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Facework auch face work oder face work englisch dt wortlich Arbeit am Gesicht aber ohne eindeutige Entsprechung in der deutschen Fachterminologie kann mit Gesichtswahrung oder im ubertragenen Sinn mit Gesichtspflege oder Gesichtsarbeit ubersetzt werden Es kennzeichnet das strategische Verhalten von Menschen in verschiedensten Formen der sozialen Interaktion durch das sie versuchen ihr eigenes oder das Gesicht ihres Kommunikationspartners also ihr eigenes oder dessen Selbstbild zu wahren zu schonen oder wiederherzustellen Facework spielt auch in formellen diplomatischen Verhandlungen und bei der Losung interkultureller Konflikte eine zentrale Rolle Dazu gehoren Formen der Hoflichkeit Rucksichtnahme und des Takts aber auch Notlugen oder die Vermeidung von Reizthemen Die Formen des Facework weichen im interkulturellen Vergleich stark voneinander ab 1 Inhaltsverzeichnis 1 Theorien 1 1 Face 1 2 Facework im Alltag 1 3 Facework bei Konflikten und Verhandlungen 2 Anwendung des Begriffs im medialen Bereich 3 Kritik 4 Literatur 5 EinzelnachweiseTheorien BearbeitenZur Analyse von Facework Aktivitaten existieren sowohl sozialpsychologische Theorien als auch solche aus dem Bereich der Soziologie der Emotionen z B Interaktionstheorie Theorie des emotionalen Selbstmanagements Theorie der emotionalen Investition Face Bearbeiten Der Begriff face wurde zuerst von Erving Goffman zur Beschreibung gesichtswahrenden Verhaltens in der unmittelbaren Interaktion benutzt wobei face sowohl die von einer Person internalisierten als auch die ihr sozial zugeschriebenen Werte umschloss 2 Goffmann lehnte sich dabei an das chinesische doppelte Konzept von Gesicht an bei dem die Worte lien fur das innere moralische Gesicht den Charakter und mien tsu fur das aussere soziale Gesicht das Prestige stehen Das erstere wird durch moralisches Verhalten verteidigt letzteres wird durch Leistungen Reichtum und Macht vergrossert 3 Ahnliche Bedeutungen hat die Metapher in Ostasien der arabischen Welt Thailand und im sudslawischen Sprachraum obraz Ehre Charakter 4 Facework im Alltag Bearbeiten Goffman interpretierte diese beiden Begriffe als Identitat und Ego Facework sei die Konstruktion eines offentlichen Selbstbildes also die Arbeit an dem offentlichen Bild das von einer Person entstehen soll wobei sie sich bemuht das Auseinanderfallen von Selbstbild und Fremdbild zu verhindern Dieses Bestreben ist nach Goffman universell sein Resultat ist face 5 Die Arbeit am eigenen Gesicht spielt nach Goffman eine grosse Rolle in vielen Alltagsinteraktionen 6 In der deutschen Ubersetzung wurde facework allerdings verkurzt auf Techniken der Imagepflege 7 also auf das aussere Gesicht das jemand erzeugen will oder die Summe der Vorstellungen die andere uber eine Person haben Eine solche enge Definition vernachlassigt dass face im Sinne Goffmans in interaktiven Prozessen entsteht sich in Handlungen und Kommunikationen ausdruckt und stark situationsabhangig ist Dieser interaktive Aspekt kommt einer Definition Goffmans von 1967 gut zum Ausdruck Das impliziert das nach verschiedenen Seiten auch verschiedene Aspekte des Gesichts gezeigt werden Danach ist face the positive social value a person effectively claims for himself by the line others assume he has taken during a particular contact Erving Goffman 8 Die Person die face zeigt beansprucht claims also sozial wertvoll oder bedeutsam fur eine andere zu sein und zwar durch ein bestimmtes Muster line der Interaktion das die andere Person in einer bestimmten Kontaktsituation erkennt Cupach und Metts wenden das Konzept auf das Management aller Phasen enger und intimer Beziehungen von der ersten Kontaktaufnahme uber das mehr oder weniger gesichtswahrende Konfliktmanagement bis zur Trennung an 9 In ihrer Analyse steht die Gesichtswahrung im Vordergrund Auch Susan Shimanoff analysiert die Regeln die gesichtswahrende Kommunikation zwischen Ehegatten steuern 10 Sachiko Ide u a analysieren die geschlechtsspezifischen Hoflichkeitsregegeln in Japan 11 Die Soziolinguisten Brown und Levinson definieren face als das Bild das jemand von sich in der Offentlichkeit erzeugen mochte the public self image that every member of a society wants to claim for himself herself Damit kommt ihr Begriff von face dem Imagebegriff naher In ihrer anhand von Beispielen aus drei Sprachen 1978 1987 publizierten Theorie der hoflichen Kritik und Selbstkritik und des unhoflichen Verhaltens impoliteness entwickeln sie wie sich Sorgen um die eigene Identitat der Wunsch nach Schonung des