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Sonja Eine Melancholie fur Fortgeschrittene ist ein autobiographischer Roman aus dem Jahr 1980 Verfasst zwischen 1976 und 1979 erschien er unter dem Pseudonym Judith Offenbach Erst 1998 machte die deutsche Linguistin Luise F Pusch offentlich dass sie die Autorin ist Der Roman schildert das Zerbrechen der Liebe von Judith und Sonja unter der Last gesellschaftlicher Bedingungen mundend in Sonjas Freitod sowie die folgende Phase der Trauer Reflexion und Erkenntnis von Judith Die Ereignisse beruhten auf dem Leben Puschs und wurden nur geringfugig verandert Luise F Pusch Autorin von Sonja Das Buch wurde zeitgenossisch vielfaltig rezipiert und gilt heute als wichtigster Verstandigungstext lesbischen Lebens der 1980er Jahre Inhaltsverzeichnis 1 Handlung 2 Text 3 Pseudonym 4 Rezeption 5 Ausgaben 6 EinzelnachweiseHandlung BearbeitenIm Jahr 1965 ist Judith Studentin der Mediavistik an der Universitat Hamburg Sie lebt in einem Studentenwohnheim und lernt dort die seit einem 1962 gescheiterten Selbstmordversuch querschnittgelahmte Sonja kennen Sie verlieben sich ineinander leben fur die nachsten zweieinhalb Jahre im Studentenwohnheim zusammen und ziehen dann in eine kleine Wohnung In der Offentlichkeit wird Judith meist als Betreuerin von Sonja wahrgenommen Ihr Versuch eines normalen Zusammenlebens leidet zum einen unter den Einschrankungen der Rollstuhl nutzenden Sonja vor allem aber daran dass beide nicht offen lesbisch leben konnen Insbesondere Judith hat regelrechte Panik als Lesbe erkannt zu werden und damit ihre akademische Karriere zu gefahrden Die innere Abspaltung Judiths von der Partnerschaft mit Sonja fuhrt zu einer Krise der Beziehung in ihr entwickelt Sonja dann auch eine Alkoholabhangigkeit 1973 trennt sich Judith von Sonja und zieht nach Bremen Sonja versucht durch einen Selbstmordversuch Judiths Ruckkehr zu erzwingen Judith weist dies aber zuruck In den Folgejahren unternimmt Sonja zwei weitere Versuche sich umzubringen bis ein dritter im Marz 1976 gelingt 1 Nach dem Tod Sonjas beginnt Judith die Beziehung ihre Rolle darin und das Scheitern zu reflektieren Sie beginnt eine Psychotherapie fuhrt neue Beziehungen arbeitet an ihrer akademischen Karriere und verfasst das Sonja Buch Zunehmend erkennt sie wie sehr die gesellschaftlichen Bedingungen gepragt von Homophobie fur das Scheitern ihrer Liebe und den Tod von Sonja verantwortlich waren Diese Erkenntnis hilft ihr zu sich selbst zu stehen und sie beteiligt sich zunehmend an Frauen und Lesbengruppen 1 Text BearbeitenPusch begann kurz vor dem Tod Sonjas eine Psychotherapie ihr Therapeut ermutigte sie die Geschichte ihrer Beziehung niederzuschreiben Ursprunglich beabsichtigte Pusch mit dem Roman eine meine Liebeserklarung an Sonja zu schreiben ihr ein Denkmal zu setzen Mit zunehmender Reflexion der Ereignisse wurde dann das Motiv der gesellschaftlichen Bedingungen relevanter Ich fuhrte ihren Tod auch auf die unmenschlichen Bedingungen zuruck unter denen Lesben damals leben mussten Die Gesellschaft war da an uns schuldig geworden das verdiente aufgeschrieben zu werden Wahrend der Abfassung bereits las sie die entstandenen Texte ihrem Psychotherapeuten sowie spater auch einer Zurcher Lesbengruppe vor und besprach sie dort 2 Der Roman ist streng autobiographisch angelegt Pusch veranderte im Wesentlichen nur Details wie Namen Studiengange oder Daten Der tagebuchartig angelegte Text ist in drei Teile mit 83 Kapiteln gegliedert die jeweils mit dem Datum der Niederschrift uberschrieben sind und vom 24 August 1976 wenige Monate nach dem Tod Sonjas bis zum 12 November 1979 dem Abschluss der Niederschrift des Buches reichen Dabei uberschneiden sich zwei Zeitebenen zum einen die der geschilderten Ereignisse von 1965 bis 1976 und zum anderen die der Niederschrift des Buches von 1976 bis 1979 3 Die Kapitel beginnen meist mit einer kurzen Schilderung gegenwartiger Verhaltnisse oder Ereignisse bevor sie ruckblickend aus Judiths Erinnerung heraus die Geschichte von ihr und Sonja erzahlen 1 Pseudonym