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Der Washington Konsens oder Konsens von Washington englisch Washington Consensus ist ein Wirtschaftsprogramm das lange Zeit vom Internationalen Wahrungsfonds IWF und der Weltbank propagiert und gefordert wurde Es enthalt ein Bundel wirtschaftspolitischer Massnahmen die Regierungen zur Forderung von wirtschaftlicher Stabilitat und Wachstum durchfuhren sollten und als Handlungsanweisungen angesehen werden Inhaltsverzeichnis 1 Geschichte 2 Bewertung 3 Literatur 4 Weblinks 5 EinzelnachweiseGeschichte BearbeitenInfolge der lateinamerikanischen Schuldenkrise in den 1980er Jahren ubernahmen der IWF und die Weltbank die Aufgabe der Schuldenrestrukturierung In diesem Rahmen vergab der IWF Kredite an lateinamerikanische Lander unter der Bedingung dass diese Lander Strukturanpassungen durchfuhrten Zur Durchsetzung der Strukturanpassungsprogramme fuhrten sie standige Konsultationen mit den wirtschaftspolitischen Eliten der lateinamerikanischen Lander Diese Strukturanpassungsprogramme sind als Umsetzung des Washington Konsenses zu begreifen der das politische Programm der zu dieser Zeit hegemonialen wirtschaftspolitischen Krafte in den USA darstellt die im IWF der Weltbank dem US Finanzministerium und den zahlreichen Washingtoner Denkfabriken organisiert waren Die hegemonialen wirtschaftspolitischen Vorstellungen umfassten seit dem Aufstieg liberal konservativer Politiker Reagonomics Thatcherismus vor allem Ideen wie die Angebotspolitik Freihandel und exportorientierte Wirtschaftspolitik 1 Die Einzelmassnahmen der verordneten Strukturanpassungspolitik entsprachen diesem Konsens 2 Nachfragedrosselung und Kurzung der Staatsausgaben durch Fiskal Kredit und Geldpolitiken Wechselkurskorrektur Abwertung und Verbesserung der Effizienz der Ressourcennutzung in der gesamten Wirtschaft Rationalisierung und Kostenokonomie Liberalisierung der Handelspolitik durch Abbau von Handelsbeschrankungen und Handelskontrollen sowie verbesserte Exportanreize Deregulierung von Markten und Preisen was oft auch die Abschaffung von Preissubventionen fur Grundbedarfsartikel bedeutete Haushaltskurzungen Privatisierung offentlicher Unternehmen und Einrichtungen Entburokratisierung Abbau von SubventionenDer politische Konsens von Washington hatte die erklarte Absicht einfache Wege zur Erreichung von mehr makrookonomischer Stabilitat aufzuzeigen den extremen Protektionismus der lateinamerikanischen Staaten abzubauen und das Potenzial des wachsenden globalen Handels sowie das Auslandskapital besser zu nutzen Daruber hinaus wurde 1990 in Washington die Erwartung geaussert die Globalisierung und die Reformen wurden nicht nur die Erreichung eines hohen wirtschaftlichen Wachstums sondern auch eine signifikante Reduzierung der Armut und eine Nivellierung der Einkommensverteilung zur Folge haben Es gibt einige Uberschneidungen zwischen diesen Forderungen und neoliberalen Politikansatzen der 1980er Jahre die aber in der Regel daruber hinausgehen 3 Der Begriff Washington Consensus wurde vom Okonomen John Williamson fur eine Konferenz 1990 in Washington D C gepragt Dort versuchte eine Gruppe von lateinamerikanischen und karibischen Entscheidungstragern Vertreter internationaler Organisationen und Akademiker die Fortschritte in der Wirtschaftspolitik der lateinamerikanischen Staaten zu bewerten John Williamson betonte dass dieser Begriff von ihm entgegen dem heutigen Sprachgebrauch nicht als Marktfundamentalismus