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Ein Junge vom Lande ist der Titel einer 1913 1 publizierten Erzahlung von Max Brod Sie handelt von der misslungenen Selbstfindung Viktor Kantureks im Spannungsfeld zwischen Rebellion und Anpassung an die herrschenden Machte in einer fur ihn unuberschaubaren Welt Inhaltsverzeichnis 1 Inhalt 2 Literarische Einordnung 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseInhalt BearbeitenDas VerbotViktor Kanturek wachst als Dorfjunge in Wlaschim in Tschechien auf In seinem sorglosen Alltag wechseln die Spiele mit den Bauernjungen in der flachhugeligen Bohmisch Mahrischen Landschaft und die kleinen Arbeiten fur die Eltern im Haus und Garten nbsp Chinesischer Pavillon im Schlosspark Vlasim Ein Schatten auf diese Tage der zwar schnell wieder weicht und doch pragende Kraft fur sein spateres Leben hat wirft seine Verhaftung durch den Obergartner des gutsherrlichen Parks Im Dorf gibt es ein Gerucht der Schlossherr habe verboten den chinesischen Pavillon zu betreten obwohl dieser leer steht und nicht verschlossen ist Fur die Kinder erhoht das Scheinbar Offenstehen den Schauer des Geheimnisses Bei seinem Versuch das Innere zu betrachten wird Viktor vom Obergartner entdeckt und durchs ganze Dorf zu seinem strengen Vater gefuhrt Zur Strafe muss er eine Nacht lang auf Erbsen knien Zwar ist die Sache bald vergessen doch Viktor spurt zum ersten Mal den ubereinstimmenden Willen einer Gemeinschaft dem er sich auch wenn er ihn unverstandlich findet beugen muss Rebellion gegen die ArbeitsweltNach Beendigung der Wlaschimer Burgerschule kommt der 16 Jahrige fur den Besuch eines Handelskurses zu Verwandten nach Beneschau und wird nach einem Jahr bei der Tschechischen Gewerbebank in Prag als Hauptbuchfuhrer eingestellt Nach genauer Vorschrift muss er taglich die Mappe mit Briefen der Firmen von O bis Z abarbeiten und die Daten in Rubriken des Hauptbuches eintragen Ein scharfer Strich ist damit zu seiner Jugend gezogen Auf dem Land konnte er seine Tatigkeiten uberblicken und aus dem Zusammenhang erklaren Hier ist er ein Radchen in einer unubersichtlichen burokratischen Maschine Er weiss nicht woher die Akten kommen die ein Diener bringt und wohin sie weitergeleitet werden Hier reichen ihm unsichtbare Hande aus unsichtbaren Etagen des grossen Gebaudes her Schriftstucke deren Bedeutung er nicht fasst und die er nachdem er einen gleichgultigen und wie ihm dunkt unwesentlichen Handgriff mit ihnen vorgenommen hat wieder weiter gibt an andere die sie in wiederum unsichtbare Zimmer entgleiten lassen Er fragt sich ob es einen Menschen zufrieden stellen kann durch ein Hantieren das man nicht ver steht Geld zu verdienen noch dazu fur fremde Leute die man nicht kennt Dazu kommt dass er schnell arbeitet und sich dann fragt was er mit den leeren Stunden anfangen soll So beschaftigt er sich mit Kombinationsratseln aus einem Aufgabenbuch zeichnet die Fassadenornamente der gegenuberliegenden Sparkasse und im Winter den Schneefall auf den allegorischen Figuren von Handel und Industrie Eines Tages lasst ihm der Buchhalter Bjelousch ausrichten er zeige zu wenig Arbeitseifer Der Chef vermeidet das offene Problemgesprach mit seinen Untergebenen lasst aber cholerisch seine schlechte Laune bei berechtigten oder unberechtigten Kleinigkeiten an ihnen aus Viktor fragt ihn nach den Grunden seiner Unzufriedenheit obwohl er seine Arbeit korrekt ausfuhre