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Das episodische Gedachtnis ist Teil des deklarativen Langzeitgedachtnisses Inhaltsverzeichnis 1 Struktur 2 Funktion 3 Abruf und Cueing 4 Kontextabhangigkeit 5 Reprasentationsstufen 6 Autobiographisches Gedachtnis 7 Literatur 8 EinzelnachweiseStruktur BearbeitenDas episodische Gedachtnis ist eine Subkomponente des Langzeitgedachtnisses LZG Die anatomischen Substrate sind der Hippocampus Frontallappen und Temporallappen Diese Strukturen tragen zur episodischen Gedachtnisleistung bei Auf der zu erinnernden Information basierend werden zwei Typen des deklarativen Langzeitgedachtnisses unterschieden das semantische Gedachtnis welches Wissen uber Fakten und generelle Aspekte der Welt erinnert und das episodische Gedachtnis das personliche Erlebnisse als solche beinhaltet Das episodische Gedachtnis ermoglicht also den Abruf vergangener Erfahrungen die in einer bestimmten Situation zu einem bestimmten Zeitpunkt gebildet wurden Fur den Erinnerer bedeutet dies sich selbst als Beteiligten an einem vergangenen Geschehen zu erfahren fur den Forscher die Selbstwahrnehmung des Involvierten zu erkunden 1 Funktion BearbeitenDie Prozesse des episodischen Gedachtnisses sind verantwortlich fur das Enkodieren Speichern und Abrufen von spezifischen Episoden mit Ketten von Ereignissen die Menschen in ihrem Leben erfahren haben Diese Ereignisse und Episoden haben in einem bestimmten Kontext stattgefunden und werden auf diese kontextgebundene Weise enkodiert und abgerufen Im Laufe der Entwicklung zeigen episodische Gedachtnisleistungen im Kindes und Jugendalter einen steilen Anstieg bleiben uber das junge und mittlere Erwachsenenalter stabil und nehmen im Alter wieder ab Die Operationen des episodischen Gedachtnisses benutzen das semantische Gedachtnis des deklarativen Wissenssystems gehen aber mit Zugriffen auf das prozedurale Wissenssystem daruber hinaus Der Abruf aus dem episodischen Gedachtnis erfordert eine besondere geistige Einstellung die Abrufmodus genannt wird Die neuronalen Komponenten des episodischen Gedachtnisses bauen auf einem weit verzweigten Netzwerk in den kortikalen und subkortikalen Hirnregionen das sich mit den Netzwerken anderer Gedachtnissysteme uberschneidet jedoch weit uber diese hinausgeht Die Essenz des episodischen Gedachtnisses macht die Verbindung dreier Konzepte aus des Selbst des autonoetischen Bewusstseins und der subjektiven Zeit 2 Endel Tulving beschreibt das episodische Gedachtnis als ein evolutionar spat entstandenes sich ontogenetisch spat entwickelndes und fruh abbauendes Gedachtnissystem Es ist verletzlicher gegenuber neuronalen Dysfunktionen als andere Gedachtnissysteme und in seiner Komplexitat wahrscheinlich nur dem Menschen eigen Es erlaubt mentales Zeitreisen durch die subjektive Zeit Vergangenheit Gegenwart Zukunft Dieses mentale Zeitreisen erlaubt dem Besitzer von episodischem Gedachtnis dem Selbst durch das Medium des autonoetischen Bewusstseins seine eigenen vorangegangenen gedachten Erfahrungen zu erinnern wie auch uber mogliche zukunftige Erfahrungen zu denken Tulving 2005 ubersetzt von Markowitsch amp Welzer 2005 2 Nach Ansicht von Conway 3 sollte das ursprungliche Konzept von Tulving uberarbeitet werden Fur Conway ist das episodische Gedachtnis ein System das erfahrungsnahe sehr zusammenhangsspezifische und detailreiche Sinneswahrnehmungen kurzlich erlebter Erfahrungen und Ereignisse enthalt Diese Erlebnisse bleiben nur fur kurze Zeitabschnitte