gemeint war 4 I of course never intended my term to imply policies like capital account liberalization as stated above I quite consciously excluded that monetarism supply side economics or a minimal state getting the state out of welfare provision and income redistribution which I think of as the quintessentially neoliberal ideas Ich habe naturlich nie gewollt dass mein Begriff auch Strategien wie Kapitalmarktoffnung wie oben schon erwahnt habe ich das bewusst ausgeschlossen Monetarismus Angebotspolitik oder Minimalstaatspolitik dass sich der Staat aus der Sozialhilfe und der Einkommensumverteilung herauszieht beinhaltet was ich fur typisch neoliberale Ideen halte John Williamson Did the Washington Consensus Fail 5 Der Washington Konsens begann im Zuge der Tequila Krise und der wenig spater auftretenden Asienkrise unter Druck zu geraten da sich hier Finanzkrisen eines neuen Typus zeigten in denen Lander mit gesunden makrookonomischen Daten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts Inflation Budgetsaldo der offentlichen Haushalte die zudem als Musterschuler der Strukturanpassungspolitik des IWF galten betroffen waren 6 Bewertung BearbeitenHernando de Soto erklart in seinem Buch Freiheit fur das Kapital dass die Anwendung dieser Rezepte allein nicht ausreiche Was den lateinamerikanischen Landern fehle seien definierte Eigentumsrechte Vertragsrechte und die Firmenkonstruktionen um Wohlstand schaffen zu konnen Joseph E Stiglitz kritisiert in seinem Buch Die Schatten der Globalisierung die Umsetzung des Washington Konsenses Er schreibt dass diese Empfehlungen sofern sie sachgerecht umgesetzt werden sehr nutzlich sind aber der IWF diese Leitlinien als Selbstzweck betrachtet statt als Mittel zu einem gerechter verteilten und nachhaltigeren Wachstum 7 Stiglitz kreidet dem IWF an dass er blind dieses Ziel verfolge obwohl die Wirtschaftstheorie wichtige und nutzliche Alternativen erarbeitet hatte 8 In seinem neueren Buch Die Chancen der Globalisierung setzt Stiglitz die Kritik fort und erklart dass der Washington Konsens auf Idealisierungen beruhe u a vollstandiger Wettbewerb vollstandige Informationen die insbesondere fur die Entwicklungslander weit von der Wirklichkeit entfernt und daher kaum relevant seien 9 Lander die sich nicht an diese Empfehlungen gehalten haben wie zum Beispiel China entwickeln sich wirtschaftlich sehr positiv wahrend andere Lander in Afrika und Lateinamerika die den Empfehlungen weitgehend gefolgt sind geringere Wachstumsraten aufweisen Stiglitz nennt vier zentrale Kritikpunkte 10 Der Ruckzug des Staates fuhre nicht immer dazu dass die entsprechenden Leistungen von der Privatwirtschaft angeboten werden So hat die Abschaffung der Vertriebskommissionen fur Landwirtschaftliche Produkte in Westafrika dazu gefuhrt dass die wenigen wohlhabenden Bauern die uber geeignete Transportmittel verfugten ein ortliches Monopol aufbauen konnten Die Situation der anderen Bauern hatte sich dadurch drastisch verschlechtert Im Falle eines Ruckzugs des Staates musse sichergestellt werden dass die neu entstehenden Markte allen potenziellen Anbietern offenstehen So habe die Privatisierungspolitik in Russland eher die Entstehung von Oligopolen daraus resultierenden Marktverzerrungen und Einkommensungleichheit als das Entstehen einer funktionierenden Marktwirtschaft verursacht Der Washington Konsens gehe zu unkritisch davon aus dass wirtschaftliches Wachstum allen Bevolkerungsschichten zugute komme