstmord beging indem sie sich in einen Brunnen warf 13 Das Massaker im Bibighar Bearbeiten Als sich britische Truppen unter Befehl von Henry Havelock und James Neill Kanpur naherten liess Nana Sahib die nach Kanpur gebrachten Frauen und Kinder umbringen Da sich seine Truppen dieser Tat verweigerten wurden im Basar von Kanpur Metzger requiriert die die Frauen und Kinder mit Schwertern Axten und Beilen erschlugen Von einem der Henker wird berichtet er habe zwei Mal ein neues Schwert benotigt bevor alle Frauen und Kinder im Bibighar abgeschlachtet waren 14 Die Hinrichtung dauerte mehr als eine Stunde und selbst dann waren noch nicht alle tot Man liess die Toten und Sterbenden wahrend der Nacht liegen Am nachsten Morgen sollen noch drei Frauen und drei Jungen gelebt haben Sie wurden ebenso wie die Toten in einen Brunnen geworfen bis dieser gefullt war 14 Die ubrigen Leichenteile wurden in den Ganges geworfen Henry Havelock traf mit seinen Truppen einen Tag nach diesem Vorfall in Kanpur ein und fand an der Stelle der Massenexekution noch Kleiderreste Haare und einzelne Korperteile Der Vorfall war fur die britischen Truppen der Anlass den bislang schon sehr grausam gefuhrten Vergeltungsfeldzug mit noch grosserer Harte zu fuhren 15 Die Belagerung von Kanpur in zeitgenossischen Schriften BearbeitenDie von indischen Aufstandischen erfolgreich durchgefuhrte Belagerung von Kanpur und die Ermordung der wehrlosen Frauen und Kinder im Bibighar war ein Ereignis dessen Wirkung auf die viktorianischen Briten Christopher Herbert als traumatisch bezeichnet 16 Unmittelbar nach den Ereignissen erschienen zahlreiche Schriften uber dieses Erlebnis und die britische Offentlichkeit setzte sich wahrend der gesamten 2 Halfte des 19 Jahrhunderts mit diesen Vorfallen auseinander Christopher Herbert bezeichnet eine Reihe der Schriften als semipornographisch weil sie in blutrunstigen Details und in fur viktorianische Verhaltnisse ungewohnlich graphischen Details die haufig nur erfundenen Vergewaltigungen und Misshandlungen von Frauen schildern 17 Davon hebt sich insbesondere die Monographie Cawnpore von Sir George Trevelyan ab die im Jahre 1865 erschien Diese setzt sich sehr viel objektiver und in neutralerem Ton mit den Ereignissen auseinander obwohl auch bei George Trevelyan die Auseinandersetzung mit den eigentlichen Ursachen des Aufstands die Landnahme durch die Briten die Anwendung der Doctrine of Lapse die Christianisierungsanstrengungen in Indien sowie die beabsichtigte und unbeabsichtigte Verletzung religioser Gefuhle von Hindus und Moslems nicht behandelt wird Trotz dieser vergleichsweisen Neutralitat unterstellt George Trevelyan in seinem Buch den Briten ein moralisches Handeln verglichen mit einem grausamen Vorgehen auf indischer Seite Trevelyan feiert die in der Garnison belagerten als unsterbliche Helden und stellt insbesondere die Heldentaten Einzelner hervor wie etwa die des Zivilisten John Mackillop der fur die in der Garnison Befindlichen unter grosster Lebensgefahr Wasser aus dem Brunnen holte Literatur BearbeitenWilliam Dalrymple The Last Mughal The Fall of a Dynasty Delhi 1857 Bloomsbury Publishing London 2006 ISBN 9780747587262 Saul David The Indian Mutiny 1857 Penguin Books 2003 Saul David Victoria s Wars Penguin Books London 2006 ISBN 978 0 141 00555 3 Niall Ferguson Empire The Rise and Demise of the British World Order 2003 ISBN 0465023282 Christopher Herbert War of no Pity The Indian Mutiny and Victorian Trauma Princeton University Press Princeton 2008 ISBN 978 0 691 13332 4 Christopher Hibbert The great mutiny India 1857 Penguin Books London u a 1988 Lawrence James Raj The Making of British India Abacus London 1997 ISBN 978 0 349 11012 7 Dennis Judd The Lion and the Tiger The Rise and Fall of the British Raj 1600 1947 Oxford 2004 Andrew Ward Our bones are scattered The cawnpore massacres and the indian mutiny of 1857 John Murray Publishers London 2004 ISBN 0 7195 6410 7 Einzelbelege Bearbeiten a b Dalrymple S 303 siehe dafur die ausfuhrliche Studien von Christopher Herbert War of no Pity The Indian Mutiny and Victorian Trauma Princeton University Press Princeton 2008 ISBN 978 0 691 13332 4 Beide Zitate stammen aus George Trevelyan Cawnpore 1865 zitiert nach Herbert S 183 Ward S 243 James S 234 Eine ausfuhrlichere Charakterisierung von Nana Sahib findet sich bei Hibbert S 172 177 Hibbert S 168f a b Hibbert S 177 James S 248 a b David 2006 S 310 Ward S 241 Hilbert S 189 Herbert S 148 und S 149 a b David 2006 S 316 Herbert S 4 siehe dazu Christopher Herbert War of no Pity The Indian Mutiny and Victorian Trauma Princeton University Press Princeton 2008 ISBN 978 0 691 13332 4 Herbert S 183 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Belagerung von Kanpur amp oldid 220521347