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Der Untergeher ist ein Roman des osterreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard aus dem Jahr 1983 Erzahlt wird der berufliche und private Werdegang dreier angehender Konzertpianisten von denen einer Glenn Gould ist und deren lebenslange Auseinandersetzung mit dem Anspruch hochster Perfektion Thomas Bernhard Bernhardhaus 2009 Foto eines GemaldesInhaltsverzeichnis 1 Uberblick 2 Handlung 2 1 Monolog des Erzahlers im Gasthaus Dichtelmuhle 2 2 Unterhaltungen des Erzahlers mit der Wirtin und dem Holzknecht 3 Formale Aspekte 4 Fiktion und Realitat 4 1 Glenn Gould 4 2 Goldberg Variationen 5 Ausgaben 6 Adaptionen 7 Literatur 8 EinzelnachweiseUberblick BearbeitenDer Roman handelt von der Beziehungsproblematik der drei Hauptpersonen des Ich Erzahlers und Wertheimers sowie des Kanadiers Glenn Gould alle sind gut situierte Sohne wohlhabender Familien Der Roman hat auf der Gegenwartsebene nur kleine Aktionen in einem Gasthaus und in Wertheimers Jagdhaus und besteht zu ca zwei Drittel aus einem Monolog dem Gedankenstrom dachte ich des Ich Erzahlers uber sein Verhaltnis zu seinen beiden Freunden sowie die existentielle Situation der nach Perfektion strebenden Kunstler Im letzten Teil unterhalt sich der Erzahler mit der Wirtin und dem Waldarbeiter Kohlroser uber Wertheimers Leben in Traich Handlung BearbeitenDem Roman ist ein Motto vorangestellt Lange vorausberechneter Selbstmord dachte ich kein spontaner Akt von Verzweiflung Monolog des Erzahlers im Gasthaus Dichtelmuhle Bearbeiten Zu Beginn des Romans betritt der Erzahler das Gasthaus Dichtelmuhle in dem oberosterreichischen Ort Wankham wo er zum Besuch des nahe liegenden Wertheimer Jagdhauses in Traich 1 ubernachten mochte Er kommt gerade von der Beerdigung Wertheimers in Chur Sein Freund hat sich wenige Tage zuvor im Alter von 51 Jahren vor dem Haus seiner Schwester aufgehangt Im selben Alter ist der Pianist Gould zuvor in Kanada an einem Schlaganfall am Klavier gestorben Der Erzahler unterbricht seine Ruckreise nach Wien um im Haus des Freundes Briefe und Dokumente vor der Vernichtung zu bewahren Wahrend er in der Gaststube auf die Wirtin wartet erinnert er sich an ihr gemeinsames Interesse an Musik und an ihre unterschiedlichen Lebenswege und er reflektiert ihre ambivalente Beziehung und die Grunde fur den Suizid des Freundes Wertheimer und der Erzahler studierten Musik in Salzburg und Wien und galten als begabte Pianisten Um sich weiter zu Klaviervirtuosen zu entwickeln besuchten sie vor 28 Jahren 1953 im Mozarteum in Salzburg einen zweieinhalbmonatigen Kurs bei dem beruhmten Horowitz 2 Hier freunden sie sich mit dem Kanadier Glenn Gould an 3 Alle drei waren herausragende Schuler und strebten die hochste Vollkommenheit eines Klaviervirtuosentums an Weil sie in der Altstadt keine Ruhe zum Uben hatten mieteten sie ein Haus in Leopoldskron Wertheimer und der Erzahler bemerkten schnell bei Goulds Vortrag von Bachs Goldberg Variationen dass er besser als Horowitz spielte und somit ein fur sie unerreichbares Genie glenngenial war und sie zweifelten an ihren Fahigkeiten Spitzenklavierspieler zu werden V a Wertheimer war stark verunsichert und der selbstbewusste und durchsetzungsfahige Kanadier gab ihm deshalb den Namen der Der Untergeher Zwei Jahre spater als Gould bei den Salzburger Festspielen die Goldberg Variationen von Bach vortrug waren Wertheimer und der Erzahler unter den Zuhorern um seine Perfektion zu bewundern und zu beneiden Doch der Erzahler prophezeite Gould er werde an seiner Kunstbesessenheit an seinem Klavierradikalismus zugrunde gehen Gould trainierte weiterhin wie besessen um seine Fertigkeiten auf dem hohen Niveau zu halten und wurde zwei Jahre lang bei 34 Konzerten in den grossen Konzertsalen der Welt von dem verabscheuten Publikum als Klaviervirtuose gefeiert Dann hatte er genug Geld verdient um sich bei Toronto