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Restaustenit ist eine bei der konventionellen Stahlvergutung meist unerwunschte Phase im Stahl oder Gusseisen Sie ist relativ instabil und wandelt sich durch Temperaturerhohung in Ferrit und Zementit und bei Temperatursenkung sowie durch mechanische Beanspruchung Sitram Stress induced transformation Austenit Martensit in Martensit um Bei der Umwandlung erfolgt eine Umklappung vom kubisch flachenzentrierten Raumgitter Austenit in ein tetragonal raumzentriertes Raumgitter Martensit Im kubisch flachenzentrierten Gitter ist die Packungsdichte grosser als im tetragonal raumzentrierten Gitter durch die Umwandlung kommt es deshalb zu einer Volumenzunahme was zu Spannungen in einem Werkstuck fuhren kann So kann Restaustenitumwandlung in Martensit Volumenzunahme zu Mikrorissen innerhalb der schon vorhandenen Martensitplatten Sperrgefuge fuhren und somit die Schwingfestigkeit senken Qualitativ kann die Restaustenitumwandlung Gitterumklappen in Martensit mittels Hartemessung vor und nach dem Tieftemperaturabkuhlen naherungsweise erfasst werden Mittels Gefugeuntersuchung oder rontgenographischer Restaustenitbestimmung lasst sich der Zustand auch quantifizieren Inhaltsverzeichnis 1 Entstehungsmechanismus 2 Restaustenitstabilisierung 2 1 Mechanische Stabilisierung 2 2 Chemische Stabilisierung 2 3 Sonstige Stabilisierungen 3 Thermisch induzierte Restaustenitumwandlung 4 Mechanisch induzierte Restaustenitumwandlung 5 Umwandlungsinduzierte Plastizitat 6 Literatur 7 EinzelnachweiseEntstehungsmechanismus BearbeitenEinfluss der Legierungselemente auf die Martensitstarttemperatur und den Restaustenitgehalt 1 Element MS pro Prozentdes Elements in C RAG pro Prozentdes Elements in 1 C N 300 50Mn 33 20Cr 22 11Ni 17 10Mo 11 9W 11 8Si 11 6Co 6 3Al 17 41 Basislegierung C100Bei Stahlen mit mehr als 0 5 Massen Kohlenstoff und hinreichenden Anteilen an Legierungselementen wird die Martensitfinishtemperatur Mf kleiner als 20 C Beim Abschrecken dieser Werkstoffe aus dem austenitischen Zustand auf Raumtemperatur bleibt ein Teil der austenitischen Ausgangsphase im Gefuge erhalten Dieser Austenit wird als Restaustenit bezeichnet Er stellt einen relativ weichen metastabilen Gefugebestandteil dar der durch weitere Abkuhlung oder mechanische Beanspruchung in Martensit umwandeln kann 2 Die Menge des Restaustenits lasst sich nach der Gleichung R A e B M S T u displaystyle RA e B M text S T text u nbsp in Abhangigkeit von der Martensitstarttemperatur M S displaystyle M text S nbsp und der Temperatur des Abschreckmediums abschatzen Die Legierungszusammensetzung geht uber die M S displaystyle M text S nbsp Temperatur in oben genannter Gleichung ein B displaystyle B nbsp ist eine temperaturabhangige Konstante B T 20 C 1 1 10 2 1 C displaystyle B T 20 circ text C 1 1 cdot 10 2 tfrac 1 circ text C nbsp und B T 196 C 7 5 10 3 1 C displaystyle B T 196 circ text C 7 5 cdot 10 3 tfrac 1 circ text C nbsp Die Tabelle fasst die Auswirkungen der verschiedenen Legierungselemente auf MS und den Restaustenitgehalt RAG zusammen Grossere Mengen an Restaustenit konnen auch nach bainitischen Umwandlungen vorliegen z B bei Siliciumstahlen oder Gusseisen Da Silicium die Carbidbildung behindert 3 4 5 6 kann sich der im Bainit nicht losliche Anteil des Kohlenstoffs nicht in Form von Carbiden ausscheiden und diffundiert in den noch vorhandenen Austenit Das hat zur Folge dass der Kohlenstoffgehalt des Austenits steigt und gleichzeitig die Martensitstarttemperatur sinkt Erreicht MS Raumtemperatur so bleibt nach Abkuhlung der Austenit vollstandig als Restaustenit erhalten Restaustenitstabilisierung Bearbeiten nbsp Bild 1 Einflussparameter auf die Stabilitat des Austenits und des RestaustenitsMan spricht bei