haften Minuten oder Stunden Sie bleiben nur dann dauerhaft im Gedachtnis wenn sie mit autobiographischen Inhalten gekoppelt werden Abruf und Cueing BearbeitenWas man aus dem episodischen Gedachtnis erinnert hangt grundsatzlich davon ab welche Hinweisreize Cues gerade in der wahrgenommenen Umgebung oder im Arbeitsgedachtnis zur Verfugung stehen zum Beispiel Tulving amp Pearlstone 1966 4 Es gibt zwei Arten episodischer Hinweisreize Feature Cues Hinweis durch Eigenschaften und Context Cues Hinweise aus der Umgebung Feature Cues enthalten Komponenten aus der gesuchten Erinnerung Im Gegensatz zu Feature Cues beziehen sich Context Cues auf Aspekte des Kontexts der die Rahmenbedingungen fur das Enkodieren definiert hat Dabei konnen externe zum Beispiel Raum Beleuchtung anwesende Personen und interne Kontexte zum Beispiel Emotionen oder Gedanken unterschieden werden Der beste Context Cue ist man selbst Konnen Informationen auf Aspekte des eigenen Selbst bezogen werden ist die Erinnerung besser als wenn Informationen mit Aspekten anderer Personen oder Objekte in Beziehung gesetzt werden Die Cues erweisen sich als Elemente eines dynamischen autoreferenten und wahrnehmungsabhangigen Triggersystems Autoreferent Episoden triggern Episoden und losen Assoziationskaskaden aus Aktuell erlebte Episoden und Erlebnisse der Vergangenheit gehorchen nicht der linearen Chronologie Ordnende Funktion hat die emotionale Hierarchie der Erlebnisse wobei die Skala von beilaufig emotional gepragten Episoden bis hin zu biographischen Schlusselerlebnissen reicht Wahrnehmungsabhangig Musik ist ein potenter Katalysator bei der Reanimation vergangener Episoden zum Beispiel ein aktuell rezipierter Schlager der Vergangenheit provoziert eine nostalgische Zeitreise Geruche haben ebenfalls eine katalytische Funktion im Triggersystem Sekundare nicht selbst erlebte Episoden rezipiert bei belletristischer Lekture finden nicht Eingang in das episodische Gedachtnis Leser bevorzugen allerdings Romane mit Affinitaten zur eigenen Biographie deren Episoden Triggerfunktion haben Kontextabhangigkeit BearbeitenEine episodische Gedachtnisspur eines Ereignisses besteht aus der Information uber die beteiligten bekannten Dinge und Personen die im semantischen Gedachtnis gespeichert wird und der Kontextinformation die im episodischen Gedachtnis gespeichert wird Beispielsweise kann man sich erinnern welche Lebensmittel man auf den Einkaufszettel geschrieben hat den man leider zu Hause vergessen hat Die einzelnen Worter zum Beispiel Knoblauch Wein Spulmittel und ihre Bedeutung sind uns schon lange bekannt sie sind im semantischen Gedachtnis reprasentiert Das episodische Gedachtnis speichert die Tatsache dass wir diese Worter in einem bestimmten Kontext auf der heute morgen geschriebenen Einkaufsliste in einer bestimmten Reihenfolge gesehen haben Dazu kommen meistens weitere Kontextmerkmale zum Beispiel der Raum in dem die Liste geschrieben wurde das Erlebnis des Aufschreibens die kognitiven Prozesse beim Planen des Einkaufs etc Enkodierungsspezifitat bezeichnet den Umstand dass Erinnerungen aus dem episodischen Gedachtnis am leichtesten abgerufen werden konnen wenn die Umstande des Abrufs denen des Enkodierens ahneln Enkodierspezifitat bezieht sich oft auf aussere Kontexte zum Beispiel einen Raum Interne Kontexte konnen ebenfalls die Erinnerung fordern wenn sie beim Abruf denen beim Enkodieren ahneln Dazu zahlen die zustandsabhangige Erinnerung State Dependent Memory und die