Trickle down Theorie Demgegenuber stellt Stiglitz fest dass Wirtschaftswachstum gerade in Entwicklungslandern zu einer Verscharfung der sozialen Ungleichheit fuhrt in der Folge komme es zu politischer Instabilitat welche der Wirtschaft schade Durch adaquate Sozialpolitik sei dies vermeidbar Als Extrembeispiel nennt er dass der IWF wiederholt von Landern die sich in einer Finanzkrise befanden den Abbau von Nahrungsmittelsubventionen gefordert hat Die Kreditvergabekonditionen verlangen auch von Staaten die sich in einer schweren Wirtschaftskrise befinden eine rigide Sparpolitik Hierdurch wurden Krisen noch verschlimmert und es drohe das Abgleiten in eine Depression Stiglitz halt nach den Erfahrungen der Finanzkrise ab 2007 die Politik des Washington Konsenses und die ihr zugrunde liegende Ideologie des Marktfundamentalismus fur tot 11 Dani Rodrik betont dass die hinter dem Washington Konsens stehenden Prinzipien wie Eigentumsrechte eine harte Wahrung staatliche Zahlungsfahigkeit und marktorientierte Anreize notwendig seien fur erfolgreiches Wachstum jedoch nicht durch den konkreten Massnahmenkatalog des Programms effektiv erreicht wurden Wahrend viele weniger erfolgreiche Staaten Lateinamerikas dem Washington Konsens eng gefolgt seien hatten erfolgreichere asiatische Lander wie China oder Korea davon und auch voneinander stark abweichende konkrete Entwicklungsstrategien verfolgt Rodrik glaubt beispielsweise nicht dass eine radikale Handelsliberalisierung das Wirtschaftswachstum signifikant beeinflusst Industriepolitik sei in vielen erfolgreichen Fallen der Offnung vorausgegangen Daher pladiert Rodrik dafur Entwicklungslandern mehr institutionellen Spielraum zu lassen Das Massnahmenpaket des Washington Konsenses passe zu selten optimal zu den spezifischen lokalen Gegebenheiten und Engpassen 12 Heinz J Bontrup ubte in zwei Gutachten 13 fur die Landtage der Bundeslander Nordrhein Westfalen und Niedersachsen 2011 deutliche Kritik am Washington Consensus Diese Ideologie ist von den Oligarchien des Finanzkapitals 14 aufgestellt worden Sie lasst sich als eine Trias aus Wettbewerb Deregulierung und Privatisierung zusammenfassen Die neuen Herren der Welt 15 die kapitalistischen Beutejager 16 wollen einen weltweiten unbegrenzten Markt die Privatisierung des Planeten um sich bereichern zu konnen und gleichzeitig die Armen dieser Welt auszuschliessen oder zumindest territorial einzusperren 16 Das Primat der demokratisch gewahlten und daher ausschliesslich legitimierten Politik wurde entpolitisiert 17 und durch eine weltweite Diktatur des Kapitals 16 insbesondere des Finanzkapitals ausgehebelt Die Entwicklung dahin wurde durch zwei Faktoren gefordert meint Bontrup Erstens durch die Globalisierung der Finanzmarkte also die schrittweise Abschaffung der Kapitalverkehrskontrollen und die Herstellung eines freien Marktes fur den Handel mit Wertpapieren seit den fruhen siebziger Jahren Dadurch ist ein weltweites Dorado fur Kapitalanlage und Spekulation entstanden Zweitens durch den Aufstieg von sogenannten institutionellen Investoren d h Investmentfonds Pensionsfonds Versicherungsgesellschaften die einen immer grosseren Teil des Vermogens der Anleger verwalten und heute eine erhebliche Kapitalmacht reprasentieren 18 Die Regierungen sind dadurch zu Getriebenen der Finanzmarkte geworden Dies formulierte vollig unumwunden und als Mahnung gedacht der ehemalige Prasident der Deutschen Bundesbank Hans Tietmeyer beim 3 Weltwirtschaftsforum