ein abgelegenes und gut bewachtes Anwesen im Wald zu kaufen und lebte dort zuruckgezogen allein mit der Musik Als Wertheimer und der Erzahler ihn vor zwolf Jahren viereinhalb Monate lang in New York und Toronto besuchten hatte der beruhmte Kunstler seit zehn Jahren kein offentliches Konzert mehr gegeben sondern publizierte nur noch in seinem Privatstudio aufgenommene Schallplatten In seinem Perfektionstrieb ubte er seine Stucke in Selbstdisziplin und rucksichtslos gegen sich selbst stundenlang wurde unter Vernachlassigung seines Menschentums zur Kunstmaschine Der ideale Klavierspieler ist der der ein Klavier sein will und starb am Klavier an einem Schlaganfall Der Erzahler und Wertheimer schlossen zwar ihre Ausbildung erfolgreich ab und hatten wie andere Mitschuler Karriere als Pianisten machen konnen waren aber durch den Vergleich mit dem unerreichbaren Vorbild wie gelahmt Der Erzahler Ich wollte der Beste sein oder gar keiner verschenkte bald darauf seinen teuren Steinway an eine unbegabte neunjahrige Lehrerstochter um ihn von ihr ruinieren zu lassen gab das Klavierspiel auf und gestand sich ein dass er nur aus Protest gegen seine Eltern mit dem Klavierstudium begonnen habe Er wahlte dann als Betatigungsfeld das Philosophische ohne zu wissen was dies ist und begann seinen Verkummerungsprozess Seine Manuskripte vernichtete er immer wieder wegen Unzulanglichkeit und begann von neuem zu schreiben Wertheimer dagegen ubte zuerst verbissen weiter und gab schliesslich frustriert auf Kein Musiktalent kein Existenztalent Er verkaufte seinen Bosendorferflugel und wurde Geisteswissenschaftler Er wollte einen Roman schreiben arbeitete ihn immer wieder um und kurzte ihn bis nur noch die Uberschrift ubrigblieb Der Untergeher Kurz vor seinem Tod verbrannte er seine umfangreichen Zettelsammlungen mit Aphorismen die nie veroffentlicht wurden Er war als unglucklicher Nacheiferer und Sackgassenmensch durch den Vergleich mit Gould todlich getroffen und konnte sich nicht aus dem Druck seines Anspruchs losen So kam er aus seiner Lebensfalle nicht mehr heraus wurde depressiv und lief immer wieder ziellos durch Wien Er versuchte nach dem Unfalltod seiner Eltern seine Schwester an sich zu binden und zu bevormunden bis diese im Alter von 46 Jahren ausriss und was ihr Bruder ihr nie verzieh sich mit dem Schweizer Unternehmer Duttweiler verheiratete Zuletzt wohnte er allein im elterlichen Jagdhaus in Traich Dagegen gelang dem Erzahler zumindest die raumliche Distanzierung Er befreite sich aus seinem Lebenskreis und zog nach Madrid in die Calle des Prado in die totale Anonymitat Dort hat er nach vielen Versuchen seine Schrift uber Gould abgeschlossen Jedoch gedenkt er sie zu verbrennen um noch einmal neu anzufangen und Wertheimer einzubeziehen 4 Wie sein Romanprojekt und seine Reflexionen im Wirtshaus zeigen beschaftigt auch er sich immer wieder mit der Aufgabe seines Karriereplans Wie Wertheimer ist er sowohl von misanthropischer Wut als auch von masochistischen Tendenzen nicht frei Er steigert sich immer wieder bei der Bewertung Salzburgs Churs einerseits und New Yorks Madrids andererseits von einem Extrem ins andere fallend in Rundumschlage hinein auf seine Lehrer die Entwicklungsverhinderer und Kunstaustreiber den Kur Kultur und Universitatsbetrieb die Gastronomie die grossburgerliche Lebensweise die dorfliche Beschranktheit und die Eltern die ihre Kinder in die Existenzmaschine hineinwerfen Auch er ist gefahrdet und in gewisser Weise wie er von Wertheimer behauptet in sein Scheitern verliebt aber und das ist der Unterschied Wertheimer hat dem Freund theoretisch den Selbstmord zugetraut ihn jedoch dann praktisch selbst begangen Unterhaltungen des Erzahlers mit der Wirtin und dem Holzknecht Bearbeiten Im letzten Romandrittel schildert der Erzahler sein Gesprach mit der Wirtin sagte sie sagte ich im Gastraum und in seinem Ubernachtungszimmer sowie seine