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Agenda Setting englisch bzw Agendasetzung bezeichnet das Setzen konkreter Themenschwerpunkte In der Politikwissenschaft wird Agenda Setting insbesondere als ein Teil des in den 1950er Jahren entworfenen Politikzyklus wahrgenommen In der Publizistik und Kommunikationswissenschaft beschaftigt sich die Empirische Kommunikationsforschung bzw die Medienwirkungsforschung im Agenda Setting Approach Thematisierungs Ansatz Thematisierungstheorie mit der Thematisierungsfunktion und der Strukturierungsfunktion der Massenmedien Dieser Ansatz bildet auch die Grundlage fur die Theorie der Schweigespirale Eine Erweiterung des Ansatzes bildet die Agenda Building Theorie von Lang amp Lang aus dem Jahr 1981 Inhaltsverzeichnis 1 Entstehung des Ansatzes in der Publizistik 2 Modelle der Agenda Setting Forschung 3 Wirkungsverlauf des Agenda Setting Prozesses 4 Weiterentwicklung des Agenda Setting Ansatzes und Kritik 5 Agenda Setting im Wahlkampf 6 Literatur 7 EinzelnachweiseEntstehung des Ansatzes in der Publizistik BearbeitenDie Grundlage der Theorie des Agenda Settings bildet die These von Bernard C Cohen 1963 die Medien hatten zwar keinen grossen Einfluss auf das was das Publikum zu einzelnen Themen denkt aber einen erheblichen Einfluss darauf woruber es sich uberhaupt Gedanken macht Die Kommunikationswissenschaftler McCombs und Shaw haben diese These im Rahmen einer Untersuchung der sogenannten Chapel Hill Studie im Vorfeld des US amerikanischen Prasidentschaftswahlkampfes im Jahr 1968 empirisch belegt und 1972 in einem Aufsatz in der Public Opinion Quarterly veroffentlicht wobei sie als Erste den Begriff des Agenda Settings einfuhrten 1 Unter einem Thema werden hier kontroverse Fragen und Probleme der Gesellschaft verstanden Mittels Inhaltsanalysen verglichen McCombs und Shaw in ihrem Aufsatz Agenda Setting Function of Mass Media 1972 die Rangordnung der Themen in den Medien mit der Themenrangordnung auf der Publikumsagenda die sie in Befragungen ermittelten Das Ergebnis Zwischen Medienagenda und Publikumsagenda bestand eine hohe positive Korrelation uber 90 Prozent Allerdings wies diese erste Studie zum Agenda Setting verschiedene methodische Mangel auf Die Stichprobe war klein die Mediennutzung wurde nicht erhoben es wurden nur aggregierte Daten ausgewertet Besonders wurde kritisiert dass die Forscher ihre Untersuchung als Querschnittstudie angelegt hatten obwohl die Wechselwirkungen zwischen Publikums und Medienagenda nur in Langsschnittstudien erkennbar sind Modelle der Agenda Setting Forschung BearbeitenIn der Agenda Setting Forschung existieren drei Modelle Aufmerksamkeitsmodell engl awareness model der Rezipient wird uber Medien auf Themen aufmerksam die besonders betont werden Die Medien haben in diesem Modell eine Thematisierungsfunktion Hervorhebungsmodell engl salience model die Wichtigkeit die der Rezipient einem Thema zubilligt wird durch unterschiedliche Gewichtung und Hervorhebung der Themen durch Medien beeinflusst Die Medien haben in diesem Modell eine Gewichtungsfunktion Salience bezieht sich vor allem auf ein einzelnes Thema im Gegensatz zum priorities model in welchem die Gesamtstruktur der Agenda die Themenrangfolge als Ganzes Gegenstand des Modells ist Themenselektionsmodell engl priorities model die Themenrangfolge der Medien wird 1 1 vom Rezipienten ubernommen Die Medien haben in diesem Modell eine Strukturierungsfunktion Wie wirksam der Agenda Setting Effekt ist hangt von der Aufdringlichkeit obtrusiveness des Themas ab Bei direkt erfahrbaren Themen Wetter o a ist der Effekt geringer als bei Themen die aus erster Hand kaum erlebt werden konnen Kriege im Ausland o a Unterschiede erwachsen ausserdem aus der Art des Mediums Fernseh Berichterstattung hat einen eher kurzfristigen Scheinwerfer Effekt wahrend Berichterstattung der Printmedien zu langfristigem Agenda Setting fuhrt Wirkungsverlauf des Agenda Setting Prozesses BearbeitenFur den Wirkungsverlauf des Agenda Setting Prozesses existieren sechs Modelle 2 Kumulationsmodell Eine Intensivierung der Berichterstattung fuhrt direkt zu einer hoheren Platzierung des Themas auf der Publikumsagenda Schwellenmodell Damit ein Thema auf die Publikumsagenda gelangt ist ein Mindestmass an Berichterstattung notig Beschleunigungsmodell Die Bevolkerung reagiert uberdurchschnittlich schnell und intensiv auf die Medienthematisierung