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Das Strukturalistische Theorienkonzept oder auch der Wissenschaftstheoretische Strukturalismus nicht zu verwechseln u a mit dem linguistischen Strukturalismus ist ein seit Anfang der 1970er Jahre entwickeltes wissenschaftstheoretisches Forschungsprogramm in dem vom herkommlichen Theorienbegriff der Theorien als reine Mengen von Satzen auffasst abgegangen wird Diese Position wird auch non statement view genannt Die Benennung Strukturalistisches Theorienkonzept wurde von Yehoshua Bar Hillel eingefuhrt Inhaltsverzeichnis 1 Theoriebegriff 2 Ein Beispiel Die klassische Stossmechanik KSM 3 Geschichte 4 Einzelnachweise 5 Literatur 6 WeblinksTheoriebegriff BearbeitenIm wissenschaftstheoretischen Strukturalismus wird eine Theorie als ein nicht rein sprachliches Gebilde angesehen bestehend aus einer den mathematischen Strukturkern festlegenden Modellklasse den intendierten Anwendungen einer Datenmenge und einem Approximationsapparat Der Strukturkern ist als Mathematisches Modell per Definition widerspruchsfrei Zudem hat der Strukturkern selbst allgemein nur wenig bis gar keinen empirischen Gehalt und ist damit weitgehend immun gegenuber Falsifikation Empirischen Gehalt erhalt eine Theorie erst durch Einfuhrung von Spezialgesetzen und Querverbindungen zu anderen Theorien Theoriennetze Die Menge der intendierten Anwendungen kann modifiziert werden wenn sich abgeleitete empirische Satze Spezialgesetze aufgrund der Datenlage als falsch herausstellen Als universelle Sprache der empirischen Wissenschaft gilt im Strukturalismus die Mengenlehre Eine Theorie T displaystyle T nbsp lasst sich in reduzierter Form durch den Kern K displaystyle K nbsp und die Menge der intendierten Anwendungen I displaystyle I nbsp darstellen T K I displaystyle T left langle K I right rangle nbsp Der Kern K displaystyle K nbsp besteht aus den Modellmengen der Theorie Balzer 1 definiert die Struktur der Theorie T displaystyle T nbsp als Quadrupel T M I D U displaystyle T left langle M I D U right rangle nbsp M displaystyle M nbsp ist eine Klasse von Modellen I displaystyle I nbsp eine Menge von intendierten Systemen D displaystyle D nbsp eine Menge von Datenstrukturen und U displaystyle U nbsp ein Approximationsapparat Ein Beispiel Die klassische Stossmechanik KSM BearbeitenDie klassische Stossmechanik bietet ein oft angefuhrtes etwa in 2 oder in 3 und uberschaubares Beispiel x displaystyle x nbsp ist ein Modell fur eine klassische Stossmechanik also x M K S M displaystyle x in M KSM nbsp wenn folgende Bedingungen erfullt sind 4 Es gibt eine Menge von Partikeln P zwei bestimmte Zeitpunkte t 1 t 2 displaystyle t 1 t 2 nbsp die Geschwindigkeit wird mit v bezeichnet und Masse mit m Somit ist unser Modell folgendes 1 x P t 1 t 2 R R 3 v m 2 P ist eine endliche mindestens zweielementige Menge 3 t 1 t 2 R und t 1 lt t 2 4 v P t 1 t 2 R 3 5 m P R 6 S p P m p v p t 1 S p P m p v p t 2 displaystyle begin aligned 1 amp x left langle P left t 1 t 2 right mathbb R mathbb R 3 v m right rangle 2 amp text P ist eine endliche mindestens zweielementige Menge 3 amp t 1 t 2 in R text und t 1 lt t 2 4 amp v P times left t 1 t 2 right rightarrow mathbb R 3 5 amp m P rightarrow mathbb R 6 amp Sigma p in P m p v p t 1 Sigma p in P m p v p t 2 end aligned nbsp Die erste Zeile beschreibt dass unser Modell x aus den genannten Komponenten besteht Mit der zweiten Zeile wird dann angegeben dass es mindestens zwei Teilchen gibt Es soll ja zu einer Kollision kommen Die dritte Zeile fordert dann dass es zwei voneinander unterschiedliche geordnete Zeitpunkte gibt Wobei eben der zweite hinter dem ersten liegt In der vierten Zeile wird dann eine Abbildung fur die Geschwindigkeit angegeben und in der funften die Abbildung fur die Masse Entscheidend ist