Bjelousch kritisiert allgemein seine Einstellung Er solle sich nicht mit Hobbys beschaftigen sondern sich Gedanken uber die Bank und deren Korrespondenz machen Wenn er sich nicht ausgelastet fuhle konne man sein Arbeitsfeld erweitern Aber es geschieht nichts denn eine Neustrukturierung ist fur den Buchhalter zu aufwandig zumal er bald darauf in Pension geht Viktor ist jetzt vorsichtiger sitzt seine Zeit von acht bis zwolf und von zwei bis sieben Uhr ab als ware er in ein Gefangnis eingesperrt und denkt daran was er mit dieser Zeit ware er frei alles anfangen konnte Doch wie bei seinem alten Wlaschimer Respekt vor einem unbekannten Fursten sieht er sich bindenden Regeln gegenubergestellt und ergibt sich Die dunklen Gefuhle aber in ihm zuruckgedrangt schwellen nur desto machtiger klag en ihn an dass er geschandet sei sundhaft wenn er nichts t u t sundhafter bei Fleiss und so nimmt er das Gehalt von sechzig Kronen monatlich stets mit bosem Gewissen fast wie Bestechung nicht wie verdientes Geld entgegen wie gerotet von seinem Herzblut Sundengeld ist es Blutgeld Der neue Buchhalter Dubsky mit seiner Humanitat und Tuchtigkeit ist das Gegenteil seines Vorgangers und Viktor erwartet von ihm seine Rettung Doch hinter der Freundlichkeit verbirgt sich ein auf Effektivitat zielender Geist Er erkennt schnell die Leerlaufe des Betriebs organisiert die Arbeitsbereiche neu strafft die Ablaufe erhoht das Arbeitspensum und spart Personal ein Er fordert von seinen Angestellten Initiativen zur Innovation Viktor muss jetzt noch langer am Abend seine Auftrage ausfuhren und hat keine Zeit mehr fur eigene Gedanken MordIm April wird Viktor nach Sterbohol geschickt um einen Wechsel auf die Gutspacht einzukassieren Er wandert durch eine ihn an seine Kindheit erinnernde Landschaft in der er sich wohl fuhlt und von den Zwangen des Stadtlebens erholt In der Strassenbahn hat ihn ein geflohener Zuchthausler bei der Durchsicht seiner Papiere beobachtet und ist ihm gefolgt Am Abend auf dem Ruckweg vom Gut bedroht er ihn mit einem Revolver und fordert ihn auf das Geld herauszugeben Viktor reagiert schnell und wirft den Rauber zu Boden Es kommt zu einem Kampf bei dem Viktor immer wieder grosse Krafte mobilisieren kann und dem Gegner langsam die Kehle zudruckt Ursache dafur ist eine Art Vision Im Gesicht des Mannes erblickt er nacheinander die Widersacher seines Lebens u a den Obergartner die Buchhalter Bjelousch und Dubsky und ein Madchen das er taglich auf seinem Weg ins Buro sieht und das ihn tief beunruhigt Und in einem ungeheuren Umschwung all seiner Gedanken da druckt er noch fester mit aller Energie findet er plotzlich wie den Schlussel zu seinem ganzen Dasein dass ihn in diesem Augenblick das Schicksal eingesetzt hat um nun auch seinerseits jemandem wehe zu tun nach ebendem Gesetz das er so lange erlitten hat um die Gerechtigkeit der Welt so bitter auszuuben wie sie ihm zuteil geworden ist Ja wie er bis heute nur Leiden von der Gemeinschaft empfangen hat und sich doch nicht beklagen und auflehnen darf weil er meint dass das alles der naturliche Lauf der Dinge ist so ist ihm wie zum Lohn fur alles heute einer in seine Hand gegeben dem er das Ausserste was Menschen einander antun konnen den Tod mit Fug und Recht antun darf und muss Mit dem Rauber erwurgt Viktor alle halb vergessenen und kunftigen Gegner Ihm ist als morde er die ganze Welt als wachse aus Nebeln neue Feindschaft hervor und