www.wikidata.de-de.nina.az
Der Effekt der sozialen Entkontextualisierung bezeichnet einen Methodeneffekt in der empirischen Online Forschung z B den Online Umfragen der zu systematischen Verzerrungen fuhrt Die Qualitat der online erhobenen Antworten kann dadurch eingeschrankt werden Der Effekt der sozialen Entkontextualisierung ist ein zweiseitiger Effekt Einerseits fuhrt er dazu dass in einer Online Befragung soziale Normen bzw soziale Aspekte im Antwortverhalten weniger stark beachtet werden als im normalen Alltag So schlagt sich in den Antworten z B weniger stark nieder was sich gehort oder was man tun sollte Andererseits sorgt er dafur dass die Befragten in einer Online Umfrage ihre Aufmerksamkeit starker auf sich selbst richten als in anderen Kommunikationsformen bzw Befragungssituationen Dadurch werden Aspekte die die eigene Person betreffen z B ganz personliche Wertvorstellungen oder Wunsche in einer Online Befragung fur wichtiger gehalten als in anderen Befragungen Der Effekt der sozialen Entkontextualisierung kann vor allem die Vergleichbarkeit von Befragungsergebnissen aus verschiedenen Methoden einschranken Er ist dabei abzugrenzen vom Effekt der sozialen Erwunschtheit Verzerrungen durch Effekte der sozialen Erwunschtheit finden mehr oder minder bewusst statt namlich durch eine vorteilhafte Darstellung der eigenen Person Verzerrungen durch Effekte der sozialen Entkontextualisierung finden eher unbewusst statt Hintergrund BearbeitenDer Effekt der sozialen Entkontextualisierung entsteht aus der besonderen Situation der computervermittelten Kommunikation kurz cvK Im Gegensatz zur personlichen Kommunikation konnen hier deutlich weniger Kommunikationskanale zur Ubertragung von Informationen genutzt werden Es werden in der Regel nur visuelle Inhalte ubertragen keine auditiven olfaktorischen oder taktilen Informationen Korperliche Beruhrungen sind nicht moglich auch die Stimme als Hilfsmittel um z B Ironie zu verdeutlichen steht nicht zur Verfugung Auch werden Gestiken und Mimiken wie beispielsweise Kopfschutteln oder Lacheln nicht ubertragen Die nonverbale Kommunikation findet hier also nicht bzw nur sehr eingeschrankt statt Dadurch kommt es zu einer niedrigen sozialen Prasenz vgl Short u a 1976 Der Begriff der sozialen Prasenz meint das Gefuhl dass andere in eine gemeinsame Kommunikation involviert sind Vereinfacht gesagt ist es das Gefuhl mit jemand anderem zusammen zu sein vgl dies 1976 Dieses ist in der cvK vergleichsweise gering ausgepragt Dadurch kommt es nach der Social Cues Filtered Out Hypotheses von Sproull und Kiesler 1986 1991 im Deutschen auch unter Kanalreduktionsmodell bekannt zu einer Verschiebung des Aufmerksamkeitsfokusses der Nutzer Sie nehmen das Ziel der Kommunikation und auch die eigene Person starker wahr als in anderen Kommunikationssituationen Dieser Ansatz wurde in der Literatur zunachst stark beachtet busste dann allerdings immer weiter an Popularitat ein Vornehmlich ist dies wohl auf die recht pessimistische Einschatzung der cvK zuruckzufuhren So berucksichtigt dieser recht fruhe Ansatz nicht dass sich auch neue Handlungsmoglichkeiten durch die cvK bzw die Internetnutzung entwickeln bzw bereits entwickelt haben vgl Kohler 2003 Deshalb schlagt z B Hoflich 2003 auch vor statt von Entkontextualisierung von Rekontextualisierung zu sprechen Prinzipiell werden jedoch beide Begriffe vertreten Empirie BearbeitenEmpirisch nachgewiesen wurde dies vor allem von Sproull und Kiesler vgl Sproull Kiesler 1986 1991 Diese Autoren beziehen sich jedoch vorwiegend auf die cvK als Kommunikationsform Die Ubertragung auf die cvK als Methode nimmt Taddicken 2008 vor In einem Methodenvergleich wurden hier Antworten zwischen der Online Befragung der telefonischen und der postalischen Befragung miteinander verglichen Einerseits wird hierfur eine Skala zur Erfassung der Normintensitat von Diekmann 1980 eingesetzt andererseits eine Skala zur Erfassung personlicher bzw individueller Werthaltungen von Klages 1992 bzw Hermann 2003 In diesem Methodenvergleich wurden alle ca 600 Probanden zweimal befragt im Sinne eines Test Retest Verfahrens einmal online und einmal entweder telefonisch oder postalisch Dieses Vorgehen ermoglichte den Einsatz einer Multitrait Multimethod Matrix Die Ergebnisse zeigen dass in der Online Befragung die Normintensitat der Probanden signifikant geringer ausgepragt war als in der Situation der anderen Befragungsmethode In Bezug auf die individuellen Werthaltungen zeigten sich ebenfalls Unterschiede derart dass diese in der Online Befragung als wichtiger bewertet wurden Signifikant war dies jedoch vor allem im Vergleich Online Befragung und telefonische Befragung Literatur BearbeitenAndreas Diekmann Die Rolle von Normen Bezugsgruppen und Sanktionen bei Ladendiebstahlen Forschungsbericht Nr 156 des Instituts fur Hohere Studien Wien 1980 Dieter Hermann Werte und Kriminalitat Konzeption einer allgemeinen Kriminalitatstheorie Westdeutscher Verlag Wiesbaden 2003 ISBN 3 531 13805 7 Joachim R Hoflich Mensch Computer und Kommunikation theoretische Verortungen und empirische Befunde Lang Frankfurt am Main 2003 ISBN 3 631 39686 4 Helmut Klages Die gegenwartige Situation der Wert und Wertwandelforschung Probleme und Perspektiven In Helmut Klages Hans Jurgen Hippler Willi Herbert Hrsg Werte und Wandel Ergebnisse und Methoden einer Forschungstradition Frankfurt am Main 1992 S 5 39 Thomas Kohler Das Selbst im Netz Die Konstruktion sozialer Identitat in der computervermittelten Kommunikation Westdeutscher Verlag Wiesbaden 2003 ISBN 3 531 14026 4 John Short Ederyn Williams Bruce Christie The Social Psychology of Telecommunications London New York Sydney Toronto 1976 Lee Sproull Sara Kiesler Reducing Social Context Cues Electronic Mail in Organizational Communication In Management Science 32 11 1986 S 1492 1512 Lee Sproull Sara Kiesler Two Level Perspective on Electronic Mail in Organizations In Journal of Organizational Computing 2 1 1991 S 125 134 Monika Taddicken Methodeneffekte bei Web Befragungen Einschrankungen der Datengute durch ein reduziertes Kommunikationsmedium Neue Schriften zur Online Forschung Band 5 Halem Verlag Koln 2008 ISBN 978 3 938258 50 7 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Effekt der sozialen Entkontextualisierung amp oldid 179172071