Tragheitsmodell Wenn ein Thema eine gewisse Wichtigkeit auf der Publikumsagenda erreicht hat sind Steigerungen auch durch intensivere Berichterstattung kaum zu erreichen Echomodell Ein Thema bleibt langer auf der Publikumsagenda als auf der Medienagenda Spiegelungsmodell Die Publikumsagenda bestimmt die Medienagenda Kontrapunkt zum Agenda Setting Ansatz vgl unten Anhanger der Agenda Setting Theorie gehen von starken Medien aus Die Medien kontrollieren mit welchen Themen sich die Menschen beschaftigen Kontrollhypothese Sprich das Publikum ubernimmt die Medienagenda Genau entgegengesetzt argumentieren die Vertreter der Spiegelungshypothese Ihnen zufolge spiegeln die Medieninhalte lediglich das gesellschaftliche Meinungs und Themenbild wider die Medienagenda entsteht also aus der Publikumsagenda Weiterentwicklung des Agenda Setting Ansatzes und Kritik BearbeitenDie Weiterentwicklung der Theorie berucksichtigt vier intervenierende Variablen im Agenda Setting Prozess Inhaltswirkungen Die Wirkungsintensitat ist abhangig von der Sensibilisierung des Nutzers fur ein Thema Personliche Betroffenheit unterstutzt den Agenda Setting Prozess Nutzungswirkungen Neue Themen wirken besonders stark bei sensibilisierten Nutzern Bereits eingefuhrte Themen wirken eher bei wenig sensibilisierten Nutzern Bindungswirkungen Media Dependenz Nutzung nur eines einzigen Mediums erhoht den Agenda Setting Effekt Kontextwirkungen Der Einfluss der Umwelt auf die Publikumsagenda ist immer starker als der Einfluss der Medien Ray Funkhousers Studie Issues of the 60s erganzt das Forschungsdesign fur Agenda Setting Studien um die Kontrollgrosse Realitat Diese geht uber statistische Daten o a in die Untersuchung ein Seine Untersuchung stutzt im Wesentlichen die Studie von McCombs und Shaw bezuglich der Korrelation von Medienagenda und Publikumsagenda Ausserdem konnte Funkhouser nachweisen dass die Medien nicht die tatsachlichen Probleme der Wirklichkeit widerspiegeln Die Nachrichtenmedien vermittelten kein zutreffendes Bild von dem was in der Gesellschaft wahrend der 60er Jahre passierte Die Berichterstattung lief entweder der Entwicklung voraus oder liess keinen Zusammenhang mit ihr erkennen Funkhouser wies demnach eine starke Diskrepanz zwischen Medien amp Publikumsagenda und der tatsachlichen Realitatsentwicklung nach Second Level Agenda Setting Framing und Priming 3 Ursprunglich beschaftigte sich der Agenda Setting Ansatz vorwiegend mit der Vermittlung von Themenwichtigkeit durch die Medien Mittlerweile ist jedoch auch die Wirkung auf Einstellungen und Verhalten des Publikums in das Konzept integriert worden Dies wird unter dem Begriff Second Level Agenda Setting zusammengefasst Beim Second Level Agenda Setting geht es nicht mehr um die Themensetzung der Medien an sich sondern um das Potenzial der Medien in Hinblick auf Themenattribute Dieses entsteht zum einen durch Framing Darunter versteht man the selection of restricted number of thematically related attributes for inclusion on the media agenda when a particular object is discussed 4 Medien lenken also durch Selektion Hervorhebung und Auslassung die Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen und Gegenstande und geben den Informationen einen Rahmen Frame So wird die Einordnung einer Information fur den Rezipienten erleichtert Durch Framing werden bestimmte Aspekte betont wahrend andere in den Hintergrund treten So werden auch bestimmte Bewertungen eines Themas nahegelegt To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text in such a way to promote a particular problem definition causal interpretation moral evaluation and or treatment recommendation 5 Ein weiteres Konzept das unter dem Stichwort Second Level Agenda Setting verortet wird ist Priming Das Konzept beschreibt dass Medieninhalte fruher aufgenommene Informationen zu einem vermittelten Thema im Gedachtnis des Publikums wieder an die erste Stelle rucken Methodische KritikEin oben bereits in Zusammenhang mit der Studie von McCombs und Shaw angesprochener Kritikpunkt betrifft das Forschungsdesign von Agenda Setting Studien Querschnittanalysen sind ungeeignet nachzuweisen dass die Medienagenda die Publikumsagenda beeinflusst Schliesslich wird die jeweilige Agenda nur zu einem Zeitpunkt gemessen Deswegen kann nicht ausgeschlossen werden dass die Publikumsagenda von anderen Faktoren beeinflusst wurde oder gar die umgekehrte Beeinflussung stattgefunden