auch diese rottet er aus als klangen Seufzer von den Sternen und gar und der Mondsichel herab Alle belastenden Schmerzen fuhlt er von sich abfallen Einen Augenblick lang ist er erfullt von einem Befreiungswohlbehagen und es treibt ihn nach Hause nach Wlaschim zu laufen woraus man ihn gegen seinen Willen in die Fremde vertrieben hat Aber auf der Halfte der Strecke bricht er ermudet zusammen und besinnt sich auf die Folgen seiner Flucht Man wurde die Leiche des Raubers finden und nach ihm und dem Geld suchen HeldentumViktor fahrt mit dem Zug nach Prag meldet den Uberfall auf dem Kommissariat liefert das Geld im Buro ab und geht an seine Arbeit Die Kollegen erfahren seine Heldentat erst aus dem Nachmittagsblatt Im Prozess wird ihm die Notwehrsituation gegen einen entsprungene n und lange gesuchte n Zuchthausler zugestanden In Viktors Leben scheint eine glanzende Wendung zum Besseren einzutreten Der Chef lobt seine Tatkraft und Initiative die Kollegen suchen seine Gesellschaft die Presse erklart ihn zum Helden und die Eltern kummern sich geruhrt um ihn Doch vor all diesen Gunstbezeigungen des Schicksals empfindet Viktor ein heimliches von Tag zu Tag sich steigerndes Grauen Denn er weiss dass die gerechte und erlaubte Notwehr mit ungeheurer Freude verbunden war und dass er mit Vorbedacht mit kaltem Geniessen gemordet hat oh nicht nur den einen vielleicht viele ohne Spur von Erbarmen einzig der masslosen Rachgier seiner Seele hingegeben Und alle die Gemordeten obwohl sie in Ruhe weiterleb en ihm treten sie als Gemordete entgegen er sieht nun in jeder Falte eines fremden Gesichtes diese verzerrten Todesmienen lauern Verlust des LebenssinnsViktor hat nun keine Lebensfreude mehr Er will sich toten und setzt dafur eine Jahresfrist fest damit der Selbstmord nicht als Schuldbekenntnis und Selbstjustiz interpretiert werden kann Bis dahin sturzt er sich in einer Art von Askese und Bestrafung in seine Arbeit wie ein Suhneopfer fur die Zugellosigkeit seines Herzens Jetzt wird er zum gewissenhaften grundlichen Beamten Pedantisch kommt er als Erster und geht als Letzter und perfektioniert unermudlich seine Akten Doch u nmerklich ist mit seinen grossen Anspruchen an das Leben auch sein hoher Sinn sein Ehrgefuhl geschwunden In der eingefallenen Brust lebt nicht mehr jener sich selbst unbewusste edle Wille der allem brausend Schonen verschwistert begehrlich ja anmassend scheinbar ohne zureichende Berechtigung sich gegen eine allgebilligte allanerkannte Lebensordnung gewehrt hat in dem aber vielleicht doch ohne dass der Knabe es ahnte etwas durchgebrochen war was man als den einzigen Sinn und Urquell dieser Welt verehren muss Nach Jahresfrist hat er den Mut zur Tat verloren und verbringt seine restlichen Jahre funfzig und daruber ameisenhaft fleissig klaglich zufrieden allmahlich eintrocknend ohne Freund und ohne Frau mit einer etwas sonderlich anmutenden Scheu vor Zugluft und frischem Wind die besonders zur Zeit des Vorfruhlings den kummerlichen Pinsel regelmassig heimsucht 2 Literarische Einordnung BearbeitenBrods Erzahlung im psychologisch realistischen Stil 3 erschien zusammen mit Kafkas Das Urteil erstmals in der Zeitschrift Arkadia Beide thematisieren die Selbstfindung des Menschen im Spannungsfeld zwischen Rebellion und Anpassung an die herrschen Machte Wahrend die mythologisch alttestamentliche Interpretation beim Urteil nur ein Deutungsansatz von mehreren ist 4 