Die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration ist ein Gedicht von Bertolt Brecht. Es ist Bestandteil der Sammlung Svendborger Gedichte.
Das Gedicht gilt als „eines der berühmtesten Gedichte“ (Jan Knopf) Brechts und ist ein wichtiges Werk der deutschen Exilliteratur. Es beschreibt eine legendenhafte Episode aus dem Leben des altchinesischen Philosophen Laozi (ältere Umschrift: Laotse). Die Legende spiegelt die langjährige – beginnend ca. 1920 – und prägende Beschäftigung Brechts mit taoistischem Gedankengut wider, das er insbesondere in Form von Richard Wilhelms Übersetzung des Taotekings (heute: Daodejing) kennengelernt hatte. Darüber hinaus hat sich Brecht in gewissen Zügen Laotses selbst porträtiert, insbesondere in seiner Rolle als Emigrant zwischen Ohnmacht und Hoffnung auf den Sieg der guten Sache.
Das Gedicht wurde 1949 von Günter Kochan, einem Eisler-Schüler, vertont.
Entstehung Bearbeiten
Die Legende von der Entstehung des Buches Taoteking auf dem Weg des Laotse in die Emigration entstand 1938 in Dänemark während Brechts Emigration. Das Gedicht wurde erstmals 1939 in Moskau in der Zeitschrift Internationale Literatur (Heft 1, S. 33 f.) veröffentlicht, nachdem die Exilzeitschrift Maß und Wert eine Veröffentlichung abgelehnt hatte. Die im Gedicht geschilderte Anekdote war schon Gegenstand eines kurzen Prosastücks Brechts gewesen (Die höflichen Chinesen), das 1925 im Berliner Börsen-Courier erschienen war. Der Autor nahm das Gedicht 1949 auch in seine Kalendergeschichten auf; hier ist Die unwürdige Greisin die komplementäre Erzählung.
Inhalt Bearbeiten
Das Gedicht erzählt, wie der Weise Laotse im hohen Alter seine Heimat verlässt, weil er mit den Zuständen dort nicht einverstanden ist.
Er packt seine wenige Habe zusammen und auf einem Ochsen reitend, der von einem Jungen geführt wird, verlässt er das Land.
Am vierten Tag wird er von einem Zöllner aufgehalten, der ihn zunächst fragt, ob er etwas zu verzollen habe. Laotse aber ist arm, was der Junge erklären kann: „Er hat gelehrt.“ Auf die Frage, was er denn „rausgekriegt“ habe, antwortet der Junge:
Wer wen besiegt, weckt die Neugier des Zöllners, und er bittet den Weisen, seine Lehren niederzuschreiben. Innerhalb von sieben Tagen, in denen der Zöllner Laotse und dem Knaben Unterkunft und Verpflegung gewährt, schreiben sie 81 Sprüche nieder, welche der Knabe dem Zöllner überreicht. Auf diese Weise entsteht das Buch Daodejing, quasi als Zoll. Am Ende steht neben dem Lobpreis des Weisen ein Dank des Sprechers an den Zöllner:
Schon im Prosastück Die höflichen Chinesen von 1925 findet sich das Hauptthema des Gedichts beschrieben:
Form Bearbeiten
Die Strophen der Legende bestehen aus fünf Versen, von denen in der Regel die ersten vier fünfhebige und der Schlussvers vierhebige Trochäen aufweisen. Die Trochäen geben dem Gedicht – analog zum „weichen Wasser in Bewegung“ – eine fließende Anmutung. Von diesem Schema weicht Brecht an einzelnen charakteristischen Stellen ab. So etwa in der fünften Strophe, in der sich der fließende Trochäus gleichsam am harten Daktylus des mäch-ti-gen Steins bricht. Das Gedicht entwickelt seinen speziellen Reiz auch durch das verwendete Reimschema [ababb], das einen Rhythmus aufbaut und dann durchbricht. Der jeweils zweite und vierte Vers weisen eine männliche Kadenz auf.
Dass solche formalen Schemata, inklusive der Abweichungen, von Brecht bewusst und sorgfältig eingesetzt wurden, belegen die Notizen aus seinem Nachlass. Zu den Abweichungen zählen die und-Struktur vieler Zeilen und Übergänge. Das und ist die einfachste Form der Verknüpfung, es hat gleichzeitig kindliche und volksmäßige Züge.
Wirkung Bearbeiten
Hannah Arendt berichtet in Menschen in finsteren Zeiten von der Wirkung, die das Gedicht auf die Exildeutschen in französischer Gefangenschaft während des Zweiten Weltkrieges machte: Wie ein Lauffeuer verbreitete sich das Gedicht in den Lagern, wurde von Mund zu Mund gereicht wie eine frohe Botschaft, die, weiß Gott, nirgends dringender benötigt wurde als auf diesen Strohsäcken der Hoffnungslosigkeit.
Irmgard Horlbeck-Kappler, eine bekannte DDR-Buchgestalterin und Malerin, zeichnete 1975 eine Grafik zur Legende, die für die Reclam-Ausgaben zwischen 1979 und 1985 als Coverbild diente.
Richard Wilhelms Fassung des Tao Te King Bearbeiten
Es sind grundlegend unterschiedliche Übersetzungen des Tao Te Kings vorhanden. In der Übersetzung des Tao Te King von Richard Wilhelms, die Brecht nutzte, finden sich an mehreren Stellen Verweise auf das „Weiche“ und „Harte“, und zwar in den Abschnitten 37, 43, 76 und 78. Der letzte Abschnitt ist der einzige, in dem wie bei Brecht die Thematik „Wasser“ aufgegriffen wird:
Ebenfalls findet sich im Vorwort von Richard Wilhelms die Geschichte mit dem Grenzbeamten wieder:
Literatur Bearbeiten
- Heinrich Detering: Bertolt Brecht und Laotse. Wallstein, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0266-2.
- Karl Moritz: Deutsche Balladen. Analysen für den Deutschunterricht. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 1972, ISBN 978-3-506-72814-2.
- V. v. Strauss: Lao Tse – Das Tao Te King. Verlag von Friedrich Fleischer, Leipzig 1870
Weblinks Bearbeiten
Einzelnachweise Bearbeiten
- Kindlers Neues Literatur-Lexikon, München 1989, Band 3, S. 108.
- Heinrich Detering: Bertolt Brecht und Laotse. Göttingen 2008, S. 64 ff.
- Bertolt Brecht: Ausgewählte Werke in 6 Bänden. Suhrkamp 1997, Bd. 3, S. 474 f.
- Brecht: Die höflichen Chinesen, GW 11, 100
- Heinrich Detering, Bertolt Brecht und Laotse, Göttingen 2008, S. 82 ff.
- Jan Knopf (Hrsg.): Brecht-Handbuch. J.B. Metzler Stuttgart 2001, Band 2, S. 299
- H. A.: Menschen in finsteren Zeiten, Piper, München 1989, 2001 ISBN 3-492-23355-4 S. 277 f.
- Reclams Universalbibliothek, Verlagsort Leipzig, # 397. Bei früheren Ausgaben hatte sie lediglich die Typografie des Covers gestaltet, die für die gesamte Reihe (RUB) gleich war.