www.wikidata.de-de.nina.az
Das als Reaktion auf die am 11 September 2001 verubten Terroranschlage verabschiedete deutsche Luftsicherheitsgesetz LuftSiG in Kraft getreten am 15 Januar 2005 hielt der verfassungsrechtlichen Prufung durch das Bundesverfassungsgericht in einem wesentlichen Punkt nicht Stand Dies entschied das Gericht mit Urteil vom 15 Februar 2006 Logo auf den Entscheidungen des Verfassungsgerichts Inhaltsverzeichnis 1 Tenor 2 Formell verfassungsrechtliche Grunde 3 Materiell verfassungsrechtliche Grunde 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseTenor Bearbeiten 14 Abs 3 LuftSiG alte Fassung ist mit Art 2 Abs 2 Satz 1 iVm Art 87a Abs 2 und Art 35 Abs 2 und 3 sowie iVm Art 1 Abs 1 des Grundgesetzes GG unvereinbar und nichtig Die alte fur nichtig erklarte Fassung von 14 Abs 3 LuftSiG lautete Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ist nur zulassig wenn nach den Umstanden davon auszugehen ist dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwartigen Gefahr ist 1 Fur ein solches Gesetz fehle es bereits an einer Gesetzgebungsbefugnis des Bundes Art 35 Abs 2 Satz 2 und Abs 3 Satz 1 GG der den Einsatz der Streitkrafte bei der Bekampfung von Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglucksfallen regelt erlaube dem Bund nicht einen Einsatz der Streitkrafte mit militarischen Waffen Daruber hinaus sei 14 Abs 3 LuftSiG mit dem Grundrecht auf Leben und mit der Menschenwurdegarantie des Grundgesetzes nicht vereinbar soweit von dem Einsatz der Waffengewalt tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden Diese wurden dadurch dass der Staat ihre Totung als Mittel zur Rettung anderer benutzt als blosse Objekte behandelt ihnen werde dadurch der Wert abgesprochen der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt Formell verfassungsrechtliche Grunde BearbeitenDem Bund fehlt die Gesetzgebungsbefugnis zum Erlass der Regelung des 14 Abs 3 LuftSiG Zwar hat er unmittelbar aus Art 35 Abs 2 Satz 2 und Abs 3 Satz 1 GG das Recht zur Gesetzgebung fur Regelungen die das Nahere uber den Einsatz der Streitkrafte bei der Bekampfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglucksfallen nach diesen Vorschriften und uber das Zusammenwirken mit den beteiligten Landern bestimmen Allerdings steht die in 14 Abs 3 LuftSiG enthaltene Ermachtigung der Streitkrafte zur unmittelbaren Einwirkung auf ein Luftfahrzeug mit Waffengewalt mit Art 35 GG nicht im Einklang Die Unvereinbarkeit von 14 Abs 3 LuftSiG mit Art 35 Abs 2 Satz 2 GG regionaler Katastrophennotstand ergibt sich allerdings nicht schon daraus dass die Einsatzmassnahme zu einem Zeitpunkt angeordnet und durchgefuhrt werden soll zu dem sich zwar bereits ein erheblicher Luftzwischenfall ereignet hat Entfuhrung eines Flugzeugs der besonders schwere Unglucksfall selbst beabsichtigter Flugzeugabsturz aber noch nicht eingetreten ist Denn der Begriff des besonders schweren Unglucksfalls im Sinne des Art 35 GG umfasst auch Vorgange die den Eintritt einer Katastrophe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen Jedoch wahrt die unmittelbare Einwirkung auf ein Luftfahrzeug mit Waffengewalt deshalb nicht den Rahmen des Art 35 Abs 2 Satz 2 GG weil diese Norm einen Kampfeinsatz der Streitkrafte mit spezifisch militarischen Waffen bei der Bekampfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglucksfallen nicht erlaubt Die Hilfe von der Art 35 Abs 2 Satz 2 GG spricht wird den Landern gewahrt damit sie die ihnen obliegende Aufgabe der Bewaltigung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglucksfallen wirksam erfullen konnen Die Ausrichtung auf diese Aufgabe im Zustandigkeitsbereich der Gefahrenabwehrbehorden der Lander bestimmt notwendig auch die Art der Hilfsmittel die beim Einsatz der Streitkrafte zum Zweck der Hilfeleistung verwendet werden durfen Sie konnen nicht von qualitativ anderer Art sein als diejenigen Mittel die den Polizeikraften der Lander fur die Erledigung ihrer Aufgaben originar zur Verfugung stehen 14 Abs 3 LuftSiG ist auch mit Art 35 Abs 3 Satz 1 GG nicht vereinbar Danach ist im Fall des uberregionalen Katastrophennotstands zum Einsatz der Streitkrafte ausdrucklich nur die Bundesregierung ermachtigt Dem werden die Regelungen im Luftsicherheitsgesetz nicht in ausreichendem Masse gerecht Sie sehen vor dass der Verteidigungsminister im Benehmen mit dem Bundesinnenminister entscheidet wenn eine rechtzeitige Entscheidung der Bundesregierung nicht moglich ist Angesichts der knappen Zeit die im vorliegenden Zusammenhang zur Verfugung stunde wird die Bundesregierung danach bei der Entscheidung uber den Einsatz der Streitkrafte nicht nur ausnahmsweise sondern regelmassig durch einen Einzelminister ersetzt Dies macht deutlich dass Massnahmen der in 14 LuftSiG normierten Art auf dem in Art 35 Abs 3 Satz 1 GG vorgesehenen Weg in der Regel nicht zu bewaltigen sein werden