BearbeitenUm ihre wissenschaftliche Karriere durch ein Coming out als lesbische Frau nicht zu gefahrden Pusch arbeitete zur Zeit der Niederschrift bereits an ihrer Habilitation und aus Rucksicht auf die Familie von Sonja entschied Pusch sich den Roman unter Pseudonym zu veroffentlichen Im Klappentext des Buches erfand Pusch auch eine eng an die eigene angelehnte fiktive Biographie fur Judith Offenbach Den Namen entnahm sie der Durchsicht ihrer Schallplattensammlung bei der sie auf Vorschlag einer Freundin am Namen von Jacques Offenbach hangenblieb den sie mit Judith als weiblichem Namen unter anderem wegen der Symbolik mit der Judith eine kampferische Frau kombinierte 4 Wenngleich bereits zeitgenossisch die Identitat der Autorin kein absolutes Geheimnis war so kannten z B Studentinnen Puschs ihre Identitat 5 loste Pusch erst mit der Neuauflage 1998 das Pseudonym offentlich auf 1 Pusch nutzte das Pseudonym neben dem Roman fur die Veroffentlichungen zweier Erzahlungen und einer Rezension in der Schweizer Zeitschrift Lesbenfront zwischen 1981 und 1987 In derselben Zeitschrift erschien 1978 ein Vorabdruck aus Sonja unter dem Titel Erinnerungen an Sandra und dem Autorinnenpseudonym Anna sowie nach der Veroffentlichung des Romans ein Interview mit Judith Offenbach 3 Rezeption BearbeitenSonja hatte 1989 die vierte Auflage und 32 000 verkaufte Exemplare erreicht 3 1998 wurde das Buch in einer Neuausgabe veroffentlicht erstmals unter dem wahren Namen der Autorin 2006 waren 42 000 Exemplare verkauft worden 6 2022 war es in der achten Auflage 1 Sonja wurde zeitgenossisch insbesondere in der Frauen und Lesbenbewegung breit rezipiert naturgemass stand hier vor allem die adaquate Reflexion spezifischer Frauen bzw Lesbenthemen im Vordergrund Feministische Literaturkritikerinnen beschaftigten sich mit dem Buch nur in Nebensatzen und zu Offenbachs Ungunsten Sigrid Weigel kritisierte eine fehlende sprachlich literarische Arbeit am Text Marianne Schuller und Jutta Kolckenbrock Netz verrissen den Roman als sensationistisch aufgemachte Geschichte einer lesbischen Liebe mit todlichem Ausgang der jede Art von sprachlichem Darstellungs und damit auch literarischem Kommunikationsvermogen abgeht allein Evelyne Keitel gestand dem Text zu dass unter rein formalem Aspekt die standige Wiederholung des immer Gleichen die Bedingung dafur sei dass der Text nicht nur intellektuell sondern auch emotional als bedruckend erlebt wird 3 Deutlich positivere Rezensionen in Zeitschriften der Frauen und Lesbenbewegung betonten hingegen den Aspekt der Realitatsnahe und zogen haufig Vergleiche mit eigenen Lebenserfahrungen In der Zurcher Lesbenfront hiess es ich finde ja so vieles Scheisse was Sonja und du geboten habt und trotzdem kann ich mich nicht richtig von euch absetzen denn ich erkenne mich selbst wieder in deinem Text unsere Situation als Frauen Lesben dazu Alexandra von Grote schrieb in der Courage Klar wie selten erfahre ich in diesem Buch wie es zum Zustand der Selbstentmundigung kommt die wir oftmals in Lesbenbeziehungen kennen und was dieser Zustand nach sich zieht In der Emma hielt die Rezensentin fest sie habe dieses Buch fast in einem Stuck gelesen Vieles darin erinnert mich an eigene und mir bekannte Erfahrungen lesbischer Frauen sexuelle Unerfahrenheit und Verklemmtheit Isolation als Paar von normalen lesbischen und selbstverstandlichen heterosexuellen Freunden etwa oder der Kampf von den Eltern akzeptiert zu werden 3 Veronica Schaller beschrieb in ihrer Rezension fur die Schweizer Zeitschrift Emanzipation ihre skeptische Haltung gegenuber der Protagonistin wahrend der Lekture resumierte aber vielleicht gerade wegen der vielen Fragezeichen bleibt das Buch fur mich faszinierend Nicht nur vom Inhalt her sondern auch wegen der Schreibart 7 Intensiv war die Rezeption beim Publikum Zahlreiche lesbische Frauen erkannten Zuge des eigenen Lebens in der Geschichte wieder insbesondere der Aspekt internalisierter Homophobie der in Selbsthass umschlagt oder wie Offenbach in einem Interview sagte die Zusammenhange