Stahlen von Austenitstabilitat bei Temperaturen gt A3 und von Restaustenitstabilitat bei der Beurteilung des nach Abschrecken auf Raumtemperatur noch vorliegenden Austenits Die Austenitstabilitat hangt wie in Bild 1 dargestellt von verschiedenen Faktoren ab Sie bildet beeinflusst durch die Umwandlungskinetik und die Abschreckparameter die Grundlage der Restaustenitstabilitat die ihrerseits z B von der Restaustenitmenge sowie von mechanischen und thermischen Belastungen beeinflusst wird 7 Die Stabilitat des Restaustenits ist fur die mechanischen Eigenschaften und die Masshaltigkeit restaustenithaltiger Stahle von grosser technischer Bedeutung Es ist zweckmassig zwischen mechanischer und chemischer Restaustenitstabilisierung zu unterscheiden Mechanische Stabilisierung Bearbeiten Nach Tammann und Scheil 8 sollen die durch die Volumenvergrosserungen bei der Martensitbildung im Austenit entstehenden Druckspannungen eine weitere Umwandlung verhindern wenn sie einen bestimmten Betrag uberschreiten Eine Fortsetzung der Umwandlung kann dann erst erfolgen wenn sich die Druckspannung durch weitere Abkuhlung verringert Das ist moglich da der Austenit einen um einen Faktor zwei grosseren thermischen Ausdehnungskoeffizienten als der Martensit besitzt und deshalb bei Abkuhlung starker schrumpft 9 Nach Ansicht von Rose 10 wird dagegen das Wachstum der Martensitkeime durch Storung der Koharenz an den Austenit Martensit Grenzflachen gestoppt Diese Storungen sollen durch Versetzungen und andere Gitterfehler hervorgerufen werden die bei der plastischen Verformung des Austenits durch den sich bildenden Martensit entstehen Tatsachlich werden in Austenitbereichen die den Martensitkristallen unmittelbar benachbart sind Versetzungsdichten von 1011 bis 1012 cm 2 gefunden 11 Die mechanische Austenitstabilisierung kann bei Stahlen mit hoherem Kohlenstoffgehalt so stark sein dass selbst bei Abkuhlung auf die Temperatur des flussigen Heliums 4 K keine vollstandige Martensitbildung auftritt 12 Chemische Stabilisierung Bearbeiten Nach Entstehung der ersten Martensitkristalle erfolgt wahrend der weiteren Martensitbildung Kohlenstoffdiffusion 13 Durch diese Selbstanlasseffekte wird der Kohlenstoffgehalt im umgebenden Austenit erhoht und dieser stabilisiert Die erhohte Kohlenstoffkonzentration im Austenit senkt lokal die Martensitstarttemperatur ab Dadurch sinkt die vorliegende Unterkuhlung so dass die fur die martensitische Umwandlung notwendige Triebkraft DG A M nicht mehr erbracht werden kann Eine Fortsetzung der Umwandlung kann erst bei weiterer Abkuhlung und damit Unterschreitung der neuen Martensitstarttemperatur MS erfolgen Auch wahrend der bainitischen Umwandlung kommt es zu einer starken Kohlenstoffdiffusion in den noch nicht umgewandelten Austenit 14 Bei hinreichend hohem Siliziumgehalt kann der Austenit so stark chemisch stabilisiert werden dass er beim anschliessenden Abkuhlen auf Raumtemperatur nicht in Martensit umwandelt Sonstige Stabilisierungen Bearbeiten Weitere Stabilisierungsmechanismen des Austenits wie thermische dynamische und isothermische Stabilisierung konnen auf mechanische oder chemische Stabilisierung oder eine Kombination der beiden zuruckgefuhrt werden 15 Thermisch induzierte Restaustenitumwandlung BearbeitenBeim Anlassen restaustenithaltiger Gefugezustande wird ab etwa 300 C ein Zerfallen des Restaustenits beobachtet 16 Der zwischen den Martensitnadeln liegende Restaustenit wandelt sich diffusionsgesteuert in Ferrit und Zementit um Da der Zementit zwischen den Martensitnadeln gebildet wird und damit mogliche Risspfade vorzeichnet wird er fur die bei etwa 300 C beobachtete Anlassversprodung verantwortlich gemacht 17 18 Durch Zusatz von Silizium wird die Zementitausscheidung zu hoheren Temperaturen