Gedanken daruber dachte ich Es folgen seine Reflexionen wieder als Monolog wahrend seiner Wanderung nach Traich seine Unterhaltung mit dem Verwalter in Wertheimers Haus und die Besichtigung von Wertheimers Zimmer Wahrend im Monolog die Geschichte aus der Perspektive des Erzahlers berichtet und bewertet wird erweitert sich der Roman im Gesprach mit der Wirtin und anschliessend mit dem Waldarbeiter in Traich um weitere Aspekte und andere Sichtweisen Auch wird das Bild des allgemein uber den Weltzustand und die menschliche Gesellschaften rasonierenden Erzahlers relativiert Einzelne Menschen behandelt er durchaus rucksichtsvoll und versucht sie in ihren wie er sich eingestehen muss berechtigten Alltagssorgen um den Arbeitsplatz zu verstehen und zu beruhigen Die Wirtin der Dichtelmuhle hat ihr ganzes Leben hart arbeiten mussen Das vom Onkel ubernommene Gasthaus ist mit einem Mord an einem Wiener Handelsvertreter belastet Mordhaus was zahlungskraftige auswartige Gaste vom Besuch abhalt Ihr Mann ist in der Papiermuhle ums Leben gekommen und sie muss von einer kleinen Rente sich und ihren Sohn ernahren Das Gasthaus ist schlecht besucht meist nur von Arbeitern der Papierfabrik die als Staatsbetrieb verschuldet ist und vielleicht geschlossen werden muss Dann verlieren 90 der Menschen im Umkreis ihre Beschaftigung Die Wirtin halt dem Erzahler dessen Grossonkel Direktor der Papierfabrik war und der in dessen herrschaftlichem Haus in Desselbrunn lange Zeit lebte den Spiegel vor Die feinen Herren wussten gar nicht was das heisst so zu leben wie sie Sie redeten in unverstandlichen Zusammenhangen und hatten sich keinerlei Sorgen zu machen und verwendeten ihre ganze Zeit damit was sie mit ihrem Geld und mit ihrer Zeit tun sollen Sie selbst habe weder Geld noch Zeit und sei nicht einmal nur unglucklich gewesen im Gegensatz zu den feinen Herren die andauernd von ihrem Ungluck redeten Wertheimer habe oft bei ihr im Gastzimmer gesessen und gejammert er sei ein unglucklicher Mensch Dabei hatte der Herr Wertheimer doch alle Moglichkeiten glucklich zu sein doch er habe seine Moglichkeiten nie und nimmer genutzt Sie habe sich manchmal seiner erbarmt und ihn mit auf ihr Zimmer genommen aber Geld habe er ihr keins gegeben nicht einmal einen Kredit fur einen Eiskasten Nur eine wertvolle Halskette von seiner Grossmutter habe er ihr als Erbe versprochen vermutlich aber nicht in sein Testament aufgenommen Der Erzahler erganzt dass die Wirtin auch ihn so einschatzt reich und unmenschlich Er erinnert sich dass Wertheimer ihm einmal sagte am Tisch des Volkes hatten sie nichts zu suchen Offenbar kommt der Erzahler durch die Kritik der Wirtin auf seiner Wanderung nach Traich ins Grubeln Er sieht seine Neigung zu Ungerechtigkeit und Ungenauigkeit ein ebenso seine Subjektivitat in der Beurteilung Wertheimers Wir schildern und beurteilen Menschen immer nur falsch gleich wie wir sie schildern gleich wie wir sie beurteilen In Traich begegnet er dem Wertheimer treu ergebenen Holzknecht Franz Kohlroser der das Haus wahrend der Emigrationszeit der judischen Familie in England vor den Nazigrafen geschutzt hat und dafur zwei Monate lang im Gefangnis sass Er erinnert den Erzahler an die Sozialisation Wertheimers Kindheit in England Ruckkehr in der Nachkriegszeit nach Wien mit ca 14 Jahren In Traich hatte die Familie keinen Kontakt mehr zu den Nachbarn gesucht Bald darauf verungluckten die Eltern auf dem Weg nach Meran und die Geschwister waren auf sich allein gestellt In den Tagen vor seiner Reise in die Schweiz hat Wertheimer alles Geschriebene ganze Zettelstosse verbrannt Dann lud er eine Gruppe ehemaliger Studienkollegen ein und bewirtete sie Dafur mussten sie zwei Wochen lang seine Musik ertragen Er spielte fast pausenlos Handel und Bach auf einem verstimmten schlechten Klavier so dass sie immer wieder ins Freie fliehen mussten Sie rachten sich mit Vandalismus im Haus und er