stimmungskongruente Erinnerung Mood Congruent Memory So kann etwa die Erinnerung unter Nikotineinfluss besser sein wenn die Person beim Lernen im gleichen Zustand war oder jemand erinnert sich besser an etwas das er gelernt hat als er glucklich war wenn er wieder glucklich ist Kontextabhangigkeit des Erinnerns bedeutet dass neues Material leichter erinnert wird wenn beim Abruf auch die Einzelheiten der Begleitumstande der Lernsituation wiederhergestellt werden Beispiel Wenn man beim Spazierengehen eine gute Idee hatte und sie spater wieder vergessen hat geht man den Weg nochmals ab und erinnert sich wieder an die Idee Kontextabhangigkeit ist ein Grund dafur dass es nicht sinnvoll ist in lauter Umgebung zu lernen zum Beispiel mit Radio wenn man in einem stillen Raum getestet wird Reprasentationsstufen BearbeitenDer Inhalt des episodischen Gedachtnisses ist eine Mischung aus vielen verschiedenen Informationsarten Diese unterschiedlichen Komponenten konnen als ganze Einheiten oder als getrennte Teile genutzt werden Wenn wir also etwas erleben dann erinnern wir uns daran nicht direkt sondern wir verarbeiten es auf mehreren Stufen So besteht die Erinnerung an einen Text zum Beispiel aus drei Reprasentationsstufen Oberflachenform entspricht dem wortlichen Text Textbasis ist die abstrakte Reprasentation des Textes und das mentale Modell entspricht eher der mentalen Simulation des beschriebenen Ereignisses als dem Text selbst van Dijk amp Kintsch 1983 5 Studien Kintsch Welsch Schmalhofer amp Zimny 1990 6 haben gezeigt dass die Erinnerung fur die Oberflachenform am schnellsten und die Erinnerung an die abstrakte Textbasis weniger schnell zerfallt doch auch hier geschieht dies mit der Zeit wahrend die Erinnerung fur das mentale Modell relativ dauerhaft ist und keine grossen Veranderungen zeigt Wenn wir also eine Zeitung lesen vergessen wir schnell die exakten Worter im Artikel aber an die grundlegenden Ideen darin erinnern wir uns noch uber eine langere Zeit Die Erinnerung an die beschriebene Situation als solche jedoch d h wovon der Artikel eigentlich handelte halt viel langer an und ist das woran wir uns auch nach relativ langer Zeit noch erinnern konnen Autobiographisches Gedachtnis Bearbeiten Hauptartikel Autobiographisches Gedachtnis Haufig wird dem episodischen Gedachtnis das autobiographische Gedachtnis zugeordnet Unter dem autobiographischen Gedachtnis wird die Erinnerung an die eigene Lebensgeschichte verstanden Es ist umstritten ob das episodische und das autobiographische Gedachtnis identisch sind Endel Tulving und Hans Markowitsch sehen das episodische und das autobiographische Gedachtnis als weitgehend kongruent an Nur gibt es naturlich autobiographische Daten die nicht als Episoden erinnert werden die eigene Geburt Geburtstag Geburtsort usw Mit der Bezeichnung episodisch autobiographisches Gedachtnis weist Hans Markowitsch auf diese Mehrschichtigkeit hin Nach uberwiegender Auffassung wird jedoch zwischen dem episodischen Gedachtnis und dem autobiographischen Gedachtnis unterschieden auch wenn die beiden Teile des Gedachtnisses gewisse Schnittmengen haben Das episodische Gedachtnis speichert eher kurz zuruckliegende unwichtige Episoden die vergessen oder zu semantischem Wissen werden wahrend das autobiographische Gedachtnis fur die dauerhafte Speicherung von autobiographischen Episoden mit grosser Bedeutung fur das Individuum zustandig ist und eine essentielle Bedeutung fur die Bildung der Identitat und des Selbst besitzt 