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Sozialwissenschaftliche Suchtforschung oder auch sozialwissenschaftliche Drogenforschung ist als Teilbereich der Soziologie abweichenden Verhaltens eine Spezielle Soziologie Ihr Thema ist die gesellschaftliche Konstruktion von Drogenproblemen beziehungsweise die gesellschaftliche Reaktion darauf Ein Begrunder der sozialwissenschaftlichen Suchtforschung ist Howard S Becker der ihr in seinem kriminalsoziologischen Klassiker Outsiders Studies in the Sociology of Deviance 1963 zwei Kapitel widmet Wie man Marihuana Benutzer wird und Marihuana Gebrauch und soziale Kontrolle Auch im deutschen Sprachraum wird sozialwissenschaftliche Suchtforschung uberwiegend von Kriminologen betrieben wie besonders Lorenz Bollinger Henner Hess Stephan Quensel und Sebastian Scheerer Im Bereich der Sozialarbeitswissenschaft sind unter anderen Heino Stover Gundula Barsch und Daniel Deimel als Suchtforscher tatig Zu den bekannten deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Suchtforschern zahlen ausserdem Irmgard Vogt und Gunter Amendt Kritische Suchtforscher mit meist sozialwissenschaftlichem Hintergrund haben sich im Schildower Kreis zusammengeschlossen 1 Inhaltsverzeichnis 1 Hauptthemen der sozialwissenschaftlichen Suchtforschung 1 1 Reflexion des Krankheitskonzeptes 1 2 Analyse von Drogenpaniken 2 Literatur 2 1 Bucher 2 2 Aufsatze Vortrage 3 Weblinks 4 EinzelnachweiseHauptthemen der sozialwissenschaftlichen Suchtforschung BearbeitenReflexion des Krankheitskonzeptes Bearbeiten Ausgehend von der Tatsache dass es Rauschmittel in der Geschichte der Menschheit immer gab von Suchtkrankheit dagegen erst seit 200 Jahren die Rede ist wird die Erfindung der Sucht 2 und insbesondere ihre Charakterisierung als Krankheit als soziale Konstruktion bezeichnet Gegen den Krankheitscharakter von Sucht sprechen laut Scheerer die Unauffindbarkeit biologisch somatischer Ursachen die Tatsache dass Sucht kein individuelles sondern ein durch und durch soziales Geschehen ist die Unnotigkeit einer spezifisch medizinischen Behandlung jenseits des korperlichen Entzugs die negativen Folgen einer Pathologisierung der Betroffenen im Sinne einer sich selbst erfullenden Prophezeiung lebenslang progressiver Charakter der Krankheit 3 Alternativ zum Krankheitskonzept wird Sucht von Vertretern des nondisease approach wie dem US amerikanischen Psychologen Stanton Peele als eingeschliffene Reaktion auf bestimmte Lebensprobleme betrachtet die zu einem hohen Preis spezielle Belohnungen gefuhlsmassiger Art garantiert 4 Dieser Argumentation folgt auch Peter Degkwitz der Sucht als ubermassige Bindung an bestimmte Erfahrungen bezeichnet wobei er betont dass Menschen nicht von Substanzen oder Prozessen wie etwa dem Glucksspiel sondern von deren Wirkungen abhangig werden 5 Der amerikanische Soziologie Alfred Ray Lindesmith hatte schon in den 1940er Jahren beobachtet dass Drogensuchtige erst durch die Interaktion mit anderen Abhangigen suchtig werden weil sie voneinander lernen dass ein Entzug fast unmoglich ist Wo diese soziale Definition von Sucht fehle wie etwa bei Menschen denen aus medizinischen Grunden Opiate verabreicht wurden sei ein Absetzen der Droge deutlich weniger problematisch 6 Analyse von Drogenpaniken Bearbeiten Unter einer Drogenpanik verstehen sozialwissenschaftliche Suchtforscher durch Moralunternehmer zugeschriebene Gefahren bestimmter Drogen die medial skandalisiert werden und haufig zu Reaktionen von Regierungen und