liess sie mit Taxis zur Bahnstation fahren Der Erzahler geht den Besuch abschliessend noch einmal in Wertheimers Zimmer findet auf dem Plattenspieler Goulds Goldbergvariationen und hort sie sich an Formale Aspekte BearbeitenWie viele Romane Thomas Bernhards hat auch Der Untergeher lange Passagen ohne Absatze Gleich zu Beginn sind drei Satze abgesetzt der vierte Absatz allerdings zieht sich bis zum Ende des Buches Der Untergeher enthalt nur selten direkte Rede stets eingelassen in den Erinnerungsfluss des fiktiven Autors und daneben fragmentarische Zitate kursiv gesetzt Mit einer eigenwilligen Zeichensetzung fugt Bernhard an ungewohnlichen Stellen Pausensignale in den Text ein 5 Fiktion und Realitat BearbeitenGlenn Gould Bearbeiten nbsp Glenn GouldIn dem Roman ist authentisches und erdichtetes Material miteinander verwoben Die Romanfigur Glenn Gould unterscheidet sich in einigen Punkten deutlich von der realen Person Gould studierte nicht in Salzburg und auch nicht bei Vladimir Horowitz der stilistisch das Gegenteil verkorperte Gould wird im Roman 51 Jahre alt wahrend er in der Realitat wenige Tage nach seinem 50 Geburtstag starb nicht am Klavier sitzend wie im Roman beschrieben Goldberg Variationen Bearbeiten nbsp Titelseite der Goldberg Variationen Erstausgabe Nach Liesbeth M Voerknecht wird die Entstehungsgeschichte der Goldberg Variationen im Roman persifliert Die Verbindung zu den beiden Volksliedern des Quodlibet stellten die Wirtin und der Holzfaller her und Form und Zahlenordnungen der Goldberg Variationen wurden im Untergeher aufgegriffen So komme das Wort Aria zweimal das Wort Goldberg Variationen 32 mal vor und in den einleitenden Absatzen werde ahnlich wie in der Aria Themenmaterial exponiert das in Variationen den gesamten Roman bestimme 6 Ausgaben BearbeitenErstausgabe Suhrkamp Frankfurt am Main 1983 ISBN 3 518 04507 5 Bibliothek Suhrkamp Frankfurt am Main 1986 ISBN 3 518 01899 X Lizenzausgabe des Verlages Volk und Welt fur die DDR Berlin 1986 ISBN 3 353 00037 2 Taschenbuch Frankfurt am Main 1988 ISBN 3 518 37997 6 Suddeutsche Zeitung Bibliothek Munchen 2004 ISBN 3 937793 04 6 Werkausgabe Band 6 Frankfurt am Main 2006 ISBN 3 518 41506 9Adaptionen BearbeitenChristiane Pohle inszenierte 2013 eine Buhnenfassung von Der Untergeher am Schauspielhaus Graz 7 Die Brooklyn Academy of Music realisierte 2016 eine einaktige Oper von David Lang die auf dem Roman basierte 8 Literatur BearbeitenBarbara Diederichs Musik als Generationsprinzip von Literatur Eine Analyse am Beispiel von Thomas Bernhards Untergeher Diss Giessen 1999 DNB Liesbeth M Voerknecht Thomas Bernhard und die Musik Der Untergeher In Joachim Hoell Kai Luehrs Kaiser Hrsg Thomas Bernhard Traditionen und Trabanten Konigshausen und Neumann Wurzburg 1999 ISBN 3 8260 1695 5 S 195 199Einzelnachweise Bearbeiten Salzkammergut nahe Bernhards Wohnort Obernathal bei Gmunden Wladimir Horowitz wird vom Autor in die fiktive Handlung eingebunden Die Handlung ist erfunden Einige Fakten aus der Pianisten Biographie Glenn Goulds wurden in den Roman eingebaut Der Monolog des Erzahlers konnte als Vorlage dazu angesehen werden Philipp Loser Mediensimulation als Schreibstrategie Film Mundlichkeit und Hypertext in postmoderner Literatur Vandenhoeck amp Ruprecht Gottingen 1999 ISBN 3 525 20581 3 S 210 Liesbeth M Voerknecht Thomas Bernhard und die Musik Der Untergeher In Joachim Hoell Kai Luehrs Kaiser Hrsg Thomas Bernhard Traditionen und Trabanten Konigshausen und Neumann Wurzburg 1999 ISBN 3 8260 1695 5 S 195 199 Schauspielhaus Graz Der Untergeher abgerufen am 2 August 2017 Brooklyn Academy of Music World premiere The Loser abgerufen am 2 August 2017Romane von Thomas Bernhard Frost Verstorung Das Kalkwerk Korrektur Beton Der Untergeher Holzfallen Eine Erregung Alte Meister Komodie Ausloschung Ein Zerfall Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Der Untergeher amp oldid 216458490