zwischen meinen Angsten und all den gesellschaftlichen Zwangen 5 sprach vielen Frauen aus der Seele Pusch erhielt zahlreiche Briefe von Leserinnen die deutlich machten wie sehr das Buch als Uberlebenshilfe wirkte manche Frauen fuhlten sich ihr so nah dass sie sich in Offenbach verliebten und sie kennenlernen wollten 2 Im Vorwort zur Neuausgabe 1999 schrieb Pusch Nachdem ich Sonja veroffentlicht hatte bekam ich viele Briefe von Frauen die sich bestimmte Dinge aus dem Buch zum Vorbild nahmen Etliche zum Beispiel setzten eine Anzeige in die Emma andere fingen an ihre intimsten Erlebnisse aufzuschreiben und offentlich zu machen andere gingen in eine Lesbengruppe So entsteht Frauen Bewegung und Veranderung Auch ich habe mich nur getraut weil andere vorangegangen waren 1 Der Roman wurde auch von Mainstreammedien wie der FAZ Aspekte dem Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt Stern der Basler Zeitung oder dem Norddeutschen Rundfunk besprochen Letztere hoben gelegentlich auf die sensationalistischen Elemente des Romans ab Lesbianismus Behinderung Selbstmord und eine pseudonyme Autorin gelegentlich wurde auch moniert dass der Roman zu wenig literarisch sei 3 ein Anspruch den Pusch allerdings zuruckwies Das Buch hatte nicht den Anspruch auf kunstlerische Qualitat Ich schrieb mein Buch im selben Stil wie ich Briefe an Freundinnen schrieb es sollte ja gut lesbar sein verstandlich direkt authentisch Kein literarisches Auftrumpfen Seht her wie schon ich schreiben kann 2 Dessen ungeachtet wurde der Roman fur den Aspekte Literaturpreis nominiert 4 Heute gilt Sonja laut Madeleine Marti als wichtigster Verstandigungstext lesbischen Lebens der 1980er Jahre sie konstatiert Judith Offenbachs Buch pragte das offentliche Bild und das Selbstbild von Lesben wesentlich mit 3 Jan Feddersen meinte in einem Interview mit Pusch 2023 dass das Werk auch als ein Memoir betrachtet werden konne ein Genre das im 21 Jahrhundert mit Edouard Louis Didier Eribon und Annie Ernaux grossen Erfolg bei der Literaturkritik hatte 2 Als Memoir bezeichnet der Literaturwissenschaftler Carsten Rohde ein hybrides Format zwischen Autobiographie Sachbuch und Erzahlung mit gesellschafts oder identitatspolitischer Zuspitzung 8 Ausgaben BearbeitenJudith Offenbach Sonja Eine Melancholie fur Fortgeschrittene Suhrkamp Frankfurt am Main 1980 Luise F Pusch Sonja Eine Melancholie fur Fortgeschrittene Suhrkamp Frankfurt am Main 1999 Neuausgabe mit einem Vorwort der Autorin Einzelnachweise Bearbeiten a b c d e f Luise F Pusch Sonja eine Melancholie fur Fortgeschrittene Suhrkamp Taschenbuch Suhrkamp Frankfurt am Main 1999 ISBN 978 3 518 37188 6 a b c d Jan Feddersen Die Lobbyistin des Binnen I Ich wusste kein Wort dafur In Die Tageszeitung taz 17 April 2023 ISSN 0931 9085 taz de abgerufen am 19 Juli 2023 a b c d e f g Madeleine Marti Verstandigungstext fur Lesben Judith Offenbach Sonja In Hinterlegte Botschaften Die Darstellung lesbischer Frauen in der deutschsprachigen Literatur seit 1945 Neuausgabe 2017 Springer Verlag J B Metzler 1991 ISBN 978 3 476 03429 8 S 210 244 a b Eva Schlittenbauer Uwe Britten Gesprach mit Luise F Pusch In Marion Kobelt Groch Hrsg Ich bin Judith Texte und Bilder zur Rezeption eines mythischen Stoffes Leipziger Univ Verlag Leipzig 2003 ISBN 978 3 936522 31 0 S 174 175 a b Susanne Regula Gesprach mit Judith Offenbach Interview In Lesbenfront Nr 12 1981 S 5 7 e periodica ch PDF Luise F Pusch Un Sichtbarkeit alterer Lesben in der Gesellschaft Vortrag im Lesbischen Herbst am 10 November 2006 in Ude Lesbischer Herbst abgerufen am 19 Juli 2023 Veronica Schaller Sonja eine Melancholie fur Fortgeschrittene In Emanzipation feministische Zeitschrift fur kritische Frauen Band 7 Nr 8 1981 S 17 e periodica ch Carsten Rohde Poetik des Memoir Gattungshybriditat zwischen Autobiographie Sachbuch und Erzahlung In Zeitschrift fur Germanistik Band 32 Nr 2 1 Januar 2022 S 290 304 doi 10 3726 92172 290 ingentaconnect com abgerufen am 20 Juli 2023 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Sonja Roman amp oldid 238086645