im Februar 1996 Von nun an stehen Sie sc die versammelten westlichen Staatsmanner unter der Kontrolle der Finanzmarkte 19 Literatur BearbeitenJohn Williamson From Reform Agenda to Damaged Brand Name PDF 87 kB Finance and Development September 2003 S 10 13 Bettina Fuhrmann Abkehr vom Washington Consensus Die wirtschaftspolitische Strategie der Weltbank zur Armutsbekampfung PDF 804 kB INEF Report Nr 71 Duisburg 2003 Joseph Stiglitz Die Schatten der Globalisierung Aus dem Engl von Thorsten Schmidt Bonn 2002 ISBN 3 89331 466 0 Joseph Stiglitz Die Chancen der Globalisierung Aus dem Engl von Thorsten Schmidt Munchen 2006 ISBN 3 88680 841 6 Weblinks BearbeitenDid the Washington Consensus Fail by John Williamson The Washington Consensus as Policy Prescription for Development World Bank What Should the World Bank Think about the Washington Consensus by John Williamson PDF The Monterrey Consensus A New Development Partnership Washington Consensus by WHO Einzelnachweise Bearbeiten Christian Kellermann Die Organisation des Washington Consensus Der Internationale Wahrungsfonds und seine Rolle in der internationalen Finanzarchitektur 1 Auflage Transcript 2006 ISBN 978 3 89942 553 6 S 95 96 Christian Kellermann Die Organisation des Washington Consensus Der Internationale Wahrungsfonds und seine Rolle in der internationalen Finanzarchitektur 1 Auflage Transcript 2006 ISBN 978 3 89942 553 6 S 96 Nitsan Chorev On the Origins of Neoliberalism Political Shifts and Analytical Challenges In K T Leicht J C Jenkins Hrsg Handbook of Politics State and Society in Global Perspective Berlin Springer 2010 S 127 144 The Washington Post A Conversation With John Williamson Economist John Williamson Did the Washington Consensus Fail In Peterson Institute for International Economics 11 Juni 2002 abgerufen am 9 November 2016 englisch Christian Kellermann Die Organisation des Washington Consensus Der Internationale Wahrungsfonds und seine Rolle in der internationalen Finanzarchitektur 1 Auflage Transcript 2006 ISBN 978 3 89942 553 6 S 100 Joseph Stiglitz Die Schatten der Globalisierung Bonn 2002 S 70 Joseph Stiglitz Die Schatten der Globalisierung Bonn 2002 S 71 Joseph Stiglitz Die Chancen der Globalisierung Bonn 2006 S 51 Handrik Hansen Politik und wirtschaftlicher Wettbewerb in der Globalisierung 1 Auflage VS Verlag fur Sozialwissenschaft 2008 ISBN 978 3 531 15722 1 S 129 Joseph Stiglitz Im freien Fall Vom Versagen der Markte zur Neuordnung der Weltwirtschaft Siedler Munchen 2010 S 370 Dani Rodrik One Economics Many Recipes Princeton University Press 2007 ISBN 0 691 12951 7 Print Der diskreditierte Staat PAD Bergkamen 2012 Im Namensartikel auch als Weblink Landtag Niedersachsen Jorg Huffschmid Politische Okonomie der Finanzmarkte 2 Auflage Hamburg 2002 Ignacio Ramonet Die neuen Herren der Welt Internationale Politik an der Jahrtausendwende Zurich 1998 a b c Jean Ziegler Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher Bertelsmann Munchen 2003 S 9 ff Pierre Bourdieu in Der Spiegel Interview 2001 sein kompletter Aufruf gegen die Entpolitisierung im Namensart Bourdieu Weblink Christoph Deutschmann Ratsel der aktuellen Wirtschaftspolitik Die heimliche Wiederkehr des Keynesianismus in Zeitschrift fur Sozialokonomie Jg 42 Folge 146 September 2005 S 5 nach Harald Schumann amp Hans Peter Martin Die Globalisierungsfalle Hamburg 1998 S 90 Abgerufen von https de wikipedia org w index php title Washington Consensus amp oldid 236778203