verschoben so dass der Austenit oberhalb 300 C zunachst unvollstandig in carbidfreien Bainit umwandelt und sich erst oberhalb 380 C Zementit bildet Andererseits kann der vorliegende Restaustenitgehalt athermisch durch Tiefkuhlen unter MS reduziert werden Der sich dabei bildende Tiefkuhlmartensit weist deutlich schlechtere mechanische Eigenschaften als der Hartemartensit auf da er keinem Anlass oder Selbstanlassvorgang unterworfen wird 19 MS liegt deutlich unter der Abschrecktemperatur Die Temperaturdifferenz zur Abschrecktemperatur Tu MS hangt von der gebildeten Martensitmenge der Wartezeit zwischen Abschrecken und Tiefkuhlen und von vorausgegangenen Auslagerungen bei erhohten Temperaturen ab Offensichtlich findet wahrend der Wartezeit eine Kohlenstoffdiffusion von Martensit in den Austenit statt und stabilisiert diesen Beim Unterschreiten von MS steht dann eine so grosse Triebkraft DGtherm zur Verfugung dass auch der stabilisierte Restaustenit umwandelt Mechanisch induzierte Restaustenitumwandlung BearbeitenBei der mechanisch induzierten Restaustenitumwandlung ist zwischen spannungsinduzierter und verformungsinduzierter Umwandlung zu unterscheiden 20 je nachdem ob die Martensitbildung unter oder oberhalb der Streckgrenze des Austenits stattfindet nbsp Bild 2 Temperaturabhangigkeit der spannungs und verformungsinduzierten MartensitbildungBild 2 veranschaulicht die Abhangigkeit beider Prozesse von der Umwandlungstemperatur 21 22 Kuhlt man unter MS M ab so entsteht Martensit spontan an den praformierten Keimen A Bei Temperaturen uber MS MS entsteht Martensit erst nach Anlegen einer ausseren Spannung wodurch die praformierten Keime wachstumsfahig werden Ein Teil der zur Martensitbildung notwendigen Triebkraft wird jetzt mechanisch aufgebracht so dass giltD G A M D G mech D G therm displaystyle Delta G A M Delta G text mech Delta G text therm nbsp Da mit steigender Temperatur der thermisch gelieferte freie Enthalpiebeitrag sinkt muss der mechanische Beitrag durch Spannungserhohung gesteigert werden Bei der Temperatur MSs erreicht die Spannung die Streckgrenze des Austenits C Die plastischen Deformationen des Austenits erzeugen neue praformierte Keime so dass eine Martensitbildung erleichtert wird Deshalb weicht die Kurve der einsetzenden Martensitbildung von der Verlangerung der Geraden A C ab und verlauft von C nach E Bei E steigt die zur Martensitbildung notwendige Spannung so stark an dass sie nicht mehr erreicht werden kann Md ist damit die Temperatur oberhalb der keine verformungsinduzierte Martensitbildung mehr moglich ist 23 Die martensitische Umwandlung des Restaustenits verursacht aufgrund des Volumenunterschieds irreversible Dehnungsanteile Dadurch fallt die Streckgrenze des Materials makroskopisch betrachtet unterhalb MSs mit der Einsatzspannung der spannungsinduzierten Umwandlung zusammen Bei MS MS nimmt die Streckgrenze sehr geringe Werte an da schon kleinste Spannungen zu einer spannungsinduzierten Umwandlung fuhren Uber MSs ist die Streckgrenze des Materials identisch mit der Streckgrenze des Austenits Umwandlungsinduzierte Plastizitat BearbeitenBei hoch restaustenithaltigen und bei metastabilen austenitischen Stahlen den sog TRIP Stahlen transformation induced plasticity wird oft eine erstaunliche Festigkeit und Duktilitat beobachtet Die gesteigerte Duktilitat ist auf die verformungsinduzierte Martensitbildung zuruckzufuhren die einen zusatzlichen Verfestigungsmechanismus zur Verfugung stellt Diese verformungsinduzierte Martensitbildung findet ausserdem bevorzugt im Bereich von Spannungsspitzen statt und baut diese ab Dadurch wird z B bei zugiger Beanspruchung die an den Spannungsspitzen einsetzende Instabilitat des Einschnurens verzogert und die Verfestigungsfahigkeit des Werkstoffes