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Urszene ist ein Begriff der Freud schen Psychoanalyse mit dem die Beobachtung des elterlichen Geschlechtsverkehrs durch das kleine Kind bezeichnet wird wobei dieses Erlebnis real oder auch phantasiert sein kann Freud verwendet den Begriff erstmals 1897 in einem Brief an Wilhelm Fliess wo er ihn noch allgemein auf szenisch erlebte traumatisierende Erfahrungen bezieht die verdrangt wurden und die Neurosen verursachten 1 In der Traumdeutung von 1900 kommt der Begriff nicht vor Freud spricht hier aber davon dass die Wahrnehmung des sexuellen Verkehrs Erwachsener bei Kindern Angst auslose und nicht von ihnen bewaltigt werden konne 2 In den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie von 1905 erklart er das Kind verstehe den Verkehr als sadistische Misshandlung 3 Wahrend Freud bis dahin diese Erlebnisse fraglos als real behandelte geht er in Mitteilung eines der psychoanalytischen Theorie widersprechenden Falles von Paranoia von 1915 von einer Phantasie aus Die Beobachtung des Liebesverkehrs der Eltern ist ein selten vermisstes Stuck aus dem Schatze unbewusster Phantasien die man bei allen Neurotikern wahrscheinlich bei allen Menschenkindern durch die Analyse auffinden kann 4 Freud ruckte dennoch nie davon ab dass das Erlebnis trotzdem auch real sein konne Schliesslich rekonstruiert er in Aus der Geschichte einer infantilen Neurose geschrieben 1914 veroffentlicht 1918 seiner beruhmten Fallgeschichte des Wolfsmanns die Erinnerung seines Patienten an eine Beobachtung des elterlichen Koitus im Alter von 1 Jahren und verwendet in diesem Zusammenhang den Ausdruck Urszene in der seither ublichen Bedeutung 5 In diesem Text arbeitet er auch das kindliche Verstandnis des beobachteten Verkehrs als Aggression des Vaters in einer sadomasochistischen Beziehung Jean Laplanche Jean Bertrand Pontalis heraus Freud war von der pathogenen Wirkung der Urszene uberzeugt eine Einschatzung die mittlerweile relativiert wird Eine besonders extreme Position bezieht dabei der amerikanische Analytiker Aaron H Esman fur den die Urszene ein zartlicher Liebesakt sein kann wenn die Eltern miteinander und mit dem Kind liebevoll umgehen 6 Ein solches Verstandnis ist wiederholt kritisiert worden vgl Gerhard Dahl 7 Zweifellos ist das Verhalten der Eltern fur die Urszene und die Phantasien daruber von Bedeutung und die sadistische Auffassung die Freud fur unvermeidbar hielt wird dann umso bedrohlicher den Inhalt der Urszenen Phantasien bestimmen wenn die Eltern sich auch am Tage offen aggressiv gegeneinander verhalten Davon unabhangig aber sind die destruktiven und angstigenden Phantasien uber das Liebesleben der Eltern von dem das Kind ausgeschlossen ist ubiquitar wie Phyllis Greenacre 8 gezeigt hat Sie entstehen beim Kind ob es nun die reale Urszene erlebt oder ob es sich bloss eine Vorstellung von den vereinigten Eltern bildet auf jeder psychosexuellen Entwicklungsstufe deren Inhalte sie reprasentieren Nicht der Liebesverkehr der Eltern allein sondern die damit verbundenen oft schreckenerregenden archaischen Bilder sind fur konflikthafte oft traumatische und nicht selten auch pathogenetische Erfahrungen verantwortlich die den Odipuskomplex und die Entwicklung in der Adoleszenz entscheidend pragen konnen Vera King 9 Urszenen Phantasien scheinen vor allem dann aufzutauchen wenn ein plotzliches Alleinsein zu bewaltigen ist Es wird dann ein Verkehr der anderen phantasiert von dem man selbst ausgeschlossen ist und der entsprechend aggressive Reaktionen hervorrufen kann oder wenn die Aggression auf die anderen projiziert wird Angst vor eigener Bedrohung In der neueren psychoanalytischen Theorie z B bei Donald Winnicott wird es deshalb als wichtiger Schritt seelischer Reifung angesehen wenn das Zusammensein anderer als etwas Gutes ertragen wird und nicht angegriffen werden muss so wird auch eigenes Alleinsein moglich 10 Quellen Bearbeiten Freud Briefe an Wilhelm Fliess 1887 1904 hg von Jeffrey Moussaieff Masson dt von Michael Schroter Frankfurt 1985 S 253 Brief v 2 Mai 1897 Freud Gesammelte Werke Bd II III S 591 Freud Gesammelte Werke Bd V S 97 Freud Gesammelte Werke Bd X S 242 Freud Gesammelte Werke Bd XII S 65 A H Esman The primal scene A review and a reconsideration in Psa Stud Child 28 1973 S 49 81 Gerhard Dahl Notes on critical examinations of the primal scene concept in Journ American Psya Ass 30 1982 S 3 19 Phyllis Greenacre The primal scene and the sense of reality in Psa Quart 42 1973 S 10 41 Vera King Die Urszene der Psychoanalyse Verlag Internationale Psychoanalyse Stuttgart 1995 Donald W Winnicott Uber die Fahigkeit allein zu sein in Psyche Nr 12 1958 S 344 352 Literatur BearbeitenGerhard Dahl Zur pathogenetischen Bedeutung und Struktur der Urszene in Jahrbuch der Psychoanalyse 12 1981 S 96 116 Jean Laplanche Jean Bertrand Pontalis Das Vokabular der Psychoanalyse Suhrkamp Frankfurt a M 1973 ISBN 3 518 27607 7 S 576 578 Christian Maier Urszene in Wolfgang Mertens Bruno Waldvogel Hg Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe Stuttgart 2002 S 775 777 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Urszene amp oldid 238707197