Daruber hinaus ist der wehrverfassungsrechtliche Rahmen des Art 35 Abs 3 Satz 1 GG vor allem deshalb uberschritten weil auch im Fall eines uberregionalen Katastrophennotstands ein Einsatz der Streitkrafte mit militarischen Waffen von Verfassungs wegen nicht erlaubt ist Materiell verfassungsrechtliche Grunde Bearbeiten 14 Abs 3 LuftSiG ist auch mit dem Recht auf Leben Art 2 Abs 2 Satz 1 GG in Verbindung mit der Menschenwurdegarantie Art 1 Abs 1 GG nicht vereinbar soweit von dem Einsatz der Waffengewalt tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden Die einem solchen Einsatz ausgesetzten Passagiere und Besatzungsmitglieder befinden sich in einer fur sie ausweglosen Lage Sie konnen ihre Lebensumstande nicht mehr unabhangig von anderen selbstbestimmt beeinflussen Dies macht sie zum Objekt nicht nur der Tater Auch der Staat der in einer solchen Situation zur Abwehrmassnahme des 14 Abs 3 LuftSiG greift behandelt sie als blosse Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Wurde und unverausserlichen Rechten Sie werden dadurch dass ihre Totung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird verdinglicht und entrechtlicht Indem uber ihr Leben von Staats wegen einseitig verfugt wird wird den als Opfern selbst schutzbedurftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen der jedem Menschen um seiner selbst willen zukommt Unter der Geltung des Art 1 Abs 1 GG Menschenwurdegarantie ist ein Gesetz schlechterdings unvorstellbar auf dessen Grundlage unschuldige Menschen vorsatzlich zu toten die sich in einer derart hilflosen Lage befinden Die Annahme dass derjenige der als Besatzungsmitglied oder Passagier ein Luftfahrzeug besteigt mutmasslich in dessen Abschuss und damit in die eigene Totung einwilligt falls dieses in einen Luftzwischenfall verwickelt wird ist eine lebensfremde Fiktion Auch die Einschatzung die Betroffenen seien ohnehin dem Tod geweiht vermag ihrer Totung nicht den Charakter eines Verstosses gegen den Wurdeanspruch dieser Menschen zu nehmen Menschliches Leben und menschliche Wurde geniessen ohne Rucksicht auf die Dauer der physischen Existenz gleichen verfassungsrechtlichen Schutz Die teilweise vertretene Auffassung dass die an Bord festgehaltenen Personen Teil einer Waffe geworden seien und sich als solche behandeln lassen mussten bringt geradezu unverhohlen zum Ausdruck dass die Opfer eines solchen Vorgangs nicht mehr als Menschen wahrgenommen werden Der Gedanke der Einzelne sei im Interesse des Staatsganzen notfalls verpflichtet sein Leben aufzuopfern wenn es nur auf diese Weise moglich ist das rechtlich verfasste Gemeinwesen vor Angriffen zu bewahren die auf dessen Zusammenbruch und Zerstorung abzielen fuhrt ebenfalls zu keinem anderen Ergebnis Denn im Anwendungsbereich des 14 LuftSiG geht es nicht um die Abwehr von Angriffen die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts und Freiheitsordnung gerichtet sind Schliesslich lasst sich 14 LuftSiG auch nicht mit der staatlichen Schutzpflicht zugunsten derjenigen rechtfertigen gegen deren Leben das als Tatwaffe missbrauchte Luftfahrzeug eingesetzt werden soll Zur Erfullung staatlicher Schutzpflichten durfen nur solche Mittel verwendet werden die mit der Verfassung in Einklang stehen Gerade daran fehlt es im vorliegenden Fall 14 Abs 3 LuftSiG ist dagegen mit Art 2 Abs 2 Satz 1 in Verbindung mit Art 1 Abs 1 GG insoweit materiell vereinbar als sich die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt gegen ein unbemanntes Luftfahrzeug oder ausschliesslich gegen Personen richtet die das Luftfahrzeug als Tatwaffe gegen das Leben von Menschen auf der Erde einsetzen wollen Es entspricht der Subjektstellung des Angreifers wenn ihm die Folgen seines selbstbestimmten Verhaltens personlich zugerechnet werden und er fur das von ihm in Gang gesetzte Geschehen in Verantwortung genommen wird Auch der Verhaltnismassigkeitsgrundsatz ist gewahrt Das mit 14 LuftSiG verfolgte Ziel Leben von Menschen zu retten ist von solchem Gewicht dass es den schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht auf Leben der Tater rechtfertigen kann Die Schwere des gegen sie gerichteten Grundrechtseingriffs wird zudem dadurch gemindert dass die Tater selbst die Notwendigkeit des staatlichen Eingreifens herbeigefuhrt haben und dieses Eingreifen jederzeit dadurch wieder abwenden konnen dass sie von der Verwirklichung ihres verbrecherischen Plans Abstand nehmen Gleichwohl hat die Regelung formell auch insoweit keinen Bestand da es dem Bund schon an der Gesetzgebungskompetenz mangelt Weblinks Bearbeitenvollstandiges Urteil Im Bundesgesetzblatt veroffentlichte Urteilsformel BGBl 2006 I S 466 PDF Datei 24 kB Einzelnachweise Bearbeiten Bundesgesetzblatt Jahrgang 2005 Teil I Nr 3 ausgegeben zu Bonn am 14 Januar 2005 S 83 BGBl I S 78 Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz 2005 amp oldid 214319216