dominiert dieser Aspekt das Werk Brods Die im Roman Tycho Brahes Weg zu Gott 1915 nach der Interpretation Stefan Zweigs auf die beiden Personen Kepler und Tycho Brahe aufgeteilten kontraren Weltbilder reine kalte Wissenschaft und Gottessehnsucht 5 sind in Der Junge vom Lande in einem vergleichbaren Konflikt auf die Selbstfindung Viktors konzentriert Die beiden in der Erzahlung zentralen symbolischen Situationen spielen sich in paradiesahnlichen Landschaften ab einmal im Rahmen der Freiheit der Kinderspiele und zweitens auf dem Weg durch die ein Wohlgefuhl weckende Natur Im ersten Fall verstosst Viktor gegen das an die Situation Adams im Garten Eden erinnernde Verbot der Erkundung des chinesischen Pavillons und wird spater zur Arbeit in die Stadt geschickt Dort gerat er in der streng reglementierten Burowelt in Konflikte mit seinen Vorgesetzten Daraus entsteht die zweite symbolische Unrechtstat In einer idyllischen Landschaft begeht Viktor einen Brudermord Nach anfanglicher Notwehr erwurgt er den kampfunfahigen Rauber und mit ihm sinnbildlich alle seine Gegner aus der Vergangenheit und der Zukunft Dabei empfindet er ein ungeheures Lustgefuhl Nach dieser Tat kann er nicht mehr in das idyllische Land der Kindheit zuruckkehren und sein hoher Lebenssinn und sein Ehrgefuhl schwinden Er weiss dass er sich gegen eine allgebilligte Lebensordnung gewehrt hat und dabei seinen hohen Sinn und den edlen Willen verloren hat Mit diesem Kommentar des auktorialen Erzahlers spricht Brod als der letzte Verteidiger der Seele wie er sich selbst einmal nannte eine Warnung vor dem Seelenverlust aus In spateren Schriften appelliert er aus seiner Position der diesseitigen Gottsuche an die Menschen Gott beim Erschaffen des Guten zu helfen wie er dies in Diesseits und Jenseits 1947 und Das Unzerstorbare 1968 formuliert hat 6 Die Thematik der menschlichen Leere und Gleichgultigkeit gestaltete Brod auch in anderen fruhen Werken z B in der 1906 erschienen Novellensammlung Tod den Toten und im expressionistischen Roman Schloss Nornepygge 1908 in dem ein Mann aus seelischer Einsamkeit Selbstmord begeht Literatur Bearbeitens Max Brod LiteraturWeblinks BearbeitenText in der Zeitschrift Arkadia https archive org details arkadiaeinjahrbu00broduoft page n3 mode 2up Einzelnachweise Bearbeiten unter dem Titel Notwehr in Max Brod Hrsg Arkadia Ein Jahrbuch fur Dichtkunst Kurt Wolff Verlag Leipzig 1913 S 150 174 sowie 1936 unter dem Titel Ein Junge vom Lande zusammen mit Beschneite Spinnweben Schluss mit Fraulein Slawa Der Brautigam Der Tod ist ein vorubergehender Schwachezustand Menschliche Gemeinschaft und Ein Abenteuer Napoleons in der Textsammlung Novellen aus Bohmen im E P Tal amp Co Verlag Leipzig und Wien und gleichzeitig bei Allert de Lange in Amsterdam wo auch die deutsche Ausgabe gedruckt wurde Zitiert nach Max Brod Ein Junge vom Lande In Rolf Hochhuth Hrsg Die zweite Klassik Deutschsprachige Erzahler der Jahrgange 1850 1900 Bd 2 S 46 70 Kindlers Literaturlexikon im dtv Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 1974 B 22 S 9654 s Franz Kafka Interpretation und Franz Kafka Wirkungsgeschichte Kindlers Literaturlexikon im dtv Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 1974 B 22 S 9654 ff zitiert in Kindlers Literaturlexikon im dtv Deutscher Taschenbuch Verlag Munchen 1974 B 22 S 9655 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Ein Junge vom Lande amp oldid 225169059