Gesetzgebern fuhren Eine Drogenpanik zahlt zu den in der Kriminalsoziologie thematisierten Moralischen Paniken die Devianz erzeugen Craig Reinarman nennt beispielhaft vier Drogenpaniken in der jungeren Geschichte der USA 7 die erste und bedeutsamste Drogenpanik entstand im 19 Jahrhundert im Zusammenhang des Alkohol Trinkens und fand 1919 ihr formales Ende mit der Prohibition ebenfalls im 19 Jahrhundert wurde eine Drogenpanik gegen das mongolische Laster das Rauchen von Opium entfacht was 1875 mit dem Anti Opiumhohlen Verordnung von San Francisco sowie 1914 mit dem Harrison Narcotic Act dem ersten bundesweiten Anti Drogengesetz endete wahrend der Weltwirtschaftskrise wurde eine Drogenpanik in Bezug auf das Morderkraut Marihuana inszeniert die 1937 zum Verbot der Substanz fuhrte ab 1986 wurde schliesslich eine Crack Panik geschurt Allen diese Drogenpaniken ist laut Reinarman gemein dass sie Substanzen galt die langst vorher bei Alkohol wahrend der gesamten Geschichte der Menschheit im Umlauf waren und konsumiert wurden nur hatte sich die Gruppe der offentlich wahrgenommenen Konsumenten verandert 8 Die Alkohol Panik wurde geschurt als die Arbeiterklasse katholischer Emigranten die Stadte fullte Ihnen stand eine Abstinenzbewegung von Angehorigen der White Anglo Saxon Protestants gegenuber 9 Die Opium Panik war gegen chinesische Einwanderer gerichtet die Marihuana Panik galt Mexiko Amerikanern Crack Konsum wurde erst skandalisiert als Freebase Kokain an den Strassenecken der Ghettos in billigen Portionen gehandelt wurde Der Kokain Konsum hatte sich in den USA vor der Crack Panik vervierfacht was medial keine Resonanz hatte Marihunana Konsum war in den Jahrzehnten vor der Drogen Panik als hemp Rauchen in den Unterschichten aller ethnischen Gruppen eine weitverbreitete unauffallige und erschwingliche Gewohnheit 10 Opium Produkte waren vor der Kampagne legal und rezeptfrei zu erwerben Gunter Amendt beschreibt ahnliche Kampagnen in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel von Cannabis und kommentiert In einer Welt in der Drogen fur alle Lebenslagen langst zum selbstverstandlichen Bestandteil des Alltags geworden sind wird man sich verwundert fragen wie es moglich war dass ausgerechnet die harmloseste aller psychoaktiven Substanzen derart damonisiert werden konnte 11 Literatur BearbeitenBucher Bearbeiten Howard S Becker Aussenseiter Zur Soziologie abweichenden Verhaltens 2 Auflage Springer VS Wiesbaden 2014 ISBN 978 3 658 01253 3 Bernd Dollinger Henning Schmidt Semisch Hrsg Sozialwissenschaftliche Suchtforschung VS Verlag Wiesbaden 2007 ISBN 978 3 531 15337 7 socialnet de Rezension von Stephan Quensel Bernd Dollinger Wolfgang Schneider Hrsg Sucht als Prozess Sozialwissenschaftliche Perspektiven fur Forschung und Praxis VWB Berlin 2005 ISBN 3 86135 253 2 Robert Feustel Henning Schmidt Semisch Ulrich Brockling Hrsg Handbuch Drogen in sozial und kulturwissenschaftlicher Perspektive Springer Fachmedien Wiesbaden 2019 ISBN 978 3 658 22137 9 Gerrit Kamphausen Unwerter Genuss Zur Dekulturation der Lebensfuhrung von Opiumkonsumenten Transcript Bielefeld 2009 ISBN 978 3 8376 1271 4 Annika Hoffmann Drogenkonsum und kontrolle Zur Etablierung eines sozialen Problems im ersten Drittel des 20 Jahrhunderts VS Verlag Wiesbaden 2012 ISBN 978 3 531 17994 0 Aldo Legnaro Ansatze zu einer Soziologie des Rausches zur Sozialgeschichte von Rausch und Ekstase in Europa in Gisela Volger und Karin von Welck Hrsg Rausch und Realitat Drogen im Kulturvergleich