besser ausgenutzt Zur Erzielung des TRIP Effekts sind gewohnlich komplexe Legierungszusammensetzungen und aufwendige thermomechanische Behandlungen notwendig Umwandlungsinduzierte Plastizitatserscheinungen wirken sich auch positiv auf den Werkstoffwiderstand gegen Rissausbreitung aus da wegen der Restaustenitumwandlung in der plastischen Zone zusatzliche Energie zum Rissfortschritt benotigt wird 24 Zudem werden im rissspitzennahen Werkstoffbereich durch die mit der Umwandlung verbundenen Volumenvergrosserungen Druckeigenspannungen erzeugt die den Riss schliessen und somit den Rissfortschritt bremsen 25 Literatur BearbeitenHans Jurgen Bargel Hrsg Werkstoffkunde 7 Auflage Springer Berlin 2000 ISBN 3 540 66855 1 S 181 Jurgen Ruge Helmut Wohlfahrt Technologie der Werkstoffe Herstellung Verarbeitung Einsatz 8 Auflage Vieweg Wiesbaden 2007 ISBN 3 8348 0286 7 S 79 ff Medienkombination mit DVD ROM Dieter Liedtke Warmebehandlung von Eisenwerkstoffen 1 Grundlagen und Anwendungen 7 Auflage expert Verl Renningen 2007 ISBN 3 8169 2735 1 S 22 42 Axel Lunenburger Zum Umwandlungs und Verformungsverhalten bainitisch austenitischer Siliziumstahle Hochschulschrift Universitat Karlsruhe TH Karlsruhe 1991 Dissertation Einzelnachweise Bearbeiten M Cohen Retained Austenite In Transactions American Society for Metals Band 41 1949 S 35 96 R J Bartels Einfluss des Restaustenits auf das Verformungsverhalten geharteter Stahle In VDI Fortschrittberichte VDI Verlag Dusseldorf 1987 Dissertation Universitat Karlsruhe B P J Sandvik H P Nevalainen Structure Property Relationship in Commercial Low Alloy Bainitic Austenitic Steel With High Strength Ductility and Toughness In Metals Technology Band 8 1981 S 213 220 W S Owen The Effect of Silicon on the Kinetics of Tempering In Transactions of the American Society for Metals Band 46 1954 S 812 829 R F Hehemann The Bainite Transformation in Phase Transformations In Paper From Phase Transformations Asm Band 70 1968 S 397 432 S J Matas R F Hehemann The structure of bainite in hypoeutectoid steels In Transaction AIME Band 221 1961 S 179 185 Nishiyama Z Martensitic Transformation Academic Press New York 1978 G Tammann E Scheil Die Umwandlungen des Austenits und Martensits in gehaerteten Staehlen In Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie Band 157 Nr 1 1926 S 1 21 doi 10 1002 zaac 19261570102 W Laux Dilatometrische Untersuchungen zur Restaustenitumwandlung bei der Hartung von Eisen In Wissenschaftliche Zeitschrift der technischen Hochschule Karl Marx Stadt Band 11 Nr 1 1969 S 33 41 A Rose Warmebehandelbarkeit der Stahle In Stahl und Eisen Band 85 Nr 20 1965 S 1229 1240 P M Kelly J Nutting The Morphology of Martensite In Journal of the Iron 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einer Tiefkuhlbehandlung 1969 Dissertation Universitat Karlsruhe V F Zackay E R Parker R Busch The Enhancement of Ductility in High Strength Steels In Trans ASM Band 60 1967 S 252 252 Cohen M Deformation Induced Nucleation of Martensitic Transformations Int Conf on Martensitic Transformations ICOMAT 77 Kiew UdSSR 1977 69 74 Tamura I Deformation Induced Martensitic Transformation and Transformation Induced Plasticity in Steels Metal Science 16 1982 245 252 G N Haidemenopoulos M Grujicic G B Olson M Cohen Transformation Microyielding of Retained Austenite In Acta Metallurgica A 37A Nr 6 1989 S 1677 1682 D Webster Increasing the Toughness of the Martensitic Stainless Steel AFC 77 by Control of Retained Austenite Content Ausforming and Strain Aging In Trans ASM Quart Band 61 1968 S 816 828 I Wittkamp E Hornbogen Martensitische Umwandlung an der Rissspitze In Praktische Metallographie Band 14 1977 S 237 250 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Restaustenit amp oldid 237412867