7 8 9 Literatur BearbeitenA D Baddeley Episodic memory In A D Baddeley M W Eysenck M C Anderson Memory Psychology Press Hove New York 2009 ISBN 978 1 84872 001 5 S 93 112 M A Conway Sensory perceptual episodic memory and its context autobiographical memory In Phil Trans R Soc Lond 2001 S 1375 1384 M L Howe M L Courage The emergence and early development of autobiographical memory In Psychological Review 1997 S 499 523 Theodor Jager Episodische Gedachtnisleistung bei depressiver Symptomatik Universitat des Saarlandes Saarbrucken 2006 urn nbn de bsz 291 psydok 6859 PDF 62KB W Kintsch u a Sentence memory A theoretical analysis In Journal of Memory and Language 29 1990 S 133 159 J H Kramer u a Dissociations in Hippocampal and Frontal Contributions to Episodic Memory Performance In Neuropsychology 2005 S 799 805 Hans Joachim Markowitsch Das Ich und seine Vergangenheit Wie funktioniert unser Gedachtnis In Deutscher Hochschulverband Hrsg Glanzlichter der Wissenschaft ein Almanach Verlag Forschung amp Lehre Bonn 2005 S 57 63 Hans Joachim Markowitsch H Welzer Das autobiographische Gedachtnis Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung Klett Stuttgart 2005 K Nelson The emergence of autobiographical memory A social cultural development theory In Psychological Review 2004 S 486 511 G Radvansky Human memory Pearson Boston 2006 Endel Tulving How many memory systems are there In American Psychologist 40 1985 S 385 398 Endel Tulving Episodic memory and autonoesis Uniquely human In H Terrace J Metcalfe Hrsg The missing link in cognition Evolution of self knowing consciousness Oxford University Press New York 2005 Endel Tulving Z Pearlstone Availability versus accessibility of information in memory for words In Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior 5 1966 S 381 391 T A van Dijk W Kintsch Strategies of discourse comprehension Academic Press New York 1983 H Welzer Hans Joachim Markowitsch Umrisse einer interdisziplinaren Gedachtnisforschung In Psychologische Rundschau 2001 S 205 214 Einzelnachweise Bearbeiten E Tulving How many memory systems are there In American Psychologist Band 40 1985 S 385 398 a b J Markowitsch H Welzer Das autobiographische Gedachtnis Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung Klett Stuttgart 2005 Martin A Conway Sensory perceptual episodic memory and its context Autobiographical memory In Philosophical Transactions of the Royal Society B London 2001 S 1375 1384 doi 10 1098 rstb 2001 0940 englisch E Tulving Z Pearlstone Availability versus accessibility of information in memory for words In Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior 5 1966 S 381 391 T A van Dijk W Kintsch Strategies of discourse comprehension Academic Press New York 1983 W Kintsch D M Welsch F Schmalhofer S Zimny Sentence memory A theoretical analysis In Journal of Memory and Language 29 1990 S 133 159 Rudiger Pohl Das autobiographische Gedachtnis Die Psychologie unserer Lebensgeschichte 1 Aufl W Kohlhammer Stuttgart 2007 ISBN 978 3 17 018614 9 Daniel L Schacter Wir sind Erinnerung Gedachtnis und Personlichkeit Rowohlt Taschenbuch Verl Reinbek bei Hamburg 2001 ISBN 978 3 499 61159 9 Hans J Markowitsch Harald Welzer Das autobiographische Gedachtnis Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung Klett Cotta Stuttgart 2005 ISBN 978 3 608 94406 8 Normdaten Sachbegriff GND 4152537 1 lobid OGND AKS Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Episodisches Gedachtnis amp oldid 229371761