Band 1 Rowohlt Taschenbuchverlag Reinbek bei Hamburg 1982 S 93 114 ISBN 3 499 34006 2 Karl Heinz Reuband Soziale Determinanten des Drogengebrauchs Eine sozialwissenschaftliche Analyse des Gebrauchs weicher Drogen in der Bundesrepublik Deutschland Westdeutscher Verlag Opladen 1994 ISBN 978 3 531 12584 8 Michael Schabdach Soziale Konstruktionen des Drogenkonsums und soziale Arbeit Historische Dimensionen und aktuelle Entwicklungen VS Verlag Wiesbaden 2009 ISBN 978 3 531 16752 7 Sebastian Scheerer und Irmgard Vogt Hrsg unter Mitarbeit von Henner Hess Drogen und Drogenpolitik Ein Handbuch Campus Verlag Frankfurt Main New York 1989 ISBN 3 593 33675 8 Sebastian Scheerer Sucht Rowohlt Taschenbuchverlag Reinbek bei Hamburg 1995 ISBN 3 499 16367 5 Stephan Quensel Mit Drogen leben Erlaubtes und Verbotenes Campus Verlag Frankfurt Main New York 1985 ISBN 3 593 33544 1 Stephan Quensel Das Elend der Suchtpravention Analyse Kritik Alternative 2 Auflage VS Verlag Wiesbaden 2010 ISBN 978 3 531 17386 3 Aufsatze Vortrage Bearbeiten Lorenz Bollinger Die gesellschaftliche Drogenphobie Beitrag zum Symposium Kontrolldiagnosen aktueller Drogenpolitik am 9 Mai 2009 Schildower Kreis Wolfgang Schneider Drogenmythen in Drogenhilfe Drogenforschung und Drogenpolitik INDRO e V 1998 Weblinks BearbeitenAlternative Drogen und Suchtberichte jahrlich seit 2014 zum Herunterladen herausgegeben von akzept e V Bundesverband fur akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik Deutsche AIDS Hilfe e V und JES Bundesverband e V bis 2018 abgerufen am 6 Juli 2019 CDR Centre For Drug Research Arbeitsbereich fur sozialwissenschaftliche Drogenforschung an der Goethe Universitat Frankfurt Liste von INDRO Studien zur qualitativen Drogenforschung und akzeptierenden Drogenarbeit Institut zur Forderung qualitativer Drogenforschung akzeptierender Drogenarbeit und rationaler Drogenpolitik INDRO e V Einzelnachweise Bearbeiten Schildower Kreis Frank Nolte Sucht Zur Geschichte einer Idee in Bernd Dollinger Henning Schmidt Semisch Hrsg Sozialwissenschaftliche Suchtforschung Wiesbaden VS Verlag S 47 58 Sebastian Scheerer Sucht Reinbek bei Hamburg Rowohlt 1995 S 86 Sebastian Scheerer Sucht Reinbek bei Hamburg Rowohlt 1995 S 86 Peter Degkwitz Pladoyer fur ein psychosoziales Verstandnis von Sucht in Bernd Dollinger Henning Schmidt Semisch Hrsg Sozialwissenschaftliche Suchtforschung Wiesbaden Verlag fur Sozialwissenschaften 2007 S 59 81 hier S 61 Alfred R Lindesmith Opiate Addiction Principia Press Bloomington 1947 Craig Reinarman Die soziale Konstruktion von Drogenpaniken in Bernd Dollinger Henning Schmidt Semisch Hrsg Sozialwissenschaftliche Suchtforschung Wiesbaden Verlag fur Sozialwissenschaften 2007 S 97 111 Craig Reinarman Die soziale Konstruktion von Drogepaniken in Bernd Dollinger Henning Schmidt Semisch Hrsg Sozialwissenschaftliche Suchtforschung Wiesbaden Verlag fur Sozialwissenschaften 2007 S 97 111 hier S 103 ff In Europa gab es vorher schon Alkohol Paniken insbesondere den Kampf gegen den Saufteufel wahrend der Reformation und die englische Gin Epidemie im 18 Jahrhundert vgl Hasso Spode Die Macht der Trunkenheit Leske amp Budrich Opladen 1993 S 62ff und 101ff Dazu auch Gunter Amendt No drugs no future Drogen im Zeitalter der Globalisierung Frankfurt am Main 2003 S 77 Gunter Amendt No drugs no future Drogen im Zeitalter der Globalisierung Frankfurt am Main 2003 S 77 f Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sozialwissenschaftliche Suchtforschung amp oldid 227929430