nun die sechste Zeile denn hier wird nun das wirklich inhaltsreiche Verhaltnis von Masse Geschwindigkeit und Ort zu beiden Zeitpunkten t 1 displaystyle t 1 nbsp und t 2 displaystyle t 2 nbsp uber den Impulserhaltungssatz beschrieben Geschichte BearbeitenObwohl ursprunglich zur wissenschaftstheoretischen Begrundung physikalischer Theorien entwickelt sind bisher auch viele nichtphysikalische Theorien innerhalb des wissenschaftstheoretischen Strukturalismus rekonstruiert worden Wesentliche Beitrage lieferten Patrick Suppes Joseph D Sneed Wolfgang Stegmuller Carlos Ulises Moulines und Wolfgang Balzer Ahnliche Forschungsprogramme welche manchmal auch unter den wissenschaftstheoretischen Strukturalismus eingeordnet werden wurden auch von Gunther Ludwig und Erhard Scheibe entwickelt In der Psychologie wurde in Deutschland der Ansatz von Rainer Westermann Greifswald Hans Westmeyer FU Berlin Ekkehard Stephan Uni Koln Peter Gerjets Elke Heise Uni Gottingen und Willi Hager Gottingen bekannt gemacht und vorangetrieben Anregung fur die Entwicklung des strukturalistischen Theorienkonzepts war zum einen die von Thomas S Kuhn beschriebene historische Entwicklung der Wissenschaften und zum anderen die Problematik der theoretischen Begriffe Einzelnachweise Bearbeiten Wolfgang Balzer Die Wissenschaft und ihre Methoden Grundsatze der Wissenschaftstheorie S 50f Wolfgang Balzer Die Wissenschaft und ihre Methoden Grundsatze der Wissenschaftstheorie S 85ff Wolfgang Balzer Felix Muhlholzer Klassische Stossmechanik In Journal for General Philosophy of Science 13 1982 Wolfgang Balzer Felix Muhlholzer Klassische Stossmechanik In Journal for General Philosophy of Science 13 1982 S 23f Literatur BearbeitenJ D Sneed The Logical Structure of Mathematical Physics Reidel Dordrecht 1971 revised edition 1979 Wolfgang Balzer Die Wissenschaft und ihre Methoden Grundsatze der Wissenschaftstheorie Alber 1997 ISBN 3 495 47853 1 Wolfgang Balzer Felix Muhlholzer Klassische Stossmechanik In Journal for General Philosophy of Science 13 1982 Wolfgang Stegmuller Die Entwicklung des neuen Strukturalismus seit 1973 1986 Wolfgang Stegmuller The Structuralist View of Theories 1979 Erhardt Scheibe Between Rationalism and Empiricism Selected Papers in the Philosophy of Physics Brigitte Falkenburg Hrsg Springer 2001 ISBN 0 387 98520 4 W Balzer C U Moulines J D Sneed An Architectonic for Science the Structuralist Approach Reidel Dordrecht 1987 Rainer Westermann Strukturalistische Theorienkonzeption und empirische Forschung in der Psychologie Springer Verlag Berlin Heidelberg 1987 ISBN 3 540 18245 4 Hans Westmeyer Hrsg Psychological Theories from a Structuralist Point of View Springer Verlag Berlin Heidelberg New York 1989 ISBN 3 540 51904 1 Hans Westmeyer Hrsg The Structuralist Program in Psychology Foundations and Applications Hogrefe amp Huber Publishers Seattle Toronto Bern Gottingen 1992 ISBN 0 88937 100 8 Ekkehard Stephan Zur logischen Struktur psychologischer Theorien Springer Berlin Heidelberg 1990 ISBN 3 540 52442 8 Peter Gerjets Zur Verknupfung psychologischer Handlungs und Kognitionstheorien Peter Lang Frankfurt am Main Berlin 1990 ISBN 3 631 48171 3 Elke Heise Volitionale Handlungskontrolle Theoretische und empirische Analysen auf strukturalistischer Basis Waxmann Munster 1998 ISBN 3 89325 675 X Stephan Zelewski Strukturalistische Produktionstheorie Wiesbaden 1993 ISBN 3 8244 0154 1 Thomas Schlapp Theorienstrukturen und Rechtsdogmatik Duncker amp Humblot Berlin 1989 ISBN 3 428 06650 2 Weblinks BearbeitenStructuralism in Physics Eintrag in Edward N Zalta Hrsg Stanford Encyclopedia of Philosophy Vorlage SEP Wartung Parameter 1 und weder Parameter 2 noch Parameter 3 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Strukturalistisches Theorienkonzept amp oldid 231467186