Gesichts anderer und situative Anforderungen in verschiedenen Diskursstrategien verknupfen 12 Dieser Wunsch nach Schonung ist jedoch in unterschiedlichen Kulturen sehr unterschiedlich ausgepragt 13 Lim und Bowers unterscheiden drei Faktoren die die Performance von facework beeinflussen die Intimitat einer Beziehung die Machtdistanz zwischen den Akteuren und das Recht ein bestimmtes Verhalten in einer Situation zu zeigen 14 Robert Arundale unterscheidet deutlicher zwischen face Wahrung bzw Aufbau und nur hoflichem Verhalten 15 In seiner face constituting theory untersucht er wie face in der Alltagsinteraktion mit sprachlichen Mitteln aufgebaut wird Er definiert face als das Verstandnis einer Person davon was sie in der alltaglichen Kommunikation und Kooperation mit anderen verbindet und von ihnen trennt 16 Unterschieden wird allgemein zwischen den Strategien des face saving also dem Erhalt des Selbstbildes und der face restauration also der Wiederherstellung eines beschadigten Selbstbildes 17 Tracy unterscheidet daruber hinaus Gesichts wertschatzende kompensierende bedrohende und neutrale Kommunikationen 18 Eine extrem komplizierte und belastende Variante des facework ist das Stigmamanagement 19 Siehe auch Gesichtskonzept Facework bei Konflikten und Verhandlungen Bearbeiten Bei Konflikten und Verhandlungen hat Facework auch die Funktion die eigene Position auf Kosten der Interaktionspartner zu starken und ggf deren Reputation zu schadigen face negotiation Facework wird also nicht nur benutzt um Konflikte durch identitatssensible Kommunikation zu vermeiden oder zu losen sondern auch um sie zu provozieren oder andere herauszufordern 20 Ein Beispiel fur intendierte Identitatsschadigung ist der Sangerwettstreit der Inuit bei dem es darauf ankommt den Gegner verachtlich zu machen Im Verwaltungsbereich sowohl bei internen Verhandlungen und Beratungen als auch in der Interaktion mit den Burgern spielt Facework ebenfalls eine wichtige Rolle 21 Fur Ting Toomey ist face eine Projektion des eigenen Selbstbildes dessen Identitat insbesondere in Asien von den Mitgliedern eines Systems von Beziehungen immer mit definiert wird Sie unterscheidet vier Superstrategien Face Restoration oder Self Negative Face das Bestreben die eigene Autonomiesphare vor Einmischungen anderer zu schutzen Face Saving oder Other Negative Face das Bestreben den Autonomieraum der anderen zu wahren Face Assertion oder Self Positive Face der Wunsch nach Inklusion und Gemeinschaft mit anderen Face Giving oder Other Positive Face der Wunsch das Bedurfnis anderer nach Inklusion und Gemeinschaft zu unterstutzen Diese Strategien untersucht sie in ihrer face negotiation theory und weist dabei auf die interkulturellen Unterschiede bei der Losung gesichtswahrender oder das Gesicht wiederherstellender Konfliktlosungsstrategien hin Die vier Typen sind je nach Kulturkreis unterschiedlich stark ausgepragt 22 So nehmen z B Menschen asiatischen Ursprungs in den USA Meditationsverfahren selten wahr weil man schmutzige Wasche nicht in der Offentlichkeit wascht d h die eigene Autonomiesphare vor Einmischungen schutzen will 23 Die verschiedenen Techniken der Gesichtswahrung und wiederherstellung hat im angelsachsischen Sprachraum zu zahlreichen Begriffsbildungen angeregt face constituting face compensating face honoring face saving face threatening face building face protecting face depreciating face giving face restoring face neutral Anwendung des Begriffs im medialen Bereich BearbeitenMit dem Vormarsch interaktiver Medien wird der Begriff auch auf Selbstprasentationstechniken in den sozialen Medien ubertragen Die Benutzer prasentieren sich zwar unkorperlich und oft gesichtslos faceless in den sozialen Medien die oft anonymen likes die sie erhalten werden von ihnen jedoch als Teil ihres Selbstbildes ubernommen Auch in einer textuellen oder medienvermittelten face to face Kommunikation wie in professionellen oder Praktikergemeinschaften oder in der Wikipedia kann es also um Gesichtswahrung gehen 24 Soziale Medien wie Facebook machen facework im Sinne der Arbeit von nicht im Rampenlicht stehenden Menschen an ihrem offentlichen Selbstbild schliesslich sogar zu ihrem Programm Insofern auch soziale Medien als Kulturen z B Kultur des Internets interpretiert werden konnen ist face representation in diesen Raumen ebenfalls kulturell gepragt Ob durch die sozialen Medien interkulturelle Unterschiede in der Selbstprasentation auf langere Sicht homogenisiert werden oder kulturell gepragte Handlungsmuster aus der realen Welt in virtuellen Raumen beibehalten