hat Es ware auch denkbar dass das Publikum die Agenda der Medien beeinflusst Methodisch bieten sich deshalb zeitversetzte Kreuzkorrelationen Cross Lagged Correlations an Hier wird der Zusammenhang zwischen der Medienagenda zum Zeitpunkt der ersten Messung t1 und der Publikumsagenda zum Zeitpunkt der zweiten Messung t2 berechnet sowie die Beziehung zwischen der Publikumsagenda zum Zeitpunkt t1 und der Medienagenda zum Zeitpunkt t2 Wenn der Korrelationskoeffizient fur den ersten Zusammenhang grosser ist als fur letzteren kann die Agenda Setting Hypothese als bestatigt angesehen werden 6 Kritiker der Theorie bemangeln vor allem die vermittelte Allmacht der Medien und die Vernachlassigung soziologischer Thematisierungsprozesse Gruppenverhalten etc Mittlerweile gibt es jedoch auch Studien die untersuchen inwiefern das Publikum auch die Medien beeinflusst und diesen bestimmte Themen vorgibt In Studien von Brosius und Kepplinger 1990 7 und Brosius und Weimann 1995 8 konnte auch diese Richtung der Beeinflussung nachgewiesen werden Auch Studien die die Rolle der interpersonalen Kommunikation in Agenda Setting Prozessen untersuchen liegen mittlerweile vor 9 10 Agenda Setting im Wahlkampf BearbeitenAuch in der Politikwissenschaft kommt der Begriff des Agenda Setting insbesondere zur Erklarung der Schwerpunktsetzung bestimmter Themen von politischen Parteien zur Anwendung Bekannte Modelle sind das Mulleimer Modell und der Multiple Streams Ansatz Daruber hinaus bezeichnet das Schlagwort des Agenda Surfing das Aufgreifen eines ungeplanten Ereignisses z B die Elbe Flut 2002 zum eigenen Nutzen und der politischen Profilierung Im Gegensatz dazu wird der Versuch ein bestimmtes Ereignis von der politischen Tagesordnung zu verdrangen etwa durch das Setzen vollig anderer Schwerpunkte mit dem Begriff des Agenda Cutting umschrieben Literatur BearbeitenKlaus Beck Kommunikationswissenschaft UTB basics 4 Auflage UVK Konstanz 2015 ISBN 978 3 8252 2964 1 S 213 215 Heinz Bonfadelli Thomas N Friemel Medienwirkungsforschung 5 uberarbeitete Auflage UVK Konstanz 2015 ISBN 978 3 8252 4247 3 Heinz Bonfadelli Grundlagen und Theoretische Perspektiven 3 uberarbeitete Auflage UVK Konstanz 2004 S 237 248 Bernard Cohen The press and foreign policy Princeton University Press Princeton 1963 Andreas Dorner Politischer Mythos und symbolische Politik Westdt Verlag Opladen 1995 Michael Jackel Medienwirkungen Ein Studienbuch zur Einfuhrung 3 uberarbeitete und erweiterte Auflage VS Verlag fur Sozialwissenschaften Wiesbaden 2005 Patrick Rossler Agenda Setting Theoretische Annahmen und empirische Evidenzen einer Medienwirkungshypothese Westd Verlag Opladen 1997 Ulrich Sarcinelli Politikvermittlung und Demokratie in der Mediengesellschaft Westdt Verlag Opladen 1998 Ralph Sartor Symbolische Politik Eine Neubewertung aus prozess und rezeptionsorientierter Perspektive DUV Wiesbaden 2000 Michael Schenk Medienwirkungsforschung Tubingen 2002 Uberblicksdarstellung Einzelnachweise Bearbeiten Heinz Bonfadelli Mirko Marr Kognitive Medienwirkungen In Bernad Batinic Markus Appel Hrsg Medienpsychologie Heidelberg 2008 S 131 Brosius H B amp Kepplinger H M Linear and nonlinear models of agenda setting in television In Journal of Broadcasting amp Electronic Media Band 36 Nr 1 August 1991 S 5 23 doi 10 1080 08838159209364151 M Kunczik A Zipfel Publizistik 2005 S 370 D H Weaver M E McCombs D L Shaw International Trends in Agenda Setting Research In C Holtz Bacha H Scherer N Waldmann Hrsg Wie die Medien die Welt erschaffen und wie die Menschen darin leben Opladen Wiesbaden 1998 S 189 203 R M Entman Framing TowardClarificationof a FracturedParadigm In Journal of Communication 43 1993 S 51 58 Hier S 52 M Kunczik A Zipfel Publizistik 2005 S 357 H B Brosius H M Kepplinger The Agenda Setting Function of Television Static and Dynamic Views In Communication Research 17 1990 S 183 211 H B Brosius G Weimann Medien oder Bevolkerung Wer bestimmt die Agenda Ein Beitrag zum Zwei Stufen Fluss von Agenda Setting In Rundfunk amp Fernsehen 3 1995 S 312 327 David H Weaver u a The Bridging Function of Interpersonal Communication in Agenda Setting In Journalism Quarterly 69 No 4 1992 S 856 867 J Yang G Stone The Powerful Role of Interpersonal Communication in Agenda Setting In Mass Communication amp Society 6 No 1 2003 S 57 74 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Agenda Setting amp oldid 239314776