werden ist jedoch ungeklart Auch bei der Erstellung von Lebenslaufen und Kompetenzprofilen in Papierform oder elektronischer Form geht es immer mehr um facework namlich darum sich arbeitgeberspezifisch und situationsabhangig zu prasentieren so dass man zugleich mehrere offentliche Gesichter nach verschiedenen Seiten und entsprechend verschiedener Anforderungen zeigen kann Oder man gibt sich in seinem CV ein face lift Das face Konzept wird damit immer dynamischer und gewinnt an Bedeutung gegenuber den durch Sozialisation erworbenen verinnerlichten Werten also dem eher statischen Charakter oder Identitatsbegriff Face wird damit zu einem relationalen Begriff wie er es in den ostasiatischen Gesellschaften bereits ist z B durch stark unterschiedliches Verhalten gegenuber Menschen auf verschiedenen Hierarchiestufen Zudem wird das face immer starker in domains segmentiert die nach verschiedenen Seiten aufscheinen darin dem Begriff der sozialen Rolle ahnlich 25 Kritik BearbeitenKritisiert wird die unscharfe seit Goffman of wechselnde und teils ausufernde Definition des metaphorischen face Begriffs 26 der durch das Konzept eines unkorperlichen virtuellen Gesichts in den soziale Netzen noch komplexer und zum fuzzy Begriff wird 27 Literatur BearbeitenKaren Tracy The many faces of facework In Howard Giles W Peter Robinson Handbook of Language and Social Psychology John Wiley 1990 S 209 226 Uberblicksartikel Einzelnachweise Bearbeiten Facework in APA dictionary Erving Goffman Interaction ritual essays on face to face interaction Aldine Chicago 1967 Hsien Chin Hu The Chinese concept of face In American Anthropologist 46 1944 S 45 64 Russisch nur im Sinne von Figur Bild Erving Goffman On face work An analysis of ritual elements in social interaction In Psychiatry 18 1955 S 213 231 Erving Goffman The presentation of self in everyday life Anchor Books 1959 S 511 Zuerst 1956 Dt Ausgabe Wir alle spielen Theater 10 Auflage Piper Verlag Munchen 2003 Erving Goffman Techniken der Imagepflege In Ders Interaktionsrituale 1955 Uber Verhalten in direkter Kommunikation Suhrkamp Frankfurt am Main 1967 3 Aufl 1994 Erving Goffman Interaction ritual Essays in face to face behavior Aldine Chicago 1967 S 213 William R Cupach Sandra Metts Facework Sage 1994 Susan Shimanoff Rules for governing the verbal expression of emotions between married couples In Western Journal of Speech Communication 49 1985 S 147 165 S Ide M Hor A Kawasaki S Ikuta H Haga Sex differences and politeness in Japanese In International Journal of the Sociology of Language 58 1986 S 25 36 Penelope Brown Stephen C Levinson Politeness Some universals in language usage Cambridge Cambridge University Press zuerst 1978 in Esther N Goody Hrsg Questions and Politeness Cambridge University Press Siehe auch Tracy S 212 und Penelope Brown Stephen C Levinson Gesichtsbedrohende Akte In Verletzende Worte hrsg von Steffen Herrmann Sybille Kramer Hannes Kuch Bielefeld 2007 S 59 88 Nina Nixdorf Hoflichkeit im Englischen Deutschen Russischen ein interkultureller Vergleich am Beispiel von Ablehnungen und Komplimenterwiderungen Tectum 2002 Tae Seop Lim John Waite Bowers Facework Solidarity approbation and tact In Human Communication Research 17 1991 S 415 450 Robert B Arundale Face as a research focus in interpersonal pragmatics Relational and emic perspectives In Journal of Pragmatics 58 2013 S 108 120 Robert B Arundale Face Constituting Theoriy in Wiley Online Library 27 April 2015 doi org 10 1002 9781118611463 wbielsi094 Stephen W Littlejohn K Karen A Foss Theories of Human Communication 10 Aufl 2011 Waveland Press Long Grove IL S 203 Tracy S 217 Erving Goffman Stigma Notes on the management of spoiled identity Penguin Harmondsworth 1968 Stella Ting Toomey Intercultural conflict styles A face negotiation theory In Y Y Kim W B Gudykunst Hrsg Theories in intercultural communication Sage Newbury Park CA 1988 S 213 238 Oliver Schmidtke Staatlichkeit Deliberation und Facework Eine qualitative Analyse von Interaktionen in der offentlichen Verwaltung Koln 1992 S 96 ff Stella Ting Toomey A Kurogi Facework competence in intercultural conflict An updated face negotiation theory In International Journal of Intercultural Relations 22 1998 2 S 187 225 Joel Lee Hwee Hwee Teh An Asian Perspective on Mediation Academy Publishing 2009 S 164 Introduction in Kristina Bedijs Gudrun Held Christiane Maass Hrsg Face Work and Social Media LIT Verlag Munster 2014 S 11 f Bedijs u a S 17 Tracy S 221 Bedijs u a S 14 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Facework amp oldid 230061206